Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Links und Rechts  (Gelesen 19218 mal)

CubistVowel

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Re: Links und Rechts
« Antwort #45 am: 26 Oktober 2010, 10:21:22 »

Hö? Wie bist du denn informiert?
Ausreichend, um diese Passage aus deinem Link so unterschreiben zu können:
"Bei Stuttgart 21 geht es längst nicht mehr nur um Argumente. »Dafür oder dagegen« ist einem »gut oder böse« gewichen. Das Projekt ist zur Glaubenssache geworden und der Bauzaun am Nordflügel zur Klagemauer."
Ein teures Riesenprojekt wie S-21 wäre wesentlich leichter zu vermitteln, wenn nicht fast überall sonst die Nebenstrecken und kleineren Bahnhöfe schlicht verrotten würden und die Züge auch sonst nicht nur halbwegs benutzbar wären.

Ich habe mir (fast) die gesamte Schlichtungssitzung auf Phönix angesehen und war sehr gespannt auf die Argumente der Befürworter; aber keine der bisher vorgebrachten Begründungen hat mich davon überzeugt, dass genau dieser Bahnhof
1. vergraben
2. um 90° gedreht und
3. zu einem Durchgangsbahnhof umgebaut werden muss.

Ich tendiere eher dazu, dem langjährigen Suttgarter Bahnhofsvorsteher Hopfenzitz zu glauben: Das Ganze sei eher ein Immobilienprojekt als ein Infrastrukturprojekt; und letztlich zahlt wieder der kleine Steuerzahler für Prestige- und Abschreibungs-(=Steuerspar-)Objekte der Politiker bzw. der großen Firmen. Ich denke aufgrund der mir bekannten Argumente, dass ein Umbau des bestehenden Kopfbahnhofs evtl. sogar "zukunftsfähiger" gewesen wäre.
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Eisbär

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Re: Links und Rechts
« Antwort #46 am: 26 Oktober 2010, 12:47:10 »

Natürlich sind Kopfbahnhöfe weniger leistungsfähig als Durchgangsbahnhöfe. Man bedenke, wie lange es dauert, bis so ein Lokführer die Steuerkontrolle ans andere Ende des Zuges geschaltet hat und dann die x-hundert Meter zum anderen Ende geschlurft ist, um dort alles klarzumachen.

Aber:
Die ganz entscheidende Frage ist, wie schnell sich die höhere Leistungsfähigkeit rentiert. Und das kann bei Kosten von ein paar Milliarden länger dauern, als das Transportsystem "Eisenbahn" noch aktuell ist.
Ich jedenfalls würde solche teure Infrastrukturprojekte bestenfalls für ein neues Verkehrssystem verstehen, z.B. für den Transrapid. Der wäre mit einem vernünftigen Ausbau in der Lage den gesamten innerdeutschen Flugverkehr abzuschaffen, man müßte nur sämtliche Städte über 500.000 Einwohner damit verbinden.
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CubistVowel

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Re: Links und Rechts
« Antwort #47 am: 26 Oktober 2010, 12:52:57 »

Natürlich sind Kopfbahnhöfe weniger leistungsfähig als Durchgangsbahnhöfe.
Ah, nun kann ich endlich wieder beruhigt in die Zukunft sehen. ;)
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messie

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Re: Links und Rechts
« Antwort #48 am: 26 Oktober 2010, 13:33:47 »

Natürlich sind Kopfbahnhöfe weniger leistungsfähig als Durchgangsbahnhöfe.
Ah, nun kann ich endlich wieder beruhigt in die Zukunft sehen. ;)

Da hat er aber ausnahmsweise mal recht ;)
Ich will nicht wissen, wieviele Millionen Minuten im Jahr alleine für Rangierarbeiten, die dank des Kopfes des Bahnhofs notwendig wird, dabei draufgehen!
In Zeiten der Optimierung von Warte- und Standzeiten kann da schnell mal eine ordentliche Summe zusammenkommen, vor allem im Güterzugbereich.

Das Problem, das sich hier stellt: Warum so? Warum so unglaublich teuer? Warum nicht doch einen Teil überirdisch, um es günstiger zu machen? Warum um 90 Grad drehen, obwohl es doch viel günstiger wäre, die Fläche des alten Bahnhofs weitgehend zu nutzen?
Das alles sind Fragen, auf die es keine Antworten gab.
Es ist und bleibt für mich ein Prestigeobjekt der Stadt, damit sie in Werbebroschüren später "modernster Bahnhof Europas" oder so n Schmarrn draufpappen können, obwohl sie es auch für die Hälfte des Geldes (wenn nicht noch deutlich weniger) hätten realisieren können.
Ich glaube, müssten die Politiker dann, wenn ein Projekt teurer wird als verabschiedet, aus eigener Tasche draufzahlen, dann wären sie nicht so leicht bei der Hand, die Milliarden einfach so rauszuhauen, als wäre es Taschengeld.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #49 am: 26 Oktober 2010, 13:58:37 »

Die S21-Hysterie ist sicherlich ein Beispiel für Probleme in der politischen Kommunikation. Somit ist auch ein gewisser Zusammenhang zum Topic erkennbar, da das Links-Rechts-Modell in meinen Augen auch für eine weitgehend gescheiterte Kommunikation zwischen politischen Akteuren/Massenmedien und dem Bürger steht.

