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Verbot von religiösen Beschneidungen?
Eisbär:
Hallo!
Wie der eine oder die andere vielleicht mitbekam, hat die letzten Tage das Landgericht in Düsseldorf entschieden, dass eine Beschneidung eines Jungen aus religiösen Gründen für den durchführenden Arzt strafbar sind, selbst wenn die Eltern zustimmen oder sogar genau das verlangten. (siehe u.a. http://www.tagesschau.de/inland/beschneidung100.html)
Dieses Urteil wird nun viel diskutiert, Ärzte haben vorläufig Rechtssicherheit, aber religiöse Verbände der Juden, Muslime und sogar der Christen laufen Sturm gegen die Folgen des Urteils. (siehe u.a. http://www.tagesschau.de/inland/intervi ... ng100.html)
Ich persönlich finde die Entscheidung, die das Gericht zu treffen hatte, äußerst schwierig. Es werden zwei grundlegende Rechtsgüter, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Religionsfreiheit gegeinander abgewogen. Dabei gibt es natürlich immer Diskussionen.
Ich bin mir da noch nicht ganz sicher, wie ich die Sache beurteilen soll. Auf der einen Seite ist es wirklich ein kleiner Eingriff, der i.A. keinen großen Schaden anrichtet, mit einer über 4000jährigen Tradition; auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wo man die Grenze zieht, wenn man zur freien Religionsausübung die körperliche Unversehrtheit von Kindern (oder auch von Erwachsenen) einschränken darf.
t_g:
was die Sache für mich eindeutig macht, ist der Fakt, dass es dabei um Kinder geht. Es ist für mich durchaus nachvollziehbar, dass man den Eltern verbietet, ihrem Kind mittels einer nicht reversiblen - und medizinisch unnötigen - Operation den eigenen Glauben aufzudrücken.
Julya:
Traditionen und Religionsfreiheit sollten meiner Meinung nach NIE über der körperlichen Unversehrtheit oder der Selbstbestimmung eines Menschen stehen!
Das fragwürdige Argument "Das wird halt immer schon so gemacht" ist niemals eine Rechtfertigung für eine nicht mehr zeitgemäße Praxis, egal in welchem Bereich. Sonst dürften Frauen auch immer noch nicht wählen, Abtreibungen wären nach wie vor verboten und Männer müssten ihren Frauen die Erlaubnis erteilen, arbeiten zu gehen.
Ich finde sogar, dass das noch weiter gehen sollte. Jeder Mensch sollte sich mit Erreichen der Volljährigkeit seine Religion und die daraus folgenden Konsequenzen ("Körperverletzungen, diverse Einschränkungen im Alltag, etc.) selbst aussuchen dürfen. Dazu gehören auch sämtliche Rituale wie Taufe, Kommunion, Konfirmation, usw.
Kein Kind ist sich der Tragweite eines Glaubens bewusst.
Was man auch der Genitalverstümmelung der Jungen gegenüber stellen kann, ist die der Mädchen. Das "wird ja auch immer schon so gemacht" und trotzdem ist es zum Glück in unserem Land verboten.
Ja, eine Beschneidung eines Jungen ist nicht so schwerwiegend wie die eines Mädchens, aber es geht um das selbe Prinzip: Es wird ein Eingriff bei einem Kind vorgenommen, der NIE wieder rückgängig zu machen ist!
Was wäre, wenn ein Junge als Mann seine Vorhaut lieber behalten hätte? Sei es, weil er sich einer anderen Religion anschließen möchte, oder aus sexuellen Gründen, oder weil er ein esotherischer Bio-Freak geworden ist, der sämtliche Eingriffe am Körper ablehnt!? Wäre ich in der Situation, würde ich meinen Eltern aber große Vorwürfe machen!
nightnurse:
Ja, darüber hab ich auch schon nachgedacht.
Daß der Eingriff schon eine jahrtausendelange Tradition hat, finde ich dabei eher irrelevant (argumentum ad antiquitatem anzuwenden, ist selten ne gute Idee).
Kommt dazu, daß es ja jüngst Gesetzgebungen gab, die (manchmal nur unter bestimmten Umständen) auch andere Dinge verbieten, die schon seit Jahrhunderten gepflegt wurden - da war der Aufschrei nun deutlich kleiner, von Kruzifix- und Kopftuchverbot bis Hundekampf.
Die weiteren Argumente, die ich bisher gesehen habe, waren auch keine - jemand katholisches findet, der Verlust der Vorhaut hindere ja nicht daran, im Erwachsenenalter selbst über seine Religion zu bestimmen...wohl wahr, aber andersrum geht´s auch: Wer sich im Erwachsenenalter für eine Religion entscheidet, kann den Pakt mit Gott ja dann immer noch durch einen chirurgischen Eingriff verdeutlichen.
Oder: Bei Herzoperationen würde man ja auch die Eltern fragen und nicht warten, bis das Kind alt genug sei, zu entscheiden (ein Vergleich, der sich ziemlich von selbst disqualifiziert).
Möglicherweise ist die Beschneidung je nach Art der Durchführung für´s Kind traumatisch...darüber und über die Folgen weiss ich nichts.
Ferner fällt mir ein, daß hierzulande Eltern durchaus mal ihren minderjährigen Kindern die Ohren piercen lassen...wenn das noch erlaubt ist...
Tja, also komme ich zum gleichen vorläufigen Endergebnis wie Eisbär: Das ist schwierig!
(Wobei ich noch dazu neige, mit den Schultern zu zucken und zu sagen "get over it und geht zur Erwachsenenbeschneidung über", aber ich bin auch nicht religiös.)
nightnurse:
--- Zitat von: Julya am 29 Juni 2012, 17:27:49 --- Jeder Mensch sollte sich mit Erreichen der Volljährigkeit seine Religion und die daraus folgenden Konsequenzen ("Körperverletzungen, diverse Einschränkungen im Alltag, etc.) selbst aussuchen dürfen. Dazu gehören auch sämtliche Rituale wie Taufe, Kommunion, Konfirmation, usw.
Kein Kind ist sich der Tragweite eines Glaubens bewusst.
--- Ende Zitat ---
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