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Autor Thema: Krisen, seelische Erschütterungen ...  (Gelesen 25182 mal)

Kallisti

  • Gast
Krisen, seelische Erschütterungen ...
« am: 05 Oktober 2010, 23:39:39 »

So - wie fange ich das hier am besten an? Soll ich erst ausschließen, worum es mir nicht geht? - Ja. Also:

1. Ich möchte hier keinen Seelenstrip provozieren, d.h. ich möchte nicht eure persönlichen, privaten, intimen Leidensgeschichten lesen (wer sich aber persönlich äußern will, kann das selbstverständlich tun, nur: von meiner Seite soll es nicht als Aufforderung dazu verstanden werden!).

2. Ich möchte auf gar keinen Fall missverstanden werden in Richtung: ich würde meine Leidensgeschichten offenbaren wollen oder bemitleidet werden oder mich ins Licht der Aufmerksamkeit stellen wollen! Daher @messie ;)  werde ich hier sicher keine persönlichen Hintergründe offenlegen - so wenig wie ich das von euch erwarte (siehe 1.)! NEIN - das beides ist NICHT meine Veranlassung für dieses Thema.

3. - ? Also zu den eigentlichen Fragen:


Ich würde gerne von euch wissen, wie Menschen mit Krisen, "seelischen Erschütterungen", mit Traumata und Verzweiflung ... umgehen (können)? Wie ihr evtl. damit umgeht oder umgegangen seid? Welche Wege/Möglichkeiten es da heraus geben kann - abgesehen von: Verdrängung, Ablenkung, (religiösem) Glaube und Psychotherapie (und/oder Psychiatrie und/oder Psychopharmaka oder "Drogen").  - Ich möchte und muss dies alles ausschließen, da es für mich (alles) nicht in Frage kommt bzw. ich aus eigener Erfahrung weiß, dass es (bei) mir nicht hilft (bspw. kann/will ich nicht "glauben"/ bin ich nicht gläubig oder spirituell, außerdem kommen Drogen und Psychopharmaka für mich grundsätzlich nicht in Betracht; Ablenkung/Verdrängung wirkt, wenn überhaupt, nur kurze Zeit/nur vorübergehend und Psychotherapie hilft u.U. gar nicht - nicht nur bei mir nicht (unabhängig von der Dauer oder Art der Therapie oder des Therapeuten), wie ich immer häufiger (durch andere/bei anderen) feststellen kann - bitte keine Grundsatzdiskussion über die Wirksamkeit von Psychotherapie oder wenn, dann bitte an anderer Stelle - Danke!



Was meine ich mit Krisen:

Es ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, was wen wie stark und lange aus der Bahn wirft und warum. Aber nur als kleine richtungsweisende Beispiele möchte ich Folgendes als mögliche Ursachen nennen:

- schwere Erkrankung/Krankheit (körperlich oder seelisch, evtl. chronisch oder sogar tödlich) - eigene oder von (emotional) nahestehenden Menschen

- Verlust (durch Trennung oder gar Tod) von "emotional nahestenden" (geliebten) Menschen (evtl. mehreren innerhalb kurzer Zeit)

- Trauma durch bspw. schweren Verkehrsunfall (bei dem man u.U. das Sterben anderer Menschen "miterlebte" ...) oder durch Naturkatastrophe (Erdbeben, Wasser/Flut/Überschwemmung ...)

- Trauma durch Folter oder sonstige Misshandlung/Gewalt ...

- Trauma/Krise/Erschütterung durch Vertreibung, Flucht



Dies wie gesagt nur als Beispiele. Es gibt noch vieles andere (weniger "drastische" oder offensichtliche oder "plakative"), das Menschen in (schwere) Krisen "stürzen" kann, keine Frage.
Mir geht es auch nicht darum, diese Ursachen zu vergleichen oder zu bewerten oder zu ergründen, sondern:

Ich möchte wissen:

WIE ist es möglich (???), dauerhaft aus solchen "Krisen", aus solcher Verzweiflung, Selbstzweifeln, aus der "Schwäche", aus dem Tief herauszukommen? - Ist es euch evtl. schon ein Mal oder mehrmals gelungen? WIE??? Wie lange dauerte es, bis ihr aus der "Krise" herausfandet? Was/wer hat euch dabei geholfen? Gibt es heute  (noch oder immer wieder mal) "flashbacks"? Wenn ja, wie geht ihr damit um?


Und nein, ich meine hier nicht "Depression" - auch diese kann natürlich eine Krise sein oder in eine solche führen oder einer Krise folgen, aus ihr (Krise) resultieren. Aber ich meine, man kann "seelische Erschütterungen" (durch Widerfahrnisse - siehe oben ...), seelische Not nicht grundsätzlich und immer auf "Depression" reduzieren. Ich denke, es ist "mehr" als das oder einfach: etwas anderes.  ?


Sicher - man weiß heute, dass es bestimmte Charaktermerkmale gibt oder "Persönlichkeitsmerkmale" bzw. "-typen", die eher dazu neigen, aus Krisen (leichter, besser, weniger beschadet) herauszukommen (als es bei anderen Persönlichkeitstypen der Fall ist). Die Frage ist aber für mich - ist das alles? Bzw. worin liegt es begründet, dass solche Persönlichkeitstypen es durch die bekannten Verhaltensweisen schaffen und andere nicht bzw. andere diese Verhaltensweisen nicht "haben"? Hat das alles wieder mal mit Prägung/Erfahrungen in der Kindheit zu tun oder womit? Wovon hängt es ab?

Und davon aber eben abgesehen - also: unabhängig von diesen Persönlichkeitstypen - was könnte "allgemein" Menschen aus schweren Krisen heraushelfen und warum? Denn, ich denke, dass es Derartiges wohl doch gibt - bei aller Individualität! 


                                                                                                                           

                                                                                                                                     ?



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olli

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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #1 am: 06 Oktober 2010, 01:51:50 »


ich habe keine persönlichen leidensgeschichten. aber mitgefühl für deine.
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messie

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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #2 am: 06 Oktober 2010, 02:19:37 »

Hmmm - ich habe schon so einige emotionalen Krisen hinter mir, die schlimmsten waren aber für mich subjektiv immer der Liebeskummer.

Zitat
Ablenkung/(...) wirkt, wenn überhaupt, nur kurze Zeit/nur vorübergehend

Ja, das ist doof, nicht wahr? :) Das wäre ja eigentlich die ideale Lösung: Sich so lange ablenken, bis der ganz große Schmerz nachgelassen hat und er dann so erträglich geworden ist, dass man stark genug dafür ist, sich ihm zu stellen.

Ganz ehrlich: Eine Patentlösung habe ich dafür auch nicht gefunden. Bei mir war's dann immer eine Mischung aus sich "ausbluten", also mir zu sagen dass es eine Extremsituation ist und ich einfach mal n paar Tage durchheulen / durchschlafen / alles hassen darf und aus Ablenkung durch irgendwelche Dinge, die halt trotzdem gemacht werden müssen (Arbeit, Abwasch im Haushalt, Bügeln, etc. pp.).
Als ich noch den WDR reinbekam, habe ich mir just in solchen Situationen mit großer Wonne Domian angesehen, weil mir dann wieder mal bewusst wurde, dass es da draußen Menschen gibt, denen es noch beschissener gehen kann. Wenn man Liebeskummer hat, aber dort von Leuten erfährt, die gerade z.B. alles verloren haben weil ihnen das Haus abgebrannt ist oder gerade einen Selbstmordversuch hinter sich haben, etc. pp., dann erscheinen einem in dem Augenblick die eigenen Probleme irgendwie nicht mehr ganz so schlimm. Irgendeine Geschichte pro Sendung ist immer heftig dort.


Zitat
Und davon aber eben abgesehen - also: unabhängig von diesen Persönlichkeitstypen - was könnte "allgemein" Menschen aus schweren Krisen heraushelfen und warum?

Da gab es in meinem Leben eigentlich nur einen verlässlichen Verbündeten: Die Zeit.

Eigentlich klingt es theoretisch ganz einfach: Da mit zunehmender Dauer die Seele ohnehin sich selbst quasi "repariert" und aus Selbstschutz die allerschlimmsten Gefühle auf Dauer begräbt, bzw. nicht mehr zulässt, heißt es da "nur": Durchhalten!
Dummerweise ist das alles andere als einfach. Je größer das (akute) Trauma, je stärker die seelische Erschütterung, desto schwieriger wird's.
Bei mir hat dieser Liebeskummerschmerz jedes Mal ca. ein halbes Jahr gedauert, und egal was ich versucht hatte, die Zeit ließ sich einfach nicht abkürzen. Es scheint bei mir einfach jene Zeit zu sein die das Ding, was man Seele nennt, bei mir braucht, um sich wieder hinreichend selbst repariert zu haben diesbezüglich, und da lässt die sich halt auch einfach mal so gar nicht hetzen. Sie hat halt ihr Tempo, und wenn man's schneller haben will, zeigt sie einem einfach mal den Stinkefinger.

