Schwarzes Hamburg > Politik und Gesellschaft
Wo sind eigentlich die Jugendkulturen hin?
RaoulDuke:
Eine Frage geistert schon länger in meinem Kopf herum, aber durch ein Gepräch mit einem Freund wurde sie gerade noch einmal an die Oberfläche gespült - die Frage, wohin eigentlich heute die Jugendkulturen verschwunden sind.
Die Frage überrascht vielleicht zunächst ein mal, weil die Welt vordergründig bunt erscheint wie eh und je. Ich erinnere mich allerdings gut an einen Satz meines Freundes, der mich innehalten ließ. Wir waren gerade damit beschäftigt, auf alte Partyzeiten zurückzublicken und dabei möglichst zu klingen wie alte Veteranen, die auf einen gemeinsam durchstandenen Krieg zurückblicken. Aber als der Satz fiel "Erinnerst Du Dich noch an diesen Stefan? Du weisst, der war erst total Punk, dann eher Waver, und als er dann zur Techno-Zeit irgendwie so in Richtung Trance abgedriftet ist, hab ich ihn aus den Augen verloren, ich war ja mehr mit den Gabber-Leuten unterwegs" wurde mir plötzlich klar, dass viele Eckpfeiler unseres eigenen Selbstverständnisses nurmehr in der Erinnerung bestehen, der Erinnerung von Leuten, die dabei waren. Was die Frage aufwarf - wo sind diese Eckpfeiler, aber vielmehr noch die Idee der Eckpfeiler selbst, eigentlich hin?
Ich weiss es noch wie heute, während meiner frühen Jugend in den 80ern und frühen 90ern konnte man zu allem möglichen gehören: Punker oder Popper, Waver oder Raver, Skins, Autonome, Ois und gefühlte Milliarden Untergruppen dieser und vieler vieler Gruppen. Damals fand ich sehr merkwürdig, dass man durch simples Proklamieren einer Zugehörigkeit nicht nur einen Kleidungsstil, einen Freundeskreis, eine politische Einstellung und ein persönliches Wertesystem praktisch von der Stange nehmen konnte. Andererseits war es so möglich, eine Weile in einer Gruppe mitzutingeln und so Dinge zu tun und zu erleben, die etwas ganz ganz anderes waren als der Alltag der Eltern (teilweise eben extrem weit davon weg), und damit viele Erfahrungen zu sammeln, die beim schließlichen Entstehen meiner ganz eigenen Identität Schlüsselrollen spielen sollten.
Soweit, so klar - aber wo ist das eigentlich alles hin?
Klar, die Gesellschaft entwickelt sich, und zu glauben, heute würden besagte Gruppen noch existieren wie damals, wäre total naiv. Aber wenn ich in der Bahn sitze und mich umsehe, wenn ich durch die Stadt tingele und sehe wer da so unterwegs ist oder abends über die Ausgehmeilen flaniere, dann sind sie einfach weg. Klar gibt es noch hier und da junge Punker, Gothics und diese und jene. Aber die so zahl- und facettenreiche Aufsplitterung in Jugendkulturen, von denen manche den Sprung zur echten Subkultur geschafft haben (*umschau* *wink*) scheint mir einfach passé zu sein. Allenfalls Hiphopper sehe ich manchmal als wahrnehmbare Gruppe. Ansonsten - Konformität allerorten. Teure Klamotten, die aktuelle Musik aus den Verkaufscharts, große Smartphones, unglaubliche Sauferei, Mädchen die mit 14 wie gestylte 26jährige aussehen und Jungs, die aussehen wie aus dem Modekatalog von H&M. Seit Sokrates' Zeiten war die Jugend für rebellisches Verhalten bekannt - aber jetzt beschleicht mich ein mulmiges Gefühl, weil genau das nicht mehr zu gelten scheint - die Jugendkulturen sind irgendwie verschwunden. Oder was ist hier eigentlich los?
PlumBum:
Eine Freundin von mir hat dazu mal etwas sehr treffendes formuliert. Sie selbst ist ihres Zeichens nicht nur Künstlerin, Lebenskünstlerin sondern auch noch ein wirklich richtiger und echter Althippie welche die ganze Zeit und alles um die 68er Bewegung herum so richtig mitgemacht hat. Also quasi eine der originalen überlebenden und Zeitzeugin der Begründung der meisten uns heut zu tage bekannten Jugendkulturen.
In einer Bar unterhielten wir uns über ziemlich genau dieses Thema. Und sie sagte etwas in der Art, "was ist nur mit der heutigen Jugend los. Wir haben damals rebelliert, alles mögliche an Drogen genommen, Orgien überall und alles getan was uns irgendwie gefiel. Und nun scheint die Zeit gekommen zu sein, wo die Rebellion der heutigen Jugend nur noch darin zu bestehen scheint sich der Konformität hinzugeben. Denn das ist es doch was die Vorhergehende Generation am meisten Verabscheut und befürchtet."
