Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Studiengebühren???  (Gelesen 61030 mal)

colourize

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Studiengebühren???
« Antwort #75 am: 27 Januar 2005, 10:23:05 »

Ich halte zwar nix vom Primat des Ökonomischen, aber manche Leute akzeptieren eben nur ökonomische Verwertbarkeit als argumentative Basis.

Na schön, ökonomisch für die Geisteswissenschaften argumentiert: In Zukunft werden in Deutschland weiche Standortfaktoren noch eine größere Rolle spielen als bisher. Schon jetzt suchen sich innovative Branchen lieber einen Firmensitz in der Schanze als in einer ostdeutschen Kleinstadt (obwohl es dort mehr Fördermittel für Startups gibt). Auf internationaler Ebene gilt das in ähnlicher Weise. Der Grund dafür ist vor allem das kreative Milieu, das nur durch eine kulturelle Vielfalt zu erzielen ist. Dort wo die kulturelle Vielfalt am Größten ist, ist der beste Standort.

Kulturelle Vielfalt wird nicht durch eine Armada von Juristen und Betriebswirten erreicht, sondern auch und vor allem durch Künstler und generell im kulturellen Sektor tätige Personen. DAS ist heute der entscheidene Vorteil der (teureren) großstädtischen Standorte vor preiswerteren Regionen. Wenn diese geistige und kulturelle Vielfalt nicht gefördert wird, fallen diese Standortvorteile weg.
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Jinx

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Studiengebühren???
« Antwort #76 am: 27 Januar 2005, 14:01:36 »

Zitat
Warum ich welche Ausbildungen gemacht und abgebrochen habe und warum ich jetzt (Philosophie) studiere, das geht mir dann doch zu sehr in meinen Privatbereich! Nein, damit will ich mich nicht "aus der Affäre ziehen", sondern um das alles zu erklären, müsste ich doch (noch) mehr persönliche Hintergründe ... anführen, wozu ich hier in der Tat dann doch nicht bereit bin!


Ach?
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Das Leben sollte keine Reise mit dem Ziel sein, attraktiv und mit einem guterhaltenen Körper unter die Erde zu kommen. Wir sollten lieber seitlich hineinrutschen, Schokolade in einer Hand, Absinth in der anderen, unser Körper total verbraucht und dabei schreiend "Wow, was für eine Fahrt!"
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Der Bullshit ist's, dem ich aus dem Wege gehe.

Kallisti

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Studiengebühren???
« Antwort #77 am: 27 Januar 2005, 14:44:18 »

@Thomas

http://archiv.gutebildung.de/argumente/




Zitat
Michael Hartmann, Professor für Soziologie an der TU Darmstadt

Mit den Studiengebühren fließen nicht, wie viele denken, zwangsläufig zusätzliche Mittel an die Hochschulen. Bisher hat sich gezeigt, dass überall dort, wo Studiengebühren eingeführt wurden, also zum Beispiel in Australien, USA oder in Großbritannien, die staatlichen Mittel für Hochschulen im Gegenzug gestrichen wurden. Das Geld kommt zwar an die Unis, aber dieselbe Summe wird dann vom Staat auf der anderen Seite wieder abgezogen. Den Unis bleibt also nicht mehr Geld.

Ein Beispiel: Wir haben an der TU Darmstadt ca. 17.000 Studierende. Wenn wir 500 Euro pro Semester kassierten, kämen wir nach zwei Semestern auf 17 Millionen Euro. Wir haben im letzten Jahr eine Kürzung der seitens des Landes Hessen zugesagten Mittel von ungefähr 20 Millionen hinnehmen müssen. Das heißt, wir könnten mit den Studiengebühren nicht einmal das wettmachen, was uns genommen wurde.

Das zweite Argument halte ich für noch wichtiger: Studiengebühren werden dazu beitragen, dass die soziale Schieflage an den deutschen Hochschulen zunimmt. Das hat schon die Einführung der Gebühren für Langzeitstudierende gezeigt. Ich habe das in Hessen erlebt. Diejenigen, die besonders lange studieren, sind hauptsächlich Kinder aus den so genannten bildungsfernen Familien, die einfach Zeit brauchen, um sich an den Hochschulen einzugewöhnen. Außerdem muss ein deutlich höherer Prozentsatz von ihnen während des Studiums arbeiten.

