Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Identitätspolitik  (Gelesen 2136 mal)

DarkAmbient

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Identitätspolitik
« am: 08 April 2006, 00:10:42 »

Eigentlich wollte ich das dem 'Du bist Deutschland'-Thread hinzufügen, aber vielleicht entwickelt sich die Diskussion in einem neuen Thread weiter...

Auf jeden Fall trifft der 'Du bist Deutschland'-Thread das, was schon seit langem unter dem Label Identitätspolitik-Debatte läuft .

http://de.wikipedia.org/wiki/Identit%C3%A4tspolitik#Identit.C3.A4tspolitik

Ich selbst habe für mich folgendes Ergebnis gefunden:

- Identitätspolitiken sind abzulehnen oder auf jeden Fall sehr kritisch zu betrachten, sofern sie gesellschaftlich dominante Identitäten betreffen.
- Sie sind zu tolerieren, sofern sie dazu dienen, einen Schutzraum für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen zu schaffen.
- Sie sind zu fördern, insofern damit bestimmte emanzipatorische Projekte vorangebracht werden sollen (z.B. Umweltschutz, Gleichberechtigung), die ansonsten schwer Bedeutung in der Gesellschaft erlangen können -- wobei die Konstruiertheit der Identität nie aus den Augen verloren werden darf.
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"Es ist besser etwas zu bereuen, das man getan hat, als etwas zu bereuen, das man nicht getan hat."

Lakastazar

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Identitätspolitik
« Antwort #1 am: 10 April 2006, 16:16:59 »

Was jetzt nur theoretisch fehlt is eine GESUNDE Werte-Charta und eine KONSEQUENTE Verinnerlichung derselben...

Halte Identitätsprojektion für vielseitig (Politik/Religion/Kultur).

Als Beispiel: Das Lesen von Büchern/ Gucken von Filmen...
Lässt man es zu, führt der karthasische Effekt letzlich zu einer Identifikation mit Figuren, Autor oder assoziierten Werten zu und man entdeckt, bei ausreichender Reflexionsgabe, neue Seiten in sich bzw. totgeglaubtes wieder...

Einige bleiben bei solchen "heilsamen" Identitäten hängen, andere wachsen aus selbiger hinaus...

einige Steigern sich in eine Identifikation rein, oder noch schlimmer projizieren da etwas rein, was da nicht hingehört...

oder nehmen unhinterfragt das, was andere dem öffentlich beimessen, auf und nutzen dieselbe Symbolik...

Und ganz wiesilige nutzen schamlos eine solche Identität als Rechtfertigungsgrundlage frevelhaften verhaltens aus und manipulieren andere, um ihren Willen zwecks eigener Interessen zu steuern...

Naja... alles hat seine zwei Schneiden, wie ich finde...
Im Prinzip will jeder ein soziales Kontinuum schaffen, quasi Teamgeist wecken, was als solches ja nicht verwerflich ist...
aber dafür braucht Deutschland Kultur!

Und ich mein nicht Konsumkultur, Folklore, irgendwelche alten Bräuche und strenge Sitten/Tugenden... oder dekadent herangeschaffene Elite-Schnösel-Orchestra, die sich ottonormal weder leisten noch wirklich verstehen wird

wir bräuchten vielleicht ne realitätsnähere Humankultur...
damit könnt ich mich identifizieren ^^
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DarkAmbient

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Identitätspolitik
« Antwort #2 am: 17 April 2006, 23:07:30 »

Naja, das Interesse an einer Diskussion dazu ist ja nicht gerade übermäßig...

Lakastazar, Katharsis hätte ich gesagt, ist der Prozess der Lösung von Identitäten, nicht ihrer Findung, oder?
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Lakastazar

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Identitätspolitik
« Antwort #3 am: 18 April 2006, 14:52:05 »

Bedingt...

Das loslösen von einer Identität in der man momentan verhaftet ist, kann zu einer Identifikation mit etwas führen, was außerhalb von einem ist...