Wenn das halbe Jahr aber um war, war ich dann tatsächlich über'n Berg - und das unabhängig davon, wie intensiv die Verbindung zuvor bestand oder dass mir immer bewusst gewesen wäre, dass nun tatsächlich wieder 6 Monate rum waren, als ich das letzte Mal akute Schmerzen in dem Punkt verspürte.

Bei anderen Schockmomenten ging's bei mir wiederum merkwürdigerweise, teils deutlich, schneller: Der Tod auch naher Verwandter beispielsweise traf mich nie so sehr wie es Liebeskummer tat. Trauerarbeit funktionierte bei mir immer sehr schnell (maximal 4 Wochen).
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CubistVowel

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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #3 am: 06 Oktober 2010, 09:34:15 »

Da gab es in meinem Leben eigentlich nur einen verlässlichen Verbündeten: Die Zeit.

Dem kann ich aus eigener Erfahrung bei bestimmten Vorkommnissen wie z. B. Todesfällen zustimmen: Aushalten. Durchhalten. Die negativen Gefühle zulassen - nicht verdrängen. Vor allem: drüber reden (hilft mir zumindest immer.)

Verdrängung oder Ablenken funktioniert bei echten Traumata nicht. Die kommen immer wieder hoch und lassen sich nicht einfach wegschieben, auf dass die Seele sich von allein heile. Manche Dinge (z. B. Missbrauch, Misshandlung in der Kindheit) kommen sowieso oft erst Jahrzehnte später (wieder) an die Oberfläche - oft nachdem sie es einem Menschen von jeher unmöglich gemacht haben ein normales Leben zu führen. Die Auswirkungen eines Traumas sind oft unterschwellig/unbewusst, sie sind immer noch da und wirken sich negativ aus, auch wenn man bewusst/oberflächlich nicht mehr daran denkt.

@ Kallisti: Im Zusammenhang mit dem Thema Trauma kann man den Bereich "Depression" nicht ausschließen, glaube ich, da traumatische Erfahrungen (unbehandelt) aus den oben genannten Gründen oft zu Depressionen führen.

Ich persönlich habe gute Erfahrungen gemacht mit meinem Psychotherapeuten. Gemeinsam konnten wir viele schlimme Erfahrungen aus meiner Kindheit besprechen, analysieren und ihre "Nachwirkungen" feststellen. Davon verschwindet das Trauma zwar nicht, aber man lernt damit umzugehen. Zudem haben mir zeitweise eingesetzte Antidepressiva immer über die schlimmsten Zeiten hinweg geholfen. Antidepressiva machen nicht abhängig, helfen aber auch nicht jedem. Eine derartige Analyse, wie ich sie bald hinter mir habe, ist aber eine schwere und langwierige Arbeit an sich selbst, das dauert viele Jahre. Ich denke allerdings, dass die reine Überwindung eines bestimmten, eng umrissenen Traumas kürzer dauern könnte.

Wenn man mit keinem Fachmann drüber reden will, sollte man wenigstens mit anderen Menschen drüber reden. Auf keinen Fall verdrängen! Internetforen zum Thema oder Selbsthilfegruppen helfen oft weiter, ich selbst finde es immer schön mit Gleichgesinnten zu reden/schreiben, denen man das Problem nicht erst groß erklären muss, und deren Erfahrungen für einen selbst auch hilfreich sind.

@ Messie: Die Tatsache, dass es anderen Menschen noch schlechter geht, rückt das eigene Problem zwar in ein anderes Licht, in eine andere Perspektive, hilft aber nicht wirklich auf Dauer. Das eigene Problem ist letztlich meistens wichtiger als das der anderen. Ist zumindest meine eigene Erfahrung. ;)
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messie

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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #4 am: 06 Oktober 2010, 10:18:34 »

Zitat
@ Messie: Die Tatsache, dass es anderen Menschen noch schlechter geht, rückt das eigene Problem zwar in ein anderes Licht, in eine andere Perspektive, hilft aber nicht wirklich auf Dauer. Das eigene Problem ist letztlich meistens wichtiger als das der anderen. Ist zumindest meine eigene Erfahrung.  ;)

Auf Dauer hilft nichts alleine ...
Ist jetzt auch nur für den akuten "Notfall" gedacht, bzw. so habe ich es gehalten. Eben dann, wenn es mir ganz akut mal so richtig dreckig ging, dann tat es -gemein eigentlich, aber so ist es halt- ganz gut zu wissen, dass das Problem im Vergleich zu anderen ja irgendwo noch klein ist. Es wirkt dann eben nicht mehr zwölf Meter groß sondern nur noch zwei, und über so zwo Meter lassen sich ja irgendwo dann wuppen, ne? ;)

Zu richtigen Traumata mag ich auch nix sagen wollen. Solche zu verarbeiten ist nicht selten eine echte Lebensaufgabe, wie man diese am besten verarbeitet, können Profis viel, viel besser beantworten als ich Laie in diesen Dingen. Ich kann nur sagen was mir half bei diversen Krisen wie Todesfällen, Liebeskummer oder einer durchgefallenen Prüfung (selbst wenn es nur kleine sein sollten, in dem Augenblick kommt sie einem vor wie das Wichtigste der Welt und man sich selbst wie der größte Versager der Welt ...), aber wie z.B. eine echte Depression am besten bekämpfbar ist kann ich nicht sagen, schließlich hatte ich nie eine und weiß deswegen nicht was mir da helfen würde und schon gar nicht, was die besten Auswege für andere Personen wären.
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Kallisti

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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #5 am: 06 Oktober 2010, 10:45:41 »

@olli

... Kein Bedarf an deinem "Mitgefühl". Aber vielleicht täte dir die ein oder andere Krise mal ganz gut, denn ...


@all

...  ich bin ja der Meinung, durch Leid entwickelt man (Mensch) sich (zwangsläufig/gezwungenermaßen) weiter. Es kommt jedoch darauf an, wie groß/schwer das Paket ist bzw. wieviele Pakete man auf einmal schleppen muss - wenn das Gepäck zu schwer wiegt (für die eigene "Konstitution"), bricht man natürlich (auch: zwangsläufig) darunter zusammen.

Und: Krisen sind nichts, wofür man sich schämen, die man "verheimlichen", verbergen müsste. Denn es trifft einen nicht unbedingt immer selbst Schuld an der (Entstehung einer) Krise. Wie ich schon sagte: Es gibt im Leben der meisten Menschen irgendwann (oft auch mehrmals) "Widerfahrnisse", die sich nicht beeinflussen oder steuern oder abwenden/vermeiden lassen bzw. können. So ist das Leben - man wird mit/von Begebenheiten, Ereignissen, vollendeten Tatsachen einfach auch "mal" (dann und wann) konfrontiert oder davon "überrollt" ... !


Wenn man daher glaubt, keine eigenen, persönlichen) Krisen zu kennen @olli, belügt man sich etweder selbst (die anderen dann sowieso) oder hat bisher einfach Glück gehabt.

Sicher ist es aber auch immer eine Frage der subjektiven Betrachtung - was wer als Krise bezeichnet.



messie,

aha - ist ja interessant wie das bei anderen so abläuft. Dass es bei dir meistens ziemlich genau 6 Monate "Leidenszeit" sind (bei "Liebeskummer") und du mit Tod von dir nahestehenden Menschen besser zurechtkommst als mit Liebeskummer! - Das haut mich fast ein bisschen um. Bei mir ist es umgekehrt. Und ich habe auch eher den Eindruck, dass man mit dem Tod/Verlust eines geliebten Menschen (oder mehrerer) eigentlich niemals wirklich "klarkommt", niemals damit "abschließt" oder "darüber hinweg ist" - weil man sich an den Verstorbenen ja erinnert, erinnern bzw. ihn in Erinnerung behalten will (das ist für mich eine Art Versprechen, unausgesprochener Vertrag zwischen dem Verstorbenen und mir als "Zürückbleibende" - den Ausdruck "Hinterbliebene " mag ich nicht).
Ich empfinde das als eine Art "Loyalität" bzw. "Treue" dem Verstorbenen gegenüber, die ich ihm freiwillig "schulde" bzw. "zukommen lasse". Er hat zwar nichts mehr davon, weiß nichts davon, aber er hofft es vielleicht (unmittelbar) VOR seinem Tod (so er seinen Tod "kommen sah" ...)! Also eine Art "letzter Wunsch" (nicht vergessen zu werden ...).

