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Kranke Seele, kranker Geist - psychische Störung - was ist das?
Eisbär:
Ich finde auffallend, daß die Bezeichnungen verschiedener psychischer Erkrankungen oder auch der Begriff "Krankheit" selbst im psychologischen Bereich häufiger mal gewechselt werden. Der Sinn ist tatsächlich die teilweise entstehende negative Konnotation dieser Begriffe und die damit verbundene Stigmatisierung in den Griff zu bekommen, was zumindest vorübergehend recht gut zu funktionieren scheint.
Psychotherapien genießen heutzutage jedenfalls ein deutlich höheres Ansehen als noch vor 20 oder 30 Jahren.
schwarze Katze:
--- Zitat von: Eisbär am 24 April 2012, 13:31:14 ---Psychotherapien genießen heutzutage jedenfalls ein deutlich höheres Ansehen als noch vor 20 oder 30 Jahren.
--- Ende Zitat ---
Definitiv.
Die Menschen lassen sich bei Problemen lieber psychotherapeutisch behandeln, bevor sie alles in sich hineinzufressen und irgendwann als akuter Fall auf die Geschlossene landen
Spambot:
--- Zitat von: Eisbär am 24 April 2012, 13:31:14 ---Ich finde auffallend, daß die Bezeichnungen verschiedener psychischer Erkrankungen oder auch der Begriff "Krankheit" selbst im psychologischen Bereich häufiger mal gewechselt werden. Der Sinn ist tatsächlich die teilweise entstehende negative Konnotation dieser Begriffe und die damit verbundene Stigmatisierung in den Griff zu bekommen, was zumindest vorübergehend recht gut zu funktionieren scheint.
Psychotherapien genießen heutzutage jedenfalls ein deutlich höheres Ansehen als noch vor 20 oder 30 Jahren.
--- Ende Zitat ---
Der Begriff Krankheit ist für Menschen mit psychischen Problemen oft weniger geeignet, auch wenn es den Menschen eventuell schlechter geht als anderen Menschen mit einer körperlichen Erkrankung. Neben der Stigmatisierung als Kranker oder gar als Geisteskranker bietet der Begriff Krankheit auch noch eine bequeme Möglichkeit, um sich selbst nicht aktiv an der Lösung des Problems zu beteiligen. "Ich bin krank und kann nichts für meine psychischen Probleme" garantiert meistens eine erfolglose Therapie. Eine schlechte Prognose haben auch die "So bin ich eben" und die "Die Anderen und die Rahmenbedingungen sind immer Schuld an meinen Problemen" Patienten. Also Menschen, die sich nicht ändern wollen oder die sich lieber mit externen Faktoren (Problemverlagerung) als mit sich selbst beschäftigen wollen. Auf der anderen Seite bietet der Krankheitsbegriff die wichtige Möglichkeit, professionelle Hilfe anbieten zu können. Ohne den Krankheitsbegriff fällt es den Entscheidungsträgern in unseren Sozialsystemen sicherlich schwerer, Gelder für die Heilung zur Verfügung zu stellen. Daher wird, je nach Zusammenhang, gerne mal zwischen den Begriffen gewechselt. Manchmal wird der Krankheitsbegriff auch genutzt, um Menschen die Schwere ihrer psychischen Probleme zu verdeutlichen. In der Arbeit mit Substanzabhängigen kommt das Beispielsweise häufiger vor, da es dort immer wieder Patienten gibt, die das Ausmaß ihrer psychischen, sozialen und körperlichen Probleme nicht vollständig erfassen können, obwohl sie vielleicht schon seit Jahren obdachlos sind, Organschäden erlitten haben und sozial völlig isoliert sind.