Wenn man in die USA guckt, die ja oft als Vorbild gelten, dann sieht man, dass an den ca. 150 Unis, die dort mit unseren vergleichbar sind, die untere Hälfte der Bevölkerung mit gerade einmal neun Prozent der Studierenden vertreten ist. Das heißt, die Zahl derer, die aus den unteren Schichten der Gesellschaft kommen, ist noch niedriger als in Deutschland. Gleichzeitig stammen 75 Prozent der Studierenden aus dem oberen Viertel der Gesellschaft, erheblich mehr als in Deutschland. An den führenden Universitäten kommen sogar 80 Prozent der Studierenden aus dem oberen Fünftel. Das hängt eng damit zusammen, dass die Studiengebühren an den bekannten privaten Hochschulen mit bis zu 50.000 Dollar sehr hoch sind und sie sich an den staatlichen Universitäten in den letzten sieben Jahren verdoppelt haben.
Stand: 26.01.2005 07:05 Uhr
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(Quelle: tagesschau.de)
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Thomas

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Studiengebühren???
« Antwort #78 am: 27 Januar 2005, 15:02:55 »

Zitat
Schon jetzt suchen sich innovative Branchen lieber einen Firmensitz in der Schanze als in einer ostdeutschen Kleinstadt (obwohl es dort mehr Fördermittel für Startups gibt). Auf internationaler Ebene gilt das in ähnlicher Weise. Der Grund dafür ist vor allem das kreative Milieu, das nur durch eine kulturelle Vielfalt zu erzielen ist. Dort wo die kulturelle Vielfalt am Größten ist, ist der beste Standort.

Kulturelle Vielfalt wird nicht durch eine Armada von Juristen und Betriebswirten erreicht, sondern auch und vor allem durch Künstler und generell im kulturellen Sektor tätige Personen. DAS ist heute der entscheidene Vorteil der (teureren) großstädtischen Standorte vor preiswerteren Regionen. Wenn diese geistige und kulturelle Vielfalt nicht gefördert wird, fallen diese Standortvorteile weg.


Wunschdenken.Die "Kreativen Unternehemen" sind irgendwelche paar-mann-Unternehmen in Nischensektoren, deren Angestellte meist besonders cool und Hip sind, und die deshalb meinen, gut in die Schanze zu passen.
Das sind weder Unternehmen, die großartig Arbeitplätze schaffen noch welche, die maßgeblich am Steueraufkommen beteiligt sind.Oder wo in der Schanze haben sich die Großunternehmen mit den unzähligen kreativen Arbeitsplätzen versteckt ?
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aloisius

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« Antwort #79 am: 27 Januar 2005, 16:19:11 »

Wahrscheinlich wird das Geld vom Staat wieder für sachfremde Zwecke ausgegeben, wie es schon bei der Ökosteuer oder bei der Rentenkasse der Fall war, und die Unis sehen einen Pfeifendreck davon.

Und die "Arm-Reich-Schere" geht wieder ein bißchen weiter auf, und das nach PISA, und nachdem nachgewiesen wurde, dass die ärmeren Schichten kaum Chancen zu studieren haben.
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Eisbär

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« Antwort #80 am: 27 Januar 2005, 16:39:06 »

Zitat von: "aloisius"
Und die "Arm-Reich-Schere" geht wieder ein bißchen weiter auf, und das nach PISA, und nachdem nachgewiesen wurde, dass die ärmeren Schichten kaum Chancen zu studieren haben.
Das wäre ja eine Erklärung... die Leute in ärmeren Schichten schaffen das eh nicht, also studieren nur reiche Leute und die können sich die Gebühren auch leisten.

Klingt logisch oder etwa nicht :roll:
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colourize

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« Antwort #81 am: 27 Januar 2005, 18:38:47 »

Zitat von: "Thomas"

Wunschdenken.Die "Kreativen Unternehemen" sind irgendwelche paar-mann-Unternehmen in Nischensektoren, deren Angestellte meist besonders cool und Hip sind, und die deshalb meinen, gut in die Schanze zu passen.
Das sind weder Unternehmen, die großartig Arbeitplätze schaffen noch welche, die maßgeblich am Steueraufkommen beteiligt sind.Oder wo in der Schanze haben sich die Großunternehmen mit den unzähligen kreativen Arbeitsplätzen versteckt ?

Unternehmen, die quantitativ gesehen massig Arbeitsplätze schaffen, wirds eh immer weniger geben. Deutschland ist nunmal kein Standort für Schwerindustrie mehr.
Wenn hier irgendwas in Sachen Großunternehmen eine Zukunft hat, dann sind das F&E Abteilungen. Und deren Mitarbeiter stehen nunmal auf hippes Flair, ein umfassendes Kulturangebot oder auch modisches oder trendiges Umfeld.
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Thomas

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« Antwort #82 am: 27 Januar 2005, 18:53:35 »

Zitat
Unternehmen, die quantitativ gesehen massig Arbeitsplätze schaffen, wirds eh immer weniger geben. Deutschland ist nunmal kein Standort für Schwerindustrie mehr.

Das stimmt wohl, wobei quantitativ viele Arbeitsplätze nicht unbedingt gleichbedeutend mit Schwerindustrie ist.Verkäuferinnen bei Aldi gibt es auch verdammt viele, genau so wie z.b. Unternehmensberater.Alles keine typischen Geisteswissenschaftler.

Zitat
Wenn hier irgendwas in Sachen Großunternehmen eine Zukunft hat, dann sind das F&E Abteilungen. Und deren Mitarbeiter stehen nunmal auf hippes Flair, ein umfassendes Kulturangebot oder auch modisches oder trendiges Umfeld.

Erst mal sind das nur Abteilungen, und sie machen auf ein Unternehmen bezogen nur einen meist kleinen Teil aus.Außerdem sind solche Leute nicht zwangsläufig hipp und trendi drauf, das sind eher die Leute aus Werbeagenturen, aus dem Musikbuisiness, und von Internet-Start-Ups (wobei von letzteren ja schon nicht mehr viele da sind =) ) und das sind halt meistens eher kleinere Firmen.

Außerdem die Frage : wo sind da die Geisteswissenschaftler ? Kann ja sein, das man da mal jemanden findet, der sowas studiert hat, aber es ist ja keine Voraussetzung für so einen Job.
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colourize

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« Antwort #83 am: 27 Januar 2005, 19:07:55 »

Zitat von: "Thomas"

Das stimmt wohl, wobei quantitativ viele Arbeitsplätze nicht unbedingt gleichbedeutend mit Schwerindustrie ist.Verkäuferinnen bei Aldi gibt es auch verdammt viele, genau so wie z.b. Unternehmensberater.Alles keine typischen Geisteswissenschaftler.

Das ist wohl wahr: Aber Verkäuferinnen bei Aldi machen nur Sinn, wenn es auch Leute gibt, die die Kohle haben, den Aldi-Schampus zu kaufen. Da wir beide uns wohl einig sind, dass die Quelle des Einkommens der Kunden nicht die Sozialhilfe sein sollte, stellt sich die Frage wo das Geld herkommen soll.
Mit den Unternehmensberatern verhält sich das ganz ähnlich: Auch die machen nur Sinn, wenn es Unternehmen zu beraten gibt..
Hier kommen wir an den Punkt, wo produktive Arbeit nötig ist, um Mehrwert zu schaffen. Da wir uns offenbar auch einig sind, dass Schwerindustrie in Deutschland nicht zukunftsträchtig ist, bleiben da wohl im Wesentlichen die hochspezialisierte Fachkräfte übrig. Eben die F&E Abteilungen großer Konzerne, oder auch Hitec-Produktion wie z.B. Airbus.

Zitat
wo sind da die Geisteswissenschaftler ? Kann ja sein, das man da mal jemanden findet, der sowas studiert hat, aber es ist ja keine Voraussetzung für so einen Job.

Dann lass da mal Hip&Trendy raus. Trotzdem geht Airbus nach Hamburg, und nicht nach Hahn im Hunsrück. Warum? - Ganz einfach: Weil Hamburg etwas zu bieten hat, was Hahn im Hunsrück nicht hat: Ein attraktives Umfeld, in dem die entsprechenden Mitarbeiter gerne leben.
Dieses Umfeld wird durch kulturelle Vielfalt generiert. Ob Du da nun das hippe Flair des Schanzenviertels, das kreative Milieu in Ottensen oder das Angebot an "hochkulturellen" Veranstaltungen (Theater, Konzerte etc.) in der City heranziehst ist mehr oder weniger Geschmackssache. Fakt ist, dass all diese Personen, die ein attraktives und vielfältiges Klima in dieser Stadt hier produzieren weder Juristen noch Betriebswirte sind.
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aloisius

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« Antwort #84 am: 27 Januar 2005, 19:40:42 »

Zitat von: "Eisbär"
Zitat von: "aloisius"
Und die "Arm-Reich-Schere" geht wieder ein bißchen weiter auf, und das nach PISA, und nachdem nachgewiesen wurde, dass die ärmeren Schichten kaum Chancen zu studieren haben.
Das wäre ja eine Erklärung... die Leute in ärmeren Schichten schaffen das eh nicht, also studieren nur reiche Leute und die können sich die Gebühren auch leisten.