Daher kann ich mich also nie ganz davon "freimachen" - weil ich es im Grunde auch nicht will. Man will zwar nicht freiwillig leiden, aber man tut es zwangsläufig, wenn man sich an das Leid des Verstorbenen erinnert, man fühlt sozusagen immer noch "mit ihm" seinen Schmerz... Und man leidet ja auch, weil man sich selbst bemitleidet (den eigenen Verlust, dass man den Anderen nicht mehr sehen, ihm nichts mehr sagen, nichts mehr mit ihm erleben ... kann - nie mehr - und dass es eben so endgültig ist und auch kein "Hintertürchen" oder irgendeine Möglichkeit mehr gibt. Ist jemand tot, ist die Tür zu - unwiderruflich und für immer - egal, was da vlt. noch hätte sein sollen, können, müssen, wollen ...).

Mit dieser Endgültigkeit des Todes ist es schwer, umzugehen - finde ich.

Daher ist das mit "Die Zeit heilt alle wunden" auch so eine Sache ... (die meiner Ansicht und Erfahrung nach eben so nicht immer zutrifft).



@CubistVowel


... ja, das sehe ich genau wie du:


Zitat
(...) Aushalten. Durchhalten. Die negativen Gefühle zulassen - nicht verdrängen. Vor allem: drüber reden (hilft mir zumindest immer.)

Verdrängung oder Ablenken funktioniert bei echten Traumata nicht. Die kommen immer wieder hoch und lassen sich nicht einfach wegschieben, auf dass die Seele sich von allein heile. Manche Dinge (z. B. Missbrauch, Misshandlung in der Kindheit) kommen sowieso oft erst Jahrzehnte später (wieder) an die Oberfläche - oft nachdem sie es einem Menschen von jeher unmöglich gemacht haben ein normales Leben zu führen. Die Auswirkungen eines Traumas sind oft unterschwellig/unbewusst, sie sind immer noch da und wirken sich negativ aus, auch wenn man bewusst/oberflächlich nicht mehr daran denkt.

(CubistVowel)


Zitat
(...) ich selbst finde es immer schön mit Gleichgesinnten zu reden/schreiben, denen man das Problem nicht erst groß erklären muss, und deren Erfahrungen für einen selbst auch hilfreich sind.

(CubistVowel)


Auch das sehe ich genau so! :)  Allerdings ist es nicht immer ganz einfach, Gleichgesinnte/Gleichbetroffene erst einmal zu finden, dann zu kontaktieren. Und ich mag es da lieber direkt/"real" als per Internet. Internetkontakte "reichen" mir da nicht bzw. sind nicht das, das ich für mich als geeignet finde (das Thema "Krisen" ... betreffend).


Was Therapien angeht - da habe ich andere (negative) Erfahrungen gemacht, aber auch aus meinem Bekanntenkreis unterschiedliche mitbekommen - manche sagen, es hat ihnen geholfen, andere kommen trotz dieser "professionellen Hilfe" nicht heraus (aus "der Krise", den Problemen/der psychischen Belastung, den Altlasten ihrer Vergangenheit/Biographie ...) - und das, obwohl sie selbst "vom Fach" sind!!



Zitat
@ Messie: Die Tatsache, dass es anderen Menschen noch schlechter geht, rückt das eigene Problem zwar in ein anderes Licht, in eine andere Perspektive, hilft aber nicht wirklich auf Dauer. Das eigene Problem ist letztlich meistens wichtiger als das der anderen.
(CubistVolwel)


Auch dem stimme ich zu. Vor allem ist es einfach so, dass das eigene Problem deshalb "wichtiger" ist, weil man selbst eben genau damit leben muss (oder will), weil man selbst eben dieses Paket trägt, tragen muss!!




Wie verhält es sich eurer Meinung nach mit "Trost"? Was genau ist Trost und kann er (dauerhaft) helfen? Wenn nein, warum nicht?

Ich denke, es ist letztlich immer dasselbe: Man ist mit seinem Leben, seiner Psyche, seinen Erfahrungen, seinen Prägungen, seiner Art zu sein (Wesen, Charakter), seinem Körper doch letzten Endes immer alleine - egal, ob und wieviele Menschen (Freunde, Partner, Familie ...) man "hat". Die anderen können einem den Schmerz (egal ob physisch oder psychisch) eben nicht abnehmen, so wenig wie das eigene Leben oder den eigenen Tod.

Man ist letztlich immer auf sich selbst zurückgeworfen und muss mit "all dem" in letzter Konsequenz doch immer ALLEINE bzw. SELBST klarkommen!

Die Frage ist für mich eben nach wie vor nur: WIE? Wie schaffen es Menschen???


@CubistVowel

... Was an deiner Therapie/Analyse also hat dir genau geholfen (mit den Problemen ... umzugehen, zu leben, leben zu können!)?? - Ich will also nicht wissen, was alles passiert ist (wenn, dann nur per PN - sonst gibt es hier gleich wieder allgemeine Schelte ;) ), sondern eben: WIE man damit umgehen kann, wie man damit (trotzdem "gut") leben kann?
« Letzte Änderung: 06 Oktober 2010, 10:47:35 von Kallisti »
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sYntiq

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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #6 am: 06 Oktober 2010, 11:01:13 »

ich habe auch eher den Eindruck, dass man mit dem Tod/Verlust eines geliebten Menschen (oder mehrerer) eigentlich niemals wirklich "klarkommt", niemals damit "abschließt" oder "darüber hinweg ist" - weil man sich an den Verstorbenen ja erinnert, erinnern bzw. ihn in Erinnerung behalten will ...

Hier ist es natürlich wieder Definitionssache. Was ist für dich "darüber hinweg" "abschliessen" etc?
Für mich klingen deine Ausführungen ein wenig nach "Abschliessen= Nie mehr an die Person erinnern dürfen" etc.

Wenn ich über den Tod einer Person hinweggekommen bin, heisst es für mich nur, dass ich akzeptiert habe dass die Person tot ist. Ich komm damit klar, denk aber trotzdem gern an die Person zurück.

Oder bekommst du auch, wenn du nach 10-20 Jahren an eine verstorbene Person zurückdenkst, noch das grosse Heulen als wäre der Tod gerade eben passiert?

Wenn du jetzt verheiratet wärest, und dein Partner stirbt. Heisst das dann für dich dass du nie wieder heiraten darfst etc? Dass eien neue Heirat dann quasi Verrat an dem verstorbenen Partner wäre?
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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #7 am: 06 Oktober 2010, 11:08:51 »

Zitat
...  ich bin ja der Meinung, durch Leid entwickelt man (Mensch) sich (zwangsläufig/gezwungenermaßen) weiter.

Wenn man es schafft es zu überwinden, ja. Wenn nicht - eher nicht ...
Ich behaupte, dass alle Hürden, die man im Leben vor sich hat, einen weiterbringen, so es einem gelingt, sie zu überwinden.
Jede erfolgreiche Prüfung bringt einen weiter, jedes aufgeschobene unangenehme Gespräch, jeder Streit den man zuvor gemieden hatte. Das Ergebnis ist letztlich immer dasselbe, Erfolgserlebnisse, und gerade das Überwinden einer Krise ist ein riesiges Erfolgserlebnis! Dadurch wächst man ganz automatisch.
Zumindest kommt mir persönlich das so vor. :)

Ich könnte allerdings gut und gerne auf Leid verzichten! Vielleicht macht es einen robuster für spätere Schicksalsschläge, aber ein Leben ohne solche lässt es doch eher auf ruhiger See verbringen als mitten in einem Sturm, in dem man ständig zu kentern droht.

Zitat
Und ich habe auch eher den Eindruck, dass man mit dem Tod/Verlust eines geliebten Menschen (oder mehrerer) eigentlich niemals wirklich "klarkommt", niemals damit "abschließt" oder "darüber hinweg ist" - weil man sich an den Verstorbenen ja erinnert, erinnern bzw. ihn in Erinnerung behalten will  (...)

Och, verstehe mich da nicht falsch: Ich erinnere mich an mir ehemals nahegestandene Verstorbenen, sehr gerne sogar. Aber ich leide nicht lange! Ich denke dann mit Wärme im Herzen zurück und erfreue mich daran, mit dieser Person Zeit geteilt zu haben, die für beide eine schöne war. Dass sie jetzt vorbei ist, ist zwar schade, aber daran ändern kann ich ja nichts mehr, und irgendetwas anders machen dass diese Person nicht stirbt hätte ich ja auch nicht können.
Das ist bei Liebeskummer anders: Da hängt immer noch dieses "was hätte ich anders machen können?" in der Luft und auch in der Zeit unmittelbar danach immer noch diese hartnäckige Hoffnung, obwohl man insgeheim ja doch weiß, dass es keinen Sinn mehr macht. Gleichzeitig ist die andere Person ja da, man begegnet ihr meist ja doch immer wieder, und so reißen Wunden ständig wieder von Neuem auf.
Trauernarben können da, zumindest bei mir, sehr viel ruhiger verheilen. :)
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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #8 am: 06 Oktober 2010, 12:03:42 »

@CubistVowel

... Was an deiner Therapie/Analyse also hat dir genau geholfen (mit den Problemen ... umzugehen, zu leben, leben zu können!)?? - Ich will also nicht wissen, was alles passiert ist (wenn, dann nur per PN - sonst gibt es hier gleich wieder allgemeine Schelte ;) ), sondern eben: WIE man damit umgehen kann, wie man damit (trotzdem "gut") leben kann?


