Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?  (Gelesen 35821 mal)

Candide

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #15 am: 01 August 2004, 23:35:30 »

Zitat von: "Silver"
Schwarz sein ist eine Lebenseinstellung [...]


Was genau ist das Sinnvolle an einer Einstellung, die mich auf genau einen von unendlich vielen möglichen Zuständen reduziert?

(ich kann's net lassen...  :twisted:  :lol: )
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Darkchris

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #16 am: 01 August 2004, 23:39:49 »

hi...

also wenn man mich fragen würde wäre ich absolut schwarz...also schwarze keidung, schwarze einstellung, wo bei ich leicht farbspiele wie ein dunkles "blut"-rot oder darkgrün, dunkles lila auch noch passt... alledings wenn ich mir diese girlieoutfits mit neonpink,grün,gelb etc. anschaue finde ich das es nix mehr mit schwarz zutun hat, eher gehört das zur ...ähm wie hies die gleich? doofparade oder so.

wichtig zu erwähnen... da ich auch schon des längeren "schwarz" bin und nicht nur klamottentechnisch glaube ich das die jüngeren auch überhaupt nicht wissen warum sie dies alles mitmachen. DarkAmbient hat es ja schon kurz erklärt, die damaligen punks trugen schwarz!!! weil sie aus der "normalen" masse herfor treten wollten, sie symbolisierten damit was. mittlerweile ist eine neue zeit und neue zeiten brauchen neue zeichen... aber warum in diese doofparade richtung??? die klassische stielrichtung der symbolisierung schwarz ist doch ok. musikalisch driften vmanche bands auch ins "normal" sein und verlieren dadurch den szeneblick, schade.

so... ach noch was... ich komme auch aus der wave szene, kenne auch bunte leute und toleriere auch andere musik, hoere auch gerne mal was anderes wenn es mir gefällt (denkt mal an the chemical brothers "hey boy hey girl, das ist keine schwarze musik aber wurde in edlichen schwarzen dissen gespielt !!!)

das die schwarze szene intollerante leute hat kann ich bis jetzt noch nicht bestätigen, ich kenne bisher nur leute die sehr tollerant waren.

na das wars erstmal von mir!  :)
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Candide

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #17 am: 02 August 2004, 00:03:15 »

Zitat von: "Darkchris"
da ich auch schon des längeren "schwarz" bin und nicht nur klamottentechnisch glaube ich das die jüngeren auch überhaupt nicht wissen warum sie dies alles mitmachen. DarkAmbient hat es ja schon kurz erklärt, die damaligen punks trugen schwarz!!! weil sie aus der "normalen" masse herfor treten wollten, sie symbolisierten damit was. [...] musikalisch driften vmanche bands auch ins "normal" sein und verlieren dadurch den szeneblick



Das verstehe ich immer nicht so ganz - wenn es bei einer Subkultur darum geht, eine "nicht-normale Szene" zu bilden, aber die Individualität höchster Wert sein soll, so wird als Gegenkultur zum (normalen) Kollektiv ein neues (nicht-normales!?!?) Kollektiv erbaut.

Wie ist die Differenz zwischen einer Hip-Hop Szene, den Grufties, und den "Normalos"? Die einzige Differenz (abgesehen von Musikstilen und Farben) besteht in ebenjener Zuschreibung, subkulturell, das heißt nicht Mainstream, zu sein. Und diese Zuschreibung ist meist eine Selbstzuschreibung. ("Alle sind Individueen, nur ich bin anders!" :wink: )

Szenen sind Teilzeitvergemeinschaftungen als hochflexibles Role-Model des Kulturbetriebs. Die Deutsche Bank in Berlin lud  zu einem Kultur-Abend unter dem Titel "Wir sind alle Subkultur"ein? Klar, albern und durchschaubar, aber die Aktion zeigt, daß in den Chefetagen und Management-Seminaren längst klar ist, wie wichtig Verszenung, "Networking" und Community-Building als zentrale Produktivkraft geworden sind.

