Schwarzes Hamburg > Politik & Gesellschaft -Archiv-

Ich fühle mich als Europäer.

<< < (11/19) > >>

Graf Edward Zahl:

--- Zitat von: Kallisti am 07 April 2012, 12:46:55 ---Graf Zahl

Was meinst du mit "Gefühl von Nationalität"? - Was bedeutet das, was ist das für dich?

... Eh nein - ich meine ein Gefühl, das einfach durch Prägung, Sozialisation, vor allem Gewöhnung, Vertrautheit, Bekanntheit entsteht - ganz von selbst, ohne dass man das in der entscheidenden Phase (nämlich vor allem der Kinheit) selbst bewusst beeinflussen könnte (je jünger desto weniger).

Man kann sich erst später (reflektierend ...) dazu positionieren, damit auseinandersetzen.

Ich entscheide aber nicht: das ist meine "Nationalität", von dieser bin ich "überzeugt". Es passiert einfach, dass ich geprägt werde: weil ich dort lebe, aufwachse - dem kann ich mich allgemeinhin gar nicht entziehen: in der entscheidenden Zeit: der Kindheit!

Und auch später wird es schwer sein, sich dem zu entziehen: der Prägung, die besteht, die vorhanden ist. Man kann dann wie gesagt nur neue Erfahrungen hinzunehmen, integrieren, damit die eigene "Basis" erweitern, ausbauen.

Aber wie Kenaz auch bereits schrieb: hat es auch sehr viel mit Sprache (die also auch zur Prägung gehört, zur "Sozialisierung"), somit also dem Denken (nicht nur Fühlen!), der Art zu denken ... zu tun.

Und wieder muss ich Wittgenstein zitieren, der das ganz wunderbar komprimiert hat: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."


Die Nationalitätengeschichte wird doch als Stempel, als Etikett erst später (bewusst) aufgedrückt, erkannt oder auch abgelehnt - das ändert aber an der bestehenden/vorhandenen Prägung bzw. dem Geprägtsein nichts.

--- Ende Zitat ---
Wenn du ernsthaft darüber diskutierst, ob Menschen die unterschiedlichen Umständen aufwachsen unterschiedliche Verbundenheit zu ihrem sozio-wirtschaftlichen System haben. Dann ist die Antwort trivial und logisch. Ja. Aber das ist nicht diskussionswert, weil unterschiedliche Grundzustände immer zu unterschiedlichen Endzuständen führen.

Simia:
.

Simia:

--- Zitat von: Kallisti am 07 April 2012, 11:33:52 ---Dennoch bist du gefühlsmäßig und sozialisiert in eben der Mentalität, in/mit der du vor allem aufgewachsen bist.

--- Ende Zitat ---

Ja, aber was ist denn DIE Mentalität. Es ist doch Quatsch, dass eine Nation oder ein Volk so oder so ist. Wer kennt nicht stinkfaule und unpünktliche Deutsche, wogegen viele Asiaten unbestreitbar Paradebeispiele an Tüchtigkeit und Pflichtbewusstsein sind und auch nicht alle Spanier Siesta halten. Die Forderung an ein solches Verhalten ist immer menschengemacht und entbehrt mal mehr, mal weniger jeglicher Grundlage. Ich weigere mich, die "preußischen Tugenden" zu erfüllen, nur damit irgendwelche Nationalromantiker ruhig schlafen können, weil alles seinen Platz in ihrer kleinen Welt hat. Die Realität ist komplexer.
 
Ich fühle (in Kenaz' Verständnis von fühlen) mich als Europäer, das scheint mir ein - wenn auch nur relativ, weil ebenfalls nicht trennscharfer - sinnvoller (mal rationalisiert gesprochen ;) ) Fokus zu sein und damit identifiziere ich mich zwangsläufig, wenn ich - da hast Du recht - mich mit der deutschen Kultur und Geschichte identifiziere (Kenaz: Warum fällt der Europäer in Dir weniger ins Gewicht als der Deutsche?). Aber die nationale Ebene ist zu beliebig und zu kleinteilig und aufgrund historischer Entwicklungen nicht immer leicht greifbar. Zumal man sich sowieso fragen sollte, was so etwas wie kulturelle Identität im Alltag für eine Rolle spielt, wie es sich äußert.

Und "soziale Experimente" wie BRD vs. DDR zeigen, dass es möglich ist, innerhalb weniger Jahrzehnte in theoretisch jedem Gebiet eine Mentalität zu etablieren und das Ost-West-Ding wird sich spätestens in den nächsten 2 Generationen auch wieder erledigt haben. Es ist alles im Fluss und realen Entwicklungen unterworfen, da gibt es keine in Stein gemeißelten Unterschiede im Denken und Fühlen, kein "kosmisches Gesetz".