Ich hatte bzw. habe, glaube ich, unheimlich Glück mit meinem Therapeuten. Ich kann jetzt speziell gar nicht sagen, was mir im Einzelnen geholfen hat, dazu war es einfach zu viel.

Aber was mir allgemein bei der Therapie geholfen hat:
 
dass es ausschließlich um mich und meine eigenen Gefühle ging; d. h. alle Gefühle waren zulässig, keine Gefühle schlecht oder gar "falsch"; ich konnte alles beim Namen nennen, ohne auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Das allein war schon sehr befreiend. Außerdem war es eine ziemlich neue Erfahrung für mich, dass jemand so gänzlich und vorbehaltlos auf meiner Seite stand und mich, meine Gefühle und Gedanken ernst nimmt. (Mein Therapeut hat mir nie das Gefühl gegeben, dass er ein bezahlter Zuhörer ist. Solche gibt's leider auch.)

dass durch die Fragen des Therapeuten meine eigene Sicht auf mein heutiges Leben und meine Vergangenheit anders geworden ist. Man selbst grübelt zwar, schmort dabei aber immer "im eigenen Saft", die Gedanken drehen sich im Kreis, man kommt nicht weiter. In einigen Fällen hat die Therapie meine Sicht sogar völlig umgedreht. Ein sehr schmerzhafter Prozess übrigens, das Ganze, und noch nicht (wahrscheinlich nie) abgeschlossen.

Als (Zwischen-)Fazit der Therapie würde ich sagen: Sie hat mich selbst in den Mittelpunkt meines eigenen Lebens gerückt, vorher befanden sich dort nämlich andere. Ich denke mehr darüber nach, was wirklich wichtig ist in meinem Leben, womit und mit wem ich meine Zeit verbringen will. Ich habe auch gelernt bzw. bin dabei zu lernen, bestimmte Dinge, die ich nicht ändern kann hinzunehmen. Das gilt nicht nur für die großen Schicksalsschläge, sondern auch für alltägliche Dinge.

Was die MS angeht, bin ich in einem ähnlichen Prozess - ich bin wirklich froh, dass ich den Therapeuten habe. Die Diagnose Mitte 2008 war ein furchtbarer Schlag, vor allem auch, weil meine Mutter seit vielen Jahren mit derselben Diagnose im Rollstuhl sitzt. Da tauchen dann neben den eher nebelhafteren Ängsten plötzlich ganz konkrete Sorgen auf, besonders natürlich Zukunftsängste gesundheitlicher und finanzieller Art. Zurzeit fällt es mir allerdings extrem schwer, mich überhaupt mit dieser Krankheit auseinander zu setzen, obwohl ich vom Kopf her weiß, dass Verdrängung nichts nützt.


Noch mal zu den Todesfällen: Auch ich bin bisher nicht wirklich über bestimmte Todesfälle hinweg gekommen. Bei mir liegt es daran, dass ich nach dem Tod Schuldgefühle entwickelt habe (ähnlich wie Messie bei Liebeskummer): Hätte ich eigentlich nicht viel mehr machen müssen, mich mehr kümmern, netter sein müssen...? Mit solchen Gedanken kann man sich ganz toll selbst quälen und eine wirkliche Verarbeitung des Kummers erschweren.
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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #9 am: 06 Oktober 2010, 12:35:39 »

Es ist ja interessant zu sehen, wie viele Klischees hier bedient werden. :D

Solange Mensch nicht tot in der Ecke liegt entwickelt er sich immer, stetig und permanent weiter.
Alles ist gleichermaßen prägend, oder sollte es zumindest sein.
Egal ob ich den Tod eines mir nahe stehenden Wesens verkraften muss, eine superschwere Aufgabe gewuppt bekommen habe oder einfach mal einen Monat lang gar keine Ereignisse eintreten.

Interessant ist nur, in welche Richtung es den Menschen führt.

Zu den einzelnen angesprochenen Themen:
Tod
Viele Menschen haben das Problem, nicht loslassen zu können. Es mag ja gesellschaftlich hoch angesehen sein, dass man jeden Sonntag auf dem Friedhof zubringt um das Grab eines für einen selbst bedeutungsvollen Wesens zu pflegen.
Das Wesen ist im Allgemeinen allerdings schon verwest, sozusagen gewesen. Diese Grabpflege nützt also in erster Linie dem Durchführenden nur als Beschäftigung.
Es ist richtig, dass die Erinnerung in einem weiter lebt. Wenn diese Erinnerung allerdings immer präsent ist, ist das ein typischer Fall von 'nicht loslassen können'. Es lebt also nicht die Erinnerung an den Menschen weiter, sondern die Vorstellung dieses Menschen.
Das kann insofern krankhafte Züge annehmen, wenn versucht wird, einen passenden(!) Ersatz für den Verlorenen zu finden.
Sich mit dem Tod 'abzufinden' soll im Allgemeinen helfen, die Vorstellung der Person in eine Erinnerung an diese Person zu wandeln.

Die Frage ist natürlich nach wie vor, wie der Einzelne jetzt alles für sich definiert.

Krisen
Wunderbar zu sehen ist auch, wie Krisen bewertet werden.
'Der Tod eines geliebten Menschen wiegt schwerer als eine verhauene Prüfung', lese ich zwischen messies Zeilen.
Ja, ist das denn wirklich so? Ich behaupte: nein.
Tod, Leid, Elend, Katastrophen... all diese Dinge zu regeln liegt nicht in der Macht des Menschen.
Neben der Trauer des Verlustes bricht das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit über den Menschen herein.
So eine verhauene Prüfung hingegen ist steuerbar. Hätte man mehr gelernt, bei der Aufgabe nachgefragt, sich nicht beim Spicken erwischen lassen...
Hier herrscht dann in erster Linie die Wut über die eigene Unfähigkeit vor, ein gestecktes Ziel nicht erreicht zu haben. Versagt zu haben. Gern einhergehend mit unsäglich dämlichen Zukunftsszenarien, was jetzt alles dadurch versaut ist.

Der Tod eines Menschen berührt hauptsächlich die Gefühle, die verkackte Prüfung berührt das Bewusstsein.
Beides wirkt unterschiedlich, beides fühlt sich unterschiedlich an. Die Vermutung, eines wöge schwerer als das Andere, ist ein Vergleich der berühmten Adamsäpfel und Evas Birnen.

Und nun noch das von messie angesprochene Beispiel Liebeskummer. In dem Punkt geht es uns beiden wohl sehr ähnlich. ;)
Hier prallen dann zwei komplett unterschiedliche Welten aufeinander.
Man steht, aus welchen Gründen auch immer, allein da. Was gestern noch mit einem war ist plötzlich weg.
Die Gefühle sind dieselben wie beim Tod eines Menschen: Verlust, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Alleinsein.
Dummerweise kann man aber sehr wohl etwas dafür, schließlich hat man im Allgemeinen eine Teilschuld.
Partner(in) weg, Zukunftsplanung hinfällig, ggf. gravierende Änderungen im bisherigen Leben = versagt.

Bei Personen wie mir, die unbeeinflussbare Dinge relativ gut verarbeiten können und auch gegen persönliche Niederlagen einigermaßen gefeit sind, ist so etwas der 'personal holocaust'. Gefühle wiegen bei mir eh immer schwerer als Gedanken, beide zusammen als Last zu haben ist nicht auszuhalten.

Und egal, womit ich mich ablenken will: eins von beiden wird wieder bedient.
Ich stürz mich blindlings in neue Arbeitsfelder, unwillens einzusehen, dass es mir gerade nicht so gut geht.
Das Ganze überfordert mich etwas, ich steige nicht schnell genug durch = versagt. Genau wie beim Liebeskummergezeugs.
Ich sage mir 'Neues Spiel, neues Glück' und 'jedes Ende ist ein neuer Anfang' und baue meine sozialen Kontakte aus.
Unvermeidlich wird durch irgend etwas wieder ein Trigger ausgelöst.
"Boah, ist die Frau großartig!" wird zu "Wie deine Ex..." wird zu Verlust, Alleinsein, Trauer.
Aus einer kleinen Meinungsverschiedenheit wird plötzlich ein Streit mit einer möglicherweise gekränkten Gegenpartei und das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit ist da. "So war das doch gar nicht gemeint. Ach fuck..."
Egal was man tut, man wird immer wieder daran erinnert. Deshalb dauert die Verarbeitung dessen bei mir auch ne gefühlte Ewigkeit.

