Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Links und Rechts  (Gelesen 18044 mal)

Spambot

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Links und Rechts
« am: 14 Oktober 2010, 14:34:58 »

In der politischen Diskussion, insbesondere in den Massenmedien, werden gerne die Begriffe Links und Rechts zur Einteilung von Positionen und Gruppen benutzt. Diese abstrakte Vereinfachung soll eigentlich die Diskussion um politische Positionen übersichtlicher machen und eine schnelle Orientierung ermöglichen. Beide Begriffe (Links, Rechts) sind aus der Sitzordnung im französischen Parlament von 1830 abgeleitet und haben sich inhaltlich seit dieser Zeit mehrmals verändert. Heute stehen diese Begriffe oftmals für eine tendenziell egalitäre Perspektive (links) oder eine tendenziell konservative Position (rechts).
Reicht diese Differenzierung, um politische Positionen im heutigen Deutschland zu beschreiben? Ist beispielsweise Bündnis 90/Die Grünen eine rechte Partei mit linkem Gedankengut oder eine linke Partei, die auch typisch rechte (sprich konservative) Positionen vertritt? Ist die FDP weder links noch rechts? Was ist sie dann? Kann man die CDU wirklich noch als hauptsächlich konservativ und die SPD als hauptsächlich egalitär bezeichnen?

1. Sind die Begriffe Links und Rechts (gegenwärtig) noch geeignet, um politische Positionen verständlich und zutreffend zu beschreiben oder sollte man neue Sammelbegriffe entwerfen?


mögliche Sekundärfragen:

A. Was ist die politische Linke oder Rechte in der Gegenwart?

B. Lassen sich demokratische Parteien (in Deutschland) heute noch sinnvoll in links und rechts unterscheiden?

C. Macht es noch Sinn, seine eigene politische Position als links oder rechts zu bezeichnen?

D. Gibt es bessere Sammelbegriffe, um politische Positionen verständlich zu bezeichnen (Alternative Modelle)?

E. Sind extremistische Positionen wirklich die extreme Form einer linken oder rechten Gesinnung (Extremismusforschung)?

F. Welche politischen Gegensätze sind für eine vereinfachte Bezeichung tatsächlich relevant?

G. Gibt es eine politische Mitte oder ist das nur ein Wahlkampfbegriff?


Natürlich werden wir hier kein Ergebnis erarbeiten. Es geht - wie immer - nur um einen Meinungs- und Gedankenaustausch.
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Simia

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Re: Links und Rechts
« Antwort #1 am: 14 Oktober 2010, 15:08:08 »

Ein sehr interessantes Thema, und vielleicht die "Gretchenfrage" im Bezug auf etliche andere Threads. Nun packen wir mal das Fundament an. ;)

Ich beginne mal damit

Zitat
1. Sind die Begriffe Links und Rechts (gegenwärtig) noch geeignet, um politische Positionen verständlich und zutreffend zu beschreiben oder sollte man neue Sammelbegriffe entwerfen?

Das Wertedreieck bei einem Deiner Links halte ich für ganz praktisch. Denn die Position der "Freiheit" kommt gern mal unter die Räder. Z. B. bezeichnen sich viele (gerade Jugendliche) "irgendwie" als "links", pflegen aber einfach nur einen locker-chilligen Lebensstil, in dem jeder theoretisch alle Freiheiten (sic!) hat und der sicher in weiten Teilen durch die 68er ermöglicht wurde, allerdings fehlen dann gern mal "typisch linke Charakteristika" wie z.B. Engagement. In Wirklichkeit also eher "freiheitlich" (oder aber unpolitisch, wenn man das in der Wertung auch zulässt).

Sinnvoll finde ich in vielerlei Hinsicht auch die Unterscheidung zwischen kollektivistisch und individualistisch. In erstere "Schublade" passen dann konservative wie auch sozialistische Positionen, während die andere liberale, libertäre und anarchistische Ansätze vereinigt (und beide Varianten würden im Links-Rechts-Schema nicht funktionieren). Also auf Deutsch gesagt "viel Staat vs. wenig Staat". Allerdings wäre das auch wieder nur ein Modell, das nicht den Anspruch auf hunderprozentige Realitätstauglichkeit erheben kann.

Zitat
C. Macht es noch Sinn, seine eigene politische Position als links oder rechts zu bezeichnen?

Ich versuche mittlerweile, das von dem einzelnen Thema abhängig zu machen. Dementsprechend kann ich gar nicht sagen, ob ich "links" oder "rechts" bin. Ich bevorzuge mal ganz allgemein formuliert eine Gesellschaftsordnung, in der jedem gezeigt wird, wie man angelt, anstatt ihm jeden Tag Fisch hinzulegen. Allerdings bin ich auch nicht so naiv, zu übersehen, dass manche Menschen aus welchen Gründen auch immer nie angeln werden können bzw. mehr Vorbereitung brauchen als andere. Links oder rechts, das kommt dann eben auf die einzelnen Fragen (bzw. Antworten) an und manchmal entziehen die sich wahrscheinlich auch einem solchen Schema.

Was die demokratischen Parteien angeht, da haben so viele Leute mitzuentscheiden (und nicht nur aus den eigenen Reihen ...), dass es schwer wird, ein langfristig gültiges Etikett bereitzuhalten. Davon abgesehen, dass der Machterhalt Menschen ja bekanntlich viele alte Einstellungen über Bord werfen lässt.
« Letzte Änderung: 14 Oktober 2010, 23:54:01 von Simia »
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Re: Links und Rechts
« Antwort #2 am: 14 Oktober 2010, 18:19:57 »

Mir stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die links<->rechts Dichotomie überhaupt geeignet ist, eine Position im politischen Spektrum vereinfachend zu bestimmen. Ist eine politische Position immer eine Position zwischen 2 gegensätzlichen Extremen? Falls ja, wäre konservativ<->egalitär ein sehr schlechtes Beispiel, da konservativ sicher nicht das Gegenteil von egalitär ist. Richtiger wäre progressiv<->konservativ bzw. egalitär<->antiegalitär.
Bei der NPD als extremen Pol auf der rechten Seite fällt es mir auch schwer, etwas Konservatives zu entdecken. Auf der linken Seite kommt das dann mit dem extremen Egalitarismus schon eher hin. Nur was nützt eine bipolare Begriffsbestimmung, wenn sie nur auf einer Seite passt? Hinzu kommt für mich die Frage, ob eine extremistische Partei, die die Systemfrage stellt, tatsächlich eine extremere Form einer demokratischen Partei sein kann, wie es die rechts<->links Dichotomie (das Hufeisenmodell) nahelegt.  

Es gibt bessere Dyaden als links<->rechts. Beispielsweise die von Simia genannte: kollektivistisch<->individualistisch. Dies sind tatsächlich gegensätzliche Pole einer politischen Dimension. Aber auch diese Vereinfachung trifft (wie ebenfalls von Simia erkannt) schnell auf ihre Grenzen, da politische Positionen von Parteien für eine einfache bipolare Beschreibung zu komplex sind. Hier würde man vermutlich ein Dutzend Dimensionen mit einem Ausschlag in eine bestimmte Richtung identifizieren. Eine einfache bipolare Positionsbestimmung funktioniert vermutlich wirklich nur noch bei einzelnen Detailthemen.

Andere denkbare bipolare Dimensionen wären z.B.:
religiös - weltlich
rechtsstaatlich - anarchistisch
demokratisch - autoritär
marktwitschaftlich - zentral gelenkte Wirtschaft
konservativ - progressiv
nationale Isolation - internationale Integration
realpolitisch - utopisch
ausgrenzend - integrierend
modern - traditionell
...



Man kann sich natürlich von dieser enggefassten Definition von rechts und links (rechts = konservativ; links = egalitär) lösen und sich auf den Standpunkt stellen, dass beide Pole allgemeine Sammelbegriffe für bestimmte Positionen seien, mit denen jeder Diskussionsteilnehmer etwas anfangen könne. Diese allgemein gültigen Deutungen von rechts und links gibt es aber nicht. In einer aktuellen Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Rechtsextremismus spricht man von allein 37 verschiedenen Definitionen von Rechtsextremismus in der Rechtsextremismusforschung. Über eine umständliche und wenig überzeugende Kette an Begriffsdefinitionen begründen die Verfasser der Studie dann noch, warum man Extremismus unbedingt in Linksextremismus und Rechtsextremismus unterscheiden muß (Grund: damit man Linksextremismus ignorieren kann). Diese werden nämlich von führenden Extremismusforschern als 2 Varianten eines Phänomens gesehen. Eigentlich geht es in der Studie im Kern um Ausländerfeindlichkeit, Intoleranz und den Wunsch nach einem starken Staat, die man aber einfach mal als das Hauptmerkmal des Rechtsextremismus definiert hat (ich könnte mindenstens 2 der Merkmale auch mit Linksextremismus verbinden). Somit ist das dramatische und medienwirksame Ergebnis der Studie auch gar nicht überraschend: Sehr viele gemäßigte Bürger, besonders ältere, vertreten rechtsextreme Positionen. Na, das ist ja ganz im Sinne des Auftraggebers. *Mülltonne auf - Studie reingeschmissen - Mülltonne zu*.

Die Beliebigkeit der Definition von links und rechts in der Wissenschaft, in den Medien und in der Politik ist vermutlich eines der größten Probleme bei der Verwendung dieser Begriffe. Sie werden nicht selten mißbraucht, um den politischen Gegner zu diffamieren oder die eigene Position als die Meinung der Mehrheit (die angebliche Mitte) darzustellen. Es sind schwammige Begriffe unter denen sich viele Menschen etwas unterschiedliches vorstellen.
« Letzte Änderung: 14 Oktober 2010, 18:22:37 von Spambot »
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colourize

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Re: Links und Rechts
« Antwort #3 am: 14 Oktober 2010, 19:41:18 »

Natürlich ist das Rechts-Links-Schema eine starke Vereinfachung einer - logischer Weise bei all den verschiedenen Politikfeldern und politischen Rahmenideen - viel komplexeren Wirklichkeit. Im Wissen um diese Tatsache spricht nichts dagegen, immer dann solche stark reduzierenden Modelle zu verwenden, wenn etwa die Zeit für längere bzw. ausführliche Erklärungen nicht gegeben ist oder aber eine starke Vereinfachung in dem jeweiligen Kontext angemessen ist.

Beispiel: Wenn nach einer Wahl über mögliche Koalitionen der politischen Parteien spekuliert wird, dürfe eine flache "links-rechts-Denke" ausreichen, um eine Koalition zwischen der LINKE und der CDU auszuschließen, auch wenn diese ausgehend vom Wahlergebnis rechnerisch möglich wäre. Komplexere Erklärungsschemata, warum diese beiden Parteien nicht miteinander koalieren werden, wären an dieser Stelle dann einfach unangebracht, weil die Gegensätze der beiden Parteien einfach zu eklatant sind.
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messie

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Re: Links und Rechts
« Antwort #4 am: 14 Oktober 2010, 19:46:10 »

Zitat
Beispiel: Wenn nach einer Wahl über mögliche Koalitionen der politischen Parteien spekuliert wird, dürfe eine flache "links-rechts-Denke" ausreichen, um eine Koalition zwischen der LINKE und der CDU auszuschließen, auch wenn diese ausgehend vom Wahlergebnis rechnerisch möglich wäre. Komplexere Erklärungsschemata, warum diese beiden Parteien nicht miteinander koalieren werden, wären an dieser Stelle dann einfach unangebracht, weil die Gegensätze der beiden Parteien einfach zu eklatant sind.

Wenn man dem Schema verhaftet wäre, hätte aber auch nie im Leben in Hamburg eine Koalition zwischen der CDU und den Grünen zustandekommen dürfen.

Hmmm ... ok, ist sie ja auch nicht  ;D - die CDU regiert alleine, und die Grünen dürfen so tun, als dürften sie mitmachen.  :D
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colourize

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Re: Links und Rechts
« Antwort #5 am: 14 Oktober 2010, 20:19:40 »

Kommt drauf an, wo man die Hamburger Grünen im politischen Spektrum so ansiedelt. ;)

Davon ab waren die Koalitionsverhandlungen auch nicht so ganz leicht, aber offenbar gab es mehr Gemeinsamkeiten zwischen CDU und GAL als zwischen CDU und SPD. Was mich bei den Hamburger Grünen aber auch nicht wundert.
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Kallisti

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Re: Links und Rechts
« Antwort #6 am: 15 Oktober 2010, 02:00:10 »

Zitat
1. Sind die Begriffe Links und Rechts (gegenwärtig) noch geeignet, um politische Positionen verständlich und zutreffend zu beschreiben oder sollte man neue Sammelbegriffe entwerfen?


mögliche Sekundärfragen:

A. Was ist die politische Linke oder Rechte in der Gegenwart?

B. Lassen sich demokratische Parteien (in Deutschland) heute noch sinnvoll in links und rechts unterscheiden?

C. Macht es noch Sinn, seine eigene politische Position als links oder rechts zu bezeichnen?

D. Gibt es bessere Sammelbegriffe, um politische Positionen verständlich zu bezeichnen (Alternative Modelle)?

E. Sind extremistische Positionen wirklich die extreme Form einer linken oder rechten Gesinnung (Extremismusforschung)?

F. Welche politischen Gegensätze sind für eine vereinfachte Bezeichung tatsächlich relevant?

G. Gibt es eine politische Mitte oder ist das nur ein Wahlkampfbegriff?
(Spambot)



... Ich frage jetzt mal ganz naiv (Anmerkung: ausdrücklich: nicht provozierend!):


Ist alles das (diese Einteilung(en)/Zuordnungen für mich als Bürgerin, als Person von Belang? Wenn ja - wofür, warum? - Ist nicht "der (politische) Inhalt" das, worüber man sich Gedanken machen, womit man sich auseinandersetzen sollte (möchte)? Welchen Vorteil bzw. Nutzen bzw. Relevanz bringen die Zuordnungen (in "links", "rechts" o.a.) für die "Staatsbürger" oder Einwohner einer Stadt/eines Bundeslandes ... ? Sind sie (für diese) notwendig - wofür?

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Re: Links und Rechts
« Antwort #7 am: 15 Oktober 2010, 10:41:12 »

Wie colourize auch schon betonte, ist das links-rechts-Modell eine starke Vereinfachung, die in er Kommunikation eine schnelle Orientierung erlauben soll. Also wenn ich keine Zeit habe jemandem, sagen wir mal in mindestens 30 Minuten, alle meine politischen Standpunkte vorzutragen (was eh keiner hören will), kann ich nach dem Modell (es heisst eigentlich: Hufeisenmodell) auch einfach sagen, dass ich links oder rechts bin. In den Massenmedien ist dieses Modell sehr gut etabliert, so dass wir jeden Tag damit konfrontiert werden. Leider kann das Modell immer weniger politische Inhalte repräsentieren.
Die Schwächen des Modells sind so drastisch, dass links und rechts oftmals zu reinen Phrasen geworden sind. Zudem wird die geringe Aussagekraft der Begriffe gerne von politischen Akteuren zur Täuschung und Manipulation der Wähler genutzt. Dies liegt nicht nur an der (1) Beliebigkeit der Definition von links und rechts, sondern auch an der (2) einachsigen Konstruktion des Modells.

