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Engelchen und Teufelchen

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Kenaz:
Mahlzeit, Gemeinde!

Ich darf Euch darüber in Kenntnis setzen, daß der strikte Gut-Böse-Dualismus mitnichten auf dem Mist des Christentums gewachsen ist; in der radikalen Form wie er uns heute geläufig ist, geht er auf den persischen Religionsstifter Zoroaster - auch Zarathustra genannt - zurück, der im siebten Jahrhundert vor Christus wirkte und der Welt den - tä-te-rä-tääää! - Zoroastrismus bescherte. In dessen religiösem Mythos werden zwei gleichermaßen ursprüngliche Prinzipien, nämlich der lichte Gott Ahura-Mazda und sein finsterer Gegenspieler Ahriman, angesetzt, die in ewigem, nicht zu versöhnendem Clinch miteinander liegen. - Was in einem der vorangegangenen Beiträgen ja bereits anklang, ist nämlich durchaus zutreffend: Die meisten poly- oder pantheistischen Religionen kennen keine strikte Differenzierung zwischen dem "guten" und dem "bösen" Prinzip, sondern fassen in der Regel beides als unterschiedliche Aspekte ein- und derselben Gottheit auf. - Herzallerliebst und exemplarisch im Hinduismus zu studieren, dessen Heerscharen von unterschiedlichen Gottheiten sich in allerletzter Konsequenz auf EIN einziges Prinzip zurückführen lassen - und im Hinblick auf den Gut-Böse-Gegensatz kann hier idealerweise die Gattin des Gottes Shiva (seinerseits Teil einer quasi dreieinigen Gottheit bestehend aus Vishnu, Brahma und eben Shiva), Parvati, als Beispiel herangezogen werden, die in ihrem lichten Aspekt - als Durga - Göttin der Erde, des Lebens, der Fruchtbarkeit, in ihrem dunklen Aspekt - als Kali - hingegen das destruktive, allesverschlingende Prinzip einer Vernichtergottheit verkörpert; Leben und Tod werden hier eben sehr sinnig als zwei Seiten ein- und derselben Medaille und unter Ausblendung der nur moralischen Kategorien "gut" und "böse" verstanden. Spuren dieses Denkens lassen sich aber durchaus auch im Alten Testament nachweisen, in dem der olle Jahwe bekanntlich alles andere als einen "lieben" Gott abgibt, sondern sich durch extreme Launenhaftigkeit, einen starken Hang zum unmäßigen Rachedurst sowie zu extremer Eifersucht und ebensolchem Mißtrauen auszeichnet, insofern also alles andere als einen angenehmen Zeitgenossen darstellt. In der von der Kirche autorisierten Bibel findet man so gut wie keine Belegstellen für den Satan, der Begriff seinerseits leitet sich wahrscheinlich vom ägyptischen Gott Seth ab, der in der ägyptischen Mythologie ebenfalls eine eher unrühmliche Rolle bekleidet ... - aber das ist ein anderer Film ... - Im Neuen Testament findet sich bei Lukas 10,18 der berühmte, dort Jesus zugeschriebene Satz: "Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen", desweiteren gibt's dann noch die Geschichte von der Versuchung Jesu anläßlich der 40 Tage in der Wüste - Matthäus 4,1-11, auch irgendwo bei Lukas, das war's dann aber auch. Im Alten Testament fällt seine Rolle ebenfalls sehr mager aus, die Verführung Evas zum Biß in den bösen Apfel z. B. wird ausdrücklich nicht mit dem Satan, sondern nur mit der  S c h l a n g e  in Verbindung gebracht. Langer Rede kurzer Sinn: Die ganze Mythologie um den Engelssturz und alles, was da sonst noch so dranhängt inklusive Beelzebub, Belial, Samael und dem Rest der finsteren Dämonenhorde, desweiteren die - durchaus nicht unspannenden - Geschichten um Adams "andere" Frau, die fiese Lilith, finden sich samt und sonders in den apokryphen Evangelien - allerdings ist man da im Thomas-Evangelium an der völlig falschen Adresse: DAS ist esoterische Mystik reinsten Wassers und hat mit dämonologischem Hokuspokus nicht das allergeringste zu tun.

Die extreme Radikalisierung, die das Teufelsbild im Laufe der Jahrhunderte erfuhr und gerade im Mittelalter dann ungeahnte Blüten trieb - wie bspw. Schätzungen der Mannschaftsstärke der höllischen Belegschaft, die sich im X-Millionen-Bereich bewegten -, geht auf die Kirchenfürsten und den, sich seit dem 6. und 7. Jh. immer rasanter entwickelnden Etablierungs- und Institutionalisierungsprozeß der Kirche zurück, die zu einem Machtfaktor wurde. - Und wie erhält man Macht am besten aufrecht? - Genau: Mit Angst. Und da kam einem ein Satan, der mit Gott so rein gar nichts zu schaffen hat, natürlich sehr gelegen.

Daß die grundsätzliche Dichotomie, die zwischen Gott und Satan heute herrscht, letztlich völlig unplausibel ist, wird ja schon allein daran deutlich, daß Gott nach christlichem Verständnis der Schöpfer des gesamten Kosmos ist; dementsprechend auch des Teufels. Satan KANN gar nicht anders als mit Gottes Billigung handeln - auch das wird an einer der wenigen Stellen mit Satansbezug im AT deutlich, nämlich im Buch Hiob, woselbst der Satan mit ausdrücklicher Billigung des Allmächtigen dem braven Hiob zum Behufe einer gründlichen Loyalitätsprüfung aber mal so RICHTIG auf die Kappe geben darf ...

So weit so gut, für heute ist's genug getippt - ich wünsche noch einen angenehmen Abend!


Hosiannah!

K.

Apostat:
@Kenaz: ich finde deinen Beitrag hervorragend !

Meine Gedanken dazu:
Die Idee eines Dualismus von Gut und Böse ist an sich nichts Verwerfliches, sie entspringt eher der Beobachtung des Menschen.  Je mehr man versucht, den "dunklen" Teil des Menschen auszublenden, desto strengere Sittengesetze muß man aufstellen und desto mehr muß man die dunkle Seite verteufeln, um das Augenmerk auf das Lichte, Gute zu lenken. Heutzutage benutzt man die gleichen Mechanismen häufig in der Politik... eine Diskussion wird dadurch unmöglich, daß man die Argumente der Gegenseite von vornherein als "böse", "abartig" oder "unmoralisch" klassifiziert. Der Vorteil dabei ist oft, daß man sich nicht näher mit den Aussagen des Anderen auseinandersetzen muß - und dabei die Auseinandersetzung mit den Schwachstellen der eigenen Argumentation vermeiden kann.
Das Christentum begründete damit für mich eine Tradition im Abendland, die immer wieder durch freie Geister unterbrochen und gestört wurde, aber bis in die heutige Zeit (besonders in Form von Ideologien) fortgesetzt wurde.

Dualismus in seiner absoluten Form (ein Prophet verkündet, daß er weiß, was "gut" ist), ist meiner Ansicht nach der direkte Vorläufer des Monotheismus: ein Wegbereiter der Intoleranz und Verfolgung Andersdenkender.  Manfred Claussen schreibt in seinem Buch "Mithras - Kult und Mysterien" zur traditionellen griechisch-römischen Gedankenwelt, die ohne diesen strikten Dualismus auskommt,  "Der Mensch war mithin ein sterblicher Gott und Gott ein sterblicher Mensch.  Die Distanz zu Gott blieb nicht unüberbrückbar, und sie konnte von jedem einzelnen überwunden werden.".
Ein "offener" Glaube bietet allen die Möglichkeit, sich ihm auf unterschiedlichen Wegen zu nähern, emotional und intellektuell.  Ein (monotheistischer) Glaube, der die intellektuelle Komponente vermissen lässt, muß den Intellekt durch eine strikte Lehre, die alle Zweifel verdammt, bekämpfen, Diskussionen im Keim ersticken.
Ein Glaube, der nur aus der Anti-These eines Bestehende resultiert (weite Teile des Satanismus), kann nichts Neues, nichts Produktives bringen, sondern reagiert nur auf die Fehler des Vorgängers und bewegt sich im selben Schema.

Aus dieser Sicht kann man die Kirchenväter nur "bewundern", weil sie es geschafft haben, aus einer unbedeutenden Sekte, deren Sichtweisen den Instinkten und an vielen Stellen dem Intellekt des Menschen diametral entgegenstehen, einen nahezu weltumspannenden Glauben zu kreieren.  Dies ist wohl nur zu wenigen Zeitpunkten der Geschichte möglich, die Spätantike war ein solcher.

Kenaz:
@ Apostat

Besten Dank für die Blumen, die ich hiermit zurückgebe, denn auch Deine Äußerungen erregen mein Wohlwollen  :wink: !