Aussitzen
"Wenn dir jemand erzählt, die Zeit heilt alle Wunden, brich ihm das Nasenbein. Dann erklär ihm, es sei nicht so schlimm, wird ja bald wieder besser."
Die Seele ist kein Knochen, keine Haut, kein Muskel, keine Sehne, kein Organ.
Man kann die Haut abdecken, um sie vor weiteren Schäden zu bewahren und ihre Selbstheilung zu unterstützen.
Man kann einen gebrochenen Knochen schienen, um ihn vor weiteren Schäden zu bewahren und die Selbstheilung zu unterstützen.
Doch weder kann man die Seele irgendwie vor weiteren Schäden bewahren, noch wird sie ohne Zutun irgendwas machen.

Alles, was eine psychische Krise in uns auslöst, hängt seit Jahrzehnten tief in unserem Inneren verwurzelt. Diese Verwurzelung wird immer tiefer, je weniger man sich darum bemüht sich umzugewöhnen. Schlimmer noch, je mehr wir uns vor den Ursachen dieser Krisen schützen, umso schlimmer wird uns die nächste treffen.

Am Hilfreichsten ist es herauszufinden, welche Ursachen den eigenen Reaktionen zu Grunde liegen und diese gezielt anzugehen.
Das wird dann zu einer Lebensaufgabe mutieren.
Andererseits: wir duschen regelmäßig, essen und trinken regelmäßig, der PKW (sofern vorhanden) geht regelmäßig zur Durchsicht, die Wohnung wird regelmäßig geputzt, selbst der blöde PC bekommt regelmäßig Updates...
Wie kommen wir also darauf, dass wir uns um die Seele nicht weiter zu kümmern brauchen?

Wie angehen?
Das muss jeder für sich selbst herausfinden.
Es war Albert Einstein, der feststellte: "Ein Problem kann nicht durch die gleiche Art des Denkens gelöst werden, durch die es entstanden ist".
Insofern ist es eventuell hilfreich, genau das Gegenteil der Aktion zu tun, die man sonst in dieser Situation macht.
Also statt vor sich allein zu heulen den besten Freund/die beste Freundin anrufen und sie vollheulen.
Oder vice versa statt jedem mit dem eigenen Leid in den Ohren zu liegen den Fall erst mal mit sich selbst klären.

Ich habe mir angewöhnt einfach Verschiedenes zu probieren. Schlimmer kann es schließlich nicht werden.
Auch ich hatte mir gesagt es könne natürlich schlimmer werden. Ich habe Szenarien konstruiert, die gefühlt das Schlimmste waren, in das ich mich hätte hineinmanövrieren können. Das habe ich auch erfolgreich geschafft. Es fühlte sich trotzdem nicht schlimmer an. ;)

Das Leben der Anderen
Auch ein typischer Fall. "Der hat alles verloren, ich hab nur..." oder "Sein Riese ist dreizehn Meter hoch, meiner nur zwei!"
Das kann durchaus hilfreich sein, wenn das Problem plötzlich nur ganz klein ist.
"Das bekomme ich doch locker in den Griff. Auffi!"
Meistens ist es das nicht.
"Scheiß doch drauf, warum lass ich mich von so nem Kleinkram runterziehen?"
"Oh, der Arme... Ich helf dem mal, der hat das wirklich bitternötig."

Die Unterstützung durch Andere
Trost ist meiner Meinung nach wie ein Orden, den man sich an die Brust hängt. Nett anzuschauen, aber wirklich nicht hilfreich.
Nur mit Trost komme ich nicht weiter. Es ist aber ein wunderbarer Opener für das folgende Gespräch.
Denn nur das holt einen ein wenig aus seinem Loch und zurück in die Realität. Es fordert den Geist, ist Balsam für die Seele und als wäre das alles nicht schon genug gibt es auch noch Gratislektionen.
Irgendwie scheint so etwas die Menschen zu triggern etwas mehr von ihrem Gefühlsleben preis zu geben. Vielleicht auch von kürzlich überstandenen ähnlichen Situationen.
Und es kann verdammt hilfreich sein, mal eine andere Sichtweise auf sein Problem präsentiert zu bekommen.
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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #10 am: 06 Oktober 2010, 13:17:36 »

Eine allgemein gültige Stressbewältigungsstrategie (Stress hier als allgemeine seelische Belastung durch Trauma, allgemeine Belastung, soziale Beziehungen oder psychische Störung) gibt es nicht, wohl aber "gute" und "schlechte" Strategien. Letztlich kommt es, wie hier schon mehrfach erwähnt, sehr stark auf die Persönlichkeit der betroffenen Person an. Dies umfasst insbesondere kognitive Bewertungsprozesse, damit verbundene Emotionen und daraus resultierendes gezeigtes Verhalten (3 Ebenen des Verhaltens). Ein tendenziell pessimistischer, depressiver Mensch geht anders mit seelischen Belastungen um, als ein psychisch stabiler, optimistischer Mensch. Trotzdem kann es Extremsituationen geben, die die Bewältigungsstrategien jedes Menschen übersteigen (besonders Traumata).

eher "schlechte" Stressbewältigungsstrategien umfassen:
- dauerhaften Konsum von Drogen/Alkohol zur Stressbewältigung
- sozialer Rückzug
- "ich"-Fokus bei der Bewertung einer negativen Situation (sich selbst die Schuld geben - interne Attribution)
- körperliche Inaktivität
- Verdrängung und Vermeidung (in sehr wenigen Einzelfällen nicht problematisch)

eher "gute" Bewältigungsstrategien:
- Verbalisierung von Problemen (einschließlich Gedanken, Emotionen) gegenüber vetrauenswürdigen Personen (hilft die eigenen Probleme zu verstehen und zu verarbeiten)
- den Umständen, anderen Beteiligten oder dem Schicksal die Schuld geben (externe Attribution) - zumindest soweit man die Realität nicht vollständig leugnet
- problematische kognitive Bewertungsprozesse und Verhaltensweisen identifizieren (welche Bewertungen und Einstellungen führen zu neg. Emotionen) und aktiv durch positivere Prozesse und Einstellungen ersetzen (Verhaltensänderung)
- professionelle Hilfe oder Selbsthilfegruppen in Anspruch nehmen, wenn die eigenen Ressourcen (soziale Unterstützung, eigene Bewältigungsstrategien) nicht ausreichen
- ggf. Psychopharmaka im Rahmen einer Psychotherapie
- körperliche Aktivität (Ausdauersport)
- Entspannungsübungen
- ggf. Strukturierung des Tagesablaufs (bzw. von Arbeitsabläufen), falls dies ein Teil des Problems ist
- Maßnahmen, die das Selbstwertgefühl steigern und eine optimistische Perspektive fördern
- Maßnahmen, die die persönliche Kontrolle über eine problematische Situation verbessern
- ggf. sozialer Vergleich / Lernen durch sozialen Vergleich (wie gehen andere Menschen mit einer ähnlichen Situation um)

Wenn die eigenen Ressourcen zur Stressbewältigung nicht ausreichen und soziale Unterstützung (Gespräche mit Freunden oder Verwandten) auch nicht zu einer Besserung führen, bleibt nur professionelle Hilfe durch Selbsthilfegruppen oder einen Psychotherapeuten. Aber auch professionelle Hilfe kann nur erfolgreich sein, wenn der oder die Betroffene bereit ist, das eigene Verhalten (auf allen Ebenen) zu ändern. Dies kann ein sehr anstrengender Prozess sein.
Psychotherapien können aus verschiedenen Gründen nicht zum gewünschten Ziel führen:
1. der Therapeut ist schlecht oder das Problem wurde falsch diagnostiziert
2. Der Kient ist nicht zu Verhaltensänderungen bereit (nicht therapierbar)
3. Das Therapieverfahren ist ungeeignet (die Wirksamkeit von tiefenpsychologischen Verfahren ist teilweise umstritten)

Der Tod eines nahestehenden Verwandten ist grundsätzlich als ein Trauma zu bewerten. Man kann lernen mit so einem Trauma umzugehen, aber es werden vermutlich immer Narben in der Seele zurückbleiben. Das Ende einer Liebesbeziehung kann unter Umständen eine ähnliche Wirkung haben.

Edit:
@ Kallisti:
Ich habe auf Grund deiner Äußerungen den Eindruck, als würdest du nach einem Ausweg aus einer seelischen Krise suchen, der nur intrapersonelle Aspekte beeinhaltet und fremde Hilfe weitgehend ausschließt. Dieser Ansatz ist sehr gefährlich, insbesondere wenn man bereits zuvor mit den eigenen Ressourcen nicht die Situation in den Griff bekommen hat.
Menschen haben eine sehr unterschiedliche Stresstoleranz (Stress ist hier die individuell empfundene psychische Belastung), die man oftmals nicht auf einfachem Wege deutlich verbessern kann. Diese Stresstoleranz beruht auf (hauptsächlich in der frühen Kindheit) sozialisiertem Verhalten und Persönlichkeitsmerkmalen (teilweise genetisch bedingt). Von besonderer Wichtigkeit sind das Persönlichkeitsmerkmale Neurotizismus (psychische Stabilität) sowie grundsätzliche Einstellungen und erlernete Verhaltensmuster. Man hat sich bereits in früher Kindheit bestimmte Verhaltensweisen angewöhnt, die damals eventuell hilfreich waren, nun aber zu Problemen führen. Diese Verhaltensmuster sind stark in das allgemeine Verhalten integriert und können oftmals nur mit fremder Hilfe überwunden und durch neue Verhaltensweisen ersetzt werden. Verhalten ist nicht nur sichtbares Verhalten. Fast jedes Verhalten beinhaltet auch kognitive und affektive Elemente.
Beispiel:
1. Ein Ereignis wird physisch wahrgenommen (sehen, hören etc.)
2. Das Ereignis wird anhand von Gedächtnisinhalten und grundsätzlichen Einstellungen bewertet (in der Kindheit sozialisiert oder durch die Persönlichkeit beeinflusst)
3. Diese Bewertung ist eventuell mit einer starken emotionalen Reaktion verknüpft (z.B. Angst, Wut, Traurigkeit)
4. Erlernte Verhaltenmuster als Reaktion auf die emotionale Reaktion werden aktiviert
5. Wenn das erlernte Verhaltensmuster ungeeignet für die Situation ist, wirkt es verstärkend auf die emotionale Reaktion.
6. Fehlende Stressbewältigungskompetenz erzeugt empfundenen Stress
In dieser vereinfachten Betrachtung eines Verhaltensablaufs lässt sich eventuell erahnen, inwieweit erlerntes Verhalten und genetisch beeinflusste allgemeine Verhaltenstendenzen unsere Reaktion auf ein Ereignis beeinflussen. Stark in die Persönlichkeit integrierte Einstellungen und Verhaltensweisen kann man nicht mal so eben ändern. Erinnerungen kann man nicht mal eben neu bewerten, damit sie dann eine positivere emotionale Reaktion bewirken. Wenn die eigenen Stressbewältigungsressourcen dauerhaft nicht zur Bewältigung einer Krise ausreichen, führt fast immer kein Weg an externer Hilfe vorbei.
Egal ob man es aus eigenem Antrieb oder mit fremder Hilfe schafft, das Erlernen funktionaler Bewältigungsstrategien (einschließlich neuer Einstellungen und Bewertungen) erfordert immer die Bereitschaft sich signifikant zu verändern.
Oftmals ist man selbst gar nicht in der Lage dysfunktionale kognitive Strukturen und Verhaltensweisen zu identifizieren. Ich habe beispielsweise mal einer Freundin ein Buch über kognitive Umstrukturierung (Rational-emotive Therapy) geliehen. Nach dessen Lektüre glaubte sie ihre problematischen kognitiven Prozesse entdeckt zu haben. Da ich sie sehr gut kannte, wußte ich, dass sie in allen Punkten falsch lag. Erst nachdem ich ihr alle Fehler in der Selbstdiagnose erklärt hatte, konnte sie die richtigen Schlüsse ziehen. Genützt hat diese Erkenntnis am Ende aber nichts, da sie ihr Verhalten nicht alleine ändern konnte. Auch sie hatte mal schlechte Erfahrungen mit einem Therapeuten und verzichtet daher auf dringend benötigte professionelle externe Hilfe.
Sozialer Vergleich und Vergleichslernen (erfolgreiche Bewältigungsstrategien anderer Menschen in ähnlichen Situationen kopieren) kann sicherlich hilfreich sein. Wenn man allerdings auf andere Formen der externen Hilfe kategorisch verzichtet, schränkt man die Möglichkeiten zur erfolgreichen Bewältigung der Krise unnötig ein. Ein guter Therapeut und die Bereitschaft sich zu Verändern kann die Lebensqualität erheblich verbessern. Auch Psychopharmaka sind oft besser als ihr Ruf und können die Veränderung unterstützen.
Da du für dein Projekt "Vergleichslernen" Erfahrungen sammelst, versuche ich auch etwas beizusteuern. Ich gehöre zu den Menschen, die fast nie in eine seelische Krise geraten und relativ leicht wieder aus so einer Krise heraus kommen. Beispielsweise hat mich das Ende einer für mich emotional sehr wichtigen Beziehung mal für 6 Wochen ziemlich bedrückt. Dieses Ereignis hat bis heute Spuren hinterlassen, ist aber für mich keine Belastung mehr. Ich habe schon ca. 4 Wochen nach dem Ereignis angefangen, die vergangene Beziehung und meine ehemalige Partnerin neu zu bewerten. Heute bin ich froh, dass es zu dem Bruch kam, da ich die Beziehung nun sehr negativ und ihr Ende sehr positiv bewerte. Ich bin meiner ehemaligen Partnerin quasi dankbar dafür, dass sie damals diese schlechte Beziehung beendet hat, da ich zu blind war, diesen dringend notwendigen Schritt von mir aus zu tätigen. Am Ende konnte ich aus der Krise sogar viele wichtige neue Erfahrungen mitnehmen.
Ein anderes Beispiel ist ein Burn-Out-Syndrom (chronischer Stress), dass ich vor ein paar Jahren mal durch extremen Stress bei der Arbeit entwickelt hatte. Viel Sport, viele Gespräche mit guten Freunden und ein 4-Wochen Urlaub (ganz weit weg) und das Problem war nach ca. 6 Monaten ohne professionelle Hilfe restlos beseitigt.
Andere Menschen hätten diese Situationen eventuell nicht aus eigener Kraft bewältigt. Ich kann mich da glücklich schätzen, ein sehr optimistischer, ausgeglichener Mensch mit starkem Selbstvertrauen und einer allgemein stark ausgeprägten Problemlösungkompetenz zu sein. Woran liegt das? Vermutlich an meiner Sozialisation, sozialer Unterstützung und vererbten Persönlichkeitsmerkmalen. Also Faktoren, auf die man selbst wenig Einfluß hat.
« Letzte Änderung: 06 Oktober 2010, 17:10:13 von Spambot »
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messie

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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #11 am: 06 Oktober 2010, 13:42:11 »

Zitat
'Der Tod eines geliebten Menschen wiegt schwerer als eine verhauene Prüfung', lese ich zwischen messies Zeilen.

Öhm, nö ... ich schrieb:

Zitat
Ich kann nur sagen was mir half bei diversen Krisen wie Todesfällen, Liebeskummer oder einer durchgefallenen Prüfung (selbst wenn es nur kleine sein sollten, in dem Augenblick kommt sie einem vor wie das Wichtigste der Welt und man sich selbst wie der größte Versager der Welt ...) (...)

und meinte damit zwischen den Zeilen, dass für mich beides (bzw. alles drei) bei mir dazu fähig ist, eine Krise auszulösen.
Die einer durchgefallenen Prüfung lässt sich meist noch am einfachsten reparieren, man macht die Prüfung eben nochmal und besteht sie idealerweise dann.
Genauso kompliziert wie bei den anderen Sachen wird's erst dann, wenn ein anschließendes Absolvieren derselben Prüfung nicht mehr möglich ist und/oder man endgültig durchgefallen ist.
Beispiel: Falle ich einmal durch die Führerscheinprüfung, hält sich der Schaden (auch der seelische) in Grenzen, 2 Wochen später gibt's ja einen neuen Versuch, also auch eine neue Aufgabe in die man sich sofort wieder stürzen kann, um die Scharte auszuwetzen.
Wenn du aber innerhalb eines Jahres 9 mal durchgefallen bist (3x Durchgefallen -> 3 Monate Sperrfrist, weitere 3 -> erneut 3 Monate Sperrfrist etc.) und dir endgültig die Kohle ausgeht um den Abschluss zu bezahlen, dann sieht die Nummer schon ganz anders aus.
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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #12 am: 07 Oktober 2010, 12:41:30 »

... Ok - erst mal Danke für die ausführlichen Beiträge und eure Mühe/Zeitinvestition @Lucas de Vil und Spambot! :)


Versuche, das jetzt der Reihe nach anzugehen (Reaktion meinerseits/Kommentar):

@Spambot

... deine ganze lange ausführliche Theorie ("Stressbewältigungsstrategien") ist mir hinlänglich bekannt. Daher schrieb ich oben auch bereits von den verschiedenen Persönlichkeitstypen - das geht in dieselbe Richtung - auch hier "weiß" "man" (Stichwort: Psychobiologie ;) ), dass und welche Persönlichkeitstypen mit "Krisen" "besser umgehen", leichter fertigwerden und warum!
Gerade dieses Sich-Selbst-"Schützen", indem man Ursachen, Gründe, "Schuld" woanders als bei sich selbst sucht oder sich irgendetwas einredet (Stichwort: Glaube - natürlich gehen Gläubige oft leichter durchs Leben, weil sie sich ja in etwas eingebettet, sich aufgehoben, geborgen, beschützt ... fühlen (können)! Natürlich gehen Optimisten leichter durchs Leben, weil sie eine Niederlage nicht ursächlich auf sich beziehen, bei sich suchen/bewerten, sondern an/in den Umständen etc. und Erfolge nicht auf den "Zufall", das "Glück" schieben, sondern als ihr eigenes Verdienst, ihre eigene Leistung ansehen usw. usf. - man kennt das doch alles längst! - Nur läuft das bei mir halt unter Selbstbetrug bzw. Es-sich-selbst-Leichtmachen ... (und das gar nicht mal so selten leider doch: auf Kosten Anderer - und das muss gar nicht immer (nur) das unmittelbare eigene Umfeld sein...!) - ja, war auch nicht anders zu erwarten. ;) )

Das ändert aber nichts für mich, denn:

Was mich ganz besonders an deinem Beitrag (zumindest am überwiegenden "oberen" Teil) stört, ist, dass normale (mögliche, oft: wahrscheinliche) Vorkommnisse im Leben von Menschen (Verlust (durch Trennungen oder Tod), Niederlagen, Krankheit, andere Widerfahrnisse ...) von dir und grundsätzlich in unserer Gesellschaft, als "krank", als "therapiebedürftig" oder "von der Norm abweichend" (?!???) oder eben einfach als "nicht gesund, nicht angemessen" - wie auch immer man es nennen will (ich denke, man weiß, was ich sagen will) bezeichnet, beurteilt werden.


