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Autor Thema: Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz  (Gelesen 5375 mal)

Kenaz

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Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« am: 08 April 2013, 15:09:46 »

So, Kinder, so langsam heißt's die warmen Klamotten wieder herauskramen, denn der Zeitgeist wendet sich peu a peu in eine ziemlich unkuschelige Richtung, wie dieser Artikel hier deutlich macht: Geld ist eben doch wichtiger als Freiheit ... - Im Grunde genommen nichts Neues, sehr wohl neu ist allerdings, dass man diese uralte Binsenweisheit nun wieder ganz offen auszusprechen wagt.

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sYntiq

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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #1 am: 08 April 2013, 17:15:11 »

"Aber nicht arm zu sein, ist auch ein fundamentales Menschenrecht"
Dass heisst: Um die Menschenrechte nicht zu verletzten, würde ich auch ohne Arbeit von irgendwem so viel Geld bekommen das ich nicht als arm gelte (also kein Hartz IV)? :P

Oder sind zB. Hartz IV Bezieher dann einfach per Definition keine Menschen mehr? (Hmm..In Grunde also fast schon wie jetzt, wenn man sich mal umhört wie menschenunwürdig man von manchen Ämtern und Jobcentern behandelt wird...)


Ich frag mich ja manchmal ob diese ganzen Wirtschaftsexperten etc. überhaupt selbst irgend eine Ahung in ihrem "Expertengebiet" haben. Denn auch in diesem Artikel geht es anscheinend wieder nur um Wachstum, Wachstum, Wachstum. Irgendwann ist aber mal ein Ende erreicht. Nichts kann ewig wachsen. Ganz im Gegenteil. Was auch immer wieder vergessen wird: Eben weil nichts endlos wachsen kann, muss A irgendwann schrumpfen, damit B wachsen kann usw. Im Moment schrumpft das Wirtschaftswachstum der westlichen Welt, dafür wächst aber China fröhlich heran. Sich nun aber ganz an und nach China ausrichten, nur damit wieder alles und jeder wächst? Nein, funktioniert nicht.

Aber ich hab ja auch keine Ahnung von dem Kram. Ich bin ja schliesslich kein Wirtschaftsexperte.  ::)
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colourize

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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #2 am: 08 April 2013, 17:37:50 »

Kenaz, moment, nur mal vorab fürs Protokoll: Demokratie ist für Dich gleichbedeutend mit Freiheit? - Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, so bin ich doch arg überrascht, denn das hätte ich nicht vermutet. 8)

Zum Thema selbst: Eine Einzelmeinung vermag nun keine Regierungen zu stürzen, daher würde ich das Ganze nicht so hochhängen. Aber interessant ist sicher, dass die USA und mit ihr die westlichen Demokratien Europas am Beispiel von China anerkennen mussten, dass sie sich in einem zentralen Punkt geirrt hatten: Jahrzehntelang ging man im Westen (zumindest pro forma) davon aus, dass Demokratie und Marktwirtschaft untrennbar miteinander verbunden sei, ja, dass das eine nicht ohne das andere möglich sei. In Deutschland war es vermutlich Ludwig Erhard als vielleicht wichtigster politischer Kopf der Nachkriegszeit, der dieses Denken stark in unserer politischen Kultur verankerte - was mit Blick auf den Gegenentwurf Planwirtschaft/Sozialismus jenseits des Eisernen Vorhangs ja auch leicht zu bestätigen war. Letztlich wurde so über Jahrzehnte Werbung für das politische System des Westens gemacht: "Ihr wollt Bananen, Kaffee und moderne Automobile? - Dann opponiert gegen die Genossen im Politbüro und das sozialistische Regime, denn dies ist die Ursache dafür, dass ihr diese Güter nicht bekommen könnt." Diese Form der Propaganda zog in den sozialistischen Ländern, deren Regierungen nicht gestürzt wurden weil die Massen passives Wahlrecht oder das Recht auf freie Meinungsäußerung wollten, sondern weil die Verheißung lautete, dass der Urlaub am Strand von Rimini, die neue 100-Hertz-Glotze, das Stones-Konzert und der VW Golf GTI eben nur mit einer Demokratie "westlicher Prägung" zu haben seien.