Ziel ist - egal ob man T-Shirts mit gruftigen Bandlogos, Lackhosen, oder die Mercedes A-Klasse zur A-Motion-Tour verkaufen will - Produktion eines Wir-Gefühls unter den Teilnehmern, welches die Möglichkeit bietet, sich vom Ihr abzuheben. Szenen sind spätestens seid Ende der 70er für die meisten nur noch Markenwelten und Produkt-Images.

Ich persönlich halte daher nach 12 Jahren "Gothic" jede Form der Szenebildung zum Zwecke des Anders-Seins für einen Widerspruch in sich, aber vielleicht verstehe ich auch einfach nur was falsch.

Nix desto trotz: wenn Spaß bringt, ist's doch ok.  :wink:

(vgl: Gelder, K.; Thornton, S. (Hg.): The Subcultures Reader; London 1997; Thornton, S.: Club Cultures: Music, Media and Subcultural Capital; Cambridge 1995)
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Darkchris

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #18 am: 02 August 2004, 00:17:41 »

ich denke gerade an "zugehörigkeits gefühl", also in einer gruppe dazugehöhren, egal ob hip-hop szene oder schraze szene die jenigen die es mögen mit gleich gesinnten zusammen zusein passen sich, mal mehr mal weniger, an. so entsteht nicht nur an ihm sondern auch einwenig (oder auch mehr) in ihm ein gruppengefühl welches derjenige dann auslebt. einige sind mitläufer die anderen (der harte kern) lebt es intensiv und somit meint man dazuzugehöhren. das merke ich zumindest bei vielen jüngeren die nur schwarz cool finden. in meiner damaligen lieblings kneipe dem "graveyard", ja es war ne schwarze szene kneipe... aber nicht hier im norden, gab es ab und an mal welche die total entäuscht waren dort nicht aufzufallen (niemand schaute die mädels an und regestrierte sie kaum) und gingen lieber in normal dissen um halt aufzufallen, sie meckerten und pöbelten nur rum, aber keiner reagiert... naja WE schwarze (ohne jetzt arrogant oder sonst was zu wirken) sind doch wohl auch in der szene fehl am platz.

also wenn schwarz dann, wie ich finde, richtig...(bitte nicht falsch verstehen)
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Candide

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #19 am: 02 August 2004, 00:28:39 »

Zitat von: "Darkchris"
[...]sind mitläufer [...]
also wenn schwarz dann, wie ich finde, richtig...(bitte nicht falsch verstehen)


Ich hoffe ich drücke das jetzt richtig aus, denn ich kenne Dich nicht und möchte Dir auf keinen Fall das Gefühl geben, ich will Dich angreifen - aber genau diese Aussagen hören ich seit ich ~1991 in die Szene kam immer wieder - irgendwelche Cliquen werfen irgendwelchen anderen Cliquen vor, Mitläufer zu sein. Damals hieß es halt "die Harburger" (inkl. "Gott Gunnar", falls den noch wer kennt) gegen "die Hamburger", Kaiserkeller gegen Molotov, Kir-Leute gegen Living Dead-Fans, dann EBM gegen Mittelalter gegen Techno, dann Batcave gegen Lack&Leder...

Tatsächlich, und das muss man mal klar so sagen dürfen, sind alle, die sich einer Szene exlusiv anschließen, in diesem Augenblick Mitläufer - und das ist soweit doch auch noch nichts schlimmes. Schlimm wird es, wenn ein Mitläufer einem anderem vorwirft, er sei Mitläufer (oder "Pseudo", wie man so schön sagt), aber sich selbst als "richtig" und "Old School" (oder sonstwas) empfindet - das hat einen leicht faschistoiden Ansatz, denn um Individualität leben zu können, ist es Grundvorrausetzung, auch die Individualität des anderen zu respektieren, auch wenn er nach eigenm Gusto "nicht richtig schwarz" ist.

