Schwarzes Hamburg > Gedankenaustausch

Therapie - bringt das überhaupt was?

(1/4) > >>

RaoulDuke:
Ich hatte neulich mit einem Freund eine längere Diskussion zum Thema Therapie. Es drehte sich dabei hauptsächlich um die Frage, ob Therapie überhaupt etwas bringt, oder ob es sich nicht vielmehr um ein Placebo-Vorgehen handelt, mit dem man maximal dafür sorgen kann, dass man nicht den Eindruck gewinnt, man wäre gegenüber manchen Dingen machtlos - denn immerhin geht man ja zur Therapie.

Ich konnte dazu, und ich schäme mich nicht, das zuzugeben, auch auf eigene Erfahrungen zum Thema Therapie zurückgreifen. Es gab in meinem Leben ja mal, wie manch einer mitbekommen haben mag, eine ziemlich unschöne Phase. In dieser kulminierten eine private Krise, nämlich das Scheitern meiner Ehe nicht allzu lang nach der Geburt meines Sohnes, eine berufliche Krise, in der ein lange gehegtes und gepflegtes Kalkül nicht aufging und mir ausser dem schnellen Suchen einer neuen Position kaum Alternativen ließ, und eine persönliche Krise, die mir im Moment der anderen Krisen auch noch die Bewältigung von Vergangenem aufzwang. Mit derlei Problemen gerüstet, fühlte ich zum ersten mal in meinem Leben, dass es sich um eine Situation handeln könnte, deren Bewältigung meine Kräfte übersteigen würde.

Nun, also auf zur Therapie. Das war eine sehr zweischneidige Sache - sehr schnell erhielt ich Medikamente, die mir zwar bei der Bewältigung so mancher Situation halfen, mir aber auch eine innere Einstellung zu vielen Dingen verschafften, gegen die drei stets meditierende buddhistische Mönche auf einmal nur Neid hätten entwickeln können. In der Außenwelt kam schnell das Gerücht auf, ich nähme bestimmt allerlei lustige Drogen. Und rückblickend kann man da wohl kaum widersprechen, ob nun Medikament draufstand oder nicht. Aber abgesehen davon hatte ich allerlei therapeutische Sitzungen, in denen bei mir zunächst eine Reihe von Auffälligkeiten festgestellt wurde. Nach vorläufigem Abschluss der Diagnose ging es dann in die Therapie. An dieser Stelle fasse ich mal den Rest der Geschehnisse so zusammen: Sehr interessant, aber völlig am Problem vorbei. Es wirkte, als hätte ich mir das Bein gebrochen, und zur Unterstützung würde der Arzt schöne Gedichte vortragen oder ein tolles Essen zubereiten. Auch schön, und schaden tut es irgendwie auch nicht, aber erreicht - wurde wenig.

Den Ausweg aus der Situation und meines aus ihr resultierenden Zustandes fand ich ganz anders und vor allem selbst. Mit genau den unangenehmen, aber wirkungsvollen Methoden, mit denen man üblicherweise Probleme in der realen Welt eben so löst. Und was die psychischen Auffälligkeiten angeht, habe ich rückblickend den Eindruck, dass man zu vielen dort diagnostizierten Dingen sagen muss: It's not a bug, it's a feature. Das gehört bei mir eben so.

Nach kurzer Zeit war es also für mich vorbei mit der Therapie. Gebracht hat sie höchstens den einen oder anderen Denkanstoß, aber insgesamt? Ich sehe eher die Gefahr, dass ganz normale Eigenschaften pathologisiert und dann irgendwie therapiert werden könnten, während man mit der Bewältigung der wichtigen Problemstellungen des Lebens sowieso per Definition allein dasteht. Da hilft so ein bischen Brimborium nicht weiter.

Schere ich da gerade zu viel über einen Kamm?