Ich glaube auch, das Rebellion gegen das Bestehende oder vorhergehende immer ein wesentlicher Faktor der Jugendkulturen war. Und damit hat sich auch nichts geändert. Nur die heutige Rebellion besteht nicht mehr darin sich den Punks anzuschließen und einfach so in den Tag zu leben und möglichst bunt zu sein. Sondern es geht dahin sich einen Anzug an zu ziehen und im Geschäftsleben möglichst erfolgreich zu sein. Der Freundeskreis/ Look von der Stange heißt jetzt nicht mehr Oi sondern iPhone. Es gibt Hipster, Yolos und Gamer...
Also im grunde doch alles wie immer, nichts bleibt wie es war...
sYntiq:
Hmm... evtl. sehen wir die heutigen Jugendkulturen auch einfach nicht mehr weil wir zu alt sind? So nach dem Motto "diese Jugend von heute..alles der gleiche Rotz"? :) Meine Eltern zumindest hatten, als ich jung war, auch keinen Überblick über "aktuelle" Jugendkulturen. Vieleicht gibt es sie also noch, nur fallen sie uns "alten" nicht mehr so auf?
Wobei ich glaube dass gerade die HipHop Kultur auch heute noch regen Zuwachs hat und sehr präsent ist. Zumindest sehe ich irgendwie immer mehr Jugendliche denen man nicht nur die Hiphop-Zugehörigkeit ansieht, sondern die komplett wirken wie aus irgend einem schlechten HipHop-Klischee.
Auf der anderen Seite hab ich mal in einer Doku vor ca. 2 Jahren gehört dass in unserer heutigen Zeit kaum noch etwas Bestand hat, kaum noch etwas wirklich verlässlich ist. die Jugend hätte dadurch keine echten Ziele mehr (ändert sich ja eh ständig alles) und diese "Gleichförmigkeit", dieses "Die gleichen Dinge tragen wie andere, die gleichen Dinge hören/mögen wie andere" sei für die Jugend mittlerweile sozusagen das "Ziel" weil dies eine art Gemeinschaftsgefühl suggeriert, einen dringend benötigten Halt.
Hmm.bei diesem Absatz kommt mir mit dem ersten "Wir sehen die Kulturen nur nicht mehr" noch eine Idee: Zumidnest musikalisch werden die Stilrichtungen immer mehr miteinander vermischt. Da findet man Popsongs mit Drum´n´Base Einlagen, Klassik gepaart mit Dubstep, Pop und Dubstep, Metal/Rocksongs mit Rap, HipHop mit Techno/Dubstep/D´n´B/ Metalleinflüssen usw usw. Evtl. wirkt es für uns nur nach Konformität, weil die Grenzen immer schwerer zu ziehen sind.
--- Zitat von: PlumBum am 22 November 2013, 10:37:46 ---...Sondern es geht dahin sich einen Anzug an zu ziehen und im Geschäftsleben möglichst erfolgreich zu sein.
--- Ende Zitat ---
Wobei gleichzeitig immer mal wieder zu lesen ist dass der heutigen Jugend andere Dinge viel wichtiger sind als Erfolg.
--- Zitat ---Der Freundeskreis/ Look von der Stange heißt jetzt nicht mehr Oi sondern iPhone. Es gibt Hipster, Yolos und Gamer..
--- Ende Zitat ---
"Gamer" sind eine Jugendkultur? Ich lerne ehrlich gesagt immer mehr Gamer kennen die so zwischen 30 und 50 sind. Mal abgesehen davon, dass man bei "Gamern" wieder alle möglichen Subkulturen wiederfindet. Da gibt es Hiphopper, Grufties, Metaller, Punker, Hippies, Pumper, Schrauber usw. usw. usw.
Während sich eine Jugendkultur ja normalerweise versucht von anderen abzugrenzen, finden sich viele friedlich vereint unter dem Dach "Gaming"
nightnurse:
--- Zitat von: sYntiq am 22 November 2013, 11:01:19 ---Hmm... evtl. sehen wir die heutigen Jugendkulturen auch einfach nicht mehr weil wir zu alt sind? So nach dem Motto "diese Jugend von heute..alles der gleiche Rotz"? :)
--- Ende Zitat ---
Das war mein erster Gedanke.
Die Jugend von heute™ hat vielleicht Unterscheidungsmerkmale, die uns nicht auffallen, weil wir nicht drinstecken. So, wie wir dreiunddrölfzig Subsubkulturen von "Gothic" erkennen, können die vielleicht auch auf den ersten Blick sagen, wer zu ihrer jeweiligen In-Group gehört oder nicht.
Wäre Zeit. daß sich mal irgendwelche Jugendichen zu Wort melden und uns das erklären ;D
Black Ronin:
--- Zitat von: nightnurse am 22 November 2013, 11:57:36 ---
Das war mein erster Gedanke.
Die Jugend von heute™ hat vielleicht Unterscheidungsmerkmale, die uns nicht auffallen, weil wir nicht drinstecken. So, wie wir dreiunddrölfzig Subsubkulturen von "Gothic" erkennen, können die vielleicht auch auf den ersten Blick sagen, wer zu ihrer jeweiligen In-Group gehört oder nicht.
Wäre Zeit. daß sich mal irgendwelche Jugendichen zu Wort melden und uns das erklären ;D
--- Ende Zitat ---
Die gibts hier nicht.
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