Bei der Diskussion um S21 kommen allerdings noch zwei diametrale Ansichten über Demokratie hinzu. Einerseits berufen sich die Befürworter auf das Prinzip der repräsentativen Demokratie und andererseits verlangen die Gegner weitreichende plebiszitäre Elemente. Beide Parteien sehen sich als die besseren Demokraten und werfen dem Gegner die Mißachtung demokratischer Prinzipien vor. Den eigentlichen Hype um den Umbau eines Bahnhofs (denn mehr ist es eigentlich nicht) kann ich mir nur mit Veränderungen in der politischen Kommunikation erklären. Ich vermute, dass die quantitative Zunahme an Informationsquellen (Blogs, Foren, Schlagzeilen-Nachrichten) bei gleichzeitiger Reduzierung der Informationsqualität zu einer Art Massenhysterie führt. Die Grenze zwischen Meinung und Nachricht verschwimmt zunehmend, auch bei den sogenannten Qualitätsmedien. Informationen über komlexe Sachverhalte werden durch Laien und Journalisten stark vereinfacht, mit einer Portion Meinung versehen und dann als Nachricht verbreitet. Im Gegensatz zu Wissenschaftlern (manchmal auch Politikern) müssen sich Blogger und Journalisten nur selten für zweifelhafte Aussagen rechtfertigen. Die ständige Wiederholung und gegenseitiges Zitieren (Twitter etc.) erhebt dann diese stark mit Meinungen vermischten Informationen zu angeblichen Belegen. Gleichzeitig werden die Aussagen von Fachleuten in ihrer Bedeutung stark abgewertet oder sogar mit Verschwörungstheorien diskreditiert. Die Situation wird durch einige politische Akteure, die politisches Kapital aus der Sitaution schlagen wollen, dann noch zur Eskalation gebracht. Bürger die derartige Informationen aufnehmen, fühlen sich informiert und glauben dann manchmal sogar, dass sie mehr von einer komlexen politischen Situation verstehen, als eine Gruppe von 100 Fachleuten, die sich seit fast 15 Jahren mit einem Thema beschäftigt. Diese gefühlte Kompetenz ist vermutlich auch der Grund weshalb immer wieder weitreichende plebiszitären Elemente in unserer repräsentativen Demokratie gefordert werden.
Ich bin ganz froh, dass ich nur relativ selten mit irgendwelchen Volksabstimmungen belästigt werde. In meinen Augen ist es die Aufgabe der gewählten politischen Repräsentanten, diese Entscheidungen zu treffen. Die können sich auf die Fachleute in den Ministerien oder externe Berater stützen und werden abgewählt, wenn sie ihren Job schlecht machen. Eine Bürgerinitiative, die Partikularinteressen vertritt (z.B. den Wertverlust von Immobilien mit vorgeschobenen ökologischen Gründen verhindern), kann ich nicht abwählen, wenn sie mich belogen hat. Es gibt sicherlich Sachverhalte, bei denen plebiszitäre Elemente sinnvoll sind. Dazu gehören einfache Entscheidungen auf kommunaler Ebene oder wenig komlexe Grundsatzfragen auf allen Ebenen. Nicht nur das Plebiszit hat weitreichende Schwächen und birgt die Gefahr des Mißbrauchs. Auch in der repräsentativen Demokratie gibt es fundamentale Probleme, insbesondere dann, wenn die Auswirkungen einer Entscheidung oder der Mißbrauch politischer Ämter erst viele Jahre später erkennbar werden. Da es für ein Volk mit 80Mio. Einwohnern keine realistische demokratische Alternative zur repräsentativen Demokratie gibt, bleibt wohl nur die Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten des Systems übrig. Bei der Gelegenheit sollte man auch die Kommunikation zwischen Bürgern und Politikern sowie die Rolle der Medien als angeblicher Vermittler kritisch hinterfragen. Die Forderung nach einer Transparenz von Entscheidungsprozessen (wie sie seit Jahrezehnten gefordert wird) sehe ich allerdings als einen rein populistischen Ansatz, da es in der Natur der Sache liegt, dass Entscheidungen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden. Eine aufgezwungene allgemeine Transparenz würde nur zu einer Lähmung politischer Prozesse führen.