Nach Ken Wilber gibt es keine Identitätslosigkeit außer den Zustand des "Erwachten" (Bezug auf Buddhismus)

und ich kann für meinen Teil aus persönlichen Erfahrungen entsprechende Aussagen nur unterstreichen...

Selbst Leute, die da sagen, ich handle nach dem, was ich für richtig halte, haben eine Art "Rechtfertigungsgrundlage" für ihr Sein geschaffen, dass sich nach selbstgesetzten Werten ausrichtet.

aber nach (str)enger Definition hast du natürlich recht... ;)
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DarkAmbient

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Identitätspolitik
« Antwort #4 am: 18 April 2006, 16:49:38 »

Zitat von: "Lakastazar"
Das loslösen von einer Identität in der man momentan verhaftet ist, kann zu einer Identifikation mit etwas führen, was außerhalb von einem ist...


Wie meinst Du das: außerhalb von einem?

Zitat
Nach Ken Wilber gibt es keine Identitätslosigkeit außer den Zustand des "Erwachten" (Bezug auf Buddhismus)


Ja, so etwas verstehe ich wohl mit Katharsis. Natürlich hatten die alten Katharer ein völlig anderes Verständnis davon, ein dualistisches.

Zitat
Selbst Leute, die da sagen, ich handle nach dem, was ich für richtig halte, haben eine Art "Rechtfertigungsgrundlage" für ihr Sein geschaffen, dass sich nach selbstgesetzten Werten ausrichtet.


Ja, gerade diese Leute sind Identitäten verhaftet. Werte selbst setzen geht nur über ein Angebot an Bestehendem. Allein die Zusammenstellung und Vereinbarung der Werte mag frei geschehen. Aber es wird immer auf Grundlage von Vorhandenem agiert. Die Schaffung neuer Werte ist nie der willentliche Akt eines Individuums.
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BetterOf2Evils

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Re: Identitätspolitik
« Antwort #5 am: 18 April 2006, 19:24:16 »

Zitat von: "DarkAmbient"
Ich selbst habe für mich folgendes Ergebnis gefunden:
- Identitätspolitiken sind abzulehnen oder auf jeden Fall sehr kritisch zu betrachten, sofern sie gesellschaftlich dominante Identitäten betreffen.
- Sie sind zu tolerieren, sofern sie dazu dienen, einen Schutzraum für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen zu schaffen.
- Sie sind zu fördern, insofern damit bestimmte emanzipatorische Projekte vorangebracht werden sollen (z.B. Umweltschutz, Gleichberechtigung), die ansonsten schwer Bedeutung in der Gesellschaft erlangen können -- wobei die Konstruiertheit der Identität nie aus den Augen verloren werden darf.


Damit hast Du ja schon vieles vorweg genommen. Im Großen und Ganzen kann ich dem von Dir geschriebenen Ergebnis zustimmen.
Mir fällt im Moment das Beispiel der ehemaligen DDR ein. Durch die Wiedervereinigung verloren die Ostdeutschen ihre Identität als "DDR-Bürger". Die gemeinsame Vergangenheit prägt noch heute und Ossis erinnern sich (mehr oder weniger gerne) an typische DDR-Traditionen oder Bräuche (Stichwort Ostalgie). Das schweißt zusammen und grenzt gleichzeitig ab. Die Mauer in den Köpfen existiert noch heute bei vielen Ossis wie Wessis. Im Großen identifiziert man sich als Mensch, im Kleinen vielleicht als Ossi/Wessi/Zuwanderer/was weiß ich was.
Identitätsfindung (also auch Identitätspolitik) ist immer ein gesellschaftlicher, geschichtlicher Prozess.

