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Die schönste Stadt der Welt...
colourize:
Seit einigen Jahren beobachte ich - insb. in Hamburg, aber auch in einigen anderen Großstädten - ein Erstarken des Lokalpatriotismus, der sich im Hochjubeln des eigenen Wohnortes ausdrückt. Da mir diese Entwicklung irgendwie suspekt ist, starte ich zu diesem Thema mal einen kleinen Thread um Eure Meinung dazu zu hören. Meine Thesen dazu:
* Hamburg ist sicher guter Ort zum leben. Das liegt aber (These) weniger an der "Schönheit" der Stadt, dem Stinkehafen, einem anlegenden Kreuzfahrtschiff vor der Dauerbaustelle namens "Elbphilharmonie" oder gar dem Stausee in der Mitte der Stadt (der vor allem dieses unsägliche Verkehrschaos verursacht), sondern eher an der hohen Zahl von Menschen die hier leben. Dadurch gibt es ein eingermaßen gutes kulturelles Angebot, eine Vielfalt urbaner Subkulturen sowie nette Restaurants und Kneipen.
* In weiten Teilen ist die Stadt baulich gesehen einfach mal potthäßlich. Die Zahl der "schönen" Teile Hamburgs ist klein, und allesamt sind diese wirklich schönen Orte vom reichen Hamburger Geldadel kolonisiert (Gebiete um die Alster herum, Innenstadtlagen, Elbvororte, Treppenviertel etc.). Für Normalverdiener ist in diesen Gebieten nur insofern Platz, als dass sie dort auch mal gucken gehen dürfen ohne gleich vertrieben zu werden. Wohnen muss man aber als Normalverdiener in den vielen furchbar hässlichen Gegenden der Stadt (Hamm, Horn, Billstedt, Harburg etc. - eben den Orten, die nie in den Fotos á la "Hamburg meine Perle" auftauchen) oder weit draußen in einem langweiligen Vorort (Pinneberg, Rahlstedt, Norderstedt etc.), da die Mietpreise in den schöneren Ecken einfach so wahnsinnig hoch sind - von den Preisen für Wohneigentum mal ganz zu schweigen.
* Das Hochjubeln der Stadt und das Verbreiten von schönen Aufnahmen der immergleichen Motive spielt dem Hamburger Stadtmarketing in die Hände, dem daran gelegen ist die Stadt Hamburg als "Marke" zu positionieren und in der Konkurrenz zu anderen europäischen Großstädten, die als hip und trendy gelten, die eigene Position zu verbessern. Ein Gelingen dieser Strategie (Präsentation und Labelling Hamburgs als "schöne Stadt"; mediales Verstecken und Totschweigen der Gegenden wo der Großteil der Menschen wirklich wohnt) befördert die weitere Attraktivitätssteigerung der Stadt, einen wachsenden Druck auf dem Wohnungmarkt und damit steigende Mieten (und folglich nur Nachteile) für die Bewohner.
Das zusammengenommen spräche m.E. dafür, beim Viralmarketingspiel für Hamburg nicht mitzuspielen... wenngleich ich selbst ja auch immer gerne schöne Fotos poste.
Black Ronin:
Die Stadt will sich investitionsstrategisch positionieren um zahlungskräftige Bürger und Gewerbesteuerzahlende Betriebe anzulocken? Die Touristen wollen wir auch nicht vergessen. Ja warum auch nicht?
Solange der Pöbel ohne rumzustänkern in Rahlstedt, Norderstädt oder halt Quickborn wohnt?
Macht doch jede Stadt die die Möglichkeit hat so.
Lübeck wird ja auch ständig als Weltkulturerbe und Touristenstadt beworben. Wenn investiert wird, dann in Flaniermeilen, Wsserspiele und üppige Holzbänke in der Fussgängerzone ( Also Kosmetik und Tummelplatz für Leute die Geld bringen), während Nebenstrassen zu Schlaglochpisten verkommen und soziale Einrichtungen dichtmachen.
Und wer will schon ein verfallendes Industriegelände auf seiner Ansichtskarte?
seinschi:
Ich steh auf Industrieruinen :), aber davon mal ab:
- Hamburg als Stadt selber find ich schon recht schick. Die Infrastruktur ist recht gut, zum Shoppen echt klasse, zum feiern sowieso und es gibt ne menge zu sehen, von Museen ueber schoene parkanlagen usw
- Ich hab nen paar jahre in hamburg gewohnt und dabei auch die Nachteile kennengelernt: zu Stosszeiten sind die Bahnen unertraeglich voll, die Stadt selber kam mir sehr dreckig vor, allgemein zuwenig Platz fuer zuviele Leute. Radfahren ist in der Innenstadt nen ganz besonderes Wagnis, und die Mieten sind echt um einiges zu hoch (besonders in Relation zu dem, was man dafuer bekommt)
- Das Partyleben ist zu sehr zentralisiert
Ich hab mich dann bald ins schoene Pinneberg verzogen, was mein werter Vorredner doch ein wenig geschmaeht hat, von persoenlichen Vorteilen mal abgesehen (naeher zur Arbeit) ists hier gruener ruhiger und ordentlicher , ich fuehl mich hier um einiges wohler als in Hamburg. Wenns mich denn mal in die Grosse Stadt treibt ,bin ich binnen ner halben Stunde da :)
nightnurse:
Hmja.
Ich halte Hamburg ja auch für die schönste Stadt, die ich bisher kennengelernt habe (was ich nach Möglichkeit auch genau so auszudrücken pflege, um den Slogan "Hamburg ist die schönste Stadt der Welt" zu vermeiden).
Die Grundaussage von colourizens erstem Punkt halte ich für zutreffend - das Vorhandensein vieler unterschiedlicher Menschen hat für eine (auch für meine Interessen) ganz ordentliche Infrastruktur gesorgt.
Punkt 2 finde ich etwas problematisch, denn (Platitüdenalarm) Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Außerdem vermischst Du da Dinge - ich finde z.B. die alten Backsteinbauten von Hamm und Barmbek schön anzusehen, möchte da aber aus praktischen Erwägungen nicht unbedingt wohnen. Meine unmittelbare Wohnumgebung würde ich nicht als "schön" bezeichnen, aber zum Wohnen finde ich sie klasse. Die hochglanzfotoschönen Wohngebiete...ja, guck ich mir gerne mal an und zuweilen denke ich auch "so ne Villa mit Elbblick, das wär´s"...aber eigentlich nicht.
Es soll ja sogar Leute geben, denen "trendy"oder "Stuckornamente" noch wichtiger ist als "schöne Lage" (bzw. die das eine mit dem anderen identifizieren).
Punkt 3 möchte ich gerne ergänzen um die schizoide Taktik, die "alternativen" Seiten der Stadt hochzujubeln (Kunst! Musik! Subkultur!), während man gleichzeitig alles dafür tut, diesen ach so attraktiven Seiten die Grundlagen zu entziehen (man will junge fetzige Künster und die sollen bitte in der Hafencity wohnen und ein teures Loft als Atelier mieten).
Und was tun wir nun dagegen?
(Ich erzähle grade jedem, der es nicht hören will, was für ne Katastrophe der Wohnungsmarkt ist, das erkläre ich hiermit zur subversiven Strategie :D)
--- Zitat von: Black Ronin am 27 November 2012, 14:55:25 ---Und wer will schon ein verfallendes Industriegelände auf seiner Ansichtskarte?
--- Ende Zitat ---
Hier, ich, ihich!
RaoulDuke:
Ich gehöre zu den Leute, die Hamburg wirklich gerne mögen (wenn ich auch die Schattenseiten nicht verschweigen will):
a) Die Stadt hat viele unterschiedlich geprägte Stadtviertel, und dennoch eine hohe Zentralität
Lecker essen im Portugiesenviertel, danach einen kurzen Spaziergang am Wasser, anschließend ab zur Reeperbahn? Kein Problem, alles in fußläufiger Reichweite. Drei komplett unterschiedliche Umgebungen in weniger als einer halben Stunde. Theoretisch könnte man auch noch zu Fuß in die Innenstadt gehen. Mittags stehe ich vor der Wahl, kurz in die Mönckebergstrasse zu gehen, durch Planten und Blomen zu schlendern oder ins Schanzenviertel zu gehen - auch sehr nah beieinander, obwohl es sehr unterschiedliche Gegenden sind.
b) Die Stadt ist weltoffen, vielseitig und stilvoll
Bevor ich nach Hamburg gezogen bin, habe ich eine Weile im Umland von Düsseldorf gewohnt, habe auch recht viel Zeit in Berlin verbracht und war beruflich auch viel auf Reisen. Vielleicht ist es nur meine Wahrnehmung, aber Hamburg sticht vielfach nicht nur optisch als großzügig, elegant und auf angenehme Weise unaufgeregt hervor. Die Leute sind höflich, wenn auch manchmal etwas distanziert, und es gibt ein super Nachtleben für so ziemlich jeden Geschmack. Vielleicht nicht so vielseitig wie Berlin, aber dafür auch nicht über so arg viel Fläche verteilt. Und was mir sehr gefällt: So ein Schicki-Micki-Laden wie das 20up und diese lustige Punkkneipe in der Bernhard-Nocht-Straße liegen nur einen Steinwurf voneinander entfernt, und existieren trotzdem friedlich nebeneinander.
Und die Archtiektur hat natürlich über Strecken auch was - sie spiegelt oftmals eine Mischung von alt und neu, von chic und rauh, von langer Historie und Zukunftsvisionen wieder (ich meine damit diese coolen Bürogebäude am Hafen wie beispielsweise das Dockland Office Building, und der Kontrast, der dann mit dem Chilehaus besteht)...
c) Die Natur drumherum!
Kurz ins Auto oder die Elbfähre, und schon liegt man irgendwo am Elbstrand und hat dort auch noch reichlich Platz. Chillen, Grillen, Zelten oder Nachts irgendwo an einem abgelegenen Fleckchen ins Wasser springen? Haken. :)
d) Aaaber: Preise und echt schäbige Gegenden
Ich hab vor kurzem mal eine Wohnung in Hamburg gesucht. Kurzum: Die Preise sind Aua! Jetzt wohne ich in Norderstedt, da kann man die Mieten bezahlen und es gibt auch eine hohe Lebensqualität. Wenn ich nach Hamburg möchte, bringt mich die U-Bahn ganz gut hin. Aber wohin sie mich nicht bringt ist so manche trostlose Hochhaus-Siedlung am Stadtrand, die schon von der Ferne alder-diggerigen Ghettocharme versprüht (es geht doch nichts über leicht schmutzige Betonfassaden mit Moosrändern an den Balkonen) und die Reeperbahn nachts um halb eins. Da habe ich immer den Eindruck, zufällig in einen Zoo geraten zu sein, und es ist ekelhaft dreckig, voller fies besoffener Leute und über Strecken einfach Bäh. Wie ein schickes und dennoch lebendiges Ausgeh- und Rotlicht-Viertel geht, kann man in Amsterdam ganz gut sehen wie ich finde. Naja, vielleicht tut sich da ja noch mal was...
Fazit: Ich wohne gerne hier (bzw. der Gegend *g*). Dem meisten was nervt kann man ja ganz gut entfliehen.
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