Auch wenn S21 eigentlich schon off-topic ist: Die Kosten solcher Großprojekte explodieren regelmäßig. Dies liegt soweit ich das einschätzen kann am Ausschreibungssystem für Bauvorhaben. Der Staat (und eventuell auch die Deutsche Bahn) muß immer den günstigsten Anbieter nehmen und Bauprojekte europaweit ausschreiben. In der Branche ist es üblich, dass jeder noch so kleine Fehler in einer Ausschreibung ausgenutzt wird, um ein unrealistisch niedriges Angebot machen zu können. Nach Vertragsabschluss kommt dann die Flut an Nachträgen, die zu der Kostenexplosion führt. Je komplexer ein Bauvorhaben ist, desto größer ist die Gefahr, dass es zu unerwarteten und sehr teuren Nachträgen kommt.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #50 am: 26 Oktober 2010, 14:10:59 »

Natürlich sind Kopfbahnhöfe weniger leistungsfähig als Durchgangsbahnhöfe.
Ah, nun kann ich endlich wieder beruhigt in die Zukunft sehen. ;)

Da hat er aber ausnahmsweise mal recht ;)
Ich will nicht wissen, wieviele Millionen Minuten im Jahr alleine für Rangierarbeiten, die dank des Kopfes des Bahnhofs notwendig wird, dabei draufgehen!
In Zeiten der Optimierung von Warte- und Standzeiten kann da schnell mal eine ordentliche Summe zusammenkommen, vor allem im Güterzugbereich.
Es gibt an diesem Bahnhof gar keinen Güterverkehr mehr. Ich bin ja auch für einen Ausbau des Schienen-Güterverkehrs, aber die neu geplante Strecke ist offensichtlich zu steil für die meisten Güterzüge.

Bei der Planung von S21 wurde mit einer Mindesthaltedauer von 1 Minute (Durchgang) und 6 Minuten (Kopfbahnhof) gerechnet. Eine Minute finde ich persönlich für einen so großen Knotenpunkt ziemlich lächerlich, es werden auf jeden Fall mehr. In der Zeit, in der die Leute ein- und aussteigen (was ganz sicher länger als eine Minute dauert), kann auch der Fahrer umsteigen. So ein Fahrerwechsel kommt übrigens auch an Durchgangsbahnhöfen vor.

Die prinzipiellen Vor- und Nachteile bestimmter Bahnhofsarten sind sicher vorhanden, aber den Vorwurf, speziell S21 sei (wörtlich) "auf Kante genäht" (d. h. gerade mal für die momentane Infrastruktur passend und nicht erweiterbar) konnten die Befürworter in meinen Augen nicht wirklich entkräften.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #51 am: 26 Oktober 2010, 14:29:00 »

Zitat
Die Kosten solcher Großprojekte explodieren regelmäßig. Dies liegt soweit ich das einschätzen kann am Ausschreibungssystem für Bauvorhaben. Der Staat (und eventuell auch die Deutsche Bahn) muß immer den günstigsten Anbieter nehmen und Bauprojekte europaweit ausschreiben. In der Branche ist es üblich, dass jeder noch so kleine Fehler in einer Ausschreibung ausgenutzt wird, um ein unrealistisch niedriges Angebot machen zu können. Nach Vertragsabschluss kommt dann die Flut an Nachträgen, die zu der Kostenexplosion führt. Je komplexer ein Bauvorhaben ist, desto größer ist die Gefahr, dass es zu unerwarteten und sehr teuren Nachträgen kommt.

Genau dieses Vergabeverfahren begreife ich nicht wirklich.
Wie kann es angehen, dass letztlich der Staat auf den Kosten sitzen bleibt, wenn das Projekt deutlich teurer wird als die Anbieter zuerst versprechen?
In der freien Wirtschaft gibt es Vertragsstrafen, Regresszahlungen, Verzugsstrafen noch und nöcher, aber sobald der Staat dabei ist, ist davon nichts mehr zu sehen?
Das will mir einfach nicht in den Kopf.

Wenn ich mir so eine Laienlogik zurechtbastele, dann sage ich mir, dass wenn es härtere Strafen bei unzulässigen Angeben die Kosten betreffend gäbe, unisono alle Anbieter dann auch mal realistische Zahlen angeben würden und nicht irgendwelche Luftnummern, von denen so ziemlich jedem klar wird, dass es anschließend eh deutlich teurer werden wird.

Dem "einfachen" Volk (ich zähle mich da durchaus dazu) lässt sich einfach schwer bis gar nicht vermitteln, dass bei den Summen, die Stuttgart 21 und die Elbphilharmonie verschlingen, es tatsächlich die günstigste Variante gewesen sein soll.

Wenn man dann noch mitbekommt, dass die Mieten von Sozialwohnungen angehoben werden, um ein Projekt wie die Elbphilharmonie bezahlen kann, dann erklärt sich mir auch, weswegen links und rechts wieder attraktiver werden: Wenn "normale" Empörung nicht ausreicht, um solch Ungemach zu verhindern, dann ist der Schritt zu radikaler Empörung nicht mehr weit.
Ob die dann aus der linken oder rechten Ecke kommt, ist dann eigentlich ziemlich wurscht. Beide Seiten beanspruchen für sich, dass der Staat etwas massiv falsch macht. Und beide Seiten sehen auf kleine Bürger, denn auch rechts vertritt nicht irgend eine reiche Klientel, sondern den "kleinen Mann", der gerade seinen Arbeitsplatz verloren hat (und aus Sicht der Rechten ungerechtfertigt an Ausländer vergeben wird) oder aufgrund kleinsten Geldbeutels sich in Wohnghettos wiederfindet, in dem er sich als Fremder fühlt, weil auf einmal im Supermarkt umme Ecke überall nur noch türkisch und russisch gesprochen wird.