Bitte nicht falsch verstehen - ich liebe die Szene, sonst würde ich wohl kaum so lange mit den Jungs & Mädels verkehren, hätte nich 2 Jahre im Zillo/ Tonwerk aufgelegt, jahrlelang nen Iro getragen, etc.; ich vermisse nur immer mehr eine reflektierte Selbstkritik und Eigenironie, gerade bei den sog. "Älteren" der Szene. Und ja, wer mich kennt: ich hab' das alles selbst auch mal viel radikaler gesehen, aber man wird ja nicht jünger - und das ist auch gut so.  :wink:
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messie

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #20 am: 02 August 2004, 00:37:33 »

Candide hat da einen interessanten Punkt angesprochen: Ein Gleich-Sein (z.B. "schwarz", "goth" oder wie auch immer man dem Kind einen Namen gibt) als Zweck des Andersseins ist eigentlich ein Widerspruch in sich.

"Ich bin ganz individuell, ABER ich bin schwarz" - eigentlich geht das garnicht zusammen.

Aber es funktioniert. - Warum?
Weil eben doch jeder seine eigene Geschichte hat. Jeder ist anders in die "schwarze Szene" gekommen, hat eine andere Lebensgeschichte und -das haben die meisten dieser "Szene" gemeinsam - bereits einiges nicht Schönes hinter sich.
Und so begibt es sich, dass sich eine Gemeinschaft bildet, in der man sich fieberhaft darum bemüht, nicht dem Gruppenzwang der Gesellschaft zu erliegen, "normal", "anpassungsfähig", "formbar" zu sein und gemeinsam dagegen zu kämpfen. Aber wie es eben überall ist .. eine Gemeinschaft, und sei sie auch noch so klein, braucht Regeln, um dauerhaft funktionieren zu können. Und so bilden sich schleichend doch ungeschriebene Gesetze heraus.

Und auf die Eingangsfrage bezogen: Eine ganze Weile war "ich bin schwarz" ein Statussymbol, eine Aussage, auf die man stolz sein konnte. Gerade diejenigen, die aus der Punkszene in die "schwarze Szene" wechselten, sagten dies mit Bedacht.
Mittlerweile hat sie aber allmählich den Beigeschmack der Elitebildung angenommen: Aha, Du bist "schwarz", hälst Dich dann wohl für was besseres, ist da zu hören...
Und so kommt es, dass auf einmal immer öfter die Ablehnung des Schwarzen geschieht: "Klar, meine Lebenseinstellung ist "schwarz", aber eigentlich bin ich "schwarz-bunt" ".

Ich finde diese Entwicklung sehr interessant. Und frage mich auch, was wohl noch kommt? Was für Attribute wird diese Szene noch entwickeln, nachdem sich die Attribute "Waver", "Goth", "Schwarze" und "Grufties" allmählich abnutzen?

Nun, wie schrieb Ecki Stieg mal so schön: Diese Szene ist nicht totzukriegen. Denn sie hat ja nicht einmal einen Namen...
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Darkchris

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #21 am: 02 August 2004, 00:45:34 »

ich glaube besser kann ich es auch nicht schreiben!

ich habe ja weiter oben auch schon geschrieben das ich sehr tolerant zu anderen "nicht schwarzen" bin und wer mich kennt(kennst mich ja nicht) kann das wohl auch bestätigen... dadurch bin ich ja auch nicht im im harten kern sondern kraze auch nur da so oben rum ! :D

bei der definition von schwarz und schwarzbunt (nicht die kuh) dreht man sich wohl immer im kreis weil es wohl keine richtig definitive antwort gibt... oder ? :roll:
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colourize

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #22 am: 02 August 2004, 01:12:05 »

Ich glaube die Diskussion geht am eigentlichen Thema vorbei. Es ist ja nicht so als dass die Klamotten der Kern der "Subkultur" wären. Klamotten, Haarschnitt, Musik u.s.w. sind nur der äußerlich sichbare Ausdruck einer Subkultur. Durch Kleidung, Haarschnitt, Musik etc. wird nach außen eine Abgrenzung zu anderen (sub-)kulturellen Strömungen vermittelt und nach innen eine gewisse Zusammengehörigkeit einer Szene suggeriert und ständig durch gegenseitige Bestätigung auf Parties und Festivals erneuert. (Bei aller internen Heterogenität, auf die Candide schon hingewiesen hat.)