Es gibt einfach sehr viele (die meisten) Menschen auf diesem Erdball die sich schon seit es Menschen gibt mit "Extremsituationen" auseinandersetzen müssen (Kriege, Naturkatastrophen, extreme Klimaveränderungen in relativ kurzer Zeit, Krankheiten/Seuchen, Verletzungen bei fehlender medizinischer Versorgung, Hunger etc.). Dass man heute vieles differenziert, analysiert und dann "therapiert", mag ja durch zumindest teilweise "gute Absichten" initiiert sein und angewandt werden. Aber ich sehe es gerne/lieber weniger von psychologischer und "einzel-wissenschaftlicher" Seite (mit diesem oft doch sehr sezierenden bzw. auch engstirnigen/eingeschränkten "Tunnelblick") als viel mehr "ganzheitlich" - sozusagen eben "philosophisch" - vielleicht auch etwas "anthropologisch" (nicht: anthroposophisch ;) ).


Es macht mich einfach wütend, dass man eben bspw. den Verlust eines geliebten Menschen durch dessen Tod als "Krankheit" einstuft/bewertet, die es zu überwinden und notfalls zu therapieren gilt! NEIN - Trauer an sich ist keine Krankheit oder "Störung" - auch wenn sie lange andauert, evtl. lebenslänglich! Und: Trauer ist auch NICHT gleichbedeutend mit Depression oder mündet (nach gewisser Zeit ...) in diese.


Und: NEIN @Lucas de Vil: Man muss eben NICHT "loslassen" - das ist eine veraltete Ansicht, sorry! Gerade wenn Eltern ihre Kinder durch deren Tod "verlieren", geht loslassen einfach mal gar nicht - im Gegenteil: der Druck, unter den Eltern dadurch gesetzt werden, doch endlich ("irgendwann") loslassen zu sollen, verursacht ihnen noch mehr Leid - unnötig, überflüssig!

Nein, man kann eben nicht sagen: wenn du dich ohne Trauer/Traurigkeit ... an den Verstorbenen erinnern kannst, dann ist es gut, dann bist hast du "losgelassen", dich mit dem Tod "abgefunden", dann bist du "gesund"/in Ordnung/funktionierst du richtig/wie du sollst ... !

Leider wurde das jahrzehntelang (oder noch viel länger!) so gehandhabt - von "psychologischer" Seite, aber auch dadurch von gesellschaftlicher. Menschen bekamen nach Todesfällen in der Familie eine Schonzeit zugestanden (meistens das berühmte Trauerjahr) - sie trugen deshalb auch Schwarz, um als Trauernde erkannt und entsprechend "geschont" zu werden.

Aber man kann die eigenen Gefühle der Trauer, des Verlustes etc. nicht an bestimmte zeitliche Fristen ketten, nicht in diese Schablonen pressen, die dann auf alle angewandt werden - was nicht passt, ist dann also wieder mal "krank", "gestört", "therapiebedürftig".


Es ist MENSCHLICH, solche Gefühle zu haben und Menschen sind nun mal Individuen und verhalten sich unterschiedlich - wie du Spambot ja anhand deiner theoretischen Abhandlung (s.o.) ;) auch dargelegt hast.

Man muss das aber doch deshalb nicht immer wieder und andauernd und grundsätzlich pathologisieren! ?!?

Oder ist es vielleicht viel mehr so, dass die Anderen nur dann, nur auf diese Weise mit dem Leid ihrer Mitmenschen umgehen können - dass sie, die Anderen, die Hilflosen sind, weil sie nicht wissen, wie sie sich einem Trauernden gegenüber angemessen oder: überhaupt verhalten sollen?! Weil Menschen einfach auch oft mit negativen Gefühlen, Umständen ... anderer nicht befasst sein, nicht konfrontiert werden, sich damit nicht auseinander setzen wollen - oder/und dies oftmals auch nicht: können! ?!?

Und weil es einfach unangenehm ist, wenn man selbst dem Anderen hilflos gegenüber steht, wenn man keine Antwort weiß, wenn man sich vor den Kopf gestoßen fühlt oder einfach "doof". Weil es einen auf Dauer vlt. auch einfach "nervt", weil man selbst vlt. grade "gut drauf" ist, eine gute Zeit hat ... ... ...


@Lucas de Vil

... zumindest trauernden "verwaisten" Eltern wird heute (hoffentlich) zugestanden, dauerhaft nicht mit dem Tod ihres Kindes "zurandezukommen"/sich damit "früher oder später" abzufinden/abfinden zu sollen/zu müssen. - Vielleicht kann man dies allen Trauernden zugestehen. Weil: Der Verlust durch Tod eines geliebten Menschen einfach nun mal "dauerhaft" ist und bleibt und nicht "ausgeblendet" werden kann (vorübergehend sicher, man denkt nicht sein Leben lang in jeder Sekunde an den Toten, aber grundsätzlich "begleitet" einen eben doch dieser Verlust ... ... ...) und daher auch nicht ausgeblendet werden sollte oder gar muss!


Und was verstehst du nun eigentlich genau unter "Trost", wenn du schreibst:


Zitat
Trost ist meiner Meinung nach wie ein Orden, den man sich an die Brust hängt. Nett anzuschauen, aber wirklich nicht hilfreich.
Nur mit Trost komme ich nicht weiter. Es ist aber ein wunderbarer Opener für das folgende Gespräch.
Denn nur das holt einen ein wenig aus seinem Loch und zurück in die Realität. Es fordert den Geist, ist Balsam für die Seele und als wäre das alles nicht schon genug gibt es auch noch Gratislektionen.
Irgendwie scheint so etwas die Menschen zu triggern etwas mehr von ihrem Gefühlsleben preis zu geben. Vielleicht auch von kürzlich überstandenen ähnlichen Situationen.
Und es kann verdammt hilfreich sein, mal eine andere Sichtweise auf sein Problem präsentiert zu bekommen



Für mich beinhaltet Trost natürlich das Gespräch! Und natürlich geht es auch mir gerade darum, sich mit anderen (Betroffenen ....) auszutauschen, ihre Sicht kennenzulernen bzw. einfach zu erfahren, zu sehen, zu erleben (!), wie sie mit "Krisen" umgehen, wie sie hindurchgehen!!!

Was aber für mich am Trost bzw. "Trösten" ganz wichtig und entscheidend ist (und was ein Therapeut so nicht bieten, geben kann und auch nicht soll), ist der körperliche Aspekt: Trösten heißt für mich im ersten Moment, einen Menschen HALTEN, "stützen", "auffangen"! Eben deshalb - und das weiß man heute auch längst - ist es so wichtig, Menschen in den Arm zu nehmen, körperlich (!) Halt zu geben, eben: jemanden zu halten, "bei" ihm zu sein, weil er selbst sich (!!) gerade nicht halten kann, haltlos ist. - Jaja, da sind wir wieder bei der Sprache ... ;)

Und wissenschaftlich fundiert ist doch auch nicht seit gestern bekannt, dass nicht nur Kinder diese körperliche Nähe(für ihre gesunde körperliche und "seelisch-geistige" Entwicklung notwendig brauchen, sondern dass bspw. auch Kranke durch Berührung, Streicheln ... weniger Schmerz emfinden (sicher, kommt darauf an, wie stark der Schmerz ist und wer wen wie berührt, aber grundsätzlich "hilft" körperliche Berührung/Streicheln, in den Arm nehmen meistens durchaus)! Ganz am Rande wird übrigens physischer und psychischer Schmerz im Gehirn an den selben "Stellen"/Bereichen "verarbeitet" (bzw. zeigt sich dort in bildgebenden Verfahren) ...