Auf den ersten Blick funktioniert das Modell zumindest für den Begriff links, da sich sowohl die SPD als auch Die Linke als linke Parteien bezeichenen (die SPD erst wieder seit dem Hamburger Programm von 2007). Hier ist das Definitionproblem etwas geringer vorhanden, dafür schlägt die Schwäche durch die einachsige Konstruktion durch. Wenn sich jemand als links bezeichnet, kann man ungefähr erahnen, dass die Person für eine starke Regulierung der Wirtschaft, einen starken Staat und das Dogma der Chancengleichheit steht (Mittel zur Durchsetzung des egalitären Standpunktes). Unklar bleibt jedoch, ob diese Ziele innerhalb der vorhandenen demokratischen Ordnung erreicht werden sollen, da sich kaum jemand freiwillig selbst als linksextrem bezeichnen wird.
Die Schwächen des Modells werden eigentlich erst ab dem realpolitischen/konservativen Flügel (Seeheimer Kreis: Gabriel, Schröder etc.) der SPD und allem was als rechts davon gilt deutlich. Grüne und FDP lassen sich nach dem Modell gar nicht zuordnen. Die Unionsparteien (nach dem Modell) gelten genauso als rechts der nicht vorhandenen Mitte, wie die NPD, obwohl es inhaltlich erhebliche Widersprüche gibt. Kein Wunder also, dass sowohl SPD als auch CDU in der Vergangenheit versucht haben, eine "Mitte" zu erfinden, um das links-rechts-Modell auszuhebeln. Kein Anhänger der Union wird sich als rechts bezeichnen, wenn rechts auch für die NPD stehen kann.

Daher bin ich der Meinung, dass man entweder auf das links-rechts-Modell in der Kommunikation verzichtet oder aber ein besseres Modell der Vereinfachung entwickelt und etabliert. Die bisher vorgeschlagenen alternativen Modelle (Wertedreieck oder politischer Kompass, s.o.) konnten mich nicht überzeugen.



 
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Kallisti

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Re: Links und Rechts
« Antwort #8 am: 15 Oktober 2010, 11:10:29 »

Lieber Spambot :)


... das ist sehr nett, dass du das nun nochmal erläutert hast, aber hatte das oben auch schon (so) verstanden. ;)

Zitat
Die Schwächen des Modells sind so drastisch, dass links und rechts oftmals zu reinen Phrasen geworden sind. Zudem wird die geringe Aussagekraft der Begriffe gerne von politischen Akteuren zur Täuschung und Manipulation der Wähler genutzt. Dies liegt nicht nur an der (1) Beliebigkeit der Definition von links und rechts, sondern auch an der (2) einachsigen Konstruktion des Modells.
(Spambot)

und

Zitat
Daher bin ich der Meinung, dass man entweder auf das links-rechts-Modell in der Kommunikation verzichtet (...)
(Spambot)

eben drum fragte ich (danach) auch. ;)


Es taugt (wenn überhaupt ja also) im Grunde (für Normalsterbliche) dann doch nur dafür :

Zitat
(...) ist das links-rechts-Modell eine starke Vereinfachung, die in er Kommunikation eine schnelle Orientierung erlauben soll. Also wenn ich keine Zeit habe jemandem, sagen wir mal in mindestens 30 Minuten, alle meine politischen Standpunkte vorzutragen (was eh keiner hören will), kann ich nach dem Modell (es heisst eigentlich: Hufeisenmodell) auch einfach sagen, dass ich links oder rechts bin.
(Spambot)


Und hat also sonst keinen darüber hinaus gehenden Nutzen, keine Relevanz (für "Bürger"). ?

Alles andere ist ja doch eher gemünzt auf/als "Handwerkszeug" (bzw. Mund-Werk(s)zeug ;) ) für Personen des politischen öffentlichen Lebens ("Politiker").  ?

(Das wollte ich nur wissen.)





Ganz kleine Bemerkung: So würde ich mir das wünschen -> was Kommunikations-Umgangsformen im Forum betrifft. Spambot ist da wirklich vorbildlich. (Noch? ;) )


:)
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Simia

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Re: Links und Rechts
« Antwort #9 am: 15 Oktober 2010, 11:37:08 »

Auf den ersten Blick funktioniert das Modell zumindest für den Begriff links, da sich sowohl die SPD als auch Die Linke als linke Parteien bezeichenen (die SPD erst wieder seit dem Hamburger Programm von 2007). Hier ist das Definitionproblem etwas geringer vorhanden, dafür schlägt die Schwäche durch die einachsige Konstruktion durch. Wenn sich jemand als links bezeichnet, kann man ungefähr erahnen, dass die Person für eine starke Regulierung der Wirtschaft, einen starken Staat und das Dogma der Chancengleichheit steht (Mittel zur Durchsetzung des egalitären Standpunktes). Unklar bleibt jedoch, ob diese Ziele innerhalb der vorhandenen demokratischen Ordnung erreicht werden sollen, da sich kaum jemand freiwillig selbst als linksextrem bezeichnen wird.
Die Schwächen des Modells werden eigentlich erst ab dem realpolitischen/konservativen Flügel (Seeheimer Kreis: Gabriel, Schröder etc.) der SPD und allem was als rechts davon gilt deutlich. Grüne und FDP lassen sich nach dem Modell gar nicht zuordnen. Die Unionsparteien (nach dem Modell) gelten genauso als rechts der nicht vorhandenen Mitte, wie die NPD, obwohl es inhaltlich erhebliche Widersprüche gibt. Kein Wunder also, dass sowohl SPD als auch CDU in der Vergangenheit versucht haben, eine "Mitte" zu erfinden, um das links-rechts-Modell auszuhebeln. Kein Anhänger der Union wird sich als rechts bezeichnen, wenn rechts auch für die NPD stehen kann.

Stimmt irgendwie schon, man kann ahnen, wohin der Hase läuft, wenn er nach links läuft. Allerdings ist die linke Ecke auch nicht so homogen. Kommunisten sind per definitionem "linksextrem", weil sie sich gegen die sogen. "freiheitlich demokratische Grundordnung" wenden, Sozialdemokraten verbinden beides. Und sowohl "Anarchos" als auch Maoisten, Stalinisten & Co. werden dem "linken Lager" zugeschoben, können miteinander aber wohl nicht viel anfangen.

Und im "rechten Lager" hat man dazugelernt. Kann schon sein, dass man sich in der CDU oft nicht als "rechts" bezeichnen mag, wenn die NPD es auch ist. Aber Letztere bzw. ihre Gesinnungskameraden wildern heftig im konservativen Bereich und es funktioniert (Junge Freiheit, Blaue Narzisse etc.). Die "Neue Rechte" versucht die Positionen zu verbinden und der Bezugspunkte sind nicht wenige. Eine konservative Einstellung ist denen ja nicht wirklich fremd (auch wenn das wie gesagt andersrum nicht immer so flutscht).

Edit: Wobei ich auch sagen muss, dass die konservativen Grundpfeiler, besonders der starke Staat und Traditionalismus, auch nicht von allen "extremen Rechten" akzeptiert werden. Richtig verworren wird's mit unserem schönen Schema nämlich bei den "Nationalrevolutionären" bzw. "Nationalanarchisten", der anderen Fraktion der "Neuen Rechten". Gerade Letztere kommen mit ihrer Ablehnung von Totalitarismus, Führerkult, Hierarchien und gesellschaftlichen Zwängen und mit Vorstellungen einer stark dezentralen Gesellschafts(un)ordnung anarchistischer Prägung und Verwendung/Umdeutung "linksanarchistischer" Symbole etc. ziemlich aus dem rechten Klischee raus, ticken aber dennoch einschlägig (rassistisch bzw. "ethnopluralistisch"). Es zeigt recht deutlich, dass das Schema wirklich eindimensional ist und aus verschiedenen Elementen besteht, die sich anscheinend auch übergreifend kombinieren lassen.

Andererseits ist "Querfront" nun auch nicht so neu.
« Letzte Änderung: 15 Oktober 2010, 18:11:53 von Simia »
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Re: Links und Rechts
« Antwort #10 am: 18 Oktober 2010, 13:39:28 »

Den Konservativen würde ich nicht zwingend den Wunsch nach einem starken Staat unterstellen. Eher den starken Rechtsstaat als Hüter der bestehenden Ordnung. Erst wenn der Staat eine starke Umerverteilungs- und Regulierungsrolle bekommt (typisch z.B. bei egalitären Ansätzen oder Ökoregulierung) entsteht der Wasserkopf.
Die Neuausrichtung von Teilen der rechtsextremistischen Szene unter Verwendung von linksextremistischen Symbolen und Parolen wird regelmäßig von der Extremismusforschung als Indiz bewertet, dass Extremismus ein einziges Phänomen ist, dass in verschiedenen (stark unterschiedlichen) Varianten vorkommt. Es gibt beispielsweise Untersuchungen, die zeigen, dass Anhänger von Die Linke besonders oft Vorstellungen von der Gesellschaft haben, die in ihrer Struktur mit typisch rechtsextremen Vorstellung übereinstimmen. Die oben von mir zitierte Studie der FES kommt beispielsweise zu diesem Schluss. Man darf bei der Studie aber nicht vergessen, dass sie aus dem Umfeld der sog. Rechtsextremismusforschung kommt, einer politisch einseitigen Perspektive der Extremismusforschung. Der Auftraggeber der Studie hat zudem ein Interesse an der Diskreditierung der politischen Gegner und ihrer Anhänger.
Nicht nur die Nähe mancher Positionen und Grundeinstellungen von Links- und Rechtsextremisten zeigt die erheblichen Schwächen des Hufeisenmodells (eindimensionales rechts-links Schema) bei der vereinfachten Erklärung von politischen Positionen im politischen Spektrum. Auch die drastischen Unterschiede zwischen zwei extremen Positionen auf der gleichen Seite des Modells werden ignoriert. Gemeint sind Anarchismus und Marxismus, wie sie Simia schon genannt hatte. Beides sind utopisch-egalitäre Modelle, die auf eine Abschaffung des Grundrechts auf Besitz zielen. Am Ende soll es bei beiden zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft kommen. Es werden nur völlig unterschiedliches Wege eingeschlagen. Der Anarchismus in seiner Urform (aber auch die meisten Varianten) ist eine extreme Form des Liberalismus und betont die Individualität und die Rechte des Einzelnen. Der Marxismus, insbesondere der Kommunismus als spätere Idee zur Umsetzung, hingegen betont das Kollektiv und schreckt auch nicht vor einer (zumindest temporären) Unterjochung des Individuums zum Wohle des Kollektivs zurück. Daher würde ich den Anarchismus grundsätzlich als liberal-egalitäre und den Marxismus als prinzipiell autoritär-egalitäre Utopie bezeichnen. Das beide Positionen im Sprachgebrauch den gleichen Platz auf dem Hufeiesen haben, ist einfach absurd.

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Re: Links und Rechts
« Antwort #11 am: 18 Oktober 2010, 23:04:22 »

Gleich voran: Ich bin völlig blöde, was Politik angeht, dass ich mich eigentlich schon mal preemtiv in den Boden schämen müsste.
Trotzdem geh ich mal auf die Fragen ein.

1. Sind die Begriffe Links und Rechts (gegenwärtig) noch geeignet, um politische Positionen verständlich und zutreffend zu beschreiben oder sollte man neue Sammelbegriffe entwerfen?
Ich glaube, "links" und "rechts" sind am ehesten noch in den Extremen erkennbar, also bei den sog. Links- oder Rechtsradikalen. Da diese aber teilweise am Rande der Unzurechnungsfähigkeit agieren ist es schwierig, da überhaupt noch politische Beweggründe zu unterstellen

A. Was ist die politische Linke oder Rechte in der Gegenwart?
Das weiß ich leider auch nicht so genau. Ehrlich gesagt hatte ich bisher immer nur so eine art "Ahnung". z.B. aus dem Schulunterricht und den Medien: "Rechts ist immer schlecht. Nazis sind alle Rechts. Demonstrieren gegen Rechts. Rechtes Gedankengut. Rechte Gewalt". Daher erst mal die naive Vorprägung, dass alles, was rechts ist, schlecht ist. Und demensprechend, indirekt, alles linke gut ist. Manchmal glaube ich, man hat uns ein ganz bisschen verarscht, denn eine Erklärung, warum das eine überhaupt "Links" oder "Rechts" genannt wurde und was dahinter steckt, blieb bis zum Ende aus.

B. Lassen sich demokratische Parteien (in Deutschland) heute noch sinnvoll in links und rechts unterscheiden?
Teilweise ja. "Die Linken" oder die CSU empfinde ich noch als klassisch links und rechts. Wie gesagt, ich empfinde das so, denn um sie genauer einzuordnen, kenne ich mich in Politik nicht so gut aus.

C. Macht es noch Sinn, seine eigene politische Position als links oder rechts zu bezeichnen?
Ist nicht einfach. Ich stelle fest, dass einige meiner eigenen Positionen in ein klassisch "Linkes" Muster passen (z.B. bin ich dafür, alles, was mit der Grundversorgung des Menschen zu tun hat durch den Staat betreiben zu lassen), anderes vielleicht eher "rechts". Ich würde mich durchaus als "Liberal" bezeichnen.

D. Gibt es bessere Sammelbegriffe, um politische Positionen verständlich zu bezeichnen (Alternative Modelle)?
Vielleicht demokratisch/undemokratisch oder nationalistisch oder eben liberal, wirtschaftlich orientiert vs. umweltorientiert, proletarisch, oberschichtenorientiert. Und am Ende eine Kombination dieser Merkmale. Eine eindimensionale Skala von a nach b reicht da nicht mehr aus.

E. Sind extremistische Positionen wirklich die extreme Form einer linken oder rechten Gesinnung (Extremismusforschung)?
Nicht immer. Man wirft der FDP vor, "Marktradikal" zu sein, also eine Marktwirtschaft in einer sehr extremen Form zu befürworten.
Den Grünen wird oft der Vorwurf gemacht, extrem wirtschaftsfeindlich zu sein, also eine art Öko-Extremismus. Ein entspr. Fall wäre z.B. einen Umgehungstunnel für 10 mio. Euro zu bauen, um eine Population von 1000 Kröten zu schützen. Also 10.000 Euro pro Kröte. Das ist ... ob man es gut findet oder nicht, extrem.

F. Welche politischen Gegensätze sind für eine vereinfachte Bezeichung tatsächlich relevant?
...verschwimmt jetzt mit der Antwort auf D. Wobei ich bei D keine tatsächlichen Sammelbegriffe genannt habe, aber eben die Gegensätze aufgezählt habe.

G. Gibt es eine politische Mitte oder ist das nur ein Wahlkampfbegriff?
Och dieses ganze Wischiwaschi der "Volksparteien" ist schon ziemlich mittelmäßig :P</polemik>
Da fehlt mir die politische Erfahrung. Jemand, der die Parteienlandschaft schon über viele Jahre beobachtet hat, wird sicher sagen können, welche Parteien, wenn, in die Mitte bewegt haben oder aus ihr kommen.
« Letzte Änderung: 18 Oktober 2010, 23:08:17 von K-Ninchen »
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Im Falle eines Missverständnisses:
Ich bin zutiefst bösartig und hinterhältig (kein Wunder bei dem Sternzeichen) und habe grundsätzlich niedere Beweggründe für fast alles.

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Re: Links und Rechts
« Antwort #12 am: 20 Oktober 2010, 22:41:09 »


Das mit der liberalen/libertaristischen Verortung des Anarchismus sehe ich ähnlich. Allerdings noch einige Worte zum Konservativismus

Den Konservativen würde ich nicht zwingend den Wunsch nach einem starken Staat unterstellen. Eher den starken Rechtsstaat als Hüter der bestehenden Ordnung. Erst wenn der Staat eine starke Umerverteilungs- und Regulierungsrolle bekommt (typisch z.B. bei egalitären Ansätzen oder Ökoregulierung) entsteht der Wasserkopf.

Ich würd das gar nicht so klein aufhängen, dass der Staat bei den Konservativen - gerade hinsichtlich Ordnung und Sicherheit - eine besondere Rolle spielt. Denn nur eine Gemeinschaft kann so etwas garantieren (und das muss nicht zwingend ein Rechtsstaat sein). Zumal der starke Staat nicht unbedingt ein bürokratischer Wasserkopf sein muss - wo sich mir im Gegenteil sogar die spannende Frage stellt, ob ein solcher Staat wirklich noch "stark" ist.

Konservativ ist allerdings auch nicht gleich konservativ. Da ist einerseits dieses diffuse kleinbürgerlich-sicherheitsorientierte Bauchgefühl, dann die christlich-abendländische Linie (die z.B. CDU und Zentrumspartei etc. fahren) und schließlich die davon in wesentlichen Punkten (z.B. der Rolle christlicher Werte) abweichende Konservative Revolution.

Last not least pflegen die Amis einen fast gegenteiligen Konservativismus, der tatsächlich das Individuum vor den Staat stellt. Ansonsten tickt "der Konservativismus an sich" aber übergreifend durchaus staatsgläubig und auch hierarchisch, also antiegalitär, wie es z.B. das Gedankengebäude des Staatsphilosophen Carl Schmitt zeigt (der vor und während des NS eine große Rolle spielte, aber auch in den ersten Jahren der BRD Einfluss hatte und damit eines der prägnantesten Bindeglieder zwischen den "rechten Positionen" darstellt). Für ihn stand die Ordnung über den individuellen Interessen des Einzelnen bzw. sah er durch den "Pluralismus partikularer Interessen" (wie z.B. in der Demokratie) die Ordnung gefährdet. Zwar sah sich Schmitt selber angeblich nie als Konservativen, gab der "konservativen Sache" aber richtig Struktur und Aufwind (Schmitt verhält sich zum Konservativismus anscheinend so wie die Sisters oder The Cure zur Gothic-Szene ;)). Auch sein geistiger Erbe Otto Depenheuer sei genannt, der mit seinen Vorstellungen eines Bürgeropfers klassische konservative Positionen vertritt. Es schwingt zwischen den Zeilen auch immer mit, dass der Staat nicht zwingend ein Rechtsstaat sein muss.

Folgendes Zitat finde ich auch ganz passend:

Konservative Revolution nennen wir die Wiedereinsetzung aller jener elementaren Gesetze und Werte, ohne welche der Mensch den Zusammenhang mit der Natur und mit Gott verliert und keine wahre Ordnung aufbauen kann. An Stelle der Gleichheit tritt die innere Wertigkeit, an Stelle der sozialen Gesinnung der gerechte Einbau in die gestufte Gesellschaft, … (Edgar Julius Jung)

Ich wage es nun mal, Alain de Benoist zu zitieren, die Galionsfigur der "Neuen Rechten". Das Zitat verdeutlicht ganz gut die Spanne zwischen "rechtem Selbstverständnis" einerseits und besagter Beliebigkeit des Begriffes "rechts" andererseits. Und dass es sich sehr wohl mit "konservativ" nach o. g. Senf deckt.

Ich nenne hier - aus reiner Konvention - die Haltung rechts, die darin besteht, die Vielgestaltigkeit der Welt und folglich die relativen Ungleichheiten, die ihr notwendiges Ergebnis sind, als ein Gut und die fortschreitende Vereinheitlichung der Welt, die durch den Diskurs der egalitären Ideologie der seit zweitausend Jahren gepredigt und verwirklicht wird, als ein Übel anzusehen.
(Alain de Benoist)

Hui, die "konservative Randnotiz" wurd doch länger als ich dachte ... ;)

Was die Extremisten als ein einziges Phänomen angeht, so gibt es IMHO (unabhängig von rechts und links) zwei "Hauptrichtungen": die "Berufsradikalen", die nicht unbedingt in ihrer Ecke stehenbleiben, sondern sich vielleicht auch mal hier und mal dort umschauen (sozusagen "Transit-Extremisten" ;D), und diejenigen, die eine wirkliche Einstellung haben und sich irgendwann radikalisieren. Bei den einen steht das "Dagegen" im Vordergrund, bei den anderen irgendein Ideal. Beide Ausprägungen finden sich in jeder politischen/gesellschaftlichen "radikalen" Ecke.
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Re: Links und Rechts
« Antwort #13 am: 21 Oktober 2010, 12:35:33 »

@ Simia:
Ich bin mir nicht sicher, ob man Konservatismus hauptsächlich als eine Tendenz zum Kollektivismus sehen sollte. Gemäßigte konservative Positionen in Deutschland umfassen gewöhnlich auch liberale und teilweise sogar tendenziell egalitäre Positionen. Diese Vermischung von liberalen, egalitären und konservativen Positionen findet man eigentlich in allen gemäßigten Parteien (Grüne, FDP, Union, SPD).
Vermutlich trifft es auf einen großen Teil des "rechten" Spektrums zu, dass kollektivistische, staatsautoritäre und ausgrenzende Positionen eingenommen werden. Allerdings trifft dies auch auf große Teile des "linken" Spektrums zu.
Das Hauptproblem bei diesen Vereinfachungen sehe ich darin, dass bestimmte politische Positionen zwar typisch für eine politische Richtung (Richtung impliziert mal wieder das Hufeisenmodell) sind, aber andererseits diese politischen Positionen nicht zwingend eine Zuordnung zu einer politischen Gruppierung bedeuten. Beispiel: Rassismus ist typisch für rechtsextreme Positionen - fremdenfeindliche Äußerungen bedeuten aber nicht zwingend, dass eine Person rechtsextrem ist. Beispiel 2: Jemand setzt sich für eine Vermögenssteuer ein (Einschränkung des Grundrechts auf Besitz) - muss diese Person linksradikal sein?

