Okay, ich versuch's ein letztes Mal, denn es läßt mich einfach nicht los. Zuerst einmal sei aus dem "Wörterbuch der philosophischen Begriffe" folgendes zitiert:
Sein-Sollen-Dichotomie, auf D. Hume zurückgehende Auffassung, wonach der Übergang von deskriptiven (Seins-) auf normative (Sollen-)Aussagen unzulässig ist ("Sein-Sollen-Fehlschluß"), da es zwischen ihnen keine analytischen Beziehungen gibt. [...] Der S.-S.-D. liegt die Auffassung zugrunde, daß im Gegensatz zur Seins-Ebene auf der Ebene des Sollens nicht mit "wahr" oder "falsch" operiert werden kann. [...] Aus moderner normlogischer Sicht [...] muß das "Humesche Gesetz" dahingehend präzisiert werden, daß aus rein nicht-normativen Sätzen alleine keine gehaltvollen, rein normativen Sätze folgen, denn normlogisch gilt, daß zum einen aus "a ist gut und flach" trivialerweise "a ist gut" folgt und zum anderen aus "a ist grün" durchaus auf "a ist grün oder b ist geboten" geschlossen werden kann [...].
Wenn Du, Kallisti, nun aus Deinen Annahmen hinsichtlich "Realität" und "Wesen" des Menschen – also
deskriptiven Sätzen – eine Unzulässigkeit der katholischen Sexualmoral – mithin
normativen Sätzen – folgerst, so vollziehst Du nichts anderes als eben diesen unzulässigen "Übergang von deskriptiven (Seins-) auf normative (Sollen-)Aussagen". Und es ist – ich wiederhole mich– vollkommen schnurzpiepe, ob Du aus deskriptiven Sätzen normative
folgerst oder ob Du mittels deskriptiver Sätze normative Sätze
bestreitest: in beiden Fällen springst Du zwischen zwei Ebenen hin und her, zwischen denen es – siehe oben – "keine analytischen Beziehungen gibt".
Und das hier: ...
Weil die gelebte Praxis so vieler "Mönche" und anderer Gläubiger diese "Theorie"/Idee (des Zölibats z.B.) Lügen straft - es kam vor und es kommt immer wieder vor...!! Und dass "diese Leute" bspw. auch nicht masturbieren, wage ich ganz entschieden zu bezweifeln!!!
... ist ein Paradebeispiel für den oben ausgeführten Sachverhalt: Die Annahme, daß die von Dir behauptete Praxis die normative Geltung des fraglichen Gebotes entkräftet, ist ein Naturalistischer Fehlschluß par excellence, denn selbst wenn jetzt in diesem Augenblick sämtliche Priester und Mönche dieser Welt masturbierenderweise in ihren Zellen zucken - das ändert (aus katholischer Perspektive) rein gar nichts an der Sündhaftigkeit ihres Treibens: Sein und Sollen sind elementar unterschiedliche Ebenen der Betrachtung.
Um es gleich zu sagen: Selbstdisziplin und Selbstkasteiung sind definitiv nicht das Gleiche!
- Da muß ich Dir widersprechen, denn der Unterschied ist lediglich ein gradueller: Selbstkasteiung ist eine
radikale Form der Selbstdisziplin.
gerade solche "praktischen" Gebote und Verbote sind vernunftgeprägt, vernunftgeleitet und von MENSCHEN aufgestellt (worden) - wie auch die Bibel MENSCHEN geschrieben/formuliert... haben und nicht "Gott"!
Denn die Geschichte mit dem Fleischverzehr (in bestimmten Regionen mit bestimmtem Klima etc.) hat ganz weltliche GESUNDHEITLICHE (Hinter-) Gründe - und das weißt du selbst ganz genau, Kenaz (hoffe ich doch), also unterschlage es auch nicht!
- Du kriegst es einfach nicht hin, auch mal mit anderen Augen als Deinen eigenen in die Welt zu gucken, was?
Ad 1: DU sagst, die Bibel sei Menschenwerk; für den gläubigen Katholiken sieht das ganz anders aus - und hier geht es ja gerade um die katholische Perspektive.
Ad 2: Wie Du Dich überzeugen kannst, habe ich in der von Dir zitierten Passage höchstselbst darauf hingewiesen, daß es solche "vernünftigen" Gründe durchaus geben mag; - in der vorliegenden Diskussion ging es aber darum, daß die fraglichen Gebote vom Gläubigen eben gerade
nicht aus dergleichen rationalen Gründen, sondern aus religiösen befolgt werden - eben weil sie durch die Autorität Gottes legitimiert sind.
Davon abgesehen sind diese Gebote (oder Verbote), die eben gerade den Menschen, seinen Körper... berücksichtigen/betreffen absolut nicht mit solch leiblichkeitsfeindlichen wie dem Zölibat zu vergleichen - mehr kann ein Vergleich kaum hinken!