Mittlerweile ist diese Propaganda aber nicht mehr glaubhaft zu vermitteln. Zu eindrucksvoll wirkt die Gegenwart der Kathedralen der westlichen Produktion, die die Versprechungen der Demokratie (man setze hier so etwas ein wie "Wohlstand für Alle!") nicht mehr einlösen können und sich heute stattdessen nur noch generische Hüllen ihrer selbst präsentieren ("Yes, we can!"). Dem gegenüber steht der Aufstieg chinesischer Metropolen zu Global Cities - was sich eben auch (dem repressiven System zum Trotz) in einer optisch deutlich erkennbaren Kultur des Konsums äußert.
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RaoulDuke

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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #3 am: 08 April 2013, 20:41:07 »

So, Kinder, so langsam heißt's die warmen Klamotten wieder herauskramen, denn der Zeitgeist wendet sich peu a peu in eine ziemlich unkuschelige Richtung, [...]

Paradigmenwechsel, ick hör' dir trapsen: China wird zur globalen Leitkultur - schöne neue Welt! 8)

Vor kurzem habe ich leicht provozierend ein einem anderen Thread der Demokratie ein paar unschöne Dinge unterstellt. Seltsamerweise kam ich von dem Gedankengang in der Folge gar nicht mehr so wirklich los und bin daher geradezu dankbar für diesen Zündfunken.

Hier einmal ein paar unsortierte Gedanken zu der Thematik, die vielleicht eher für ein Blog geeignet wären, was ich vielleicht tatsächlich einmal aufsetzen werde, um derartigen Gedanken freien Lauf lassen zu können, ohne vielleicht den Rahmen eines Forums zu sprengen. Aber hey, welchen Rahmen eigentlich?

Ein zentraler Satz des Artikels im Spiegel ließ mich stutzig werden und trat geradezu eine Kettenreaktion los: Der interviewte Professor Daniel A. Bell sagte ganz am Ende des Artikels: "Vor 20 Jahren hätte ich mich ziemlich aufgeregt, jemanden wie mich reden zu hören." Das erste, was mir durch den Kopf schoß war: Ganz meinerseits.

Ich erinnere mich noch gut an die Stimmung vor der Jahrtausendwende. Zwar hatten wir die Asienkrise vor einer Weile überstanden und die Russlandkrise war gerade überstanden, aber die marktwirtschaftliche Revolution hatte unaufhaltsam begonnen. Die Rahmenbedingungen waren ja auch perfekt: Man hatte ja herausgefunden, dass die Geschichte keineswegs eine zufällige Verkettung von Ereignissen war - denn mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Ostblocks waren Faschismus und Kommunismus als politische Systeme ausgeschieden und ein Ende in der Entwicklung der politischen Systeme erreicht. Der Weg war frei für einen dauerhaften politischen dmokratischen Liberalismus, der den Endpunkt der Entwicklung der politischen Systeme darstellte. Das Ende der Geschichte war gekommen, jedenfalls laut Vordenkern wie Francis Fukuyama, der einer politischen Strömung mit der Bezeichnung "Neocons" die ideologische Grundlage gab, das nun zweifelsfrei als richtig erkannte optimale politische System durchzusetzen, und zwar überall, wobei der Zweck die Mittel heiligte, auch sogenannter "wohlmeinender Imperialismus" war erlaubt, denn auch wenn die Mittel und Wege, mit denen man den Menschen die Demokratie brachte, manchmal schmutzig sein konnten, so war es doch für die gute Sache, für die Freiheit, für das zweifelsfrei Richtige. Unter der Flagge dieser Ideologie traf sich ein illustrer Haufen: Von ultrakonservativen Imperialisten über die fundamentalistischen Christen bis zu den Liberalen und den Exoten. Denn Demokratie und die Freiheit für den Einzelnen in der Welt zu verteilen war ja zweifelsfrei richtig, oder?

