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Ist Streaming bald am Ende?

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banquo:

--- Zitat von: BaerndME am 16 Februar 2022, 16:54:21 ---
Natürlich garantiert niemand, dass die Empörungsmobs der politischen Korrektheit immer fair sind, und niemand schließt eine Instrumentalisierung aus, nein, wie denn auch? Aber meistens haben diese Mobs einen lobenswerten Grund oder Anlass, sich zu bilden, und sind das Ergebnis einer gesellschaftlichen Dynamik.
Es gibt eine ganz einfache Möglichkeit, ihnen zu entgehen: Sei einfach nicht scheiße.

Bist du es doch, und der Mob kommt dich heimsuchen, dann bist du sehr, sehr oft in einen Fettnapf getreten, der der neuen Rechten irgendwie in die Hände spielt. Du hast dich sexistisch, rassistisch oder irgendwie anders verachtend, verletzend oder gesellschaftsschädigend geäußert.


--- Ende Zitat ---

Das halte ich für eine gelinde gesagt sehr naive Ansicht.
Zum einen: du kannst heute doch überhaupt gar nicht voraussagen, was morgen, nächste Woche, nächstes Jahr das Missfallen des Internets erregen wird. Es ist völlig unvorhersehbar, und es ist auch unwürdig, finde ich, sein Leben in Angst vor einem Mob verbringen zu müssen. Ich find es ein bisschen vermessen, anzunehmen, man könne das einfach auf "sei halt nicht scheiße" zusammenfassen, die Realität zeigt ja doch schon recht deutlich, dass es eben nicht so eindeutig ist.

Dieses Buch hier ist mittlerweile sieben Jahre alt:
https://en.m.wikipedia.org/wiki/So_You%27ve_Been_Publicly_Shamed

Die meisten der Leute, die darin als Beispiel genannt werden, die haben nicht darum gebeten, so in die Öffentlichkeit gezerrt, bedroht und verleumdet zu werden. Das ist nämlich gleich der nächste Punkt: eine solche wütende Meute ist immer unkalkulierbar, und die Dynamik, die sowas bekommt, die kann so schnell umschlagen, das steht in keinem Verhältnis zu den vielleicht heren Zielen, die man damit verfolgen will. Was auch gleich wieder ein weiterer Punkt ist: woher bist du dir da eigentlich so sicher, dass diese Leute dann _deine_ Ideale und Werte umsetzen? Hast du dir mal angeguckt, was für Personen in der Geschichte üblicherweise auf Mobjustiz setzen? In Pakistan zum Beispiel? Oder in den amerikanischen Südstaaten? Die sind ja auch der Meinung, die Leute, die sie da totschlagen wollen hätten sich beleidigend oder "gesellschaftsschädigend" geäußert.

Für die Bestrafung von Missetaten gibts in diesem Land ein Justizsystem. Das mag nicht immer gut funktionieren, aber es ist immer noch 1000 Mal besser als "wer genügend Wütende zusammenbringt entscheidet, was sanktioniert werden sollte."
 

RaoulDuke:

--- Zitat von: BaerndME am 16 Februar 2022, 16:54:21 ---Ich bitte um Entschuldigung für die lange Wartezeit, was meine Antwort betrifft (ich sehe mich hier in gewissem Maße adressiert). Situationen passieren. Sie kennen das.

--- Ende Zitat ---

Sehr gut kenne ich das, und eigentlich sollte ich auch mit einer Entschuldigung beginnen. Zu drohen, sich aus der Diskussion zurückzuziehen, wie ich es weiter oben gemacht habe, ist nun wirklich extrem schlechter Stil und ich bin froh, dass sich nach diesem Fauxpas meinerseits überhaupt noch jemand an der Debatte beteiligen mag.

Aber diese kleine Runde bekommt manchmal leider nur noch meine Restenergie ab, wenn alle anderen Themen, die höher priorisiert sind, bereits bearbeitet sind, und wenn ich keine Energie mehr habe, sollte ich halt nicht schreiben. Und meine Güte, haben diese anderen Themen Energien gefressen. Aber das ist OK, ich habe mir mein Leben, meine Aufgaben und meine Prioritäten ja selbst ausgesucht, nur bleiben Fehleinschätzungen eben im Rahmen des Möglichen, und Kollateralschäden können auch auftreten....


--- Zitat von: BaerndME am 16 Februar 2022, 16:54:21 ---Natürlich garantiert niemand, dass die Empörungsmobs der politischen Korrektheit immer fair sind, und niemand schließt eine Instrumentalisierung aus, nein, wie denn auch? Aber meistens haben diese Mobs einen lobenswerten Grund oder Anlass, sich zu bilden, und sind das Ergebnis einer gesellschaftlichen Dynamik.
Es gibt eine ganz einfache Möglichkeit, ihnen zu entgehen: Sei einfach nicht scheiße.

Bist du es doch, und der Mob kommt dich heimsuchen, dann bist du sehr, sehr oft in einen Fettnapf getreten, der der neuen Rechten irgendwie in die Hände spielt. Du hast dich sexistisch, rassistisch oder irgendwie anders verachtend, verletzend oder gesellschaftsschädigend geäußert.

--- Ende Zitat ---

Ich würde hier gern widersprechen, und eigentlich den Beitrag von banquo in jedem Wort unterschreiben.

Gerne würde ich jedoch noch ein paar Argumente hinzufügen, und auch eine These zuspitzen: Es ist nicht so so, dass die Mobs nicht immer fair sind, sie sind nie fair. Fairness drückt laut Wikipedia "eine (nicht gesetzlich geregelte) Vorstellung von Gerechtigkeit aus." Um Gerechtigkeit geht es bei Mobs jedoch nicht, sondern um Macht. Wer einen Mob anheizen kann, kann ihn als Waffe einsetzen, wie wir bei Spotify und zahlreichen anderen Beispielen gesehen haben. Ein Mob urteilt aber nicht, er diskutiert nicht, er wägt nicht ab, er hört nicht beide Seiten. Er ist zornig und will mit allen Mitteln gewinnen - es gibt dabei in der Regel keine wirklichen roten Linien. So etwas ist ja keine neue Erfindung, und nicht einmal auf die Spezies Mensch beschränkt: Sogar unter unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, gibt es Krieg durch aufgebrachte, gegeneinander kämpfende Gruppen - siehe hierzu bspw. den "Schimpansenkrieg von Gombe".

Einen großen Teil unserer Geschichte haben wir als Menschen damit verbracht, einzuhegen, dass sich einfach Gruppen zusammenschließen können und tun, was sie wollen. Die Herrschaftssysteme der Vergangenheit, wie beispielsweise Monarchien, waren dazu beispielsweise geeignet, denn auch sie waren auf das Einverständnis der Beherrschten angewiesen: Gehorcht dem König, und er bietet Ordnung und Schutz, hieß es. Kein wirklich toller Deal für viele Menschen, aber wenigstens konnte man sich darauf verlassen, dass sich nicht irgendwelche Leute zusammenrotten und das eigene Dorf überfallen, sonst bekommen sie es nämlich mit dem König zu tun. Die ganze Entwicklung hin zur Demokratie, die zwar im Vergleich mit anderen Systemen viel ineffizienter, langsamer und teurer ist, konnte m.E. nur stattfinden, weil es den Menschen wert war, die Nachteile in Kauf zu nehmen, weil die Demokratie die Gewalt aus der Gleichung nahm, und zwar vollständig - sowohl von den Mob-Horden als auch vom König.

Genauso verhält es sich mit dem Rechtssystem, das auch banquo anführte - es bietet Verlässlichkeit, Schutz und Berechenbarkeit, Fairness und Gleichheit, im Tausch gegen eine Einbuße an Freiheit. Auch die Religionen, zumindest die abrahamitischen Religionen, widmen auch einen nicht geringen Teil ihrer Energie dem Verhindern von Mobs, indem sie ihnen die Munition entnehmen. Ein enthemmter Mob sieht sich ja im Recht, weil er ein höheres Ziel verfolgt, wie beispielsweise die Erreichung eines Utopia und seine Realisierung hier auf Erden. Wenn es jedoch möglich ist, ein Utopia zu realisieren, den besten Zustand, der überhaupt möglich ist, dann ist auch jedes Mittel zu seiner Erreichung recht, denn das höchste Ziel rechtfertigt ja die höchsten Mittel, oder? Geschickterweise ist der Eintritt in das Paradies, das als das Höchste und Erstrebenswerte überhaupt dargestellt wird, erst nach dem Tode möglich. Das klingt schwer verständlich und nicht relevant, aber es sagt auch etwas sehr konkretes aus: Es ist im Leben nicht möglich. Es gibt kein irdisches Utopia. Hände weg davon! Und dann rechtfertigt auch nur noch wenig den Einsatz extremster Mittel.

Warum geben sich so viele Leute so viel Mühe, Mobs zu verhindern? Hier mal eine Auswahl historischer Mobs, und was dabei herauskam:

- die Hexenverbrennungen: Das Volk wollte Blut sehen, und es war ja klar, wer für die schlechten Ernten verantwortlich war, oder?

- Der Sturm auf die Bastille: Das als Initialzündung der französischen Revolution angesehene Ertürmung des Stadtgefängnisses setzte eine Reihe von Ereignissen in Gang, zu denen unter anderen die Terrorherrschaft der Jakobiner gehörte, die Zehntausende von Köpfen vermeintlicher Gegner mit halbautomatischen Tötungsmaschinen abhacken ließen, der Guillotine. Man kann argumentieren, da wäre ein Weg begonnen worden, der uns die Demokrtatie gebracht hätte, aber erstmal kam danach Napoleon, und all seine Kriege. Und der Terreur.

- Die Reichskristallnacht: In unserem Forum, in dem Diskussionen immer wieder auf das Dritte Reich referenzieren, darf sie natürlich nicht fehlen. Nationalsozialisten hatten mit Lügen, Propaganda und konstantem Anheizen der Stimmung ein Pogrom entfacht, der als Beleg dafür dienen sollte, dass die Deutschen sich endlich gegen das Weltjudentum zur Wehr setzten. Ein großer Schritt auf dem Abstieg in das unbegreifliche, unfassbare Grauen der Shoa. Und ein Mob, der sich absolut im Recht fühlte, ja geradezu endlich das Richtige tat.

... ich bin gerade versucht, zu schreiben und zu schreiben und zu schreiben. Es werden aber immer nur mehr Beispiele des Gleichen: Irgendwelche Gruppen, denen man nur gehorchen musste, dann bringen sie einen auch nicht um, haben eine blutige Spur durch die Geschichte gezogen.

Warum nur sind sie wieder so aktuell? Neben dem durch Social Media gesunkenen Aufwand dafür, einen Mob anzuheizen, gibt es auch eine neue Ideologie: Vertreter der Postmoderne, insbesondere Intersektionalisten, fassen unsere eigentlich zum Schutz vor der Gewaltherrschaft des oder der stärkeren Gruppen gebildeten Institutionen nicht mehr so auf, wie sie aus dieser Sicht gemeint waren - sondern nur als so etwas wie einen konkurrierenden Mob. Wenn man die Dmokratie und das Rechtssystem beispielsweise nur noch als den verlängertem Arm der weissen Rassisten des Patriarchats auffasst, dann das nicht mehr für alle verbindlich. Es ist nur ein weiterer Stamm im Kampf der Stämme.

Lässt man diese Logik zu und folgt ihr und lehnt - wie passenderweise viele Mob-Vertreter - alles ab: Ordnung, Struktur, die Lektionen aus der Geschichte, alle Institutionen, Religionen, alle Werte, dann wird aus meiner Sicht kein Utopia kommen, sondern nur die Wiederherstellung des Zustandes des Krieges zwischen den Schimpansen.

Alte Pizza:
@banquo

Für Opfer von emotionaler Gewalt in Abhängikeitsverhältnissen gibt es in diesem Land kein Justizsystem.

