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Kranke Seele, kranker Geist - psychische Störung - was ist das?

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Spambot:
Kallisti, du wirfst Ursache und Auslöser in einen Topf. Der Auslöser einer psychischen Störung kann in der Umgebung eines Menschen liegen. Die Ursache nicht. Mit dem Wegfall des Auslösers muß die psychische Störung nicht unbedingt verschwinden, da die Ursache im Menschen zu finden ist. Außerdem kann man manchmal eine psychische Störung auflösen oder zumindest mindern, auch wenn der Auslöser noch existiert.

messie:

--- Zitat ---Was ich sagen will: Ich meine, bestimmte Umstände haben ja zu einer bzw. in eine Störung geführt - ist es dann nicht angeraten, an den Umständen etwas zu verändern, weil somit auch der Leidensdruck nachließe?
--- Ende Zitat ---

Oh, me false, ich hätte die Hälfte meines Zitats weglassen sollen, das ich von dir zitierte, dann wäre es klarer gewesen. :)
Ich bezog mich lediglich auf


--- Zitat ---(...) und den Mensch wieder "funktionstüchtig" zu machen (mittels Therapie).
--- Ende Zitat ---

in meinem letzten Beitrag.

---

Deine Frage beantworte ich aber trotzdem gerne, weil ich sie zu 100% mit JA beantworten kann.  ;D

Allerdings ergänzt um einen enorm wichtigen Halbsatz: ... wenn es geht.

Da unterscheiden sich unsere Sichtweisen, Kallisti, bzw. überhaupt deine Vorstellung davon, was eine Therapie leisten können sollte.
Ich verstehe dich so, dass eine Therapie am besten leisten können sollte, dass derjenige jedes Trauma so gut loswird, dass alle Wunden der Vergangenheit rundum versorgt wurden und nicht einmal mehr eine Narbe zu sehen ist.
Dass du dann gegen Therapien bist, leuchtet ein, denn genau das wird so halt nicht funktionieren. Kann nicht funktionieren.

Der Ansatz einer Therapie ist da sehr viel pragmatischer.

Eine Therapie ist lediglich dazu da, den Narben nicht mehr so viel Macht zu geben. Mehr nicht.
Eine Therapie hat nicht den Anspruch, sie verschwinden zu lassen!
Man kann es ungefähr so beschreiben: Die Wunde ist da, sie ist offen. Eine Therapie behandelt die Wunde vielleicht mit ein wenig Wundsale, damit die Schmerzen erträglicher sind. Die Wunde selbst aber lässt sich durch sie nicht schließen! Das muss der Mensch, der die Wunde hat, nach wie vor selbst erledigen. Und: Eine Narbe wird dennoch immer übrig bleiben.
Eine Therapie sorgt in diesem Bild dafür, dass man sich nicht mehr an/in dieser Wunde kratzt. ;)
Das funktioniert, indem man diese Wunde anerkennt und nicht mehr als Gegner ansieht, sondern als Teil von einem selbst.

Exakt das geschieht dann "in Echt": Man sorgt nicht dafür dass die Störung weggeht (das funktioniert nämlich meistens gar nicht), sondern dass man sie als Teil von sich selbst annimmt und lernt, sie in das eigene Leben so zu integrieren, dass die Umgebung mit einem selbst besser zurechtkommt - und man selbst auch besser mit seiner Umgebung.

Sicher ist es am besten, wenn die Ursachen gefunden werden und der gordische Knoten dessen durchschlagen wird.
Nach den Ursachen wird ja auch geforscht. Ich glaube auch, dass sie fast immer in einer Therapie gefunden werden, wenn der Therapeut gut ist. :)

Nur sind sie halt nur Teil der Lösung: Da man die Uhr eh nicht zurückdrehen kann, hilft hier wieder die Pragmatik weiter: Was kann ich jetzt verändern, damit ich jetzt mit den Narben, die ich mit mir rumtrage, umgehen kann?
Das beinhaltet dann ggf. auch die Änderung der eigenen Lebensumstände: Je nach Ursache kann am Ende einer Therapie ja auch mal stehen dass der Kontakt zu den eigenen Eltern abgebrochen wird (weil diese einem nicht gut tun und hauptverantwortlich sind für die erhaltenen Narben), man den Wohnort wechselt (jetzt mal ausgedacht: Stress durch zu viele Menschen auf engem Raum, also von der Stadt aufs Land ziehen), sich vom Partner trennt oder für ihn entscheidet etc. pp.

Das hat dann nichts mit "muss funktionieren" zu tun, sondern mit "ich wertschätze mich". Damit, dass einem die eigene psychische Gesundheit wichtig ist und man den eigenen Wunden Zeit gibt, zu verheilen, sodass an selber Stelle nur noch Narben zu sehen sind.
Dieser Anspruch ist ja ohnehin schon hoch genug. :)

Kallisti:

--- Zitat von: Spambot am 25 April 2012, 18:28:51 ---Kallisti, du wirfst Ursache und Auslöser in einen Topf. Der Auslöser einer psychischen Störung kann in der Umgebung eines Menschen liegen. Die Ursache nicht. Mit dem Wegfall des Auslösers muß die psychische Störung nicht unbedingt verschwinden, da die Ursache im Menschen zu finden ist. Außerdem kann man manchmal eine psychische Störung auflösen oder zumindest mindern, auch wenn der Auslöser noch existiert.

--- Ende Zitat ---

Inwiefern liegt die Ursache immer im Menschen? Also hat man z.B. zu Angststörung eine genetische Disposition - wenn man dann irgendwann mal per Auslöser Überforderung eine Angststörung entwickelt?

Übrigens hab ich grade gelesen, dass vor allem Sozialphobie bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern, dass das wiederum auch mit dem Rollen-/Selbstverständnis (aber halt auch dem gesellschaftlichen Rollenbild) zu tun hat und bei Frauen sogar mit den Hormonen - wenn zu wenig Progesteron, soll das auch irgendwie Ängstlichkeit (?) begünstigen können ...

Also ist in dem Fall die Ursache bspw. die gestörte (??) Hormonsituation (z.B.) und der Auslöser (für Angststörung) dann die Überforderung (z.B.)?

Und bei Depression - wie ist das da - was is da die Ursache? Immer also eine genetische Disposition oder wie? Und wie is das dann mit Epigenetik?

Wenn also ein Trauma sich "im Gehirn festschreibt" und diese veränderte "genetische Situation" so dann sogar vererbt werden kann (in die nächste Generation - also bspw. von der Mutter aufs Kind)? Und wenn dann aber wiederum "positive" Einflüsse da auch was "epigenetisch" beeinflussen/verändern können ---->  ???

Woher weiß man denn, welche Ursachen es gibt bzw. individuell dann sind? Kann man das untersuchen - wie? Und macht man das auch? Oder wenn nicht: warum nicht (von finanziellen Fragen mal absehend)? Zu aufwendig? Aber sollte man nicht doch bei jeder Krankheit und "Störung" IMMER die genaue Ursache dafür kennen - nicht bloß den Auslöser? ?


messie

... ja, schon klar, daher ist es ja auch so, dass Narben/Wunden wieder aufreißen können. Bestes Beispiel: Depression. Auch Suizidalität. Geht trotz Therapie ("erfolgreicher") in den meisten Fällen doch nie "ganz weg" - kann immer wieder durchbrechen/"auftauchen".

Also lassen sich psychische "Störungen" letztlich nie: heilen? Ist es immer nur vorübergehende Symptombehandlung - Symptome in den Griff kriegen, in Schach halten? - Mehr nicht? ??

Und wenn es doch so schwierig ist, abzugrenzen, was schrullig, eigenwillig ... und was "gestört" ist - ist dann nicht die Frage berechtigt, warum man das überhaupt so nennt - um also einfach besser irgendwie damit "umzugehen"?


Und was ist aber dann also auch mit Prävention? Wie ich bereits mehrmals fragte: Wenn man um die Auslöser weiß, diese mit gesellschaftlichen Gegebenheiten zu tun haben (nicht ausschließlich mit individuellen/persönlichen) - sollte man dann nicht präventiv "Auslöserverminderung" versuchen, anstreben, "praktizieren"?

Spambot:

--- Zitat von: Kallisti am 26 April 2012, 18:39:09 ---Inwiefern liegt die Ursache immer im Menschen? Also hat man z.B. zu Angststörung eine genetische Disposition - wenn man dann irgendwann mal per Auslöser Überforderung eine Angststörung entwickelt?