K-Ninchen hat in ihrem Post, wie ich finde, ein paar sehr wichtige Anmerkungen gemacht. Medien, Schulunterricht und andere Formen der Kommunikation nutzen das Links-Rechts-Modell, um Zusammenhänge zu vermitteln, die es nicht unbedingt gibt. Rechts ist nicht zwingend das Gegenteil von links (und umgekehrt). Hinzu kommt, dass die Komplexität des politischen Spektrums mit einer unübersichtlichen Vielzahl an politischen Positionen dazu führt, dass viele Menschen Fragmente dieser Positionen zu einer eigenen politischen Position zusammen puzzeln und diese politische Position dann möglicherweise widersprüchliche Elemente enthält. Hier würde ich mir von unseren Parteien und den Medien eine faire und sachliche Aufklärung über Hintergründe und Begründungen wünschen. Eine Demokratie lebt vom mündigen Bürger. Stattdessen werden eigene Positionen auf Parolen reduziert und gegenerische politische Positionen mit Propaganda diffamiert. Dieses Spielchen betreiben nicht nur die extremen Parteien und die Regenbogenpresse.
Die regelmäßige Verwendung des unbrauchbaren links-rechts-Modells in der öffentlichen politischen Diskussion ist für mich ein Indiz, dass die beteiligten Akteure kein oder nur wenig Interesse am politisch mündigen Bürger haben. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch beachten, dass ein großer Teil der Bevölkerung kein Interesse hat, sich genauer mit politischen Positionen auseinander zu setzen. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender setzen eher auf Sensationen und Meinungsmache, denn auf sachliche Hintergrundinformationen.

Diese Überlegungen führen mich zurück zum Anlass für diesen Thread. Eine Freundin bezeichnete sich mir gegenüber als links und vertrat gleichzeitig Positionen zur Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig wurden liberale Positionen als rechts bezeichnet. Sie müssten ja rechts sein, da sie nicht links sind. Inwieweit sie tatsächlich egalitäre Positionen vertritt, habe ich dann gar nicht mehr nachgefragt.
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K-Ninchen

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Re: Links und Rechts
« Antwort #14 am: 21 Oktober 2010, 15:38:08 »

Was mir auch immer wieder auffällt ist ja auch der große Unterschied zwischen Theorie und Praxis bei den Parteien. z.B. gibt es da so eine gewisse Partei, deren Ideen und Grundwerte eigentlich ziemlich mit meinen eigenen übereinstimmen und deren Programm mir auch größtenteils ziemlich zusagt.
Leider musste ich dann feststellen, dass später in der Praxis diese Partei fast gegenteilig zu diesen Grundwerten, für die sie eigentlich steht, handelt.
Also jeder Bürger, der eigentlich, so wie ich, nur ein laienhaftes Verständnis von Politik hat, gerät ja spätestens dann in eine leicht politikverdrossene Haltung, wenn er feststellt, dass es am Ende vielleicht sogar "scheißegal" ist, wen man wählt, weil in der Praxis vieles ganz anders aussieht, manchmal sogar sich ins Gegenteil wandelt.
Und diese Diskrepanz ist nicht einfach nur zu beschreiben durch "kleine Kompromisse", sondern einem völlig anderen, fast gegenteiligen Kurs und ganz großer Murkserei.
Der Normalbürger versteht natürlich auch nicht unbedingt, wie kompliziert diese ganzen politischen Abläufe funktionieren, wer alles Einfluss darauf hat, wie die Gesetzeslage da aussieht usw.
Und weil das so komplex ist, winken viele schon ab und lassen sich spätestens ab dann nur noch durch emotionale Signale lenken und wählen eine Partei, weil sie die irgendwie gut finden. z.B. die SPD weil "die sind irgendwie sozial und so. Und sozial ist ja auch total gut." oder CDU weil "Die sorgen endlich mal für Recht und Ordnung und davon gibts ja immer weniger", mal ganz vereinfacht ausgedrückt. Viel mehr ist das oft gar nicht! Manchmal reicht sogar eine einfache Schlagzeile in der Bild, damit sich so eine Entscheidung bildet oder verfestigt.
Und daher dann auch das vereinfachte Bild von "Links" und "Rechts". Kaum jemand, der sich nicht aktiv mit Politik auseinandersetzt, wird den Unterschied genau beschreiben können, da gibt es eigentlich nur Haufenweise Klischees.
Politik ist für viele auch sehr schwere Kost, daher wird es den "politisch mündigen Bürger" als große Bevölkerungsschicht wahrscheinlich nie geben. Denn um die Zusammenhänge wirklich zu verstehen ist ein großer Lernaufwand notwendig. Und wenn es dann auch noch in der Praxis völlig daneben läuft, ist das nicht gerade motivierend.
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Im Falle eines Missverständnisses:
Ich bin zutiefst bösartig und hinterhältig (kein Wunder bei dem Sternzeichen) und habe grundsätzlich niedere Beweggründe für fast alles.