In der Wirtschaft kam es zudem zu einem bislang unerhörten Boom. Manchmal sieht man erst hinterher klarer, aber glaubt mittendrin schon alles klar zu erkennen: Die Wirtschaft wuchs, insbesondere die der USA, begleitet von einem historisch einmaligen Anstieg des privaten Konsums. Die Inflationsraten waren historisch niedrig, die Zinsen für Kreditaufnahme und Investitionen auch, während die Aktienmärkte sanft, aber stetig nach oben gingen, ebenso wie die Preise von Immobilien und Rohstoffen, und so zu einem stetigen Vermögenszuwachs führten. Liberalisierungsansätze wie das Aufheben des zweiten Glass Steagal Acts sorgten dafür, dass die Finanzbranche geradezu explodierte und strotze vor Innovationen, was die Kapitalkosten für Investitionen in nie gekannte Tiefen trieb. Zudem zeichnete sich ab, dass eine neue Branche am Horizont heraufzog, die die neue Freiheit in der Politik noch potenzieren würde, einen gewaltigen Wachsstumsschub auslösen und dabei die Gesellschaft umwälzen: Das Internet. Schnell nahm der Vermögenszuwachs absurde Ausmaße an, Börsensegmente wie der Neue Markt gingen täglich erneut durch die Decke, und ein wie ein hysterischer Sportmoderator klingender Kommentator auf einem Sender namens N-TV schrie fast täglich: "Das sind Kaufkurse!"

Die Welt schien fast zu schön, um wahr zu sein - Es schien die Zeit zu sein, auf die alle immer gewartet hatten, die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft. Und ein junger Student, der sich heute mit dem Pseudonym Raoul Duke benennt, war restlos begeistert.

Doch eines lernt man früher oder später: Dinge, die zu schön klingen, um wahr zu sein, sind es fast immer auch.

Wo soll man anfangen, wenn man den ideologischen und realen Totalzusammenbruch dieser schönster aller Welten beschreiben will? ... ganz vorn.

Als erstes kam das Desaster am Neuen Markt und der Zusammenbruch der Dotcom-Blase. Es stellte sich heraus, dass der stetige, sanfte Anstieg der Aktienkurse, der sich langsam aber sicher in einen exponentiellen Aufstieg und dann eine Explosion verwandelt hatte, weniger der schönen neuen Weltordnung geschuldet war als einer Kombination aus künstlich verbilligtem Zentralbankgeld, das unter der Ägide von Alan Greenspan zu einer rasanten Ausweitung der Fremdkapitalverwendung geführt hatte und zu einer starken Ausweitung des Güterangebots, was einen dämpfenden Einfluss auf die Preise hatte. Et voila, keine Inflation. Zudem war es verlockend, günstig Fremdkapital aufzunehmen und in Dividendentitel zu investieren, was so lange gewinnversprechend war, wie im Erwartungswert der erwartete Anstieg der Kurse multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, dass es so weitergehen würde zuzüglich dem Verlust bei einem Rückgang multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts größer als der sichere Zins plus Risikozuschlag war. Ökonomen erkennen: Das ist eine Bubble. Ganz toll, bis es kracht, und keinen Deut anders als die Tulpenzwiebel-Bubble des 17. Jahrhunderts. Und was passiert, wenn eine Blase platzt? Es knallt.

Die Zentralbank reagierte hektisch und schüttete mehr Geld in den Markt und konnte ein paar Jahre lang so Feuer mit Feuer löschen. Bis zur... Immobilienkrise, der Krise des Hypothekenmarktes, den CDOs, Lehman, der Kreditklemme, der Bankenkrise und der Staatsschuldenkrise.