Wenn man dem eigentlichen Kern der Subkultur nachspüren will, sollte man sich anschauen, was Kulturen eigentlich ausmacht. Kulturelle Praxis besteht im Wesentlichen aus Verhaltensnormen und Wertorierntierungen. Subkulturen unterscheiden sich von den Kulturen, in die sie eingebettet sind dadurch, dass bestimmte Normen und Werte der umfassenden Kultur verändert bzw. nicht anerkannt werden und andere Normen dafür gelten und abweichende Wertorientierungen etabliert sind.

Dass es einen normbasierten subkulturellen Unterschied der "Schwarzen Szene" von anderen Szenen gibt, lässt sich z.B. an Verhaltensregeln erkennen. Und in der Tat gelten auf Gothicparties andere Spielregeln als auf "normalen Parties", wer's nicht glaubt der beobachte bitte mal das Baggerverhalten von "verirrten Bunten" auf schwarzen Parties. Alternativ: Einfach mal montags ins Kir gehen und zählen, wieviele Ellenbogenhiebe man auf der Tanzfläche abbekommt - und diese Quote dann mal bitte mit ner gut besuchten Creatures-Samstagsparty vergleichen.  
Auch ein prima Indikator: Man frage mal einfach einen Security-Mitarbeiter, ob er lieber auf dem Mera Luna oder lieber auf dem Rock am Ring Schicht schiebt.

Kleidungsstil und andere Äußerlichkeiten sind als Versuch zu sehen, die Subkultur sozial zu schliessen. Oder, wie Soziologen sagen, um Kohärenz zu erzeugen. Man muss ja schließlich wissen, wer "dazugehört" und welche kulturellen Handlungspraxen von seinem Gegenüber erwarten darf.

Und, ums rundzumachen, gleich noch eine Erklärung für den "Pseudo": Der "Pseudo" ist der "kulturelle Abweichler der Subkultur", d.h. er suggeriert nach außen, die subkulturelle Praxis zu beherrschen (Kleidungsstil), verhält sich aber nicht der subkulturellen Norm entsprechend.
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DarkAmbient

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #23 am: 02 August 2004, 05:15:23 »

Ich sehe die Uniformierung nicht notwendig als Paradox. Individualität und Homogenität bedingen einander -- das eine wäre ohne das andere nicht verständlich. Das glit für Kleiderordnungen genauso wie für andere Normen. Damit Freiheit einen Wert hat, muss es Begrenzungen geben.

Eine Ausnahme unter den Styles bildet der Pop, der sich ständig parasitär bei verschiedensten Subkulturen bedient. Als Grenzgänger der eigenen Subkultur (das verstehe ich unter schwarzbunt) besteht die Kunst darin, zu versuchen in eine andere Subkultur hineinzufühlen und die Codes dort einigermaßen zu verstehen, ohne in den Pop reingesogen zu werden, d.h. nur oberflächlich mit den symbolischen Formen verschiedener Subkulturen zu spielen und so Klischees zu reproduzieren. Das meinte ich, als ich weiter oben im Thread Eklektizismus schrieb.

Mit Übersteigung meine ich das 'woanders reinfühlen'. Z.B. habe ich hohe Achtung vor den visuellen Ausdrucksformen der Hiphopper, den Graffiti, deren Ansatz sich in doppelter Weise gegen das Bestehende wendet: einmal durch die Nutzung des öffentlichen Raums ohne große Rücksicht auf die allgemeine Eigentumsordnung und außerdem indem Buchstabenformen bis an die äußerste Grenze aufgelöst werden. Es gibt selten, aber immer mal wieder, 'gothic' Styles und Motive, wo sich mal ein Grufthopper zu schaffen gemacht hat, worüber ich mich dann immer ganz besonders freue. Das sind für mich die Helden unter den Grenzgängern, die sich auf eine erfreuliche Weise aus der Borniertheit ihrer eigenen Subkultur gepellt haben, ohne in den Mainstream abzugleiten.

Mein Fazit: Schwarzbunt ja, wenn Du es kannst!

Um nochmal genau auf Deine Frage zurückzukommen, lieber messi: Ich bezeichne mich weder als schwarz noch als schwarzbunt, weil sich solche verallgemeinernden Attribute für einen Schwarzen selbstverständlich von allein verbieten. :)
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Candide

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Lieber schwarz oder schwarzbunt oder was?
« Antwort #24 am: 02 August 2004, 12:50:11 »

Zitat von: "colourize"
Und, ums rundzumachen, gleich noch eine Erklärung für den "Pseudo": Der "Pseudo" ist der "kulturelle Abweichler der Subkultur", d.h. er suggeriert nach außen, die subkulturelle Praxis zu beherrschen (Kleidungsstil), verhält sich aber nicht der subkulturellen Norm entsprechend.


Also die Subkultur der Subkultur? Es ist doch einfach albern, wenn Leute, die es sich zum Ziel machen, sich einer Norm zu widersetzen, wenn also eben diese Leute dritten vorwerfen sie würden sich widerrum ihren Normen nicht anpassen. Wer stellt die "subkulturellen Normen" auf, und ist dafür zuständig, sie zu überwachen? :wink:

Zitat
Ich sehe die Uniformierung nicht notwendig als Paradox. Individualität und Homogenität bedingen einander -- das eine wäre ohne das andere nicht verständlich. Das glit für Kleiderordnungen genauso wie für andere Normen. Damit Freiheit einen Wert hat, muss es Begrenzungen geben


Womit wir schon hart an der existenzialistischen Psychologie, irgendwo zwischen Heidegger, Sartre und Jung, vorbeischrammen. Jung führte - soweit ich weiss - als erster die Differenzierung zwischen Individuation und Individualisierung ein, und das trifft zufällig genau das Thema; Individuation ist die Herrausbildung einer eigenen Persönlichkeit im Rahmen der Sozialisierung des Erwachsenen, Individualisierung sehe ich als narzißtischen Selbstverwirklichungstrip besonders im Anschluss an die Pubertät: "Individualismus ist ein absichtliches Hervorheben und Betonen der vermeintlichen Eigenart im Gegensatz zu kollektiven Rücksichten und Verpflichtungen. [...] Während im Prozeß der Individualisierung alles aus Selbst-Zweck geschieht,, vernachlässigt eine gelungene Individuation nicht die Interessen und Bedürfnisse des einzelnen [...]. Eine gelungene Individuation ermöglicht es einem Menschen, authentisch zu leben"

Zitat
Eine Ausnahme unter den Styles bildet der Pop, der sich ständig parasitär bei verschiedensten Subkulturen bedient.


Bzw. der Ausverkauf der Subkulturen an den Pop, etwas, das meine geliebten Chicks On Speed hervorragend persiflieren. Ich habe mal einen Vortrag von Prof. Franz Liebl (Aral Lehrstuhl für strategisches Marketing) über die Chicks On Speed gehört, da unterschied er zwischen drei Arten des Subkultur/-Pop Ausverkaufs, die für mich alle drei auf alles von Pitchfork bis Lacrimosa zutreffen:

"
* Erstens der sogenannte "Abandon Sell-Out". Hier wirft der Künstler seinen bisherigen Bohème-Lebensstil und seine althergebrachten Glaubensgrundsätze über Bord, um nunmehr mit Mainstream Geld zu verdienen.

* Zweitens der sogenannte "Exploit Sell-Out". Hier werden Bohème-Lebensstil und künstlerische Ausdrucksformen im Prinzip in den Mainstream hinübergerettet – allerdings mit dem Ziel, mit einer gefälligeren Weichspülerversion derselben Geld zu machen.

* Drittens der sogenannte "Poser Sell-Out". Er funktioniert umgekehrt. Vertreter des Mainstream adaptieren bestimmte kulturelle Überformungen der Subkultur, um damit Trendiness zu simulieren.
"

Im übrigem schon hinreichend amüsant, das sich der "Aral Lehrstuhl für strategisches Marketing" intensiv mit den Chicks On Speed beschäftigt...  :wink:

Zum Thema CoS und "Cultural Hacking" guckste hier: http://notesweb.uni-wh.de/wg/wiwi/wgwiwi.nsf/name/BREZN-DE - besonders schön sind die "Rules for Breaking the Rules" ganz am Ende des Vortrages.
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« Antwort #25 am: 02 August 2004, 13:06:09 »

farben gehören verboten. buntvolk gehört ein- oder zumindest ausgesperrt.
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colourize

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« Antwort #26 am: 02 August 2004, 13:47:06 »

Zitat von: "Candide"
Zitat von: "colourize"
Und, ums rundzumachen, gleich noch eine Erklärung für den "Pseudo": Der "Pseudo" ist der "kulturelle Abweichler der Subkultur", d.h. er suggeriert nach außen, die subkulturelle Praxis zu beherrschen (Kleidungsstil), verhält sich aber nicht der subkulturellen Norm entsprechend.


Also die Subkultur der Subkultur? Es ist doch einfach albern, wenn Leute, die es sich zum Ziel machen, sich einer Norm zu widersetzen, wenn also eben diese Leute dritten vorwerfen sie würden sich widerrum ihren Normen nicht anpassen. Wer stellt die "subkulturellen Normen" auf, und ist dafür zuständig, sie zu überwachen? :wink:

Nein, falsch verstanden: Nicht die Subkultur der Subkultur, sondern die Adaptation subkultureller Styles ohne Integration in subkulturelle Normen.

Subkulturelle Normen werden auch von Niemandem "aufgestellt", sondern bilden sich mit der Zeit durch die kulturelle Praxis heraus und formen einen "Cultural Core". Die Überwachung erfolgt durch gemeinschaftliche Sanktion: Menschen, die sich nicht normkonform verhalten, werden mit Nichtbeachtung "bestraft".
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colourize

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« Antwort #27 am: 02 August 2004, 13:56:50 »

Zitat von: "Candide"
(...) unterschied er zwischen drei Arten des Subkultur/-Pop Ausverkaufs, die für mich alle drei auf alles von Pitchfork bis Lacrimosa zutreffen

Ähhh... schließen die drei sich nicht gegenseitig aus? Wie kann auf eine Band alles zutreffen...?

M.E. ist Pitchfork ein gutes Beispiel für den "Abandon Sell-Out". Wobei ich zugegebener Maßen nicht so recht die "althergebrachten Glaubensgrundsätze" von Peter Spilles kenne.

Der "Exploit Sell-Out" scheint meiner Meinung nach die häufigste Form zu sein.. sehr gut nachzuvollziehen, wenn man sich die Studio-CD's von Apotheken Bezirk nacheinander in der Reihenfolge ihres Erscheinungsdatums reinzieht.

Für Nummer drei, den "Poser Sell-Out", gibt es sicher auch bessere Beispiele als die von Dir genannten. Mir fallen da als erstes Placebo und HIM ein.
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Candide

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« Antwort #28 am: 02 August 2004, 14:04:03 »

Zitat von: "colourize"

Subkulturelle Normen werden auch von Niemandem "aufgestellt", sondern bilden sich mit der Zeit durch die kulturelle Praxis heraus und formen einen "Cultural Core". Die Überwachung erfolgt durch gemeinschaftliche Sanktion: Menschen, die sich nicht normkonform verhalten, werden mit Nichtbeachtung "bestraft".


Was in der schwarzen Szene ja nun nur sehr bedingt funktioniert - die "Batcave'ler" bestrafen die Lack & Leder Fraktion, und die freut sich nicht etwa drüber, sondern die bestraft die Mittelalter-Hüpfer, die wiederrum die .... und ganz am Rande stehen die über 30jährigen und bestrafen mal kollektiv alle.

Die Szene war ist in trilliarden Sub-Szenen (Tribes) gespalten, und der Kern der Szene ist nur eine Farbe; schwarz. So, wie der Kern der Marke Aral "blau" ist.  Ziemlich trivial, und vor allem gar kein echter Kern, sondern eher 'ne Oberfläche, oder?

Ich gebe Dir im Prinzip durchaus recht - doch diesen gewachsenen "Cultural Core" könnte man auch als "schwarzes Establishment" bezeichnen. Interessant und konstruktiv ist das Wachsen einer (Sub)Kultur, nicht sein reines Da-Sein als Dahinsiechen.

Was die Marke "Gothic" für alle hier interessant macht, ist in keinem Fall eben dieser Markenkern (sonst gäbe es die Frage, die diesem Thread zugrunde liegt, gar nicht), sondern nur das individuell in der Gruppe "Grufties" erlebte. Die tatsächliche Essenz der Szene sind also ihre Anhänger, ob "Pseudo" oder nicht, und keine Musik, keine Farbe, und schon gar kein immer wieder benanntes, aber nie konkretisiertes "schwarzes Lebensgefühl".

Die meisten von Dir angesprochenen "Pseudos" tun nichts anderes, als sich zunächst an das anzupassen, was sie an der Oberfläche wahrnehmen - freie Marktwirtschaft auf gruftisch: "Individualisierungsverlierer"; gib' ihnen Zeit.  :twisted:   :wink:

P.S.: was die Sell-Outs angeht: D'Accord.
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« Antwort #29 am: 02 August 2004, 14:15:36 »

Zitat
Womit wir schon hart an der existenzialistischen Psychologie, irgendwo zwischen Heidegger, Sartre und Jung, vorbeischrammen. Jung führte - soweit ich weiss - als erster die Differenzierung zwischen Individuation und Individualisierung ein, und das trifft zufällig genau das Thema; Individuation ist die Herrausbildung einer eigenen Persönlichkeit im Rahmen der Sozialisierung des Erwachsenen, Individualisierung sehe ich als narzißtischen Selbstverwirklichungstrip besonders im Anschluss an die Pubertät: "Individualismus ist ein absichtliches Hervorheben und Betonen der vermeintlichen Eigenart im Gegensatz zu kollektiven Rücksichten und Verpflichtungen. [...] Während im Prozeß der Individualisierung alles aus Selbst-Zweck geschieht,, vernachlässigt eine gelungene Individuation nicht die Interessen und Bedürfnisse des einzelnen [...]. Eine gelungene Individuation ermöglicht es einem Menschen, authentisch zu leben"


Hi Candide! Ich meinte das garnichtmal existenzphilosophisch, sondern hatte eher die Gegenfraktion im Sinn. Ich glaube nicht an Sachen wie Authentizität, seinem eigenen eigentlichen Wesen entsprechen, etc.

Was würde 'gelungene Individuation' in Bezug auf die schwarze Szene bedeuten? Der perfekte, absolut authentische Gruftie zu werden? Das kann es doch nicht sein, oder?

Richtig ist, dass die Subjektwerdung im Allgemeinen einem Fremdzweck dient. Meist aber was wie: Du sollst hier funktionieren! Daher mein Grundmisstrauen gegenüber fast aller Psychologie. (Nicht, dass man sie nicht brauchen würde, wenn mal garnichts mehr geht.)

Da ist mir der narzisstische Selbstzweck dann doch lieber und zwar in etwa auf diese Art: "Handle so, dass deine Handlung zur Erreichung autonomer, nicht-verdinglichter Praxisformen erforderliche Voraussetzungen schafft und in der historisch möglichen Vielfalt von selbstzweckhaften Handlungen eine persönliche Identität entwickelt." (frei nach Georg Lukács)
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