Dass die Rechten Kausalketten hinbekommen, die bei genauerem Hinsehen der Logik entbehren, sei hier mal unbenommen. Sie stellen sie aber jeweils für den "kleinen Bürger" auf, der es ebenso wie die Linken nicht nachvollziehen kann, wie auf der einen Seite milliardenschwere Großprojekte hochgezogen werden, während die Meinung des "kleinen Mannes", und sei es auch nur nach einem vernünftigen Wohnraum ohne Ghettoqualitäten, offensichtlich nicht erhört wird.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #52 am: 26 Oktober 2010, 14:39:58 »

@ Spambot
Zitat
In meinen Augen ist es die Aufgabe der gewählten politischen Repräsentanten, diese Entscheidungen zu treffen. Die können sich auf die Fachleute in den Ministerien oder externe Berater stützen

Ich bewerte das anders. Es könnte der Gesellschaft nur gut tun, wenn es bei politischen Entscheidungen mehr Transparenz gäbe, sprich, wenn der Bürger den Politikern auf die Finger guckt und ggf. auch haut. Klientelpolitik und Filz sind der objektiven Entscheidungsfindung jedenfalls auch nicht zweckdienlicher.

Und die Aussage, dass die Politik sich auf Fachleute und externe Berater stützt, ist zwar wahr, aber sehr gutgläubig angewendet; sie führt nämlich letztlich dazu, dass sich jede Branche die ihr genehmen Gesetze selbst ausarbeitet, indem sie ihre Lobbyisten als Experten in die Gremien setzt.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #53 am: 26 Oktober 2010, 15:38:32 »

Beide Ansätze haben ihre großen Nachteile und beide funktionieren mit Vertrauen, auf das beide Ansätze realistisch betrachtet nicht wirklich bauen können. Es ist schon nicht von der Hand zu weisen, dass Fachleute etc. nicht unbedingt immer so unabhängig sind, wie man dann ggf. darstellt (Gefahr von Lobbyismus). Andererseits braucht es bei der sogenannten direkten Demokratie oftmals gar keine Lobbyisten, weil die "Massen" mit den richtigen Instrumenten direkt beeinflusst werden können. Experten wären dann also eher hilfreich, die Entscheidungsprozesse in einer repräsentativen Demokratie in vernünftige Strukturen zu lenken.

Kommt eben drauf an, von welchem Menschenbild man ausgeht bzw. für wie entscheidungsfreudig und mündig (da ham wa's jetzt) man den Bürger hält. Ich denke schon, dass vielen Bürgern vieles egal ist. Und irgendwo las ich vor einiger Zeit, dass Volksbegehren etc. tatsächlich eher von dem sogenannten "gehobenen Bürgertum" genutzt werden, um die eigenen Interessen durchzupeitschen (ohne lästige gewählte Zwischenposten, um es mal so zu formulieren).

Ein wenig mehr Transparenz allerdings würde ich mir ebenfalls wünschen.

Wow, jetzt sind wir vom Ursprungsthema aus (zu dem ich gern noch was sagen würde, was ich dann beizeiten nachholen werde) über Stuttgart 21 bei der Demokratie und Verbesserungsmöglichkeiten angekommen.

Zitat
Genau dieses Vergabeverfahren begreife ich nicht wirklich.
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Das will mir einfach nicht in den Kopf.

Ich ließ mich aus kompetentem Mund (Immobilienbranche) genau darüber informieren und es ist tatsächlich so. Verstehen soll man es wohl nicht, aber es ist ein ungeschriebenes Gesetz. Jeder "Beteiligte" weiß davon. Ob Hochtief oder sonstwer, es wäre in jedem Fall zu Nachträgen gekommen.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #54 am: 26 Oktober 2010, 15:43:31 »

Genau dieses Vergabeverfahren begreife ich nicht wirklich.
Wie kann es angehen, dass letztlich der Staat auf den Kosten sitzen bleibt, wenn das Projekt deutlich teurer wird als die Anbieter zuerst versprechen?
In der freien Wirtschaft gibt es Vertragsstrafen, Regresszahlungen, Verzugsstrafen noch und nöcher, aber sobald der Staat dabei ist, ist davon nichts mehr zu sehen?
Das will mir einfach nicht in den Kopf.

Soweit ich weiss arbeitet die gesamte Bauwirtschaft nach diesem System. Private Bauherren müssen aber natürlich nicht zwingend den günstigsten Anbieter nehmen. Wenn Entscheidungsträger in der Politik für ihre Entscheidungen in Regress genommen werden könnten, würde niemand mehr den Job machen wollen. Oder man versucht die Verantwortung über Verträge abzuwälzen (nur wer geht so einen Vertrag ein?). Vielleicht könnte man einen Faktor für Mehrkosten berechnen, der sich nach der Komlexität und Einzigartigkeit eines Bauvorhabens richtet (berechnet anhand von früheren Bauvorhaben). Dieser Aufschlag auf die Kosten aus den Ausschreibungen könnte dann die relevante Summe für politische Entscheidungen sein.

@CubistVowel:
Politische Entscheidungen dauern meistens mehrere Monate und umfassen unzählige Beratungen in den Ministerien bevor es überhaut eine Beratung in einem (nicht öffentlichen) Ausschuss des Parlaments gibt. Ein größeres Projekt kann damit leicht hunderte Entscheidungen beinhalten. Ich vermute, dass in den Bundes- und Landesministerien jedes Jahr mehrere zehntausend Entscheidungen getroffen werden. Selbst wenn man hier eine Transparenz aufzwingen könnte, würde die Informationsflut den Bürger völlig überlasten. Hinzu kommt, dass politische Entscheidungen in einer Demokratie sehr oft Kompromisse beinhalten. Politische Akteure sind somit gezwungen von ihren ursprünglichen Forderungen zugunsten einer Einigung abzurücken. Wäre dieser Prozess öffentlich, würde es nicht mehr zu Einigungen kommen, da die politischen Akteure einen Gesichtsverlust zu befürchten hätten. Außerdem müssten politische Prozesse in ein medientaugliches Format gezwängt werden, was sich sicherlich negativ auf die Qualität der Beratungen auswirkt. Fachleute sprechen nur selten leicht verständlich und fernsehtauglich.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Filz und Korruption durch Transparenz bekämpfen kann. Niemand wird entsprechendes Verhalten öffentlich zeigen, sondern immer Wege hinter eine verschlossene Tür finden. Wir haben schon jetzt die Parlamentsdebatten als Schauspiel für das Volk. Der Zuschauer glaubt, dass dort irgendetwas beraten wird, dabei sind alle Beratungen bereits in den Fraktionenen und Ausschüssen abgeschlossen worden. Weitere Schauspiele würden keinen Vorteil bringen.
Lobbyismus ist in Deutschland (und vielen anderen Ländern) stark mit Entscheidungsprozessen verbunden. Da will ich gar nicht widersprechen. Bereits auf ministerieller Ebene sind bei wichtigen Entscheidungen die betroffenen Gruppen (Sportverbände, Kirchen, Gewerkschaften, Branchenlobbyisten etc.) einzubeziehen. Das ist Absicht. Dies wird gemacht, um Fehler zu vermeiden und gegensätzliche Standpunkte zu erörtern. Natürlich denken diese Lobbyisten zuerst nur an ihr eigenes Wohl. Es ist dann die Aufgabe der hohen Beamten in den Ministerien und der gewählten politischen Führung eine Lösung im Sinne des gesamten Volkes zu finden. Die Präferenzen können da natürlich zwischen den Parteien oder sogar einzelnen Politikern einer Partei recht unterschiedlich sein. In den seltenen Fällen, in denen Gesetze nicht von den Ministerien, sondern von Fraktionen vorgeschlagen werden, entfällt ein Teil dieser Prozesse. Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob Lobbyisten in den Fachausschüssen der Parlamente gehört werden. Vermutlich nicht. Dort wird man eher Hochschulprofessoren präsentieren, die Argumente für die eigene Position liefern (da findet man ja immer genug Freiwillige auf allen Seiten). Bei kontroversen politischen Entscheidungen sind die Beratungen in den Ausschüssen der Parlamente aber oftmals auch nur eine Generalprobe für die öffentliche Debatte im Plenum oder in den Medien. Die Auschussmitglieder testen dort ihre Argumente und die Gegenargumente der politischen Gegner. Trotz der Einbindung von Ministerialbeamten, Lobbyisten und parteiischen Exerten, liegt die eigentliche Entscheidung (bei Gesetzen) immer bei den Politikern der Parlamentsmehrheit. Wenn eine Lobby ihre Interessen zu stark durchsetzen konnte, ist das nicht die Schuld der Lobby, sondern die der Parlamentsmehrheit. Die sind dann auch für ihre Entscheidungen gegenüber dem Wähler verantwortlich.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #55 am: 26 Oktober 2010, 15:57:58 »

Zitat
Oder man versucht die Verantwortung über Verträge abzuwälzen (nur wer geht so einen Vertrag ein?)

Ich vermute mal: Der, der das Großprojekt haben will.
Wenn es verlässliche Vertragsstrafen gäbe, wären die angesetzten Kosten ja auch verlässlicher - und zwar von jedem Anbieter.
Letztlich wird dann wieder der günstigste Anbieter genommen (vielleicht ja sogar derselbe), aber die Mehrkosten wären kalkulierbarer.
So ein Fass ohne Boden wie die Elbphilharmonie oder so manch Berliner Bauprojekt wären dann deutlich schwieriger durchsetzbar - und das zu Recht.

Eins der Argumente der Stuttgart21-Gegner ist ja auch, dass von vorneherein abzusehen war, dass die Kosten explodieren würden und es genug Hinweise darauf gegeben hätte, die Politiker vor allem in dem Punkt beide Augen zumachten und die vorgelegten Verträge trotzdem unterschrieben.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #56 am: 26 Oktober 2010, 17:22:52 »

Da das Ausschreibungsrecht soweit ich weiß durch die EU festgelegt ist, dürfte es schwierig werden es zu ändern. Schwierig, aber nicht unmöglich.
Wenn man es nun so ändern würde, dass das finanzielle Risiko komlett auf die Baubranche (oder unrealistisch: den Architekten) abgewälzt wird, wären die Angebote sicherlich realistischer (wenn es denn noch welche gibt). Dann hätte man aber eventuell das Problem, dass sich ein Baukonzern verkalkuliert und der Steuerzahler anschließend für die Rettung der Arbeitsplätze aufkommt ;)
In einigen Industriezweigen, wie beispielsweise der Flugzeugindustrie, wird diese indirekte Subventionierung über Nachträge auch betrieben. Ohne staatliche Risikogarantien würde eine Firma wie Airbus keine neuen Flugzeuge entwickeln können. Das Risiko wäre für die Firma existenzbedrohend. Die Amis machen das bei Boeing aber auch nicht viel anders.

Die Empörung der S21-Gegner über die Ignoranz der verantwortlichen Politiker gegenüber möglichen Mehrkosten kann ich ehrlich gesagt nicht ganz verstehen. Das ist doch der Regelfall. Wozu also die Hysterie? Das Ausschreibungsystem zwingt Politiker dazu, solche Verträge zu unterschreiben (oder das Projekt aufzugeben). Da die Höhe der Nachträge nicht exakt vorhergesehen werden kann, bietet das System außerdem dem Entscheidungsträger ein paar Vorteile beim Schönrechnen der zu erwartenden Mehrkosten. Ein wenig mehr Ehrlichkeit wäre da sicherlich wünschenswert, ist aber wohl angesichts des Wettbewerbs zwischen den Parteien unrealistisch. Man darf nicht vergessen, dass die Opposition völlig absurde Forderungen aufstellen kann, für die sie nie zur Verantwortung gezogen wird, wohingegen die Regierungsparteien mit den Zwängen der Realität konfrontiert sind. Verständlich, dass man da wenig Angriffsfläche bieten will. Im Fall von S21 scheint das der Regierung in BW jedoch nicht gelungen zu sein.
Ob solche Großprojekte grundsätzlich Sinn machen, kann ich nicht bewerten. Das überlasse ich den Fachleuten, in der Hoffnung, dass die uns nicht für irgendwelche eitlen Monumente in den Ruin treiben.

Mit dem Problem der Positionsbestimmung von politischen Gruppen und Meinungen im politischen Spektrum haben diese Details zu S21 nun aber wirklich nichts mehr zu tun.

 
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Re: Links und Rechts
« Antwort #57 am: 26 Oktober 2010, 22:06:04 »

Mit dem Problem der Positionsbestimmung von politischen Gruppen und Meinungen im politischen Spektrum haben diese Details zu S21 nun aber wirklich nichts mehr zu tun.

Here we go (das musste leider jetzt einige Tage warten, aber nu knack ich mal herzhaft mit den Fingern und leg los)

Erstmal hierzu noch ...

Zitat von: Spambot
Ich bin mir nicht sicher, ob man Konservatismus hauptsächlich als eine Tendenz zum Kollektivismus sehen sollte. Gemäßigte konservative Positionen in Deutschland umfassen gewöhnlich auch liberale und teilweise sogar tendenziell egalitäre Positionen. Diese Vermischung von liberalen, egalitären und konservativen Positionen findet man eigentlich in allen gemäßigten Parteien (Grüne, FDP, Union, SPD).

Das ist auch eine Frage von konservativer Theorie und realpolitischer Praxis. Im Zuge der Sarrazin-Debatte oder des Steinbach-Falls und der Pleite-Koalition in Hamburg wurden schon Stimmen laut, dass die CDU ihr konservatives Profil wieder schärfen soll und damit sind m. o. w. deutliche Vorstellungen verbunden, die weder liberal noch egalitär sind. Allerdings stimme ich Dir zu, dass sich seit Längerem auch der Liberalismus in der CDU etabliert hat. Marktfreundliche Politik sollte man schon betreiben, wenn man so dicke mit der Wirtschaft ist.  ::)

Zitat von: Spambot
... Allerdings trifft dies auch auf große Teile des "linken" Spektrums zu.

Dem widerspreche ich nicht.

Zitat von: Spambot
Das Hauptproblem bei diesen Vereinfachungen sehe ich darin, dass bestimmte politische Positionen zwar typisch für eine politische Richtung (Richtung impliziert mal wieder das Hufeisenmodell) sind, aber andererseits diese politischen Positionen nicht zwingend eine Zuordnung zu einer politischen Gruppierung bedeuten.

Ja, und das wird noch schöner. Nach den Nationalrevolutionären möchte ich nun ein weiteres Phänomen der politischen Freakshow angehen, diesmal weiter hinten links (das allerdings nicht mehr die Rolle wie vor einigen Jahren spielt): Antiimperialisten vs. Antideutsche. Da stehen sich in weiten Teilen Positionen (bzw. Fronten!) exakt gegenüber und beide beanspruchen für sich, "links" zu sein bzw. werden in die Richtung gesteckt und beide haben durchaus plausible Ansätze. Erstere sind für den "Befreiungskampf" der Palästinenser (bis hin zu Boykottaufrufen gegen israelische Waren) und anderer "unterdrückter Völker" in aller Welt und tummeln sich stark in der Globalisierungsgegnerschaft, vertreten insgesamt einen großen Antiamerikanismus und pflegen die klassisch kommunistischen Vorstellungen. Die Antideutschen dagegen sind für die bedingungslose Solidarität mit Israel als einzigem "Schutzort der Holocaustüberlebenden" (bis hin zu Boykottaufrufen gegen arabische Waren) sowie den USA als einzigem echtem Verbündeten Israels und billigen teilweise die Durchsetzung US-amerikanischer Interessen in der Welt (v.a. im Nahen Osten), halten viele soziale Bewegungen in Deutschland für "Volksbewegungen" mit einem entsprechenden Beiklang (weil eben aus Deutschland) und ihre Kapitalismuskritik fällt im Sinne der Wertkritik eher sanft bis pessimistisch aus (bis hin zu einer unterstellten Bejahung) und stellt das kritische Individuum anstelle der Arbeiterklasse in den Mittelpunkt.

Allerdings polarisiert die Frage "Juden oder Moslems" auch die Rechten. Einerseits solidarisiert man sich mit orientalischen Antisemiten gegen irgendeine "jüdische Weltverschwörung" und möchte zuendebringen, womit Väter und Großväter begannen. Andererseits wird heftig Beifall geklatscht, wenn der Jude Giordano sagen dürfen möchte, dass er keine Burkas auf deutschen Straßen sehen will. Ähnlich steht's mit dem Thema Homosexualität (nach dem Outing von Michael Kühnen und auch seinem Nachfolger).

Es ist einfach rundum menschengemacht, wirkt schnell konstruiert bzw. beliebig und in weiten Teilen echt hirnverbrannt. Allerdings ...

Zitat von: Spambot
Beispiel: Rassismus ist typisch für rechtsextreme Positionen - fremdenfeindliche Äußerungen bedeuten aber nicht zwingend, dass eine Person rechtsextrem ist. Beispiel 2: Jemand setzt sich für eine Vermögenssteuer ein (Einschränkung des Grundrechts auf Besitz) - muss diese Person linksradikal sein?

Stimmt schon, wer die Political Correctness anprangert, ist noch lange kein "Rechter", wer die Integration für gescheitert hält auch nicht, ebenso wer gerne Uniformen trägt, oder einen starken Staat fordert, oder für nationale Souveränität und gegen Einwanderung ist, oder wer die Familie und die Ehe von Mann und Frau als allein gültig propagiert und Homosexualität für eine Krankheit hält, oder wer "linke" sowie "liberale" Einstellungen verbal oder physisch bekämpft. Aber wenn jemand all das bzw. das meiste davon zusammengenommen pflegt und verkörpert, dann steht er da, der Klischee-Fascho (bzw. dürfte klar sein, worauf ich raus will). Dafür sind diese künstlichen Modelle eben doch gut. Menschen müssen ein Stück weit kategorisieren, das ist wahrscheinlich so in uns angelegt und hilft uns, im Leben voranzukommen, weil wir mit einem höheren Zoom wahrscheinlich irgendwann bekloppt würden. Die Kunst ist es, trotzdem offen für die möglichen Ausnahmen zu bleiben. Und die Frage ist, ob mit Klischees wirklich Politik gemacht werden kann oder sollte.

Zitat von: Spambot
Auf der anderen Seite muss man natürlich auch beachten, dass ein großer Teil der Bevölkerung kein Interesse hat, sich genauer mit politischen Positionen auseinander zu setzen. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender setzen eher auf Sensationen und Meinungsmache, denn auf sachliche Hintergrundinformationen.

Wird sich IMO auch nie grundlegend ändern. Aus eben jenem Grund. Blut und Spiele und Auswanderer-Reality-Dokus und ein kühles Blondes im Kühlschrank, wer will da schon Details behacken (ja, das war pauschalisiert und vielleicht nicht ganz so ernst gemeint, im Kern allerdings schon).

Zitat von: Spambot
Diese Überlegungen führen mich zurück zum Anlass für diesen Thread. Eine Freundin bezeichnete sich mir gegenüber als links und vertrat gleichzeitig Positionen zur Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig wurden liberale Positionen als rechts bezeichnet. Sie müssten ja rechts sein, da sie nicht links sind. Inwieweit sie tatsächlich egalitäre Positionen vertritt, habe ich dann gar nicht mehr nachgefragt.

Da strickt sich mittlerweile jeder sein eigenes Hemd, und das ist nicht nur in politischen Dingen so.
« Letzte Änderung: 27 Oktober 2010, 18:06:49 von Simia »
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Re: Links und Rechts
« Antwort #58 am: 28 Oktober 2010, 13:00:51 »

Eine Vereinfachung, wie beispielsweise durch das Links-Rechts-Modell, führt natürlich immer zu einem Informationsverlust. Anders geht es nicht. Ich sehe das Problem in der politischen Diskussion (Wahlkampf eingeschlossen) darin, dass die verwendeten Vereinfachungen zu oft nicht einmal den eigentlichen Kern einer komplexen politischen Position repräsentieren.

Wenn ich die bisherigen Diskussionsbeiträge im Thread betrachte, fällt mir auf, dass es zwei grundsätzliche Probleme gibt: 1. Die tatsächliche geringe Trennschärfe zwischen Positionen gemäßigter Parteien und 2. die ungenügende Differenzierung in der Kommunikation bei radikalen bzw. extremen Positionen. Wenn man die Wahlkampfrhetorik der größeren gemäßigten Parteien (Union, SPD, Grüne, FDP) analysiert, könnte man denken, dass dort unterschiedliche Systeme angeboten werden. Sobald die Regierungsverantwortung übernommen wurde, verschwimmen diese im Wahlkampf vorgetäuschten großen Unterschiede sofort. Man vergleiche nur mal die Politik der derzeitigen Regierung und die der rot-grünen Koalition. War die rot-grüne Regierung von Schröder wirklich eher egalitär und weniger konservativ als die Merkel-Regierung?

Anders sieht es bei den Extremen aus. Dort versuchen die Akteure in der politischen Diskussion die Illusion zweier diametraler Pole aufrecht zu erhalten. Man denke nur an den traditionellen antifaschistischen Kampf der "linksgerichteten" Gruppen oder den antikommunistischen Kampf der "rechten" Gruppen. Vereinigungen wie die amerikanische Tea Party beschwören die Angst vor Sozialismus, während beispielsweise die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung oftmals den Extremismus als ein alleiniges Phänomen der "rechten" Positionen ansieht.

Angesichts der äußerst unterschiedlichen Positionen extremistischer Gruppen und deren teilweise völlig irreführende Zuordnung zu einem der angeblichen Pole im politischen Spektrum, tendiere ich immer mehr zum sogenannten Extremismusmodell, wie es von Eckhard Jesse, Uwe Backes und anderen Politikwissenschaftlern vorgeschlagen wird. Dort wird einerseits grob zwischen gemäßigten und extremistischen politischen Positionen unterschieden und andererseits die Unterschiedlichkeit extremistischer Positionen anerkannt. Die Unterscheidung verschiedener extremistischer Positionen ist in dem Vereinfachungsmodell aber eigentlich nur für die Wissenschaft interessant.
Natürlich hat auch dieses Vereinfachungsmodell Schwächen. Es impliziert die Existenz einer politische Mitte und setzt tendenziell alle Extremisten, vom Stalinisten über den Neonazi bis hin zum Islamisten, auf eine grundsätzliche Stufe. Alle Parteien, die für eine freiheitlich demokratische Grundordnung stehen, gehören zu dieser großen "Mitte". Da systemkritische politische Positionen relativ leicht den Extremisten zugeordnet werden können, würde ich das Vereinfachungsmodell als tendenziell konservativ oder zumindest anti-radikal bezeichnen. Hier besteht die Gefahr, dass neue Ideen bereits im Ansatz abgewürgt werden, da sie nicht zur "Mitte" gehören. Diese Schwäche hat aber auch das Links-Rechts-Modell. Das Extremismusmodell wäre auch nur dann sinnvoll, wenn man neben der groben Vereinfachung auch noch eine etwas präziesere Vereinfachung zur Differenzierung von gemäßigten politischen Positionen anbieten kann. Hierbei stößt man allerdings wieder auf das Problem, dass es teilweise drastische Diskrepanzen zwischen Wahlprogrammen, Wahlkampfpositionen und der Realpolitik einer Partei gibt. Die Grünen in der Opposition haben beispielsweise nicht viel mit den Grünen auf der Regierungsbank gemeinsam.

Edit:
Ich hab grad noch ein interessantes Modell bei den Piraten gefunden. Das Modell ist gar nicht mal so schlecht wie manch andere Ansätze, hat aber auch ein paar große Nachteile. Die Dreiachslösung macht eine gewisse Schwerpunktbildung bei der Positionierung nötig. Man kann daher eine politische Gruppe nicht auf allen drei Achsen gleichzeitig bestimmen. Hinzu kommt, dass man sich über die Auswahl der Achsen und der Pole streiten kann. Ich würde beispielsweise progressiv nicht als Gegenpol von konservativ wählen. Egalitäre Einstellungen wurden offensichtlich einfach mit Kollektivismus gleichgesetzt. Da springt der Anarchist im Kreis ;)
Vielleicht sollte man sich einfach damit abfinden, dass bipolare Achsen ungeeignet zur vereinfachten Darstellung des politischen Spektrums sind.
« Letzte Änderung: 28 Oktober 2010, 15:04:37 von Spambot »
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K-Ninchen

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Re: Links und Rechts
« Antwort #59 am: 28 Oktober 2010, 18:15:45 »

Ich funke mal kurz dazwischen mit einem sehr interessanten Link:

Das Parlameter

Solche Anwendungen sind doch schon ein kleiner Schritt weiter zum "Mündigen Bürger" *find*
So kann man sich wenigstens ein Bild darüber machen, wer in welcher Partei was befürwortet und was nicht und vieles mehr!
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Im Falle eines Missverständnisses:
Ich bin zutiefst bösartig und hinterhältig (kein Wunder bei dem Sternzeichen) und habe grundsätzlich niedere Beweggründe für fast alles.