Als nächstes kam das Ende des Endes der Geschichte. Theorien sind ja immer leicht so lange toll, wie sie sich noch nicht in der Realität beweisen mussten. Auch Sozialismus und Kommunismus lesen sich ja in vielen Büchern für viele bestimmt erst einmal gut. Man kann heute vielleicht nicht mehr so leicht verstehen, was George W. Bush geritten haben muss, als er aufgrund dilettantisch fingierter Beweise den zweiten Irakkrieg vom Zaume brach und wieso der kritische Journalismus eines Landes mit so langer demokratischer Tradition teilweise wegschaute: Man war zur Anwendung der Neocon-Doktrin entschlossen. Kurz einmarschieren, Demokratie und Marktwirtschaft verbreiten, schon läuft der Laden, die Bevölkerung jubelt und bestellt Big Macs. Kosten? Ach was, Dick Cheney sagte an "Deficits don't matter". Im Irak und in Afghanistan hat keiner gejubelt. Die Toten stapeln sich, Bürgerkriege zerrütten das Land, Fundamentalisten schwingen das Zepter, Gewalt, Mord und Totschlag greifen um sich. So ein Ergebnis ist eine ideologische Bankrotterklärung.

Das war jetzt viel Text, und man hätte ihn noch viel länger und detaillierter schreiben können, aber nach diesem brutalen Absturz aus der besten aller Welten in eine Dauerkrise lässt die Begeisterung für Demokratie dann halt doch etwas nach. Und hey, hatten wir nicht schon mal eine Weltwirtschaftskrise, so ganz früher? War da nicht Demokratie vorher, und Marktwirtschaft, und dann eine Finanzkrise? Ist Hitler nicht demokratisch gewählt worden? War das ein einmaliger Fehler der Geschichte, irgendwie so eine Singularität? War nicht Russland auch schon mal viel viel demokratischer? Wie können denn Sachen wie Venezuela eigentlich passieren?

Keine Ahnung was jetzt kommt: Aber an das Ende der Geschichte zu glauben fällt schwer - es fällt manchmal aber noch schwerer, nicht an die Geschichte des Endes mancher Ideologien zu glauben...
« Letzte Änderung: 08 April 2013, 22:03:53 von RaoulDuke »
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Kenaz

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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #4 am: 08 April 2013, 23:23:26 »

Kenaz, moment, nur mal vorab fürs Protokoll: Demokratie ist für Dich gleichbedeutend mit Freiheit? - Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, so bin ich doch arg überrascht, denn das hätte ich nicht vermutet. 8)

- Tschja, ich bin halt immer für 'ne Überraschung gut. :)  Nee, aber im Ernst: In der Tat geht mir schon seit ca. 15 Jahren jede, wirklich jede Begeisterung für das landläufig übliche, dümmliche  und - hier ist der Ausdruck mal angebracht - plump populistische Demokratiegehubere völlig ab, aber wie ich schon an anderer Stelle sagte: trotzdem sehe ich in keinem anderen, heutzutage einigermaßen praktikabelen politischen System das, was mir an Werten lieb & teuer ist, besser umgesetzt, aufgehoben und geschützt als in der Demokratie. Das ist tatsächlich so - dem Pöbel und seiner ekelhaften Dumpfheit zum Trotz. Ich bin zwar, wie auch schon mal andernorts erwähnt, ebenso felsenfest davon überzeugt, dass die Demokratie mit Pauken & Trompeten an die Wand fahren muss und das auch wird, dass sie mithin ein System darstellt, für das der Mensch a) zu dumm und/oder b) zu durchtrieben ist. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie das kleinste Übel in der besten aller möglichen Welten darstellt. Und deshalb seh' ich mich als "tragischen Demokraten" ...

Klar, wenn's nach meinem ganz persönlichen gusto ginge, dann hätten wir selbstverständlich ein Gottkaisertum oder so was in der Art. Straffe Hierarchie, nicht so 'nen erbärmlichen Eiertanz wie hier und heute. Legitimation der Herrschaft von oben anstatt von unten. Transzendenz die zu Autorität wird. Oder umgedreht. ... :P - aber es geht ja leider nicht nach meinem gusto. Und deshalb dann halt doch Demokratie. ;)

Kurz noch zum Artikel: Ich finde es in allerhöchstem Maße bezeichnend und alarmierend, dass im gesellschaftspolitischen Diskurs ökonomische und materielle Interessen mittlerweile allen Ernstes als Beurteilungskriterien für moralische Werte und ethisch begründete Strukturen herangezogen werden. Man ist zwar gegen "Nazis", den sich immer radikaler ausbreitenden Wirtschaftsfaschismus findet man hingegen nicht so schlimm bzw. nimmt ihn noch nicht einmal wahr. Ich meine, hallo?! Sind demokratische Strukturen nur dann erstrebenswert, wenn auch das Bruttosozialprodukt hübsch nach oben geht? Kann umgekehrt ein Schrumpfen desselben allen Ernstes als Argument gegen die Demokratie ins Feld geführt werden?? WAS hat das eine mit dem anderen zu tun?! Es existiert keinerlei Begründungszusammenhang zwischen einem System - den Terminus sehr weit verstanden -, das sich ausschließlich ethisch legitimiert - wie die Demokratie das tut - und einem solchen, das lediglich der Naturnotwendigkeit der Selbsterhaltung geschuldet ist - und nicht anders verhält es sich mit dem Wesen der Wirtschaft in letzter Konsequenz. Wenn man anfängt, diese Ebenen miteinander zu vermischen, werden Mensch und Leben zum Gegenstand von Kosten-Nutzen-Erwägungen - ... dann aber gute Nacht, Marie!
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colourize

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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #5 am: 09 April 2013, 09:19:57 »

Kurz noch zum Artikel: Ich finde es in allerhöchstem Maße bezeichnend und alarmierend, dass im gesellschaftspolitischen Diskurs ökonomische und materielle Interessen mittlerweile allen Ernstes als Beurteilungskriterien für moralische Werte und ethisch begründete Strukturen herangezogen werden. Man ist zwar gegen "Nazis", den sich immer radikaler ausbreitenden Wirtschaftsfaschismus findet man hingegen nicht so schlimm bzw. nimmt ihn noch nicht einmal wahr. Ich meine, hallo?! Sind demokratische Strukturen nur dann erstrebenswert, wenn auch das Bruttosozialprodukt hübsch nach oben geht?
Das Primat der Ökonomie finde ich nun nicht so wahnsinnig neu. Btw. wurde auch immer versucht, die "Demokratie" zu exportieren indem man für dieses System mit Wirtschaftswachstum geworben hat. "Führt demokratische Strukturen bei Euch ein, dann werden die Unternehmen schon kommen und bei Euch investieren" ist ein Versprechen, das nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wenige Staaten zu (zum Teil: pseudo)demokratischen Reformen bewegt hat. Ich denke da etwa an Spanien, Portugal oder Griechenland sowie etliche lateinamerikanische Staaten. Auch in vielen afrikanischen Staaten wurden die Dikataturen aus diesem Grund abgeschafft oder zumindest durch parlamentarische Wasserköpfe getarnt, was dem Westen im allgemeinen ausgereicht hat um Hermesbürgschaften für diese Staaten zu übernehmen.