Zitat von: "Lakastazar"
Im Prinzip will jeder ein soziales Kontinuum schaffen, quasi Teamgeist wecken, was als solches ja nicht verwerflich ist...
aber dafür braucht Deutschland Kultur!
Und ich mein nicht Konsumkultur, Folklore, irgendwelche alten Bräuche und strenge Sitten/Tugenden... oder dekadent herangeschaffene Elite-Schnösel-Orchestra, die sich ottonormal weder leisten noch wirklich verstehen wird

An altem Kulturgut (sprich z.B. über Generationen weitergetragenes Liedgut) hätte ich allerdings nichts auszusetzen. Als Kind habe ich gerne mit meinem Vater aus seinen uralten Liederbüchern zusammen gesungen. In der Schule fand ich das natürlich öde, aber an so etwas "gemeinschaftliches" und familiäres erinnert man sich und es prägt.
In welchem Großstadt-Kinderzimmer wird heute noch zusammen gesungen/musiziert/gebastelt, anstatt die Glotze mal für 2-3 Stunden auszuschalten?
Anhand der größtenteils vorherrschenden Konsumkultur kann keine Volks-Identität (im positiven Sinne) weitergegeben werden. Das fängt schon damit an, dass Kinder nicht fähig sind ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechend zu reden oder wenigstens deutlich zu artikulieren. Wer es nicht anders kennt... oder: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Später entsteht daraus vielleicht eine Fremde gegenüber der eigenen Kultur.

Wenn keine gemeinsamen Werte und Normen geschaffen werden und vom "Träger" als geltend anerkannt werden, kann keine gesunde Volks-Identität bestand haben. Wie und womit identfifiziert sich ein 14-jähriges deutsches Mädchen aus Berlin aus einer normal-bürgerlichen Kleinfamilie (ja ich weiß, Auslegungssache ;-)) im Vergleich zu einem 14-jährigen türkischen Mädchen aus Berlin aus einem streng muslimisch geprägten Elternhaus?

Ich denke, die Politik hat es schwer, eine gemeinschaftliche "Identität im Volk" zu schaffen. Einerseits schwingt in Deutschland immer die große Keule NS-Zeit mit, rein aus historischen Gründen (wie oben breits genannt: gefährlich bei einer dominanten Identität). Andererseits: Ist es überhaupt möglich, eine gemeinschaftliche Identität zu schaffen, die aus vielen gleichberechtigten Gütern verschiedener in Deutschland heimischer Kulturen besteht, so dass quasi ein (neuer?) gemeinsamer Nenner geschaffen wird - wider dem Werteverfall?
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Lakastazar

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Identitätspolitik
« Antwort #6 am: 18 April 2006, 23:40:43 »

Zitat von: "DarkAmbient"
Zitat von: "Lakastazar"
Das loslösen von einer Identität in der man momentan verhaftet ist, kann zu einer Identifikation mit etwas führen, was außerhalb von einem ist...


Wie meinst Du das: außerhalb von einem?


Naja... Werte sind ja häufig etwas, was man in seiner Umwelt, also außerhalb von sich, findet.
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DarkAmbient

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Re: Identitätspolitik
« Antwort #7 am: 19 April 2006, 01:29:13 »

Zitat von: "BetterOf2Evils"
Ich denke, die Politik hat es schwer, eine gemeinschaftliche "Identität im Volk" zu schaffen.


Und das ist gut so. Das würde ich unter den ersten meiner drei Fälle fassen. Und zwar nicht nur für Deutschland.

Ein gemeinsamer Bezug, eine Vertragsgrundlage für die Gesellschaft, ist natürlich nötig. Wenn man der Meinung ist, man muss sich auf nationalstaatlicher Ebene zusammenfassen, dann wäre das so etwas wie die Verfassung. Die der BRD, das Grundgesetz, sehe ich tatsächlich eher als seltenen Glücksfall der Geschichte -- die Elite musste damals beweisen, was für tolle Demokraten sie waren und z.B. mit der gegen heftige Widerstände aufgenommenen Gleichberechtigung der Geschlechter würde ich es als emanzipatorisches Werk ansehen. Heute würde bei einer Verfassungsschöpfung für die BRD wohl eher so etwas wie der murxige EU-Verfassungsentwurf herauskommen.
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