- Es war nur ein Beispiel. Aber wenn Du's lieber etwas "leiblichkeitsfeindlicher" hättest, kannst Du stattdessen auch gerne den Selbstgeißelungsbrauch schiitischer Gläubiger anläßlich der jährlichen Trauerfeier zu Ehren des Enkels des Propheten und dritten Imams Husain Ibn Ali Ibn Abi Talib heranziehen, mir völlig wurscht. Es geht hier um die
Struktur, nicht um den Inhalt.
Wittgenstein bezieht sich hier ausdrücklich auf Sprache und ihre Funktion, ihre Bedeutung, ihren Gebrauch!!!
Sich das einfach mal schnell für "Vermittlung von Religion" (Zitat Kenaz) auszuleihen - völlig aus dem (inhaltlichen) Zusammenhang gerissen (was Wittgenstein angeht), ist auch nicht gerade "dem Sportsgeist" geschweigedenn den "Spielregeln" entsprechend.
- Deshalb habe ich ja auch geschrieben es verhalte sich hier "
ein bißchen so wie mit Wittgensteins berühmter Leiter". Ich habe auf eine Analogie hingewiesen und nicht die Identität der Fälle behauptet. - Im übrigen paßt das ganz gut, denn Wittgenstein bezieht sich hier auf die Diskrepanz zwischen der Erklärung von Sprache und ihrem Wesen: letzteres liegt jenseits direkter Vermittelbarkeit, doch die fraglichen "Sätze" können als "Leiter" dienen - hat man mit ihrer Hilfe das Wesen erkannt, erkennt man die einzelnen Sätze der "Leiter" als unsinnig. - M. a.W.: Das läuft durchaus mit den Spielregeln konform und entspricht völlig und gänzlich dem philosophischen "Sportsgeist".
Und nun noch ein, zwei Worte zur Metaethik:
Natürlich kannst Du normative Aussagen egal welchen Spielfeldes philosophisch analysieren – gerade ich als bekennender Nietzscheophiler werde einen Teufel tun,
das zu bestreiten –, denn das ist in der Tat das Geschäft der Metaethik. Und
selbstredend kannst Du aufgrund solcher metaethischer Analysen auch beschließen, ein Spielfeld zu verlassen, auf dem Regeln herrschen, die Dir suspekt sind. Das alles ist völlig unbestritten.
Ein ganz anderer Schnack ist es aber, wenn Du, ausgehend von den besagten Analysen, anfängst, die Fundamente des Gesamtspiels in Frage zu stellen,
aber trotzdem auf dem Spielfeld bleiben willst. Und das tust Du, wenn Du mit einem Menschenbild daherkommst, das ganz sicher nicht
dasjenige ist, welches mit dem katholischen Spiel kompatibel ist, und Dich obendrein anschickst, mit menschlicher Vernunft über Gott und seine Gebote zu richten (und aus christlich-katholischer Perspektive basiert die Bibel nun mal auf
göttlicher Offenbarung). Es reichen ein, zwei Blicke in die Dicke Schwarte (insbesondere Hiob), um festzustellen, daß das Spiel
so nicht funktioniert.
Das Christentum ist eine
Offenbarungsreligion, die auf der Bibel beruht; wer also die in der Bibel niedergelegte Autorität Gottes nicht zu akzeptieren bereit ist, der kann den Platz verlassen. – Vor diesem Hintergrund gibt es zwei Grundrichtungen möglicher Kritik: Man kann quasi
intern argumentieren (bleibt also auf katholischem Spielfeld), indem man Diskrepanzen zwischen kirchlicher Praxis bzw. Dogmatik und biblischer Überlieferung namhaft macht – in diesem Falle agiert man leidlich regelkonform (bspw. mit dem Hinweis, der Zölibat werde nirgends in der Bibel explizit gefordert) –, oder man argumentiert quasi
extern (verläßt damit aber das katholische Spielfeld), indem man Diskrepanzen zwischen vermeintlichen empirischen Sachverhalten und kirchlicher Praxis bzw. Dogmatik anprangert und auf
dieser Basis Modifikationen fordert – in diesem Falle agiert man jedoch regelwidrig (bspw. mit dem Hinweis auf die "Unnatürlichkeit" des Verbotes von vor- und außerehelichem GV), da man die fundamentalen Konstituenten des fraglichen Spiels ignoriert.
Ich hoffe, der Unterschied ist klar geworden:
Im Rahmen von Variante 1 weist man auf Diskrepanzen zwischen Überlieferung und moralischer Praxis hin und fordert vor diesem Hintergrund - der die Autorität Gottes und das christlich-katholische Menschenbild unangetastet läßt - Modifikationen ein;
im Rahmen von Variante 2 wird auf Diskrepanzen zwischen vermeintlichen empirischen Sachverhalten und moralischer Praxis hingewiesen; die auf
diese Weise argumentierten Modifikationen sind aber nicht mit den Fundamenten des Katholizismus vereinbar, da sie die Autorität Gottes und seiner Gebote grundsätzlich in Frage stellen.