Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Lyrik / Poesie bekannter Autoren  (Gelesen 18861 mal)

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Lyrik / Poesie bekannter Autoren
« Antwort #60 am: 26 April 2005, 18:33:40 »

oje, das ist so ein thread, den ich nur so vollstopfen könnte, und ich gar nicht wüsste, womit ich beginnen sollte, weil ich, wenn ich dieses oder jenes gedicht poste, immer denke, dass dann dieses oder jene auch rein müsste. ich versuche allerdings mal einen anfang mit einem gedich von m. houellebecq zu machen, meinem ...ähm ... drittliebsten schriftsteller (nach thomas bernhard und samuel beckett) und ... einem meiner liebsten "poeten" ...

Das Ende der alten Ordnung

1
Wir leben heute in einer ganz neuen Ordnung,
Und die Verflechtung der Umstände umhüllt unsere Körper,
Umströmt unsere Körper
Mit einem Strahlenkranz der Freude.

Was die Menschen früherer Zeitalter manchmal in ihrer Musik erahnten,
Verwirklichen wir jeden Tag in der praktischen Realität.
Was für sie dem Reich des Unerreichbaren und des Absoluten angehörte,
Betrachten wir als etwas ganz Einfaches, Wohlbekanntes.
Und dennoch verachten wir diese Menschen nicht;
Wir wissen, was wir ihren Träumen verdanken;
Wir wissen, dass wir nichts wären ohne die Verflechtung von
Schmerz und Freude, die ihre Geschichte ausgemacht hat;
Wir wissen, dass sie unser Bild in sich trugen, als sie Hass und Angst durchquerten, sich im Dunkeln stiessen,
Als sie nach und nach ihre Geschichte schrieben.
Wir wissen, dass es sie nicht gegeben hätte, dass es sie nicht einmal
Hätte geben können, ohne diese Hoffnung tief in ihrem Innern,
Sie hätten nicht einmal ohne ihren Traum leben können.

Jetzt, da wir im Licht leben,
Jetzt, da wir in unmittelbarer Nähe des Lichts leben
Und das Licht unsere Körper umströmt, unsere Körper umhüllt,
Mit einem Strahlenkranz der Freude,
Jetzt, da wir uns in unmittelbarer Nähe des Flusses niedergelassen haben,
An unerschöpflichen Nachmittagen,
Jetzt, da das Licht um unseren Körpern greifbar geworden ist,
Jetzt, da wir am Ziel angelangt sind
Und die Welt der Trennung überwunden haben,
Die gedankliche Welt der Trennung,
Und uns in der reglosen, fruchtbaren Freude
Eines neuen Gesetzes treiben lassen,
Können wir uns heute,
zum ersten Mal,
Das Ende der alten Ordnung
vergegenwärtigen.

2
Manche sagen:
"Die Zivilisation, die wir aufgebaut haben, ist noch anfällig,
Wir haben gerade erst die Nacht hinter uns gelassen.
Wir tragen noch das feindselige Bild dieser Jahunderte des Unglücks
In uns. Wäre es nicht besser, wenn all das verborgen bliebe?"

Der Erzähler steht auf, sammelt sich und erinnert daran,
Unerschütterlich, aber entschlossen steht er auf
Und erinnert daran, dass eine metaphysische Revolution stattgefunden hat.

Wie die Christen sich die früheren Zivilisationen vorstellen und sich ein
Umfassendes Bild der früheren Zivilisationen machen konnten, ohne sich
In Frage zu stellen und ohne an sich zu zweifeln,
Denn sie hatten ein Stadium,
Eine Stufe,
Eine Grenzlinie überschritten,

Wie die Menschen des materialistischen Zeitalters den christlichen rituellen Zeremonien beiwohnen konnten, ohne diese wirklich zu verstehen oder wirklich zu sehen, und die Bücher, die ihre ehemalige christliche Kultur hervorgebracht hatte,
Lesen und immer wieder lesen konnten,
Ohne sich von einer quasi anthropologischen Sichtweise zu befreien,
Unfähig, jene Auseinandersetzungen zu begreifen, die ihre Vorfahren
Um das Zusammenspiel von Sünde und Gnade bewegt hatte,

So können auch wir uns heute die Geschichte der materialistischen Ära
Als eine alte menschliche Geschichte anhören.
Es ist eine traurige Geschichte, und dennoch wird sie uns nicht wirklich traurig stimmen, denn wir gleichen nicht mehr diesen Menschen.
Hervorgegangen aus ihrem Fleisch und aus ihren Begierden, haben wir
Ihre Kategorien und ihre Zugehörigkeiten verworfen.

Wir kennen nicht ihre Freudem, kennen auch nicht mehr ihr Leid,
Gleichgültig
Und völlig mühelos
Haben wir ihre Welt des Todes zurückgewiesen.

Heute können wir jene Jahunderte des Schmerzes,
Die unser Erbe sind, der Vergessenheit entreissen,
Es hat etwas wie eine zweite Teilung stattgefunden,
Und wir haben das Recht, unser Leben zu führen.
Gespeichert
ver Tried. Ever Failed. No Matter. Try Again. Fail Again. Fail Better.
(Samuel Beckett)
_________________

[If accidentally read, please induce vomiting.]