Die Umstände waren gestern günstig, so dass ich gestern Nachmittag eine kleine Runde drehen konnte, obwohl ich offiziell im Dienst war. Und bevor Neid aufkommt: Manchmal sind sie auch so ungünstig, dass ich trotz Urlaubs den ganzen Tag arbeiten muss. Man nimmt also, was man kriegen kann. Also auf das Kraftrad geschwungen.
Die erste Herausforderung war, Norderstedt zu verlassen. Wegen der gesperrten Autobahnzufahrt zur A7 und der gesperrten Landstrasse nach Quickborn war es zunächst gar nicht so leicht, nicht im Megastau zu landen. Aber da noch kein Berufsverkehr war, konnte ich recht leicht über Tangstedt zu den schönen Straßen um Struvenhütten vordringen, wo wenig los ist und man direkt in der Natur landet. Von dort ging es nach einigen schönen Fahrerlebnissen (und einer älteren Dame, die mit ihrem MB SL500 ein enormes Tempo vorgab - und wirklich wusste, was sie tat) auf die B432 in Richtung Bad Segeberg. Dort wollte ich allerdings gar nicht hin, und so entschied ich mich, über die Querstrasse nach Bad Oldesloe zu fahren, und von dort aus nach Ratzeburg. Im Café am See angekommen setzte ich mich direkt ans Wasser in dem um 15 Uhr in der Woche verständlicherweise komplett leeren Bereich mit Tischen, bestellte ein Kännchen Kaffee, liess mich von der Sonne bescheinen und führte ein dienstliches Telefonat, bei dem mein Gegenüber wiederholt sein Mitgefühl ausdrückte, dass ich bei so schönem Wetter im Büro sitzen müsse. Ich widersprach mal lieber nicht. Am Tisch neben mir setzte sich ein Biker-Duo hin, bei dem ich einen der Fahrer erkannte und grüßte. Er hatte mich, als ich einen längeren LKW-Treck auf einer übersichtlichen Stelle extrem zügig überholt hatte, nochmals extrem viel zügiger überholt. Gegen eine 1000er GSXR ist mein Naked Bike dann doch nicht so wirklich die harte Heizmaschine.
Nach Kaffee und Telefonat kämpfte ich mich durch die unsagbar schlechten Ampelschaltungen in Ratzeburg und den beginnenden Massenandrang aus dem Feierabendverkehr, um in Richtung Gadebusch zu fahren. Die von irren Radikalheizern aus Mecklenburg-Vormpommern mit getunten VW und Überhollaune an den unmöglichsten Stellen gern frequentierte Strecke führte in Richtung Schwerin, wohin es mich allerdings gar nicht zog. Zu lange Strecke und zu wenig Abenteuerfaktor. Also folgte ich einer Laune und bog bei einem kleinen Ort namen Dulzow oder so von der Landstrasse ab, was eigentlich erst zum berichtenswerten Teil der Tour führte. Eine Strecke nach Zarrentin war an der Landstrasse ausgeschildert, aber das war SEHR optimistisch. Es gab eine mit alten Pflastersteinen extrem schlecht gepflasterte Strecke durch Dulzow, man konnte kaum mehr als Schritttempo fahren. Anschließend wurde die Strecke zur Kies- und Sand-Strasse. Ich fuhr unverdrossen weiter, auch wenn mein Motorrad dafür nicht konstruiert worden ist. Es ist ja für mich neben einem Fahrzeug auch eine Welt-Erkundungs-Maschine (im folgenden auch WEM).
Ich bereute meine Entscheidung, als die Sandstrecke erst feucht und dann schwarz und schlammig wurde. Nachdem ich eine Weile über Umdrehen nachgedacht hatte, fuhr mir der Gedanke "Und jetzt? Mann oder Maus?" durch den Kopf, und ich fuhr mit meiner WEM direkt hindurch. Ich hatte erst erwogen, auf Schwung zu setzen, fuhr dann aber langsam und so ging es tatsächlich durch durch den Schlamm. Ohne mich auf die Seite zu legen, aber mit ordentlich Schlamm auf Stiefeln, Kombi und Bike kam ich auf der anderen Seite an, um auf eine Schotterpiste zu gelangen. Ich war auf einem landwirtschaftlichen Weg gelandet, an dem eine Wiese mit Schafen darauf lag. Allerdings hatte jemand das Tor offengelassen: Die Schafe hörten den Motor, und dachten wohl, jetzt wäre der Besitzer da. Die Tiere stürmten auf die Straße, allen voran einige Lämmer, die freudestrahlend in meine Richtung liefen, ja sprangen, und sich vor guter Laune fast dabei überschlugen. Das war schon EXTREM süß - aber dann wurde mir bewusst, dass irgendwo im Nirgendwo inmitten in einer Schafherde stecken auch nur bedingt toll ist. Also kuppelte ich ein und liess den Motor aufgrollen, erst ein wenig und dann sehr laut. Die Schafe guckten sich irritiert an, stellten fest, dass ich wohl nicht der Besitzer war - nachdem sie Einigkeit darüber erzielt hatten, ich sei möglicherweise schon klanglich ggf. eher der Wolf, rannte die ganze Herde schleunigst auf ihre Wiese zurück.
Wo war ich gelandet? Im hintersten Hinterland. Als die Straße wieder fester wurde, ging es durch triste W18er Bauten (sozialistischer Plattenbau aus Beton) in den kleinsten Dörfern. Die Zeit schien stehengeblieben: So gut wie keine Autos, ich war die totale Attraktion - weil da sonst keiner lang kommt, den man nicht kennt. Kleine Kinder spielten barfuss auf der Straße, diverse Tiere liefen einfach so herum. Familien fuhren mit dem Fahrrad auf der Landstraße - da kam wohl normalerweise einfach niemand vorbei. Sehr spannend zu sehen, wie das Leben so zu sein scheint in den abgeschiedensten von Mecklenburg-Vorpommerns Dörfern. Man kann es schlecht beschreiben, aber es war schon sehr anders und wirkte streckenweise wie Eindrücke aus einem anderen Land. Ab Zarrentin fuhr ich dann weiter nach Mölln, wo ich irgendwann noch mal die historische Kirche ansehen muss (habe dort bisher nur die Currywurstbude am Dorfplatz besichtigt, die ist aber gut) und dann ging es über Hamburg nach Hause. Erwähnenswert dabei war eigentlich nur noch, dass ich an einem Kurvenausgang hinter Mölln einen Mercedes überholte, was dessen Fahrer allerdings gar nicht gefiel. Es war ein relativ neuer Wagen mit AMG-Beschriftung - einer von diesen Wagen, die immer so unglaublich laut beschleunigen und von einer ganz bestimmten Klientel gefahren werden. In Raoul-nahen Kreisen werden diese Dinger mittlerweile aufgrund ihrer unschönen AKustik "Flatulenzfahrzeuge" genannt.
Nunja, besagter Fahrer verstand mein Überholmanöver als direkten Angriff auf seine Männlichkeit und was weiss ich was, und es war gar nicht so leicht, ihn wieder abzuschütteln. Skurril, aber am Ende ist man auf zwei Rädern einfach schneller, und das kann wirklich manchmal Vorteile haben.
Eine schöne Runde, und ich versuchte gestern Abend noch eine Weile, die tollen kleinen Schäfchen auf Google Maps widerzufinden.