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Paraphilie

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colourize:
Was als "normale Sexualität" gilt - und was umgekehrt als "abweichende Vorlieben" bezeichnet wird - ist eine Frage der Rahmenkultur, in der wir leben. Vor der Entstehung der Sexualwissenschaft sowie der Psychologie als Wissenschaften hat sich niemand drum gekümmert ob das "normal" war, was die Leute so miteinander veranstaltet haben. Auch wenn wir das heute nicht wahrhaben wollen: Sex mit Kindern war zur Zeit des Feudalismus noch vollkommen normal. Wenn irgendwo auf dem Land irgendein Feudalherr oder auch freier Bauer (s)ein Kind missbraucht hat - das hat genau niemanden interessiert.

Unsere heutige Sexualmoral hielt erst mit den bürgerlichen Tugenden als Leitkultur und ihren Vorstellungen von Sitte und Anstand Einzug und ist damit eine ziemlich junge kulturelle Erfindung. Die neue Wissenschaft der Psychologie (man möge daran denken, dass nur die bürgerliche Oberschicht Zugang zu den Universitäten hatte) definierte, was als gesunde und was als perverse - oder entartete - Sexualität galt. Parallel zum Erfinden von Behandlungsmethoden gegen diese abnormen Entartungen (Elektroschocktherapien erfreuten sich großer Beliebtheit) dachte sich die Jurisprudenz ein repressives System aus, wie Leute mit einer von der Mehrheit vorgeblich(*) abweichenden Sexualität für ihre vermeintliche Andersartigkeit zu bestrafen seien. Da Wissenschaftler, und insbesondere Naturwissenschaftler, aber ausgemachte Kästchendenker sind, gibt es heute eben für alles, was anders ist als das was man für normal hält einen Terminus und eine Nummer im Katalog.

Ich selbst finde übrigens "heterosexuelle Kontakte in Missionarsstellung mit Lichtaus" ziemlich schräg. Wenn es mehr Menschen wie mich auf dieser Welt geben würde, die zudem noch Einfluss hätten, gäbe es dafür auch ein Kästchen in einem medizinischen Katalog, einen Therapievorschlag zur Heilung und vor allem einen Terminus, der diese Form der Sexualität als abweichend markiert. Nicht weil ich Freude daran finde, jemand anders für seine Sexualität zu diskriminieren. Sondern einfach nur weil ich den ganzen Menschen, die ihre eigene Sexualität unhinterfragt für die "richtige, weil doch normale" Variante der Sexualität halten, einmal wünsche dass sie sich auch mit der Frage "warum habe ich denn diese oder jene Vorliebe?" herumplagen und dann nach Jahre des Selbstzweifels darauf kommen, dass es darauf keine Antwort gibt. Und weil ich auch den vermeintlich "Normalen" oftmals wünsche, dass sie sich auch mal für ihre sexuellen Vorlieben vor den Anderen erklären müssen. Und dabei dann feststellen, dass man es eben nicht vermitteln kann, *was* man an XY(*) erregend findet.

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(*) Erst vor wenigen Jahren entdeckte man, dass derart viele Menschen Oralsex haben, dass man es nicht mehr durchhalten konnte, diese Praktik als "pervers" zu bezeichnen. Erst nach und nach wurden in den USA die Gesetze abgeschafft, die das Praktizieren von Oralsex unter Strafe stellten - ein interessanter Überblick wo bis wann Oralsex, Analsex, Homosexualität oder der Sex zwischen unverheirateten Menschen strafrechtlich verfolgt wurde findet sich im Überblick über die Sodomy Laws. Und auch von den "anderen Paraphilien" wissen wir seit dem Kinsey-Report, dass sie weitaus häufiger vorkommen als der bürgerlichen (und in den USA zusätzlich noch puritanischen) Gesellschaft dies recht ist.


XY(*) man setze hier - je nach eigener Perspektive und Vorliebe - ein (Liste beliebig erweiterbar):
- dicke Titten
- breite Schultern
- wohlgeformten Po
- Schläge auf den Arsch
- enges Ganzkörperbondage
- anonymer Klappensex
- Oralsex
- heißer Kerzenwachs auf die Genitalien

Kallisti:

--- Zitat ---Typisches Beispiel: Papa/Mama gehen aus und schmeißen sich in irgendwelche Fetischklamotten, die Kinder sehen das. Die Kinder fragen was das ist, Mama erklärt ihnen dass es eine Art Karneval ist, Kinder sind zufrieden und gehen mit der Information ins Bett. Wirklich verwerflich? Oder hat da jemand mit seiner sexuellen Neigung (nichts anderes ist ein Fetisch schließlich) da bereits Kinder mit belästigt?
--- Ende Zitat ---
messie


Haha, ja lustig - hat mein Sohn (Grundschulalter, ich glaube er war da acht) auch mal gesehn (so ganz große Löcher in schwarzer Strumpfhose an Mama  :D) und das mit den Worten kommentiert (vergess ich nie!  :) ): "Mama, du siehst aus wie ein schwarzer Marini*!"  (Anm.: *Marienkäfer)  :D :D :D

Allerdings meinte er (ein paar Jahre später) mal, dass vor allem einer seiner Schulkameraden über mich redet (mit anderen Kindern), weil ich gepierct war (ganz harmlos ja - nur Braue, Nase, Zunge, kurze Zeit Unterlippe) - aber das kannte man da in Eppendorfer Grundschulkreisen wohl (noch?) nicht so.

Da hab ich mich dann schon aber mal kurz gefragt, ob er da nun irgendwelche Nachteile haben könnte (weil als Kind von/eines in deren Augen "underdog" gebrandmarkt oder so) - aber war eigentlich nicht der Fall. Zumindest schienen seine Freunde und deren Eltern keine Probleme damit zu haben (jedenfalls konnten sie es sonst mir gegenüber doch ganz gut verbergen).

Aber grade hier in der Provinz ist es natürlich mit "solchen Dingen" wieder doch was anderes. Da gilt man immer noch/nach wie vor schnell als irgendwie "asozial" - nur aufgrund von Äußerlichkeiten (wenn man nicht so bürgerlich-adrett gekleidet ist bspw). Allerdings kommt auch das auch hier auf die "Kreise" an, in denen man sich bewegt (ob halt kleinkariert-spießbürgerlich oder "anders").


Trotzdem ist es mir schon ein Anliegen (auch früher bei Sohn schon gewesen), dass meine Kinder doch "bürgerlich" aufwachsen können/sollen, weil es einfach "Vorteile" hat (für die Kinder vor allem) - also Sicherheit, Geborgenheit, Verlässlichkeit, Rituale (Geburtstag, Weihnachten, Ostern "feiern", Schlafrituale, Tischmanieren, Ausflüge etc.).

"Bürgerlich" muss ja nicht gleichbedeutend mit "spießig" sein. ?


Black Russian

Naja, wenn man also mit seinem "Freiheitsanspruch" (seine eigenen Bedürfnisse, Wünsche auzuleben ...) u.U. seinen eigenen Kindern schadet, weil man dadurch vlt. auf sie zu wenig Rücksicht nimmt oder sie mit etwas überfordert oder Geld oder Zeit zu viel in das Ausleben der eigenen "Neigung" investiert, das dann für die Kinder fehlt ...


messie

Also wenn "Dritte" geschädigt werden, meinst du, das ist dann die Grenze, die nicht überschritten werden darf, dann müssen die eigenen Neigungen, Präferenzen und ggf. "Selbstschädigungen" zurückstehen bzw. "überwunden" bzw. "unterdrückt" werden - damit Dritte eben nicht geschädigt werden (können/würden)?

messie:

--- Zitat ---Also wenn "Dritte" geschädigt werden, meinst du, das ist dann die Grenze, die nicht überschritten werden darf, dann müssen die eigenen Neigungen, Präferenzen und ggf. "Selbstschädigungen" zurückstehen bzw. "überwunden" bzw. "unterdrückt" werden - damit Dritte eben nicht geschädigt werden (können/würden)?
--- Ende Zitat ---

Ja, der Meinung bin ich.

Bei diesen Fetischgeschichten ist das jetzt nicht so das Problem, das kann man ja immer harmlos mit Karnevalsspleens etc. Dritten, auch Kindern, erklären.
Kompliziert wird's bei anderen Dingen: Es gibt ja diesen Straftatbestand "Erregung öffentlichen Ärgernisses". Bedeutet, dass eine Person, die nackt die Fußgängerzone entlangläuft, einkassiert wird.
Nun ist das aber doch ihr freier Wille. Warum also ist das strafbar? Weil es andere Personen peinlich berührt und sie damit indirekt schädigt. Weswegen das für mich dann auch völlig in Ordnung ist, dass sie abgeführt wird. Schädigt halt Dritte.

Einiges lässt sich ja dennoch halböffentlich ausleben: Auf Gothic-Parties kräht doch kein Hahn nach, wenn da wer wen anders an einer Leine entlangführt, es gibt höchstens kicherndes Getuschel (ich erinnere mich auch noch an so einen Ganzkörpergummimann auf einer Geburtstagsreturn). Da schadet es anderen Personen wiederum weniger, weil Derartiges vielleicht ungewöhnlich, aber durchaus erwartbar ist.

Ich kann mich aber auch wiederum dran erinnern, dass so ne Domina mitten auf der Tanzfläche ihren Sklaven ausgepeitscht hat. Das ging wiederum gar nicht, weil sie Dritte geschädigt hat - zum Einen am Tanzen gehindert, zum anderen eben wieder diese peinliche Berührung.

Vor allem Letztere ist gesellschaftsabhängig: Was in den 50ern Peinlichkeiten waren, ist heute völlig normal (z.B. bauchfreie Tops tragen).
Weswegen dieses "andere schädigen weil man damit diese peinlich berührt" jederzeit neu bewertet werden muss.
Die Grenzen sind da sehr fließend.

schwarze Katze:

--- Zitat von: Kallisti am 03 April 2012, 11:05:46 ---
Naja, wenn man also mit seinem "Freiheitsanspruch" (seine eigenen Bedürfnisse, Wünsche auzuleben ...) u.U. seinen eigenen Kindern schadet, weil man dadurch vlt. auf sie zu wenig Rücksicht nimmt oder sie mit etwas überfordert oder Geld oder Zeit zu viel in das Ausleben der eigenen "Neigung" investiert, das dann für die Kinder fehlt ...


--- Ende Zitat ---

Ist eine streitbare Thema:
wie oft ist ein Elternteil z. B. der Meinung, dass die Hobby von anderen Elternteil (z. B. harmlose LARP) dem Kind schadet obwohl es nicht der Fall ist.

Handelt es sich um Sucht, also wenn jemand Internetsüchtig ist und Kinder vernachlässigt oder Kaufsüchtig ist und das ganzes Geld für eigene Klamotten ausgibt, dann sieht es schon anders aus.
Aber eine Sucht ist behandlungsbedürftig

Kallisti:

--- Zitat von: colourize am 03 April 2012, 10:59:19 ---
(...)
Unsere heutige Sexualmoral hielt erst mit den bürgerlichen Tugenden als Leitkultur und ihren Vorstellungen von Sitte und Anstand Einzug und ist damit eine ziemlich junge kulturelle Erfindung. Die neue Wissenschaft der Psychologie (man möge daran denken, dass nur die bürgerliche Oberschicht Zugang zu den Universitäten hatte) definierte, was als gesunde und was als perverse - oder entartete - Sexualität galt.

(...)

--- Ende Zitat ---

Naja ... nicht ganz - man denke an die Tugendethik schon eines Aristoteles (Nikomachische Ethik), siehe hier ein kleiner Auszug, der hier am ehesten passend (und kurz) ist:


--- Zitat ---Die Einübung der ethischen Tugenden verhilft dabei zur Beherrschung der Triebe und Affekte und macht den so Handelnden unabhängiger von einer nur auf Befriedigung der Lust und Vermeidung von Schmerz ausgerichteten Verhaltensweise. Um ethisches Verhalten auf das Gute auszurichten, bedarf es der Erziehung, die unsere moralische Sensibilität erhöht und damit Einfluss auf die Qualität unserer Handlungen nimmt. Wenn Tugenden verinnerlicht sind, handelt der Mensch um der Tugend willen und tut dies gern, also mit Lust. Lust ist dabei jedoch für Aristoteles nicht das Ziel der Handlung, sondern eine Begleiterscheinung, die sich mitfolgend einstellt. Was eine Tugend ist, hängt von den Umständen, auch den historischen und gesellschaftlichen, ab. Einen universellen, d. h. allgemeingültigen Kern besitzen sie aber dennoch: Vervollkommnung der menschlichen Natur gemäß ihren Anlagen und zum Zweck der Harmonie des Menschen mit sich selbst.
--- Ende Zitat ---

http://de.wikipedia.org/wiki/Tugendethik

(Auch schon bei Platon eine der Kardinaltugenden: Mäßigung)


Siehe im Zusammenhang mit dem Thema/thread dann auch Folgendes


--- Zitat ---(...) Dabei bedeutet Mäßigung keineswegs, gar nicht zu genießen oder möglichst wenig zu genießen. Das wäre nicht Tugend, sondern Tristesse, nicht Mäßigung, sondern Kasteiung, nicht Maßhalten, sondern Verklemmtheit, meint André Comte-Sponville in seinem Buch "Anleitung zum unzeitgemäßen Leben".

Mäßigung ist Maßhalten im sinnlichen Begehren, sie ist gebildeter, beherrschter, kultivierter Geschmack. Die Mäßigung ist eine bewusste Regulierung des Lebenstriebes und bedeutet die Herrschaft der Seele über die vernunftwidrigen Regungen unserer Affekte und Gelüste. Mäßigung oder Mäßigkeit ist Selbstbeherrschung, sie ist eine echte Tugend, die man sich erwerben muss und kann. Sie hängt eng zusammen mit dem Willen und seiner "kleinen Schwester", der Disziplin. Mäßigkeit ist also ein Verdienst und ein Erwerb. Aristoteles würde sagen, sie ist eine Gratwanderung zwischen den beiden Abgründen Unmäßigkeit und Sprödheit, zwischen der Freudlosigkeit der Ausschweifung und der des Nicht-genießen-Könnens, zwischen dem Ekel der Völlerei und dem der Magersucht. (...)
--- Ende Zitat ---

http://treffpunkt-philosophie.de/philoservice/philosophie-als-lebenskunst/die-maessigung-oder-ein-rabbi-auf-reisen

und:


--- Zitat ---Ebenfalls von Epikur stammt der Satz: "Die schönste Frucht der Selbstgenügsamkeit ist Freiheit."
--- Ende Zitat ---


Es ist nicht alles immer nur so einfach auf christliche oder spießbürgerliche Sittlichkeit oder Puritanismus rückführbar - was die Tugenden betrifft, reicht das viel weiter zurück - aus Gründen! Weil Menschen mit diversen "Schwächen" und daraus resultierenden unangenehmen Folgen schon vor tausenden Jahren zu kämpfen hatten ...


Und hier


--- Zitat ---Was als "normale Sexualität" gilt - und was umgekehrt als "abweichende Vorlieben" bezeichnet wird - ist eine Frage der Rahmenkultur, in der wir leben. Vor der Entstehung der Sexualwissenschaft sowie der Psychologie als Wissenschaften hat sich niemand drum gekümmert ob das "normal" war, was die Leute so miteinander veranstaltet haben. Auch wenn wir das heute nicht wahrhaben wollen: Sex mit Kindern war zur Zeit des Feudalismus noch vollkommen normal. Wenn irgendwo auf dem Land irgendein Feudalherr oder auch freier Bauer (s)ein Kind missbraucht hat - das hat genau niemanden interessiert.
--- Ende Zitat ---
colourize


verstehe ich nicht ganz, was du damit sagen willst - warum du das so schreibst und das Beispiel "Sex mit Kindern" als "war normal und hat niemanden interessiert" bezeichnest? - Dass Pädophilie in Ordnung ist und heute "überbewertet" oder fälschlicherweise geahndet wird? Wenn nein, warum schreibst du das dann so provokativ?

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