Kann umgekehrt ein Schrumpfen desselben allen Ernstes als Argument gegen die Demokratie ins Feld geführt werden?? WAS hat das eine mit dem anderen zu tun?! Es existiert keinerlei Begründungszusammenhang zwischen einem System - den Terminus sehr weit verstanden -, das sich ausschließlich ethisch legitimiert - wie die Demokratie das tut - und einem solchen, das lediglich der Naturnotwendigkeit der Selbsterhaltung geschuldet ist - und nicht anders verhält es sich mit dem Wesen der Wirtschaft in letzter Konsequenz. Wenn man anfängt, diese Ebenen miteinander zu vermischen, werden Mensch und Leben zum Gegenstand von Kosten-Nutzen-Erwägungen - ... dann aber gute Nacht, Marie!
Ich bin immer wieder überrascht, was Dich so überrascht. Ein paar Zeilen weiter oben sinnierst Du noch darüber nach, dass die Demokratie keine Zukunft habe weil die Menschen zu dumm und/oder zu durchtrieben für dieses System seien. Da hast Du es doch genau: Materielle Interessen vor Ideologien - oder wie ich es oben beschrieben habe: Die Demokratisierung des Ostblocks folgte nicht dem Streben nach ideellen Werten wie "diese neue, westliche Form der Freiheit will ich auch für mich haben", sondern dem Streben nach materiellen Werten wie "diese neue, westliche Form der Fernsehgeräte will ich auch für mich haben".  Mit Brecht gesagt, erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Die Macht der Demokratie speist sich aus ihrem Versprechen des "Wohlstands für Alle". Hält sie dieses nicht ein (z.B. in den Folgejahren der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er), dann wird sie sehr schnell von Autokratien abgelöst, die das Versprechen des Aufschwungs glaubhafter erzählen können.

Für ein System zu kämpfen, das sich *ausschließlich* ethisch legitimiert und nicht durch materielle Vorteile aufwarten kann - das ist wirklich eine ziemliche Spartenveranstaltung von einigen Freaks. Ich denke da zum Beispiel an den Franziskanerorden, die Yogischen Flieger oder die Kyniker im Griechenland der Antike.
« Letzte Änderung: 09 April 2013, 09:22:04 von colourize »
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Kenaz

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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #6 am: 09 April 2013, 09:57:11 »

Ich bin immer wieder überrascht, was Dich so überrascht.

- Wie kommst Du denn darauf, dass mich das "überrascht"? Hab' ich das irgendwo behauptet? Nö. Überhaupt habe ich den Eindruck, wir reden da ein bisschen aneinander vorbei: Ich habe nirgends geäußert, dass mich die Faktizität des Primats der Ökonomie auch nur ansatzweise überrascht. Was mich allerdings in der Tat alarmiert, ist die unverfrorene Offenheit, die in dieser Hinsicht zunehmend an den Tag gelegt wird. Es gab Zeiten, da wäre alles auf den Barrikaden gestanden, wenn man demokratische Prinzipien angesichts ökonomischer Interessen oder Zwänge offen zur Disposition gestellt hätte. Dieses Blatt hat sich offenbar gewendet, wenn man mittlerweile ganz zwanglos die Vorteile - Effizienz, kurze Entscheidungswege etc. pp.  - einer Quasi-Diktatur wie China gegenüber demokratischen Systemen diskutiert. Klar, diese Vorteile eignen jeder Diktatur, da macht auch Nazi-Deutschland keine Ausnahme: effektiv ging's damals zu, keine Frage. Und? Wer so argumentiert, braucht sich wirklich nicht mehr über "Nazis" aufzuregen, denn er ist auf dem allerbesten Wege, selbst einer zu werden - da kann er an noch so vielen Menschenketten teilnehmen.

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RaoulDuke

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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #7 am: 09 April 2013, 10:25:13 »

Ich habe nirgends geäußert, dass mich die Faktizität des Primats der Ökonomie auch nur ansatzweise überrascht. Was mich allerdings in der Tat alarmiert, ist die unverfrorene Offenheit, die in dieser Hinsicht zunehmend an den Tag gelegt wird. Es gab Zeiten, da wäre alles auf den Barrikaden gestanden, wenn man demokratische Prinzipien angesichts ökonomischer Interessen oder Zwänge offen zur Disposition gestellt hätte.