Und wenn eine konkretere Ebene als der Kontinent/Kulturraum, dann das direkte Umfeld. Genau, Sozialisation im Nahbereich, Schwarzes Hamburg und nicht Schwarzes Melbourne. Aber noch weniger "Schwarzes Deutschland". Ich war noch nie in Garmisch-Partenkirchen, Celle oder Trier. Mich hat die Landschaft, die kulturellen Eigenheiten und "die Mentalität" der Unterelberegion sozialisiert. Da muss ich dann auch colourize zustimmen mit der Identität anhand nationalstaatlicher Grenzen. Und ich bin aufgewachsen mit kultureller Vielfalt, mit skandinavischen Kinderserien, mit US-amerikanischen Actionfilmen und Komödien, japanischen Comics und sicherlich auch mit deutschen Sendungen (jetzt mal vom TV-Gerät als Inbegriff der Sozialisation aus gesehen 8) - davon unabhängig sind meine Einflüsse so vielfältig, dass ich sie wahrscheinlich nicht mehr konkret benennen kann). Von wo bis wo geht "deutsche Sozialisation"?



--- Zitat von: Kallisti ---Erst wenn man mehrfach und längerfristig anderswo (andere Kultur(en) wirklich gelebt hat (nicht nur mal kurz besuchsweise), wird man feststellen (können), ob, dass und warum man wie in der "eigenen" ursprünglichen Kultur verwurzelt ist (in der, die man also von klein auf kennt, kennengelernt hat).

--- Ende Zitat ---

Das mag sein. Nur wie gesagt, diese Erfahrung ist etwas Unmittelbares, das geht nicht unbedingt mehrere 100 km weit von Grenze zu Grenze.

Das Thema allerdings beschäftigt mich schon. Für die Auseinandersetzung damit, wie deutsch ich bin und sein darf, war auch eine gewisse Überwindung nötig, da ich lange Jahre "linke (bzw. radikale) Klischees" erfüllt habe, am Beckenrand der (nationalen) Identitätsfindung zu stehen und diejenigen, die sich trauen, ins Wasser zu steigen, mit faulen Eiern zu bewerfen, auch wenn deren "Ergebnis" noch gar nicht feststand. Ich habe es mir selber verboten (klassisches angelerntes und übernommenes Nachkriegs-Trauma und natürlich gefährlich, weil es schon was von Verdrängung hat). Es war dann befreiend, sagen zu können, dass ich Deutscher bin, gerne hier lebe und dass Deutschland schöne Landschaften hat und deutsche Geister einen großen Beitrag zur europäischen Kultur geleistet haben. Aber unterm Strich war da jetzt auch nicht viel mehr.

Und was heißt das v.a. in nächster Konsequenz, dass man sich so oder so fühlt? Wem bringt es was? Was soll daraus entstehen?


--- Zitat von: Kallisti am 07 April 2012, 11:33:52 ---Und dann immer die jeweils einzelne Region auch noch eine Rolle spielt, is ja klar.

--- Ende Zitat ---

Eben.

Edit: Sorry für Wiederholungen anderer ggf. zwischenzeitlich geposteter Erkenntnisse, dieser Post brauchte ein wenig Zeit. ;)

Simia:

--- Zitat von: Kallisti am 07 April 2012, 12:46:55 ---Und wieder muss ich Wittgenstein zitieren, der das ganz wunderbar komprimiert hat: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."

--- Ende Zitat ---

Sollte man hier nicht aber etwas weiter gefasst von generellem Ausdrucks- und Benennungsvermögen (vielleicht sogar nonverbal) sprechen und nicht von einem konkreten Vokabular und Grammatik-Schema?

Eisbär:

--- Zitat von: Kenaz am 07 April 2012, 09:04:38 ---
--- Zitat von: Eisbär am 06 April 2012, 19:13:00 ---Und ich bin ein Riesenfan der Idee eines vereinten Europas. Dieses sollte aber auch als Vorbild für andere dienen.Wir brauchen ein friedlich und demokratisch einiges Europa genauso wie ein friedlich und demokratisch einiges Afrika, Asien. Ozeanien, Süd- und Nordamerika. Das sind ZwischenSchritte zu einer einigen Welt.

--- Ende Zitat ---

- Eventuell ein bisschen zu viel "Star Trek" geguckt?  ::)

--- Ende Zitat ---
Vielleicht! Oder zu viel Perry Rhodan gelesen. Und vor allen Dingen die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Menschen lernfähig sind und ein dauerhaftes friedliches Miteinander möglich ist.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln