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Ich fühle mich als Europäer.
messie:
Hmm - ich sehe mich als Deutscher und als Europäer, mehr als Deutscher als ein Europäer.
Das leite ich schlicht davon ab, was ich an kulturellen Eigenheiten in mir trage, die man so gerne als "typisch deutsch" oder auch als "typisch europäisch" abtut.
Darum auch mehr deutsch als Europa: So wirklich "typisch Europa" fällt mir da nämlich nicht wirklich ein. Vielleicht noch das europäische Kino das sich doch sehr vom amerikanischen und asiatischen unterscheidet und das mir weniger fremd ist als die beiden anderen genannten (das asiatische mag ich aber gerade seiner Fremdheit, Ungewöhnlichkeit wegen ...), aber sonst? Fällt mir nicht wirklich etwas Verbindendes ein. Wenn es den Euro beispielsweise nicht gäbe, na und. Dann halt nicht.
Sehr deutsch ist beispielsweise die Pünktlichkeit, das Reinheitsgebot des Bieres, die hohe Qualität und Vielfalt von Backwaren. Genau da bin ich dann auch prompt Purist: Ich bin gerne pünktlich, mag es auch nicht wenn ich es zu einem festen Termin irgendwohin nicht pünktlich schaffe (selbst wenn es unverschuldet ist). Ich mag tatsächlich vorzugsweise deutsches Bier (und das irische, aber das ist ja nun auch nicht grade gepanscht ;) ), mit der amerikanischen Plörre oder anderen Bieren, die halt irgendwelche Zusatzgeschmäcker noch reingemischt haben, kann ich rein gar nichts anfangen. Brot, Brötchen, Brezeln, hrrr ... mir würde wirklich etwas fehlen, hätte ich nicht diese gewohnte hohe Qualität der Backwaren (und fehlt mir zum Teil hier in Hamburg bereits, denn mit den schwäbischen Bäckereien kommen die Industriebäckereien hier definitiv nicht mit).
Meine Arbeitsmoral ist sehr deutsch: Wenn ich arbeite, arbeite ich, Punkt. Da wird nicht geguckt dass ich nur dann ordentlich arbeite, wenn der Chef da ist. Mir hat man gesagt, dass auch das sehr deutsch wäre, in anderen Ländern sähe man das nicht so genau.
Wenn ich etwas überwiesen habe, dann erwarte ich auch eine zeitnahe Lieferung. Logisch, hier in Deutschland klappt das ja auch sehr gut. In anderen Ländern ... öhh ... nicht immer. ;)
Es gibt viele Eigenheiten, Kleinigkeiten, die mich sehr deutsch sein lassen - einfach, weil ich hier aufgewachsen bin und diese deutschen Gepflogenheiten nicht nur kenne, sondern auch mag und schätze. In anderen Ländern bräuchte ich doch eine sehr große Eingewöhnungszeit, würde ich dort leben. Die Gelassenheit von Mentalitäten anderer Länder ist was Tolles - alleine, ich habe sie nicht. Nicht wirklich. Und wenn ein Bus einfach mal gar nicht kommt, dann regt mich das auf - obwohl ich die 20 Minuten Zeit ja nun nicht als "verlorene Zeit" wahrnehmen müsste! Tue ich aber, weil - tja, ich bin genau da eben auch sehr, sehr deutsch. ;)
Wenn in Italien ein Bus nicht erscheint oder ewig viel später kommt, in Frankreich, Spanien oder auch Polen, etc. - da kratzt das keinen! Da haben die Leute die Ruhe weg. Ich beneide sie dafür ein wenig - aber auch nur ein bisschen, denn ich bin nun einmal wie ich bin, ich bin das, was ich bin: Ein Deutscher. Und als solcher bin ich nun einmal so erzogen worden, es so gewohnt, dass Unpünktlichkeit auch Unhöflichkeit bedeutet. Weil es hier in Deutschland nun einmal auch Unhöflichkeit bedeutet.
Achja, man hört ja auch immer mal wieder: "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein".
Davon halte ich so gar nix. Stolz worauf? Geleistet habe ich nichts dafür, ich wurde lediglich hier geboren, und das ist dann ja wohl eher die "Leistung" meiner Eltern. ;)
Ich bin froh hier geboren worden zu sein: In einem Land, das Zeit meines Lebens bislang keinen Krieg zuhause erlebt hat, in dem Zuverlässigkeit groß geschrieben wird, in dem die Kriminalität noch erträglich ist, in dem es ungewöhnlich sauber ist und man sich auf Verträge, seien sie mündlich oder schriftlich, auch nahezu immer verlassen kann. Ich bin froh, dass die Zahlungsmoral von Arbeitgebern angenehm hoch ist, dass mich ein Mieter nicht Knall auf Fall vor die Tür setzen kann weil es ihm grade mal so passt, dass die Post zuverlässig ist und das Internet hier zuverlässig läuft.
Und noch über so einiges andere, das hier einfach funktioniert und anderswo halt nicht.
Vielleicht wäre ich in anderen Ländern, wäre ich dort geboren worden und aufgewachsen, ebenso froh. Ich weiß es nicht.
Aber ich bin es nun einmal in Deutschland.
Bei allem Geschimpfe über die aktuelle politische Entwicklung (ACTA, Einschränkung von Persönlichkeitsrechten, etc. pp.) fühle ich mich immer noch außerordentlich wohl in Deutschland.
Ich hoffe, dass das noch lange so bleiben wird. :)
Kallisti:
--- Zitat von: nightnurse am 06 April 2012, 15:45:35 ---(...)
Warum muss es eigentlich immer ein Gründungsmythos sein, der zu einer positiven Einstellung zur eigenen Nation/ Nationalität führt? Unabhängig davon könnten es ja auch Werte sein, wie sie Kallisti erwähnt, und die können sich unabhängig vom Gründungsmythos entwickelt haben?
--- Ende Zitat ---
Danke, ja - diese Frage sähe ich auch gerne beantwortet. Aber ich glaub, damit wird es nix. ;D
--- Zitat von: Kenaz am 06 April 2012, 14:18:49 ---So, dann oute mich mal als "Rechtsausleger" im colourize'schen Sinne: Sollte sich also jemand fragen, von wem das Voting für "Ich fühle mich als Deutscher" kommt - es kommt von mir. :-*
Und ja, ich weiß: es sind größere Überraschungen denkbar. ;D
--- Ende Zitat ---
süß, Onkel Kenaz. :D ;)
Ach so - ich hab gar nix angeklickt - ich mag so Umfragen generell nich gerne, das is mir zu reduktionistisch. :D
Kenaz:
--- Zitat von: colourize am 06 April 2012, 14:38:11 ---Trotzdem fände ich es spannend zu erfahren, worauf dieses Gefühl beruht. Bei vielen Nationen, die einen positiven Gründungsmythos haben (vgl. mein Posting oben), finde ich das nachvollziehbarer als im Falle Deutschlands.
--- Ende Zitat ---
- Och, das ist recht einfach und hat mit irgendwelchen Gründungsmythen erst mal herzlich wenig zu tun. Im übrigen möchte ich das Augenmerk auf die eigentliche Fragestellung lenken: die lautet nämlich, ob ich mich als Deutscher und/oder Europäer fühle. Und wie ich mich fühle, entzieht sich meiner (sehr frischen, wenn auch in anderem Kontext getätigten ... ::) ) Erfahrung nach ziemlich umfassend jeder rationalen Einflussnahme durch meinen naseweisen Intellekt.
Ich fühle mich jedenfalls zuerst einmal aus ganz ähnlichen Gründen als Deutscher wie messie. Ich bin in diesem Land, mit dieser Sprache, der entsprechenden Kultur & Geschichte groß geworden und kann mich auch damit identifizieren, oder besser: ich identifiziere mich damit - wie so ziemlich jeder, wenn er es auch nicht zugeben will. Sprache ist nun mal identitätsstiftend und vermittelt ein Weltbild - und das übernehme ich, ob ich will oder nicht. Wie ich mich später dann intellektuell dazu positionieren mag, steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu den spezifisch deutschen, oder genauer: deutschsprachigen "Dichtern und Denkern". Ich schätze deutsche Küche. Und ich finde gewisse Eigenarten und Marotten, die man "den Deutschen" nachsagt, ebenfalls durchaus sympathisch (s. messie).
Doch all diese Punkte stellen letztlich ja immer nur eine nachträgliche Rationalisierung des Gefühls dar, nach dem gefragt wurde und auf das ich - weil es eben ein Gefühl ist - kaum Einfluss habe. Ich fühle mich tatsächlich als Deutscher. Na und? Ist das irgendwie problematisch? Ich wüsste nicht. Man könnte an dieser Stelle nun wieder die uralte Debatte über das verkorkste Selbstverständnis "der Deutschen" lostreten, das lass' ich aber einfach mal bleiben. Und freilich, insofern, als ich Deutscher bin, bin ich natürlich auch Europäer. Und ich fühle mich selbstredend weit mehr als der Europäer, der ich faktisch bin, als als der Asiate, der ich faktisch nicht bin. Allerdings fällt dieses Gefühl gegenüber dem, Deutscher zu sein, ziemlich wenig ins Gewicht. Und da ich selbstverständlich auch zu den bereits genannten "Europa-Skeptikern" gehöre (wenigstens im Hinblick auf jenes, primär wirtschaftlichen Interessen geschuldete Konstrukt namens "Europa", das uns in Form der EU oktroyiert wurde und wird), ist es derzeit tatsächlich kaum der Rede wert.
Ach, ein Wort noch hierzu:
--- Zitat von: colourize am 05 April 2012, 15:58:30 ---Ich bin davon überzeugt, dass ich mehr "Mentalitätsgemeinsamkeiten" mit einem Sozialwissenschafler aus Teheran habe als mit dem HSV-Hooligan von gegenüber.
--- Ende Zitat ---
Der Vergleich klingt erst mal schnittig, hinkt bei näherer Betrachtung aber auf allen Vieren. Ich für meinen Teil bin jedenfalls fest davon überzeugt, dass Du mehr "Mentalitätsgemeinsamkeiten" mit einem Sozialwissenschaftler aus Frankfurt oder Kassel aufweist als mit einem Sozialwissenschaftler aus Teheran oder Kabul. Und ich halte die Wahrscheinlichkeit für nicht zu knapp, dass Du des gleichen immer noch mehr "Mentalitätsgemeinsamkeiten" "mit dem HSV-Hooligan von gegenüber" teilst als mit dem "Fenerbahce Istanbul"-Ultra. Und das aus dem einfachen Grunde, dass ihr aus derselben Sprachgemeinschaft stammt, mit demselben kulturellen Hintergrund ausgestattet seid etc. pp. - Ich denke, Du verstehst, was ich meine. ;)
Eisbär:
Ich bin Terraner, Weltbürger.
Ich bin Mann, ich bin Mensch.
Ich bin Hanseat, ich bin Norddeutscher.
Ich bin Deutscher, ich bin Europäer.
Und ich bin ein Riesenfan der Idee eines vereinten Europas. Dieses sollte aber auch als Vorbild für andere dienen.Wir brauchen ein friedlich und demokratisch einiges Europa genauso wie ein friedlich und demokratisch einiges Afrika, Asien. Ozeanien, Süd- und Nordamerika. Das sind ZwischenSchritte zu einer einigen Welt.
schwarze Katze:
--- Zitat von: messie am 06 April 2012, 17:35:21 ---
Sehr deutsch ist beispielsweise die Pünktlichkeit, das Reinheitsgebot des Bieres, die hohe Qualität und Vielfalt von Backwaren. Genau da bin ich dann auch prompt Purist: Ich bin gerne pünktlich, mag es auch nicht wenn ich es zu einem festen Termin irgendwohin nicht pünktlich schaffe (selbst wenn es unverschuldet ist).
--- Ende Zitat ---
Dann bin ich auch sehr deutsch - ich bin sehr pünktlich, da ich es für unmöglich halte, anderen Menschen ihre Zeit zu klauen.
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