--- Zitat ---Dualismus in seiner absoluten Form (ein Prophet verkündet, daß er weiß, was "gut" ist), ist meiner Ansicht nach der direkte Vorläufer des Monotheismus: ein Wegbereiter der Intoleranz und Verfolgung Andersdenkender.
--- Ende Zitat ---

- Konsequenterweise hat Nietzsche seiner Verkörperung dessen, der diese Struktur zugunsten des "Jenseits von Gut und Böse" überwindet, ja auch den Namen Zarathustra gegeben:

"Man hat mich nicht gefragt, man hätte mich fragen sollen, was gerade in meinem Munde, im Munde des ersten Immoralisten, der Name Zarathustra bedeutet: denn was die ungeheure Einzigkeit jenes Persers in der Geschichte ausmacht, ist gerade dazu das Gegentheil. Zarathustra hat zuerst im Kampf des Guten und des Bösen das eigentliche Rad im Getriebe der Dinge gesehn, - die Übersetzung der Moral in’s Metaphysische, als Kraft, Ursache, Zweck an sich, ist sein Werk. Aber diese Frage wäre im Grunde bereits die Antwort. Zarathustra schuf diesen verhängnissvollsten Irrthum, die Moral: folglich muss er auch der Erste sein, der ihn erkennt. "

(Friedrich Nietzsche, "Ecce Homo", 'Warum ich ein Schicksal bin', §8 )


--- Zitat ---Ein "offener" Glaube bietet allen die Möglichkeit, sich ihm auf unterschiedlichen Wegen zu nähern, emotional und intellektuell. Ein (monotheistischer) Glaube, der die intellektuelle Komponente vermissen lässt, muß den Intellekt durch eine strikte Lehre, die alle Zweifel verdammt, bekämpfen, Diskussionen im Keim ersticken.
--- Ende Zitat ---

- Ich denke allerdings, daß das - wenn man es mal so nennen will - Herzstück einer Religion immer einen paradoxalen Charakter aufweisen und sich somit dem intellektuellen Zugriff gerade verweigern muß, denn Religion rekurriert auf einen Bereich, aus dem die differenzierende Funktion des Intellektes erst hervorgeht, auf dem sie aufbaut. Eine rein rational-intellektuelle Religion (so man sich so etwas überhaupt vorzustellen vermag) kommt meiner Ansicht nach dem berühmten "hölzernen Eisen" gleich. Das "Göttliche", oder wie immer man dasjenige nennen will, für das jeder "Name" immer nur Maske ist, läßt sich "per definitionem" (hahaha!) begrifflich-intellektuell nicht fassen. Um mit Meister Eckhart mal einen meiner ganz großen Helden innerhalb der mittelalterlichen christlichen Mystik zu Wort kommen zu lassen:

"Alles, was das Erkennen zu begreifen, und alles, was das Begehren zu begehren vermag, das ist nicht Gott. - Wo das Erkennen und das Begehren enden, da ist es finster, da aber  l e u c h t e t  Gott."

(Meister Eckhart, Deutsche Predigten, Pr. 42)

Bezeichnenderweise mußten innerhalb der Kirche gerade jene, die auf eine letztlich gemeinsame Wurzel aller Seinsqualitäten hinwiesen - und damit Gott quasi in einem Bereich "jenseits von Gut und Böse" verortet bzw. in ihm die coincidentia oppositorum verwirklicht sahen (Eckhart differenziert insofern pfiffigerweise "Gott" sorgfältig von einer noch fundamentaleren "Gottheit") - , immer wieder Schwierigkeiten und Repressalien gewärtig sein: auch Eckhart ist der Hl. Inquisition lediglich durch sein natürliches Ableben entgangen. Wie gesagt: Die Kiche ist ein Machtapparat und da gilt jetzt wie ehedem das gute, alte, caesarische "divide et impera": Die Verselbständigung des "bösen" Prinzips in der Gestalt des satanischen Widersachers schafft Angst, Angst wiederum schafft Spaltung zwischen Mensch und Mensch bzw. Mensch und Welt - und dieser Umstand macht den Menschen beherrschbar. Denn nur wer Angst hat, läßt sich beherrschen.

In diesem Sinne: God is a DJ! :wink:


Dir 'nen sonnigen Sonntag!

K.

Apostat:
Eine ausschließlich rational-intellektuelle Religion - nennt man das nicht Philosophie ;) - kann es auch in meinen Augen nicht geben.
Der Sinn einer Religion ist - wie das Zitat von Meister Eckhart treffend ausdrückt - das Unerklärliche erträglich zu machen, dem Menschen Hoffnung zu geben.
Wenn eine bestimmte Religion allerdings dazuführt, daß neue Erkenntnisse unterdrückt werden, eine Fortentwicklung unmöglich wird, kann ich diese nur ablehnen, da sie einzig die Emotionen (besonders die Ängste vor dem Unbekannten) anspricht.  Ich denke, daß eine Religion in der Lage sein sollte, Entwicklungen und Entdeckungen zu integrieren.  Es wird sicherlich stets genug Unerklärbares geben (und neu entstehen), dem die Religion einen Sinn verleihen kann.

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