Fälle in denen Menschen sich zu Unrecht als psychisch gestört/krank diagnostiziert fühlen dürften eher selten sein. Die sehr große Masse der psychischen Störungen sind Depressionen und Angststörungen. Patienten aus diesen beiden Gruppen tendieren eher dazu, sich besonders krank zu fühlen. Die einzigen Fälle, die ich mir gut vorstellen kann, in denen Patienten als psychisch gestört/krank diagnostiziert werden, obwohl sie sich gesund fühlen, sind Patienten mit Störungen, die mit eingeschränkten Realitätswahrnehmung verbunden sind. Also z.B. psychotische Störungen, Suchterkrankungen, dissoziative Störungen, dissoziale Persönlichkeitsstörung, narzisstische Persönlichkeitsstörung, Störungen des Gedächtnisses und der Wahrnehmung oder einige Essstörungen. Diese Störungen sind jedoch im Vergleich zu Depressionen und Angststörungen selten. Natürlich muß man irgendwie einen "Normalzustand" als die Realität definieren, um eine Einschränkung der Wahrnehmung diagnostizieren zu können. Ein Beispiel für den Realitätsverlust durch eine stark ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung (oder doch Schizophrenie?) ist Anders Breivik. Der hält sich auch für gesund und den Rest der Welt für krank.
messie:
--- Zitat ---Und wichtig finde ich vor allem, nach den Ursachen für all diese "Störungen" zu fragen, statt nur auf die "Funktionalität" zu sehen und den Mensch wieder "funktionstüchtig" zu machen (mittels Therapie).
--- Ende Zitat ---
Diese Einstellung fällt mir immer wieder bei dir auf, und ich wundere mich erneut darüber, dass du sie genau so hast, wie du sie eben hast.
Ich kann mich nur wiederholen: Eine Therapie hat in allererster Linie das Ziel, dass der Mensch der sie macht mit der Umwelt, vor allem aber mit sich selbst wieder besser klarkommt. Das bedeutet, vereinfacht gesagt: Jemand geht wegen eines Problems in eine Therapie und geht bei einer erfolgreichen Therapie aus ihr, wenn er weiß, wie er mit diesem Problem umgehen kann.
Das bedeutet nicht dass man dieses Problem "wegtherapiert", um ihn "funktionstüchtig" zu machen! Im Gegenteil! Es geht darum, dass dieser Mensch mit sich und diesen Problemen, die er hat, im Reinen ist und somit mit ihnen leben kann.
Der positive Nebeneffekt dabei ist, dass hierdurch auch seine Umwelt besser mit ihm klarkommt. Es mag wie eine Binsenweisheit klingen, ist es aber nicht: Wer mit sich im Reinen ist, der ist auch einfacher im Umgang mit seiner Umgebung.
Ich sprach ja beispielsweise von jemandem, die ADHS hat. Sie hat eine Therapie hinter sich.
Nun könnte man, wenn man deinen Zeilen folgt, Kallisti, denken dass diese Dame "funktionstüchtig", "geradlinig" oder ähnlich stromlinienförmig "auf Linie" gebracht worden wäre.
Aber auch hier ist das genaue Gegenteil der Fall: Sie hat immer noch all jene Eigenheiten, die sie zuvor auch hatte. Das aber mit dem Unterschied dass sie sich dessen bewusst ist und dass ihre Wahrnehmung in mancher Hinsicht von jener anderer Personen abweicht. Sie weiß nun wo sie aneckt.
Das hält sie nun nicht davon ab, nicht anzuecken: Sie ist nun einmal so (aufgrund, ich sehe es so, ihrer Krankheit). Der Unterschied zu früher aber ist es, dass sie selbst mit Kritik inzwischen umgehen kann (vor allem wenn sie konstruktiv ist) und weiß dass nicht sie als Mensch, sondern ihr Verhalten gemeint ist, das aneckt.
Ein Beispiel: Logorrhoe ist eins der Kriterien (Sprechdurchfall). Bedeutet dass wenn sie ins Reden kommt, es auch mal wie ein Wasserfall sein kann - und das komplett distanzlos. Da wird dann eben auch mal über die Form des Stuhlgangs parliert und andere Intimitäten.