Taéra:
MAn muss da ganz klar differenzieren was man für ein Problem hat und was für eine Therapie man angeht, wie der Therapeut drauf ist und so weiter und so fort. Daher sollte man das Thema auf gar keinen Fall über einen Kamm scheren.
Ich habe zwei Versuche hinter mir die gründlich in die Hose gingen, das aber wegen äußerer Umstände (u.A. bin ich an Vollpfosten geraten).
Allerdings hat mein Bruder vor nicht allzu langer Zeit eine heftige Leidensgeschichte durchgemacht.
Dass er überhaupt ein Problem hatte ist niemanden aufgefallen bis er eines Tages in der Schule aufgrund eines schweren Nervenzusammenbruchs kollabierte und man glücklicherweise erkannte, dass da psychisch was nicht stimmte. Auch wiederum nur mit Glück konnte er bei einer Psychotherapeutin (nicht auf der Bezeichnung rumhacken bitte, wie sie sich schimpft, weiß ich nicht und wann welcher Begriff der richtige ist, weiß ich auch nicht) unter kommen, die ein paar Sitzungen mit ihm gemacht hat und dann erkannte, dass er dringend eine umfassende Therapie brauchte. Er meldete sich für die Warteliste einer Klinik (Ginsterhof) an und erhielt dann dort ein paar Monate später einen Platz. Dort war er dann zehn Wochen lang.
Bis er dort hinkam ging er regelmäßig (ein bis zwei Mal die Woche) zu der Therapeutin und auch anschließend hatte er noch einige Sitzungen.
Die Zeit dort war sehr gut. Das sagt er selber. Die Veränderung an ihn hat man mehr als deutlich gespürt. Und ich glaube, dass ihm kaum was besseres hätte passieren können. Wenn ich an die Zusammenbrüche zurückdenke, die er vor der Zeit in der Klinik hatte, läuft es mir noch immer kalt den Rücken runter. Also kann ich grundsätzlich nur sagen, dass ich Therapien für eine gute Sache halte.
Aber man muss eben differenzieren.
Ich selber glaube noch immer, dass mir eine richtige Therapie sehr gut tun würde, aber ich habe mich durch die zwei Fehlversuche unterbuttern lassen und finde den Mut so etwas anzugehen, derzeit nicht. Aber ich habe auch keine Probleme, die mich massiv einschränken oder mich auch körperlich abbauen lassen. Es gibt eben immer nur spezifische Situationen, die ein ernsthaftes Problem darstellen und manche Dinge, bei denen ich nicht in der Lage bin, sie zu anzugehen.

Eisbär:
Die Therapie(form) muss zum Problem passen und wie in jedem anderen Bereich auch, wo man von jemand anderem etwas erwartet, hängt es nicht zuletzt am Können desjenigen, den man deswegen konsultiert.

wolkentaenzer:
Hi,

vielleicht kann ich ein wenig meine Meinung dazu beitragen.
Ich habe drei Jahre lang (nicht als Therapeut) in einer psychologischen Ambulanz gearbeitet und sehr viele Patientengeschichten sind an mir vorüber gezogen und ich konnte einen recht guten Blick darauf werfen.

Hier also meine etwas laienhafte Meinung:
1) Patienten müssen erkennen, dass sie ein Problem haben und daran arbeiten wollen. Dabei steht die eigene Aktivität und das Wollen sehr stark im Vordergrund.
Ich habe es in der Zeit nie erlebt, dass ein Patient gekommen ist und der Therapeut* das Problem gelöst hat. Eine Therapie ist in erster Linie ganz viel Arbeit für den Patienten. Der Therapeut kann hier nur unterstützen. Dies kann er auch nur so gut, wie der Patient mitarbeitet. Psychotherapie ist nicht so: 'Du kriegst eine blaue Pille und alles ist wieder gut.' - Was meiner Meinung auch in der klassischen Medizin so nicht funktioniert.

2) Patienten müssen geheilt werden wollen. Oftmals ist es so, dass sich ein Patient in seiner Rolle 'Ich bin krank' sehr gut eingerichtet hat. Krank sein kann auch Vorteile haben. Zum Beispiel: Mehr Beachtung und Zuspruch durch die Umwelt. Mir sind in der Zeit sehr viele Menschen begegnet, die sich geradezu im Selbstmitleid ergeben und daraus Kraft schöpfen. Solche Leute geben häufig nur vor geheilt werden zu wollen, um noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

3) Das sagtest Du schon Raoul: It's not a bug, it's a feature. Jeder Mensch ist anders, als der Andere! Das ist Teil unserer Stärke. Es ist nicht wichtig, dass der Patient sich an ein 08/15 Verhalten anpasst, sondern mit sich glücklich und zufrieden ist. Dazu gehört es auch die eigenen Unzulänglichkeiten zu akzeptieren. Auch wenn sie manchmal sehr stark vom Durchschnitt abweichen. Häufig ist Therapie auch, dass der Patient sich selber als 'richtig' anerkennt.

4) Es gibt natürlich auch gute und schlechtere Therapeuten. Jedes Problem ist so individuell, wie der Patient und es gibt keine Standardtherapie. Es gibt zwar für Problemcluster Therapiemuster, diese müssen aber an das Problem angepasst werden. Dem einen Therapeuten gelingt das sehr gut, dem anderen halt nicht.

Letztendlich würde ich sagen, dass wir bei über 80% der Patienten erfolgreich waren. Dies heißt nicht, dass Störungen komplett weg waren, sondern lediglich, dass wir eine Verbesserung der Situation für den Patienten erreicht haben.

Soviel zu meiner Meinung


*) Ich benutze im folgenden nur die männliche Form. Die meisten Therapeuten, die ich kennen gelernt habe, waren jedoch Frauen.

CubistVowel:
Ich kann das, was Wolkentänzer schreibt, nur bestätigen. Und möchte - aus inzwischen ca. 8jähriger eigener Erfahrung mit Therapie - hinzufügen, dass oft auch nach langjähriger Analyse/Therapie die Probleme nicht einfach "weg" sind. Aber danach sind (hoffentlich^^) wenigstens die Ursachen bekannt, und es wird/wurde ein Weg gefunden, mit diesen Problemen umzugehen bzw. fertig zu werden. Das empfinde ich ganz persönlich als einen riesigen Fortschritt.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln