Schwarzes Hamburg > Politik und Gesellschaft
Bundestagswahl 2021 - und jetzt?
Jack_N:
Muss da Baernd in vielen Punkten zustimmen.
Erbschaftssteuer - trifft nur sehr wenige, wenn sie so wie angedacht kommt. Die Zahl an Einzelerben, die über 500.000€ pro Nase bekommt, ist doch recht überschaubar. Das ändert sich natürlich jetzt gerade etwas durch die total überhöhten Immobilienpreise - aber selbst mit denen liegt der Großteil der Immobilien auf dem Markt darunter, und wie die Wertentwicklung in 10-20 Jahren ist, ob da nicht ne Blase platzt kann keiner vorhersehen.
Den Bürgern Geld zu verschaffen, frei nach dem Motto fairer Lohn für faire Arbeit, ist sicher auch nicht verkehrt. Die Dissonanz zwischen den Gehältern, insbesondere in Führungsriegen und der normalen Angestelltenschaft, ist nicht mehr zu vermitteln. Wir haben uns hier innerhalb von ca. 40 Jahren vom 5-fachen Gehalt einer Führungsperson zum teilweise 50-fachen Gehalt (und mehr) bewegt. Ja, im gleichen Atemzug wurde viel "middle management" abgebaut, die angeblich so tollen flachen Hierarchien haben aber nur dazu geführt dass die Mittelschicht ausgedünnt wurde. Das haben wir toll von den USA übernommen, die bereits n Jahrzehnt früher damit angefangen haben. "Flache Hierarchie" klingt ja erstmal auch prima, entfernt aber viele Aufstiegsmöglichkeiten.
Gespannt bin ich wirklich ob die Pflegekraft-Misere jetzt langsam mal angegangen wird. Irgendwann wollen auch keine Leute aus dem Ostblock mehr diese Jobs für nen Hungerlohn bei uns übernehmen, und dann? Die Prognosen für den Personalmangel sorgen derzeit nur dafür, dass immer mehr Leute mit der Kündigung liebäugeln.
Was ich mich eigentlich nur frage ist wie viele Politiker, die jetzt das erste Mal in die Regierungskreise einziehen, umkippen und sich kaufen lassen. Bzw. nicht wie viele, sondern wann es so weit ist dass es alle erwischt hat. Denke nicht dass auch nur ein einziger, der es nach oben schafft, da immun ist.
Es wäre ehrlicher wenn sie ihre Sponsorenlogos direkt am Jackett tragen würden, dann wüsste man woran man ist.
RaoulDuke:
Also mit Politik ist es ja so eine Sache.
Ich habe gelernt, dass das Diskutieren politischer Standpunkt im öffentlichen Raum so seine Herausforderungen hat. Ob man sich das nun auf das forum romanum bezieht oder auf das dieses Forum, da ist Vorsicht geboten und war es wohl auch schon immer. Politische Diskussionen ad rem zu führen, benötigt eine Disziplin, die, wie die Entwicklung von Hatebook zeigt, nicht viele aufbringen wollen oder können. Daher verzichte ich auf die Teilnahme einer Diskussion von politischen Standpunkten in diesem Forum. Ich kann nur sagen, dass ich zu denen gehöre, die eine rot-rot-grüne Koalition nicht für gut für das Land gehalten hätten, und irgendwo habe ich mal eine Umfrage gesehen, dass 80% der anderen Wahlberechtigten vor der Wahl auch so gedacht haben (fragt mich jetzt aber bitte nicht nach der Quelle, das habe ich vor Tagen irgendwo im Netz aufgesammelt, es ist mit Google nicht leicht wiederzufinden). Das bedeutet allerdings nicht, dass ich verlangen würde, dass alle anderen genauso denken. Natürlich nicht, denken jetzt vielleicht Menschen mit dem gleichen Weltbild wie ich. Wieso denn nicht, denken jetzt vielleicht Menschen mit diesem anderen Weltbild. Aber so ist die Welt nun einmal.
Jack_N:
Das ist doch vollkommen normal, und nix wofür man sich meiner Meinung nach explizit rechtfertigen muss.
Edit: Was ich meine ist: Jeder ist geprägt durch sein soziales Umfeld, seinen Job, seine Erfahrungen. Und damit hat jeder andere Meinungen und Ansichten, und natürlich vertritt man bei einer Wahl auch Dinge, die einem einerseits als Werte wichtig sind, andererseits aber auch, was man sich für seine Zukunft wünscht. Die Frage ist wem man am ehesten zutraut da etwas zu bewegen - falls man Bewegung möchte. Da denkt aber jeder anders drüber, das Folgende ist auch nur meine Meinung, mit der ich in den Augen anderer total falsch liegen kann.
Genauso wie ich denke, dass wir in unserem Handeln eigentlich schon Jahrzehnte zu spät dran sind mit höheren Abgaben auf gewisse Dinge, und immer nur dem Geld weiteres Geld hinterhergeworfen haben um den Status Quo zu wahren, genauso geht anderen, die sich rund um dieses Umfeld arrangiert haben, jetzt der Kackstift wenn sie vor Veränderungen gestellt werden, die sie ihr Leben lang ausgeblendet haben - frei nach dem Motto: War nie nötig, wurde immer verhindert, das passiert schon nicht.
Beispiel: Fleischindustrie. Die immer größer werdenden, pervers anmutenden Schlachthöfe, die uns die billigen XXL-Schnitzel und gemischtes Hack für 1,50€/Pfund bescheren, stehen vor Problemen. Die Abnahme sinkt, sie versuchen mit Dumpingpreisen gegenzusteuern. Das betrifft dann aber vor allem die anliefernden Bauern, die sich auf eine schnelle Aufzucht von Tieren spezialisiert haben, weil das für sie das lukrativste Geschäftsmodell war. Jetzt aber wird langsam genauer auf die Zustände der Tiere geschaut, die Bauern bekommen weniger oder die Schlachthöfe nehmen die Tiere gar nicht erst ab - die Aufzucht für die nächsten Monate/Jahre ist aber unverändert in vollem Gange.
Umstellen auf Bio ist auch nicht so einfach, spätestens seit Aldi angekündigt hat, ab einem gewissen Punkt nur noch Tiere aus Freilandhaltung zu Fleisch zu verarbeiten (Tierwohl-Klasse 4), und damit einen Großteil der jetzigen Lieferanten auszuschließen, gehen die Alarmglocken bei den bisherigen Viehhaltern los. Zudem: Wenn sie alle auf Freilandhaltung umstellen würden (was viele mangels Ländereien gar nicht in der Größe können), dann wären sie wieder in Konkurrenz und könnten durch das Überangebot erneut ihre Preise nicht reinholen, die sie für die artgerechte Versorgung der Tiere benötigen.
Korrekt wäre gewesen schon vor längerer Zeit sich vom Geschäft der Massentierhaltung zu verabschieden, und langsam umzustrukturieren. Aber das hätte ja Aufwand bedeutet, und Umdenken. Und warum, wenn es mit Lobbyarbeit an die CxU doch auch funktioniert hat?
Und das Beispiel kann man schön auf fast unendlich viele Branchen übertragen. Da wurden veraltete Geschäftsmodelle und Fertigungsmethoden über Jahrzehnte hin verschleppt, und gemolken. Ich kenne Firmen die Kabel herstellen, high-End Netzwerkkabel für widrige Umgebungen mit säurefesten Mänteln usw... Und was für Maschinen sind im Einsatz um das Kupfer aus armdicken Strängen zu den dünnen Kabeln zu pressen und zu verspinnen? Uralt-Geräte aus den 50ern und 60ern, noch von der Telekom. Weil es da nix neueres gibt - auch hier haben sich Firmen auf Know-How ausgeruht, und sind dann pleite gegangen weil sie nichts neues erfunden haben, keine weiteren Geräte entwickelten. Resultat ist dass es jetzt für Uralt-Maschinen keinen Ersatz gibt und die von den wenigen Menschen, die sich damit noch auskennen, gepflegt werden wie sonstwas damit sie dauerhaft weiterlaufen können. Und das nur, weil deren Hersteller nur eine Produktschiene hergestellt hat, und als der Markt gesättigt war, dann keine Ahnung hatte was man tun sollte. Man war doch Marktführer, warum verkauft man denn nix mehr?
Es herrscht halt das Ich-ich-ich-Syndrom. Leider. Passend dazu - stammt zwar aus den USA, ist aber auch hierzulande 1a anwendbar: https://imgur.com/O85l98o.jpg
Würde mir wünschen dass unsere Gesellschaft mehr in Richtung Zukunft unterwegs wäre, und dabei diejenigen, die sich die bunte Welt nicht leisten können aufgrund von sozialer Ungerechtigkeit, nicht vergisst. Dann hätten wir auch weniger Probleme an anderen, radikalen Fronten und keine Fackelmärsche in Sachsen wie gestern.
Zurück zur Wahl: Ich kann aber beim besten willen nicht verstehen wie Annalena Baerbock auseinandergenommen wurde. Das war unterste Chauvi-Schublade der Presse, zusammen mit einer Schmutzkampagne sondergleichen. Ja, ihr Buch enthielt kopierte Passagen. Das war dumm,kann man nicht anders sagen.
War das jetzt dümmer als das was Laschet oder Scholz sich in den vergangenen Jahren geleistet haben? Und wofür sie nichtmal angemessen bestraft wurden? Wohl kaum. Aber weil sie eine Frau ist ist sie damit schon automatisch "raus". Traurig.
colourize:
Tjoah... der große Gemischtwarenladen da im Parlament. Ich bewerte das Ergebnis sehr ambivalent.
Erstmal finde ich es sehr gut, dass die Union nicht stärkste Fraktion geworden ist. Ich hatte nämlich befürchtet, dass Viele in letzter Minute noch von der FDP zur Union umschwenken, damit es in jedem Fall eine unionsgeführte Regierung geben wird, hier in diesem struktur- und wertkonservativen Land. Frei nach dem Motto "Bloß keine Experimente und der Union bitte das ihr zustehende Dauerabo aufs Kanzleramt."
Selbst Laschet konnte es ja nicht fassen, dass er trotz einer Wahlniederlage vermutlich nicht Kanzler werden wird. Unerhört. Denn jetzt stehen die Zeichen voll auf Ampel, und ich fände es natürlich gut, wenn die CDU mal in die Opposition geht.
Natürlich wäre es besser gewesen, wenn es eine rechnerische Möglichkeit für RRG gegeben hätte (auch wenns unwahrscheinlich ist, dass es gekommen wäre), hätte man doch den Preis hochtreiben und die FDP in Verhandlungen kleinhalten können, wenn es noch den Gruselkasper RRG im Wandschrank gegeben hätte.
Aber wie erwartet reicht es natürlich für RRG halt nicht in unserem konservativ geprägten Lande. Dafür gibt es hier einfach keine Mehrheiten.
Für die Linke finde ich diesen 4,9% Schock mal einen guten Schuss vor den Bug. Ich hoffe, dass die Linke draus lernt und sich einheitlicher aufstellt das nächste mal, sodass klarer ist wofür sie steht.
Letztlich gibt es drei sehr verdiente Verlierer (AfD, Union, Linke) und drei sehr verdiente Gewinner (SPD, FDP, Grüne). Ich denke, dass die Wahlgewinner gut daran tun, sich nun möglichst schnell zusammenzutun und eine Regierung zu bilden. Das letzte was wir jetzt brauchen, ist ein monatelanger Stillstand mit einer kommissarischen Regierung.
BaerndME:
--- Zitat von: RaoulDuke am 28 September 2021, 09:31:14 ---Also mit Politik ist es ja so eine Sache.
Ich habe gelernt, dass das Diskutieren politischer Standpunkt im öffentlichen Raum so seine Herausforderungen hat.
--- Ende Zitat ---
Ich wollte schon fragen, ob ich mal wieder zu provokativ geschrieben habe.
Mir geht es um ein Verständnis dafür, warum das mit R2G so schlimm sein soll.
Wofür ich Verständnis habe: Unsere Diskussionskultur in den letzten 2 Jahren lädt nicht gerade dazu ein, eine sachliche Unterhaltung über Politik zu führen, die niemandem emotional nahe geht. Das haben wir verbockt, und ich sehe ein, dass du da auch nicht mitmachen willst. Und sollte mir eigentlich ein Beispiel an dir nehmen. Aber scheißenochmal, da ist ja noch mein Sendungsbewusstsein... ^^
--- Zitat von: Jack_N am 28 September 2021, 10:09:39 ---Beispiel: Fleischindustrie. Die immer größer werdenden, pervers anmutenden Schlachthöfe, die uns die billigen XXL-Schnitzel und gemischtes Hack für 1,50€/Pfund bescheren, stehen vor Problemen. Die Abnahme sinkt, sie versuchen mit Dumpingpreisen gegenzusteuern. Das betrifft dann aber vor allem die anliefernden Bauern, die sich auf eine schnelle Aufzucht von Tieren spezialisiert haben, weil das für sie das lukrativste Geschäftsmodell war. Jetzt aber wird langsam genauer auf die Zustände der Tiere geschaut, die Bauern bekommen weniger oder die Schlachthöfe nehmen die Tiere gar nicht erst ab - die Aufzucht für die nächsten Monate/Jahre ist aber unverändert in vollem Gange.
Umstellen auf Bio ist auch nicht so einfach, spätestens seit Aldi angekündigt hat, ab einem gewissen Punkt nur noch Tiere aus Freilandhaltung zu Fleisch zu verarbeiten (Tierwohl-Klasse 4), und damit einen Großteil der jetzigen Lieferanten auszuschließen, gehen die Alarmglocken bei den bisherigen Viehhaltern los. Zudem: Wenn sie alle auf Freilandhaltung umstellen würden (was viele mangels Ländereien gar nicht in der Größe können), dann wären sie wieder in Konkurrenz und könnten durch das Überangebot erneut ihre Preise nicht reinholen, die sie für die artgerechte Versorgung der Tiere benötigen.
--- Ende Zitat ---
In solchen Momenten sehe ich immer die Gründe dafür, dass ich fest daran glaube, die Marktwirtschaft sei immer noch das beste System, das wir haben und kennen. Hier regelt der Markt, und das was Aldi hier tut, ist verdammt nochmal gut und richtig.
Aber dein Punkt ist mir nicht ganz klar: Meinst du, durch frühere Rahmenbedingungen für Bio- und Freilandproduktion hätte man Fleischerzeugern eine zerstörte Existenz und Tieren eine sinnlose Schlachtung zur Vernichtung ersparen können, oder wie meinst du das?
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