Zwischen Ökonomie und Demokratie besteht ja gar kein Gegeneinander, sondern derzeit ist doch eher ein gleichzeitiges Versagen festzustellen, dass sich gegenseitig auch noch anheizt: Die Menschen sind unzufrieden wegen des permanenten Trommelfeuers aus Krise nach Krise und wenden sich dafür Politikern zu, die einfache Lösungen versprechen, die aber nicht nur einfach, sondern oftmals auch total schlecht sind, und heizen so eine Krise der Demokratie an, die mit ihren Fehlentscheidungen wiederum die Wirtschaftskrise anheizt.

Und NATÜRLICH besteht das Primat der Ökonomie - und das ist doch eigentlich hervorragend für Freunde der Freiheit: Wenn der Staat sich darauf beschränkt, öffentliche Güter wie innere und äußere Sicherheit bereitzustellen, Versicherungen zu organisieren und den Marktplatz am Laufen zu halten, dann hält er sich ja auch aus vielem raus: Aus der Lebensgestaltung seiner Bürger, wer mit wem eine Beziehung oder Partnerschaft eingeht, aus Musik und Literatur, aus der Religion...

Aber was passiert? Seine Repräsentanten versuchen das traditionelle Familienbild gegen alle möglichen unsinnigen Scheinbedrohungen zu verteidigen, mischen sich mit einem zwangsabgabenfinanzierten Staatsfernsehen in die Kultur ein, verbieten Kopftücher, lassen aber Kreuze in Klassenzimmern zu (und machen Inkasso für die Kirchenabgabe, die auch noch "-steuer" heisst!) und regulieren den Markt, bis sie ihn strangulieren. Und das war schon die Parteienkonstellation mit der liberalsten Ausrichtung.

Daher: Mehr Primat der Ökonomie bitte!
Vielleicht hilft gerade das ja auch gegen die Krise der Demokratie.
« Letzte Änderung: 09 April 2013, 10:27:09 von RaoulDuke »
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RaoulDuke

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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #8 am: 09 April 2013, 10:26:07 »

[oops, Doppelposting]
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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #9 am: 09 April 2013, 18:43:32 »

Zwischen Ökonomie und Demokratie besteht ja gar kein Gegeneinander, ...
Oha o.O ...
wo siehst du in unserer Welt den bitte eine Ökonomie?

Ökonomie und Demokratie sind nicht nur kein Gegeneinander, sie bedingen sich sogar.
Blöd nur das wir, landauf und landab, nicht eine einzige Ökonomie auf dieser Welt haben ... ergo auch keine Demokratie haben können. ^^
Wenn wir hier weiterhin fleißig von einem Terminus in den anderen hüpfen, werden wir uns nie verstehen.

In diesem Zusammenhang sollte evtl. auch die Überschrift überdacht werden ...
Marktwirtschaft bedeutet doch das in Eigenverantwortung entschieden wird was man anbietet,
über die Nachfrage bestimmt sich dann der Preis ... ich sehe da kein Widerspruch zu einer Demokratie ...
schon alleine deswegen, weil das eine eine Wirtschaftsform das andere aber eine Gesellschaftsform ist. ^^

Wenn man aber Demokratie darüber definiert das ein Mensch eine Stimme hat ...
und jede Stimme das gleiche Gewicht/Macht ... alle Menschen sind ja an Rechten gleich ... oder?
und wenn wir weiter anerkennen das Macht gleich den materiellen Besitztümern zu setzen ist ...
dann sind wir bei Kapitalismus vs. Demokratie.

Und auf einmal wird auch Ludwigs breite Massenkaufkraft verständlich. ^^
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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #10 am: 15 April 2013, 14:09:16 »

Es gibt eigentlich nichts demokratischeres als eine freie Marktwirtschaft, da ständig eine grosse Abstimmung darüber stattfindet, wie die gesellschaftlichen Ressourcen verwendet werden sollen.

