Wenn Deine Bemerkungen ähnlich intellektuellenfeindlich sind wie in anderen Threads freu ich mich drauf.
Als Geisteswissenschaftler kann ich nur sagen: es hat sich gelohnt, solche zu studieren. Wer heutzutage sein Studienfach nach der Wirtschaft ausrichtet, muss einen an der Klatsche haben.
Lieber Thomas, es gibt auch Erfüllung und Freude abseits finanzieller Aspekte.
Man muss sich klarmachen, dass die Geisteswissenschaften unser Alltagsleben wesentlich formen und bestimmen.
Es ist an der Zeit zu sehen, dass die Gesellschaft nicht als one-man-show der ökonomischen Stars funktioniert, sondern ohne die Arbeit hinter den Kulissen kollabiert.
...Ist mithin in der Ausbildung der Juristen der Zusammenhang zwischen Genauigkeit in den Geisteswissenschaften und praktischem Nutzen evident, so ergibt er sich anderswo eher indirekt, z.B. aus den praktischen Konsequenzen geisteswissenschaftlicher Ausbildung, etwa wenn Mitarbeiter an einem Forschungsprojekt des scheinbar so praxisfernen Faches Alte Geschichte nach ihrem Ausscheiden in der 'Wirtschaft', nicht zuletzt im EDV-Bereich, gewissermaßen mit Kusshand eingestellt werden - und zwar nicht in erster Linie, weil sie auch mit EDV umgehen können, sondern weil sie im Umgang mit antiken Texten usw. präzises Arbeiten gelernt haben, das in der Textverarbeitung von unschätzbarem Wert ist. Unterhalb dieser berufspraktischen Oberfläche ist jener Nutzen der Akribie angesiedelt, der sich in dem gegenwärtig bis zum Überdruss missbrauchten Schlagwort 'Innovation' niederschlägt. Der phrasenhaften Verwendung dieses Begriffes durch Politiker scheint die naive Vorstellung zugrunde zu liegen, man müsse nur gezielt 'wollen', dann werde man auch 'Neues' finden. Die entscheidende Voraussetzung für Innovation aber ist Präzision. Erst aus der Fähigkeit zu genauem Verständnis und exakter Interpretation eines Textes ergeben sich neue Deutungen und Fragestellungen, und zwar oft unerwartet und unverhofft. Wem die Fähigkeit zur Akribie abgeht, der wird weder von selbst zu einer fruchtbaren Fragestellung gelangen noch in der Lage sein, einer ihm empfohlenen originellen Fragestellung vielversprechend nachzugehen. Präzises Denken ist ferner Grundvoraussetzung des kritischen Denkens, welches - oft mit 'Kritik' verwechselt - gleichbedeutend ist mit Urteilsfähigkeit unter Einschluss von Selbstkritik. Exaktes Denken aber ist nicht möglich ohne Beherrschung der Sprache, in der man denkt. Wer deren Grammatik, Idiomatik und Vokabular nicht zutreffend zu verwenden weiß, ist nicht nur unfähig, präzise formulierte Gedanken zu Papier zu bringen, sondern überhaupt unfähig zu genauem Denken. Vage, verschwommene Ahnungen und pseudointellektueller Manierismus statt exaktem Wissen und klarer Darlegung desselben sind deshalb heutzutage allenthalben zu beobachten, nicht zuletzt in den Feuilletons der Zeitungen. ...
...6. Geisteswissenschaften bereiten die Studierenden flexibel auf den Arbeitsmarkt vor, weil – nicht: obwohl – sie meist nicht für bestimmte Berufsbereiche ausbilden. Dies einzusehen, fällt der Politik schwer, die Studiengänge fordert, die unmittelbar berufsbezogen sind. Geisteswissenschaftliche Ausbildung zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie im Studium früh einübt, sich selbständig auf wissenschaftlicher Grundlage, also forschend, mit ungelösten Problemen auseinanderzusetzen. Forschungsbezogen zu studieren und zu lehren ist deshalb gerade in einer Zeit, in der lebenslang stabile Berufswege seltener werden, der Königsweg zur Qualifikation für offene, im voraus nicht bekannte Berufsfelder. Das ist kein Wunschtraum, sondern beschreibt die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. ...