Nun kann man sie da ganz leicht stoppen: "xxx, du redest grade wieder n bisschen viel", mit einem Augenzwinkern gesagt. Sie dann: "Oha, wieder, ja? Ach so. Ist mir gar nicht aufgefallen. Na dann ... danke." und beendet ebenso augenzwinkernd ihren Monolog.
Dies, diese Möglichkeit ist es, die eine Therapie (unter anderem) erreichen kann: Dass jeder trotzdem er selbst ist, aber dabei die Grenze zur Beeinträchtigung der Umwelt nicht mehr übersieht und sich genau deswegen dann besser fühlt, weil bemerkt wird, dass die eigenen Eigenheiten nichts Bedrohliches mehr sind, sondern etwas, das beherrschbar ist.
---
Für die Umgebung indes ist die Benennung einer Krankheit ebenfalls von Vorteil: Sie sorgt dafür, Eigenheiten besser einzuschätzen und darauf dann angemessen reagieren zu können.
Denn "krank sein" ist keine Einbahnstraße: Es geht nicht nur darum dass sich etwa nur der Kranke "anpasst", sondern auch die Umgebung ihm. Wenn man beispielsweise weiß dass jemand dement ist, dann kommt halt nicht das stigmatisierende "sag mal, bist du so blöd oder tust du nur so? Ich habe dir doch vorhin erst gesagt, was du einkaufen sollst!", sondern dann hat der andere zu begreifen, dass diese Person es wirklich nicht mehr weiß - und auch gar nicht wissen kann, aufgrund ihrer Krankheit.
Aus diesem Grund sehe ich da beide Seiten einer Krankheitsbezeichnung: Einerseits ist sie ein Fluch weil sie die Personen selbst dazu verleitet die Füße hochzulegen und zu sagen "na, ich bin halt krank, nech? Kann man nix machen" und die Gefahr einer Ausgrenzung durch Menschen, die mit solchen Diagnosen nicht umgehen können und/oder wollen.
Einerseits ist sie Segen, weil diejenigen, beispielsweise mittels Therapie, lernen mit dieser Krankheit umgehen zu können, im Idealfall so gut, dass sie sowohl sich selbst als auch die Umwelt sie gar nicht mehr als "krank" zu begreifen braucht, weil ihr Umgang mit ihrer Krankheit sie nur noch "individuell" und nicht mehr beispielsweise "unverschämt" sein lässt.
Kallisti:
messie - Spambot
... ich sehe immer noch nicht, inwieweit ihr aber äußere Faktoren als verursachend gelten lasst oder nicht - und warum jeweils?
Wenn also bspw. "Erschöpfungsdepression" durch also bestimmte Lebensumstände ausgelöst werden kann oder Angststörung durch Überforderung oder Soziale Phobie (da gibt es ja auch wieder Überschneidungen mit anderen Ängsten oder auch Depression) oder ganz "klassisch": Trauma (hat ja auch einen "Außenfaktor" als Ursache) ...
Es kommt doch "woher" und ist das also völlig unwichtig - und wenn bestimmte "Störungen" zunehmen, sollte dann nicht um so mehr Augenmerk auf die verursachenden Faktoren gerichtet werden und solche vermindert werden (so möglich - naja, das ist halt die Sache - was ist möglich, machbar und was nicht und: wirklich nicht und: warum nicht - wenn es um gesellschaftliche Einflüsse, Gegebenheiten geht)?
Was ich sagen will: Ich meine, bestimmte Umstände haben ja zu einer bzw. in eine Störung geführt - ist es dann nicht angeraten, an den Umständen etwas zu verändern, weil somit auch der Leidensdruck nachließe?
Und da kommt man zu Umständen, die sich vlt. nicht durch eigene Initiative, eigenes Bemühen verändern lassen - was dann?
Und dafür ein typisches Beispiel ist ja eben Kindheit (vor allem: je kleiner das Kind: umso ausgelieferter ...).
Oder wenn man in Terrorregime lebt ...
Also wie ist das mit den "Außenfaktoren" als Auslöser?
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