Übrigens hab ich grade gelesen, dass vor allem Sozialphobie bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern, dass das wiederum auch mit dem Rollen-/Selbstverständnis (aber halt auch dem gesellschaftlichen Rollenbild) zu tun hat und bei Frauen sogar mit den Hormonen - wenn zu wenig Progesteron, soll das auch irgendwie Ängstlichkeit (?) begünstigen können ...

Also ist in dem Fall die Ursache bspw. die gestörte (??) Hormonsituation (z.B.) und der Auslöser (für Angststörung) dann die Überforderung (z.B.)?

Und bei Depression - wie ist das da - was is da die Ursache? Immer also eine genetische Disposition oder wie? Und wie is das dann mit Epigenetik?

Wenn also ein Trauma sich "im Gehirn festschreibt" und diese veränderte "genetische Situation" so dann sogar vererbt werden kann (in die nächste Generation - also bspw. von der Mutter aufs Kind)? Und wenn dann aber wiederum "positive" Einflüsse da auch was "epigenetisch" beeinflussen/verändern können ---->  ???

Woher weiß man denn, welche Ursachen es gibt bzw. individuell dann sind? Kann man das untersuchen - wie? Und macht man das auch? Oder wenn nicht: warum nicht (von finanziellen Fragen mal absehend)? Zu aufwendig? Aber sollte man nicht doch bei jeder Krankheit und "Störung" IMMER die genaue Ursache dafür kennen - nicht bloß den Auslöser? ?

--- Ende Zitat ---

Den Auslöser zu kennen ist sicherlich sehr hilfreich bei der Exploration der Ursache (insbesondere aufrechterhaltende Faktoren) und wichtig für die Prävention. Dennoch, die Ursache einer psychischen Störung ist immer im Menschen zu finden. Auch bei einem Trauma. Da sind sich alle großen psychologischen Schulen (VT, TP, PA) einig. Eine genetische Prädisosition kann die Entstehung einer psychischen Störung fördern und in einigen Fällen auch die Behandlung der Ursache erschweren. Da die Ursachen psychischer Störungen sehr unterschiedlich sein können und die Erklärungsmodelle sich dann auch noch je nach Verfahren unterscheiden, lässt sich keine allgemeine Ursache für psychische Störungen benennen. Abgesehen von sehr wenigen Störungen, die sich über bildgebende Verfahren wie fMRT zumindest körperlich nachweisen lassen, werden die Ursachen von Störungen grundsätzlich über hypothetische Störungsmodelle erklärt.
Beispiel: Jemand ist alkoholabhängig (Symptome: Starkes Craving/Suchtdruck, Tremor, Organschäden an Leber und Pankreas, Schlafstörungen, Schwitzen, trocken Würgen). Der Auslöser war eine Beziehungskrise vor 15 Jahren. Zusätzlich stammt der Patient aus einer Trinkerfamilie und ist daher möglicherweise genetisch und sozial prädisponiert. Bei der Exploration stellt sich heraus, dass der Patient ein sehr niedriges Selbstwergefühl hat sowie unter mittelstarken Depressionen und einer Angststörung leidet. Als Ursache lässt sich die Selbstmedikation (Dämpfung) der unerwünschten affektiven Zustände (Depression, Angst) und der Wunsch nach Euophorie (Rausch) bestimmen. In die Therapie würde man nun, neben der Verstärkung des Abstinenzwillens und -verhaltens, ein Training zur Verbesserung des Selbstwertgefühls sowie eine Behandlung der Depression und der Angststörung integrieren. Wenn der Patient die Fähigkeit erlangt, ohne Droge mit seinen unerwünschten Affekten klar zu kommen, wird der nächste Rückfall vielleicht erst in ein paar Jahren erfolgen.
Ich hoffe, dieses Beispiel veranschaulicht den Unterschied zwischen Auslöser und Ursache.

schwarze Katze:

--- Zitat von: Spambot am 26 April 2012, 21:01:12 ---Wenn der Patient die Fähigkeit erlangt, ohne Droge mit seinen unerwünschten Affekten klar zu kommen, wird der nächste Rückfall vielleicht erst in ein paar Jahren erfolgen.

--- Ende Zitat ---

ganz andere Frage:
geht man davon aus, dass trotz psychotherapeutische Behandlung es zu einem Rückfall kommen wird?

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