Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Lyrik / Poesie bekannter Autoren  (Gelesen 19404 mal)

Kenaz

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Lyrik / Poesie bekannter Autoren
« Antwort #30 am: 22 November 2004, 10:05:38 »

Dein Haar überm Meer

Es schwebt auch dein Haar überm Meer mit dem goldnen Wacholder.
Mit ihm wird es weiß, dann färb ich es steinblau:
die Farbe der Stadt, wo zuletzt ich geschleift ward gen Süden ...
Mit Tauen banden sie mich und knüpften an jedes ein Segel
und spieen mich an aus nebligen Mäulern und sangen:
"O komm übers Meer!"
Ich aber malt als ein Kahn die Schwingen mir purpurn
und röchelte selbst mir die Brise und stach, eh sie schliefen, in See.
Ich sollte sie rot dir nun färben, die Locken, doch lieb ich sie steinblau:
O Augen der Stadt, wo ich stürzte und südwärts geschleift ward!
Mit dem goldnen Wacholder schwebt auch dein Haar
überm Meer.

Paul Celan
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Kallisti

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Lyrik / Poesie bekannter Autoren
« Antwort #31 am: 22 November 2004, 10:14:16 »

Und fändest du wieder

Siegfried Swiderski


Und fändest du wieder
mit zärtlichen Händen
das Kind in mir
vor meinem Tod,
ich hätte nur noch
Gründe zu weinen,
denn,
sprachlos noch immer,
mit ihrem Flug
die verwundeten Vögel
streiften wieder
nichts als Trauer
vom steinernen Herz.

Und fändest du wieder
mit zärtlichen Lippen
die Angst in mir
vor meinem Tod,
ich hätte nicht mehr
Gründe zu bleiben,

denn,
sprachlos noch immer,
in mir die Wölfe
mit ihrem Hunger

streiften wieder
nichts als die Fröste
vom verlorenen Tag.



Und fändest du wieder
mit zärtlichen Worten
die Sehnsucht in mir
vor meinem Tod,
ich hätte nur noch
Gründe zu sterben,

denn,
sprachlos noch immer,
die Liebe in mir
auf gekenterten Flößen

streifte wieder
nichts  als die Fremde
vom salzigen Meer.



(aus der Anthologie "Auszeit", Edition L, Czernik-Verlag)
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Eisbär

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Lyrik / Poesie bekannter Autoren
« Antwort #32 am: 22 November 2004, 13:25:31 »

Über die Verführung der Engel
  Bertolt Brecht

    Engel verführt man gar nicht oder schnell.
    Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
    Steck ihm die Zunge in den Mund und lang
    Ihm untern Rock, bis er sich nass macht, stell
    Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock
    Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen
    Dann halt ihn fest und lass ihn zweimal kommen
    Sonst hat er dir am Ende einen Schock.

    Ermahn ihn, dass er gut den Hintern schwenkt
    Heiß ihn dich ruhig an den Hoden fassen
    Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen
    Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt -

    Doch schau ihm beim Ficken nicht ins Gesicht
    Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht!
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Kallisti

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Lyrik / Poesie bekannter Autoren
« Antwort #33 am: 22 November 2004, 22:56:02 »

Liebeslied

Hermann Hesse


Ich singe von deinem seidenen Schuh
Und von deinem rauschenden Kleid,
Ich träume dich jede Nacht, o du,
Meine Böse, mein Herzeleid!

Ich weiß keinen Namen als deinen,
Ich kann um keinen Schmerz
Und um keine Lust mehr weinen,

Als um dich allein, mein Herz.

Ich will kein Glück mehr kennen
Und keine andere Not,
Als um dich in Sehnsucht brennen -
O du, WARUM BIST DU TOT ?  
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BetterOf2Evils

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Lyrik / Poesie bekannter Autoren
« Antwort #34 am: 23 November 2004, 14:28:51 »

Ich leb getrennt von mir.
Mir zur Seite geh ich
Durch die Stadt. Ich geh
Durch mich hindurch,
Aus mir heraus und
Ein in mich. Begegne mir:
Inmitten. Und stelle mich
Mir vor. Ich hör mir zu,
Ich gebe mir die Hand: Auf bald.
Vielleicht sehe ich mich irgendwann
Mal wieder: Die Floskel
Überbrückt den Augenblick.
Noch weiß ich nicht,
Wo ich mich finde:
Wieder oder ein.
Auch möglich: Ich verlier mich
Aus den Augen.
Aus dem Sinn.
Und eines Tages
Finde ich mich nicht mehr
Vor. Und nicht zurück:
Ein Fremder
Steht vor einem Fremden.
Schweigt.

(Luthardt)
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Kallisti

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Lyrik / Poesie bekannter Autoren
« Antwort #35 am: 24 November 2004, 08:46:59 »

Ausgang

Theodor Fontane


Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hassen, Hoffen, Lieben.
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte tote Punkt.









Abendlied

Johann Christian Günther

Abermal ein Teil vom Jahre,
Abermal ein Tag vollbracht;
Abermal ein Brett zur Bahre
Und ein Schritt zur Gruft gemacht.
Also nähert sich die Zeit
Nach und nach der Ewigkeit,
Also müssen wir auf Erden
Zu dem Tode reifer werden.
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BetterOf2Evils

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« Antwort #36 am: 25 November 2004, 09:26:23 »

Entfremdung
(Ingeborg Bachmann)

In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?
 
Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?
 
Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.
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Kallisti

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Lyrik / Poesie bekannter Autoren
« Antwort #37 am: 25 November 2004, 10:08:54 »

Ein Wort

Gottfried Benn


Ein Wort, ein Satz - : Aus Chiffren steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen
und alles ballt sich zu ihm hin.

Ein Wort - ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich -
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.
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TeeRabe

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« Antwort #38 am: 28 November 2004, 09:37:22 »

Nun,da die Worte verstummt,
Bring ich ein Blatt,eineBlume und einen Stein.

Ein Blatt für mein Mund,
Der nicht mehr reden kann,
Wo dein Auge trifft
In der Adern verschlungener Schrift
Als Hieroglyphe verwebt
Den Gedanken, der tastend strebt
Und doch sicher zu deinem Grund:
Ein Blatt für meinen Mund.

Eine Blume für mein Herz,
Das keinen Sang mehr weiß.
Reiner als ein Lied
Der Duft aufwärts flieht,
Blüte um Blüte,
Empor zu Dir.
Und es klingt in mir
Musik,die tiefer dringt,
Schlichter als es der Kunst gelingt:
Eine Blume für mein Herz.

Ein Stein für meine Hand,
Der schweigend sich niederläßt
Auf deiner flachen Hand,
Ein Vogel auf seinem Nest.
Spiralig er aufwärts flog,
Hört´mitten im Fluge den Schrei,
Der ihn jählings niederzog,
Erdenwärts, heimwärts wie Blei,
Von einer Schwerkraft gelenkt,
Die er selbst nicht verstand:
Ein Stein für meine Hand.

Nun sind die Worte verstummt,
Du aber weiß, wenn ich singe
Für andere, daß ich bringe
Nur dir allein
Ein Blatt,eine Blume und einen Stein.

Von Anne Morrow Lindbergh
aus dem Buch "Muscheln, Wind und Wellen"
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Kallisti

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« Antwort #39 am: 28 November 2004, 11:15:05 »

@ Kuroi tenshi

...  wunderschönes Gedicht (das von Anne Morrow Lindbergh)!!




Gedicht

Gottfried Benn


Und was bedeuten diese Zwänge,
halb Bild, halb Wort und halb Kalkül,
was ist in dir, woher die Dränge
aus stillem trauernden Gefühl ?


Es strömt dir aus dem Nichts zusammen,
aus Einzelnem, aus Potpourri,
dort nimmst du Asche, dort die Flammen,
du streust und löschst und hütest sie.

Du weißt, du kannst nicht alles fassen,
umgrenze es, den grünen Zaun
um dies und das, du bleibst gelassen,
doch auch gebannt in Mißvertraun.

So Tag und Nacht bist du am Zuge,
auch sonntags meißelst du dich ein
und klopfst das Silber in die Fuge,
dann läßt du es - es ist: das Sein.
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TeeRabe

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« Antwort #40 am: 28 November 2004, 11:49:37 »

Von Georg Trakl aus dem Buch " Sebastian im Traum"

DER HERBST DES EINSAMEN

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekelter ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.

Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Geberde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh,die schwarze Erde.

Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
Im kühlen Stuben kehrt ein still Bescheiden
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden,die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.
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".de Elite"

Kallisti

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« Antwort #41 am: 28 November 2004, 11:54:54 »

@Kuroi tenshi

... ja: so (bildhaft ... ) müsste man schreiben können (wie Trakl...)!!
Auch sehr schönes Gedicht  ("Der Herbst des Einsamen")!!

Hast du noch mehr so tolle Gedichte ???
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TeeRabe

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« Antwort #42 am: 28 November 2004, 12:03:03 »

Zitat von: "Kallisti"
@Kuroi tenshi

... ja: so (bildhaft ... ) müsste man schreiben können (wie Trakl...)!!
Auch sehr schönes Gedicht  ("Der Herbst des Einsamen")!!

Hast du noch mehr so tolle Gedichte ???



Habe ein Nachdruck von 1913 in 2 Bänden von Georg Trakl, sowie mehere Gedichtsbände  :D

Von Georg Trakl aus dem Buch " Gedichte"

DIE RABEN

Über den schwarzen Winkel hasten
Am Mittag die Raben mit hartem Schrei.
Ihr Schatten streift an der Hirschkuh vorbei
Und manchmal sieht man sie mürrisch rasten.

O wie sie die braune Stille stören,
In der ein Acker sich verzückt,
Wie ein Weib,das schwere Ahnung berückt,
Und manchmal kann man sie keifen hören

Um ein Aas, das sie irgendwo wittern,
Und plötzlich richten nach Nord sie den Flug
Und schwinden wie ein Leichenzug
In Lüften,die Wollust zittern.
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".de Elite"

Kallisti

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« Antwort #43 am: 28 November 2004, 12:10:20 »

"... und schwinden wie ein Leichenzug
in Lüften, die Wollust zittern."


... ist das nicht großartig!?
Da werd ich echt "ehrfürchtig" - wes "Geist" solche sprachliche Musik hervorbringt - und dabei nicht nur Musik, sondern auch inhaltlich so reich...!!
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Lilyanar

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« Antwort #44 am: 29 November 2004, 13:19:50 »

Ingeborg Bachmann  - Schatten Rosen Schatten

Unter einem fremden Himmel
Schatten Rosen
Schatten
auf einer fremden Erde
zwischen Rosen und Schatten
in einem fremden Wasser
mein Schatten

(aus: "Die gestundete Zeit")
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