Jack_N:
Das Beispiel mit den Mobs war von der Ausdrucksweise her schlecht gewählt. Was aber durchaus imho zählt sind Grundwerte des (friedlichen) Zusammenlebens.
Auch hier ein Problem: Wir haben eine weltweit vernetzte Kommunikation, diese Grundwerte sind aber nicht weltweit identisch. Gerade wieder ein Video gesehen, wo junge Leute in einem anderen Land gefragt wurden was sie tun würden, wenn ihre Schwester sich selbst einen Mann aussucht und heiratet. Sofortige Reaktion von allen, ohne Zögern: Ich würde sie umbringen. Mit einem Lachen, mit einer vollkommenen Selbstverständlichkeit. Mit Kommentaren wie "ist doch nur ein wertloses Mädchen, es geht um die Ehre der Familie".
Und das waren keine Leute, die Bärte oder einen Turban oder ein langes Gewand trugen. Das kam von Menschen, die in einer westlichen Großstadtmenge nicht auffallen würden.

Solange wir uns also weltweit noch nichtmal darüber einig sind, was für uns alle weltweit gleiche gültige Grundwerte sind, solange halte ich tatsächlich weltumspannende Kommunikationsmittel für gefährlich. Denn es wird immer Anstachler geben, die aus der Natur der Sache, und dem Wesen einer Gesellschaft ein neues Feindbild für die eigene konstruieren.

Das größte Problem sind aber Leute, die diese Kommunikationsmittel nicht vernünftig bedienen können (das aber nicht wahrhaben wollen), und dementsprechend noch leichter damit manipuliert werden können. Und ja, die Art und Weise WIE manipuliert wird, wird immer raffinierter. Für den Großteil brauchts aber gar keine Rafinesse, für das Entdecken reichen dementsprechend auch 2 halbe Gehirnzellen und etwas Grundlogik.
Wenn z.B. Regionalpolitiker für eine Aussage mehr "Likes" bekommen als Superstars, die ein weltweites Millionenpublikum haben, dann sollte eigentlich jedem klar sein, dass da was nicht stimmen kann ;)

BaerndME:
Wie interessant diese Missverständnisse und Betrachtungen einer Thematik aus verschiedenen Winkeln sind.


--- Zitat von: RaoulDuke am 18 Februar 2022, 12:15:17 ---...
Warum geben sich so viele Leute so viel Mühe, Mobs zu verhindern? Hier mal eine Auswahl historischer Mobs, und was dabei herauskam:

- die Hexenverbrennungen[,...] Der Sturm auf die Bastille[,...] Die Reichskristallnacht
...

--- Ende Zitat ---

Vielleicht könnte man sagen, dass diese Dinge tatsächlich auf Empörungsmobs fußen, aber...
...die Empörungsmobs, um die es hier geht, heißen #metoo, #blacklivesmatter und jetzt neuerdings auch #neilyoung. Die großen Mobs, denen es um die political correctness geht.
So habe ich deine Worte dazu verstanden, darauf habe ich mich bezogen.

Wenn ich "Reichskristallnacht" und "Hexenverbrennung" lese, rieche ich Angst.
Ich finde es interessant, insbesondere von dir, las ich doch einige Seiten vorher von dir die genau richtige Frage zum Thema:


--- Zitat von: RaoulDuke am 08 Februar 2022, 13:17:21 ---...ist das die Situation? Bist Du Dir da sicher?

--- Ende Zitat ---

Von Neil Young, Diskussionen um Spotify, Metoo, Blacklivesmatter, Nestlés Problemen, Negerkuss- und Zigeunersoßenumbenennung, Fußball-WM in Katar und vielen, vielen anderen zu einer Diktatur oder Meinungseinschränkung, gerne auch Meinungsdiktatur, ist es noch sehr, sehr weit. Und im Moment finden wir hier Mobs, die existieren, weil der Gerechtigkeitssinn, ja im Prinzip der Fairnesssinn vieler Menschen, diese dazu treibt, gegen Ungerechtigkeiten wie Unterdrückung, Rassismus, Umweltverschmutzung, Schaden an der Menschheit und vielem mehr verbal auf die Barrikaden zu gehen.
Und dagegen gibt es ein Mittel, was meist recht gut funktioniert: Sei nicht scheiße.

EDIT n+1: Wichtig, lieber Raoul: In diesen meinen Zeilen steckt keine Kritik oder Wertung. Dass ich den Verlauf dieser Diskussion "interessant" finde, ist genau der Punkt und ohne Sarkasmus ect. so gemeint.

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