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Daher wiederum kein Wunder, daß wir im internationalen Vergleich recht weit hinten liegen  :twisted:
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Thomas

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« Antwort #85 am: 27 Januar 2005, 21:08:01 »

Zitat
Fakt ist, dass all diese Personen, die ein attraktives und vielfältiges Klima in dieser Stadt hier produzieren weder Juristen noch Betriebswirte sind.

Also deine Kette von "Unternehmer gehen dahin, von zufriedene Mitarbeiter sind" -> "Zufriedene Mitarbeiter sind da, wo kulturelle vielfalt ist"->"Kulturelle vielfalt ist dort, wo ehemalige Studenten der Geisteswissenschaft wirken" ist mir zu kurz und zu einseitig.Da gibt es noch so einige hundert kleinerer Fakten zu berücksichtigen, aus denen man unternehmerische Entscheidungen in alle Richtungen ableiten könnte.Und deine Kette taucht da irgendwo unter "ferner liefen" auf.

Sicherlich sind Ex-Geisteswissenschaftler für kulturelle Dinge nützlich und nötig und sicherlich ist das am Rande eine feine Sache.Das aber auf einer Eben mit Unternehmenslenkungen, ja gar Standtortentscheidungen zu legen halte ich für abwegig.

z.B. ist Airbus nicht in HH, weil das kulturelle Angebot so toll ist, sondern weil sie hier schon immer waren, weil sie hier ihre Geländeerweiterungen bekommen, weil sie hier eine vernünftige Autobahnanbindung haben u.s.w.

Welches Unternehmen (und ich meine keine 5-Leute-Kreativbuden) haben ihre Zelte in HH aufgeschlagen, weil die kulturelle Umgebung ein wichtiger Grund war ? Ich kenne keinen.Ich kann mir auch nicht vorstellen, das ein Firmenlenker prioritäten in diese Richtung setzt, denn da gibt es für Unternehmen ca. tausend wesentlich wichtigere Faktoren, z.B. Infrastruktur, Steuerlast, vergünstigungen, qualifiziertes Personal (und das leitet sich eben NICHT nur aus einem kulturelle hochwertigem Umfeld ab), Lohnkosten, etc.
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« Antwort #86 am: 27 Januar 2005, 22:18:48 »

Zugegeben: ich bin nicht gut in der Suche nach guten Argumenten für die ökonomische Verwertbarkeit für mich persönlich sehr wichtiger Lebensbereiche, die ich zunächst mal unkapitalistisch denke und die sich - meiner Meinung nach: zum Glück - noch der kapitalistischen Verwertungslogik nicht gänzlich unterwerfen mussten.

Ich bin froh, dass es gute Autoren gibt (von denen viele Geisteswissenschafter sind), dass es Philosophen gibt, dass es Kunst- und Kulturschaffende gibt, dass sich Menschen professionell mit unserer Geschichte beschäftigen oder unser Politisches System durchdenken. Ich bin froh, in einer Welt zu leben, wo sich Menschen über materielle Ziele hinausgehende Gedanken machen.
Und deswegen find ich die Geisteswissenschaften unerlässlich (wenngleich ich selbst kein Geisteswissenschaftler bin).
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Studiengebühren???
« Antwort #87 am: 28 Januar 2005, 01:07:41 »

.....
a propos :D....

Zitat von: "Imre Kertész"

Was ist Arbeit letzlich für eine Tugend? Eine Sklaventugend. Wie konnte sie in der neueren Zeit - unmerklich - zur Ideologie, zur Moral, man kann getrost sagen: zu Gott werden? Was bedeutet das Wort überhaupt: Arbeit? Tun, Tätigsein - ist nicht Arbeit, auch nicht, wenn es mit Arbeit verbunden ist. Die Künstler der Frühzeit und der antike besispielsweise "arbeiteten" nicht in diesem Sinne, in dem , sagen wir, Dickens oder Zola usw. arbeiteten. Arbeit als Eroberung, als Dynamik, als Lebensform, sogar als Lebensanschauung - als das Gegenteil des schauenden und beschaulichen Lebens. Die Arbeit sieht sowohl in der Beschaulichkeit als auch in den höheren Formspielen des Lebens, im Aristokratischen, das Nutzlose, das Parasitäre. Ist das eine Revolution oder ein Wahnsinn? Vielleicht gar ein Bedürfnis? Die wissenschaftlich-technische Entwicklung kam durch Arbeit zustande; wenn es aber keine wissenschaftlich-technische Entwicklung gibt, bleibt das Bevölkerungswachstum aus, und bleibt das Bevölkerungswachstum aus, besteht die Notwendigkeit der wissenschaftlich-technischen Entwicklung nicht.
Wie dem auch sei, Tatasache ist, daß Arbeit bislang alles niedergemetzelt und gerechtfertigt hat (Auschwitz und Sibirien, um die Extrembeispiele zu nennen). Die Arbeit ist der einzige funktionierende Gott, dem die Menschheit, verhohlen oder unverhohlen, einmütigt huldigt, wie einem neuen Moloch, und der iht moralisches  Leben radikal durchdringt; die Moral der Arbeit hat jede andere Moral - selbst die Ethik der Arbeit - in den Hintergrund gedrängt, sie ist völlig an und für sich. Doch der sich aus der Arbeit entweickelnde Automatismus beschert der Gesellschaft bald eine ums Tätigsein - also um Gott -  gebrachte Masse: Um ihr religiöses Leben fortsetzen zu können, nimmt sie nun die methodische Vernichtung in Angriff - denn schließlich ist auch Zerstörung Arbeit , wenn sich die Arbeitsmoral dazu findet. Das Sinken des menschlichen Niveaus setzte offenkundig mit dem Sieg des Gottes Arbeit, mit deren Erhebung zur allgemeinen moral ein: Aber was heisst menschliches Niveau - da sich das Niveau ja auch durch Arbeit herausgebildet hat und letztlich in die totale Arbeit eingegangen ist.


Galeerentagebuch, S.87f

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Thomas

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« Antwort #88 am: 28 Januar 2005, 08:51:40 »

Zitat
Ich bin froh, dass es gute Autoren gibt (von denen viele Geisteswissenschafter sind), dass es Philosophen gibt, dass es Kunst- und Kulturschaffende gibt, dass sich Menschen professionell mit unserer Geschichte beschäftigen oder unser Politisches System durchdenken. Ich bin froh, in einer Welt zu leben, wo sich Menschen über materielle Ziele hinausgehende Gedanken machen.

Bin ich ja auch.Es ging nur darum, festzustellen, das Geisteswissenschaften nun mal nicht unbedingt für wirtschaftliche Dinge verwertbar sind, jedenfalls nicht in der Masse, und sich daraus ergeben könnte, das kostenlose Förderung dieser Wissenschaften auf Staatskosten nicht per se legitim sein muß.

Aber natürlich sollte sich eine Staat, der sich für zivilisatorisch führend hält, auch ein paar geistig gewandte Menschen "leisten".Zum dem Schluss kann man vor allem kommen, wenn man (wie hier schon erwähnt wurde) sieht, für was sonst so alles Geld verschleudert wird.
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Thomas

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« Antwort #89 am: 28 Januar 2005, 09:30:07 »

Zitat
a propos ....

"Nette" Gedanken zu dem Thema, auch wenn es eine Ausbeuter-Arbeitswelt wie im 19. Jahrhundert darstellt, zumindest entsteht für mich dieses Bild.
Ich persönlich Arbeite eigentlich ganz gerne, aber ich habe ja auch eine Tätigkeit, die gleichzeitig mein Hobby ist.Das einzig nervige daran ist das frühe Aufstehen, das hin- und wieder zurückfahren, und die Tatsache, das die Arbeit so viel zeit des Tages in Anspruch nimmt.Ne' 20-Stunden-Woche würde mir reichen :D  Würde ich allerdings am Fließband stehen oder Tütenkleben, wäre meine Einstellung zur Arbeit sicherlich auch eine andere.
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