So brauchen auch Trauernde diese körperliche Komponente - und diese ist ein wichtiger Aspekt/Teil von Trost!!! Aber dann auch das Gespräch - auf jeden Fall! Das aber schrieb auch CubistVowel schon!


Zitat
Am Hilfreichsten ist es herauszufinden, welche Ursachen den eigenen Reaktionen zu Grunde liegen und diese gezielt anzugehen.
Das wird dann zu einer Lebensaufgabe mutieren.

(Lucas de Vil)


... ich glaube, so in etwa meinte Spambot das auch - überhaupt sehe ich viele Übereinstimmungen in euren beiden Beiträgen.
Nur unterschiedlich formuliert.


Zitat
Neben der Trauer des Verlustes bricht das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit über den Menschen herein.
So eine verhauene Prüfung hingegen ist steuerbar. Hätte man mehr gelernt, bei der Aufgabe nachgefragt, sich nicht beim Spicken erwischen lassen...
Hier herrscht dann in erster Linie die Wut über die eigene Unfähigkeit vor, ein gestecktes Ziel nicht erreicht zu haben. Versagt zu haben. Gern einhergehend mit unsäglich dämlichen Zukunftsszenarien, was jetzt alles dadurch versaut ist.

Der Tod eines Menschen berührt hauptsächlich die Gefühle, die verkackte Prüfung berührt das Bewusstsein.
Beides wirkt unterschiedlich, beides fühlt sich unterschiedlich an. Die Vermutung, eines wöge schwerer als das Andere, ist ein Vergleich der berühmten Adamsäpfel und Evas Birnen.

(Lucas de Vil)


... Ja und Nein. Eben: Das eine ist steuerbar, beeinflussbar. Das kann ärgerlich sein, wenn man sich eingestehen muss, selbst "versagt" zu haben bzw. eben aus bestimmten "eigenen" Gründen nicht erfolgreich gewesen zu sein. Aber: Es gibt ggf. eben dann doch eine zweite oder dritte Chance - oder aber die Möglichkeit, einen ganz anderen, neuen Weg zu gehen (was Krise ja auch oft bedeutet: Erneuerung, Veränderung, Neubeginn ...). (Auch @messie)

Aber der Tod ist absolut und endgültig - da gibt es einfach NICHTS MEHR - da war aber vorher "etwas" (ein Menschenleben...). Und dieser oft abrupte "Abbruch", der unumkehrbar und "ewig" ist, ist meiner Ansicht (und vor allem meinem Empfinden nach) schwerer zu "behandeln", schwerer zu "bewältigen" (?!?). Denn hier gibt es GAR KEINE weitere "Chance" mehr, keinen Neubeginn, keinen Ausweg, keine Hintertür. Es ist eher ein "Danach": OHNE ... ! Und dieses Ohne eben für immer und unwiderruflich, unabänderbar, unbeeinflussbar, unsteuerbar. Es wird einem einfach vor die Füße geknallt und "damit" muss (?) man dann leben - ob man will oder nicht - ohne selbst irgdendetwas daran ändern zu können oder eben auch: ohne irgendeine "Schuld" daran zu haben!


Und dies hat der Tod tatsächlich mit anderen Widerfahrnissen gemein - wie bspw. Naturkatastrophen oder einfach immer dann, wenn Mensch (unverschuldet, unwissentlich, unvorhersehbar) zur falschen Zeit am falschen Ort (mit den falschen Menschen) ist - Beispiel: Attentate (in die man "verwickelt" ist/wird), Verkehrsunfall (nicht selbst verursachte sind hier gemeint, logisch), aber auch Krankheit (die einen "erwischt", ohne dass man sie wirklich hätte abwenden oder ihr vorbeugen können - Stichwort Seuchen ...).


Meine Auffassung ist also, dass immer da, wo der Mensch gerade nicht Einfluss nehmen kann, wo er sich einfach nur wie eine Kreatur fühlt, wo ihm sein ganzes Wissen, sein Verstand, seine Erfahrung nicht hilft/nützt, am stärksten niedergestreckt wird - weil: er schlicht AUSGELIEFERT ist! Er hat einfach gar keine Möglichkeit, zu entkommen, auszuweichen, etwas zu verändern oder neu zu beginnen - zumindest nicht in diesem "Moment" (wobei das relativ ist - der "Moment" kann auch eine sehr lange Zeitspanne sein - je nach dem um welches Widerfahrnis es sich handelt und je nach dem, wie stark, weitreichend es auf das eigene Leben wirkt, welche Folgen es hat - auch körperlich...).
 


... Und jetzt muss ich leider mal unterbrechen. Fortsetzung folgt. ;)
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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #13 am: 07 Oktober 2010, 13:21:24 »

... Und jetzt muss ich leider mal unterbrechen. Fortsetzung folgt. ;)
Ist das ne Drohung? Liest sich zumindest so.

Nach deiner Ausführung fällt mir wieder auf, warum ich dir so ungern auf deine Beiträge antworte.
Nein, ich meine nicht deine endlos ausladenden Sätze mit einer schier unendlichen Flut an Kommata und eingestreuten fachlich versierten Fremdworten.
Ich meine auch nicht deine unmögliche Klammerung, die durch Vergessen schließender Klammern das Lesen unsagbar erschwert.
Ich meine die Art und Weise deiner Postings.

Mal ein paar zufällig gewählte Beispiele:

[Und: NEIN @Lucas de Vil: Man muss eben NICHT "loslassen"]
[Nein, man kann eben nicht sagen:]
[Weil: Der Verlust durch Tod eines geliebten Menschen einfach nun mal "dauerhaft" ist und bleibt und nicht "ausgeblendet" werden kann]
[Ja und Nein]

Das hier ist kein Quiz, es ist ein Erfahrungs-/Meinungs-/Emotionsaustausch.
Woher nimmst du dir das Recht, mir zu unterstellen meine Aussagen seien nicht meine Meinung/Erfahrung?
Weder schrieb ich, dass man loslassen muss, noch schrieb ich vor, wie das Loslassen auszusehen hat.
Ich schrieb, wie es meiner Meinung und Erfahrung nach am Gesündesten für meine Seele ist.

Du kannst gern einerseits darum bitten, Hinweise/Überlegungen/Tipps zu bekommen um sie im Anschluss abzulehnen und als falsch zu definieren. Ich habe darauf keine Lust und werde da nicht mitspielen.

Nenn mich dumm, überheblich, verblendet, egoistisch, selbstbetrügerisch oder sonst wie.
Meine Einstellung sorgt dafür, dass mich nur 'Liebeskummer' für sehr lange Zeit richtig aus der Bahn wirft und ich finde es prima so. Insofern passt meine Methode wunderbar auf mich.
Ich verstehe deinen Eingangspost so, dass dich jede Krise aus der Bahn wirft und du das nicht so toll findest.

In Anbetracht dieses Großen Ganzen sehe ich mich auf dem richtigen Weg, also sind deine Kritikpunkte für mich bedeutungslos.

Insofern sehe ich auch davon ab dich auf die Unterschiede zwischen dem Gefühl 'Trauer' und den daraus resultierenden in vielen Fällen krankhaften Umgangsformen mit/gegen sie hinzuweisen. Das habe ich meiner Meinung nach in meinem ersten Posting bereits an anderen Beispielen getan.
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Re: Krisen, seelische Erschütterungen ...
« Antwort #14 am: 07 Oktober 2010, 13:41:18 »

Kurz und knapp:

Zitat
Es macht mich einfach wütend, dass man eben bspw. den Verlust eines geliebten Menschen durch dessen Tod als "Krankheit" einstuft/bewertet, die es zu überwinden und notfalls zu therapieren gilt!

Nö, muss man nicht therapieren. Aber man kann.
Dann eben, wenn der Leidensdruck groß ist und die Person die drunter leidet selbst feststellt, dass sie mit dem Verlust nicht klar kommt, egal was sie versucht.
Da kann eine Therapie, die sich speziell diesem Trauma widmet, schon mal helfen. Nicht unbedingt muss (kann auch misslingen), aber sie als mögliche Problemlösung kategorisch auszuschließen, halte ich für n bisschen sehr voreilig.

Therapien sehe ich persönlich auch nicht als "jemand der psychisch krank ist behandeln", sondern als "Problemlöser psychischer Probleme".
Eine Person, die sich entschließt eine Therapie zu machen, ist nicht automatisch krank. Sie hat eben "nur" ein Problem, dem sie nicht gewachsen ist. Sich da dann einen Profi ranzuholen der Erfahrung damit hat wie man derlei Probleme lösen kann, halte ich für etwas ganz Natürliches.

Umgekehrt ist es ebenso wenig verwerflich, wenn jemand sagt "ich brauche keine Therapie, ich komme auch alleine damit klar". Wie man den Leidensdruck loswird ist doch letztlich wurscht, hauptsache man wird ihn irgendwie los!
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