Zur Veranschaulichung: Kaufe mehr Leute Äpfel statt Birnen, werden tendenziell mehr Flächen für Apfel- statt für den Birnenbäume verwendet, sind Kartoffeln begehrter als Reis, so werden mehr Kartoffeln produziert (und wenn der Kartoffelanbau zu teuer sein sollte und mehr Leute aus wirtschaftlichen Gründen dann Reis bevorzugen, so bewegen sich die Märkte in die entsprechende Richtung). Dass in diesem System die Personen, die die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen besser antizipieren als andere, wohlhabender sind und entsprechend mehr zu melden haben (edit: was die Nutzung von Ressourcen angeht), ist richtig und gut, man will schliesslich, dass genau dieser Personenkreis überproportional  Investitionen tätigt.

In der Planwirtschaft masst sich hingegen ein elitärer Kreis sozialistischer Besserwisser an, die Bedürfnisse der Menschen besser zu kennen als diese selber und meint daher legitimiert zu sein, ihnen vorschreiben zu können, welche Konsumgüter und Investitionen sinnvoll sind, was dann in sozialistisch gemanageten Staaten in schöner Regelmässigkeit in der typischen Mangelwirtschaft mündet (in denen parallele Schwarzmärkte teilweise die eigentliche Aufgabe freier Märkte übernehmen müssen).

Anatagonist des freien Marktes sind wohlstandhemmende Monopole, eine der Hauptursachen für die weltweite Finanzkrise ist das staatliche Geldmonopol.
« Letzte Änderung: 15 April 2013, 18:15:15 von Inverted »
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« Antwort #11 am: 15 April 2013, 16:16:08 »

Es gibt eigentlich nichts demokratischeres als eine freie Marktwirtschaft, da ständig eine grosse Abstimmung darüber stattfindet, wie die gesellschaftlichen Ressourcen verwendet werden sollen.

Zur Veranschaulichung: Kaufe mehr Leute Äpfel statt Birnen, werden tendenziell mehr Flächen für Apfel- statt für den Birnenbäume verwendet, sind Kartoffeln begehrter als Reis, so werden mehr Kartoffeln produziert (und wenn der Kartoffelanbau zu teuer sein sollte und mehr Leute aus wirtschaftlichen Gründen dann Reis bevorzugen, so bewegen sich die Märkte in die entsprechende Richtung). Dass in diesem System die Personen, die die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen besser antizipieren als andere, wohlhabender sind und entsprechend mehr zu melden haben, ist richtig und gut, man will schliesslich, dass genau dieser Personenkreis überproportional  Investitionen tätigt.

und wenn wir alle rationale Akteure mit vollständigem Marktüberblick wären, würde das auch super funktionieren. sind wir aber nicht, und haben wir aber nicht, weder auf Anbieter noch auf Nachfrageseite.

deswegen ists auch ziemlich wenig sinnvoll, sich an solch idealisierter Vorstellung aufzugeilen.
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Antw:Marktwirtschaft vs. demokratischer Mumpitz
« Antwort #12 am: 15 April 2013, 17:55:55 »

Dass in diesem System (der freien Marktwirtschaft anm. von mir) die Personen, die die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen besser antizipieren als andere, wohlhabender sind und entsprechend mehr zu melden haben, ist richtig und gut, man will schliesslich, dass genau dieser Personenkreis überproportional Investitionen tätigt.
Zitat
Anatagonist des freien Marktes sind wohlstandhemmende Monopole, eine der Hauptursachen für die weltweite Finanzkrise ist das staatliche Geldmonopol.
Du liest was du schreibst?
Monopolbildung ist gut ... Monopole aber sind schlecht? o.O

Oder bleiben wir kurz unter dem Monopol stehen ...
Oligopol?
=> Oligarchie ... ups ich hab vergessen, es geht ja um Geld ... also
=> Plutokratie? ... darf es das sein Inverted?
Zitat
... wohlhabender sind und entsprechend mehr zu melden haben, ist richtig und gut ...

Dann schau nochmal bitte ins Grundgesetz,
und sei froh das hier jeder sagen darf was er denkt. ^^
So nach den rechtsstaatlichen Prinzipien, welche dir so wichtig sind,
halte ich dich für einen Fall für den Verfassungsschutz. ;)
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