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chernobyl diaries
danny:
ich habe gestern ein filmplakat gesehen, das sofort mein interesse geweckt hat (obwohl ich eigentlich nicht so der kinogänger bin): "chernobyl diaries".
ich hab gerade mal eben mit sehr großem interesse nach diesem film gegoogelt und war schon ziemlich enttäuscht, dass es sich bei diesem streifen nicht um einen dokumentarfilm über die reaktor-katastrophe oder über das heutige pripyat handelt, sondern scheinbar um einen us-amerikanischen horrorschocker. einen popcorn-kinofilm, der die geisterstadt und die bedrückende atmosphäre der dortigen gegend instrumentalisiert um eine story zu stricken, die sich um ein paar katastrophentouristen dreht. die komischerweise dann auch noch nachts in dieser stadt mit ihrer verreckten karre liegenbleiben. ein abgeklatschter schockeffekt jägt den nächsten und mit dunklen, verwackelten filmszenen und permantem gekreisch wird dann also für die gruselstimmung beim zuschauer gesorgt.
damit ist der film für mich so gut wie abgehakt.
und je länger ich darüber nachdenke, desto geschmackloser finde ich diese filmidee.
eine katastrophe, die auch über 25 jahre nach ihrem geschehen bei vielen menschen immer noch für tod, krankheit und leiden sorgt zu nutzen, um einen blockbuster mit billigen schockeffekten und strahlenmutieren zombiekindern zu drehen, lässt mich extrem sauer aufstoßen.
sehe ich das zu eng? wo sind die guten grenzen des guten geschmacks?
oder um die ärzte zu zitieren: dürfen die das?
hier geht es zum trailer.
da der film erst nächste woche anläuft, habe ich noch nciht viel an kritiken darüber gefunden.
aber ich weiß, dass es hier einige im forum gibt, die sich mit dem thema chernobyl beschäftigen / beschäftigt haben und fasziniert sind von geisterstädten und ihrer morbiden anziehungskraft, deswegen dachte ich, so ein thema ist einen eigenen thread wert.
Julya:
Ich glaube, ich habe eine zieeemlich hohe Toleranzschwelle gegenüber schlechten Filmen, vor allem aus dem Horrorgenre. Als ich die erste Szene des Trailers mit den jungen Amis gesehen habe, hat mein Gehirn diese Tschernobylkinogeschichte komplett von sämtlichen realen Ereignissen abgespalten. Das ist einfach zu blöd und an den Haaren herbei gezogen...
Ich mag aber Zombie-/Endzeit-/Grusel-/Horrorfilme und werde ihn mir mal anschauen, wenn auch nicht unbedingt im Kino. (Kino ist mir einfach generell zu teuer und zu ungemütlich.) Aber für mich, die sich auch noch gut an Tschernobyl erinnern kann, wird der Film einfach nur Popcornkino und nicht mehr sein...
Ich bin da auch sehr rigoros, was künstlerische Freiheit anbelangt. Kunst darf erstmal alles, in meinen Augen. Was für den einen geschmacklos ist, ist für den anderen "nur" Provokation oder eben einfach belanglos. Und diesen Film würde ich schlichtweg in die letzte Kategorie stecken.
RaoulDuke:
--- Zitat von: danny am 16 Juni 2012, 18:15:49 ---eine katastrophe, die auch über 25 jahre nach ihrem geschehen bei vielen menschen immer noch für tod, krankheit und leiden sorgt zu nutzen, um einen blockbuster mit billigen schockeffekten und strahlenmutieren zombiekindern zu drehen, lässt mich extrem sauer aufstoßen.
sehe ich das zu eng? wo sind die guten grenzen des guten geschmacks?
--- Ende Zitat ---
Ich würde Dir eigentlich gerne zustimmen, aber dann muss ich daran denken, dass eine der größten Katastrophen der Schifffahrt (ja, jetzt mit 3 "f"), die Hunderte in einen grausamen Tod riss, in den vergangenen Jahres für großen Popcornumsatz und sentimentales Gekuschel in den Kinosälen gesorgt hat, sogar für den zeitweise erfolgreichsten Film der Welt: Titanic.
Manche sagen, der Erfolg dieses Films sei sogar für den Kreuzfahrt-Boom der letzten Jahre mitverantwortlich.
Also DAS nenne ich mal morbide. Ein paar Strahlen-Zombies finde ich dagegen eher zahm.
Kallisti:
--- Zitat von: RaoulDuke am 17 Juni 2012, 14:46:53 ---
--- Zitat von: danny am 16 Juni 2012, 18:15:49 ---eine katastrophe, die auch über 25 jahre nach ihrem geschehen bei vielen menschen immer noch für tod, krankheit und leiden sorgt zu nutzen, um einen blockbuster mit billigen schockeffekten und strahlenmutieren zombiekindern zu drehen, lässt mich extrem sauer aufstoßen.
sehe ich das zu eng? wo sind die guten grenzen des guten geschmacks?
--- Ende Zitat ---
Ich würde Dir eigentlich gerne zustimmen, aber dann muss ich daran denken, dass eine der größten Katastrophen der Schifffahrt (ja, jetzt mit 3 "f"), die Hunderte in einen grausamen Tod riss, in den vergangenen Jahres für großen Popcornumsatz und sentimentales Gekuschel in den Kinosälen gesorgt hat, sogar für den zeitweise erfolgreichsten Film der Welt: Titanic.
Manche sagen, der Erfolg dieses Films sei sogar für den Kreuzfahrt-Boom der letzten Jahre mitverantwortlich.
Also DAS nenne ich mal morbide. Ein paar Strahlen-Zombies finde ich dagegen eher zahm.
--- Ende Zitat ---
:D
Nur dass bei Titanic (den Filmen) es ja eher darum geht, den Zuschauern das romantisch pseudogeschichtlich rüberzubringen und ihre Salzkraftwerke zu öffnen - während es bei dem Tschernobyl-Zombie-Film (nein, ich hab den Trailer nicht angeguckt) wohl um sowas wie ne Gruselkomödie gehen soll?
Kallisti sind derartige Filme sowieso galaktisch fern - Kallisti guckt nur Sesamstraße. Ohne historisch authentischen Anspruch und für den Gruselfaktor sorgen alleine die mistpielenden Menschengäste. :)
messie:
Es ist wirklich ein zweischneidiges Thema.
Genau genommen war es das aber schon immer: Das Thriller/Horrorgenre greift schon seit jeher große Unglücke der Menschheit auf, um daraus dann irgend eine krude Horrorgeschichte draus zu basteln. Der Titel, bzw. die Grundidee ist lediglich der Aufhänger, der mit der eigentlichen Handlung dann auch rein gar nichts mehr zu tun hat.
Beispiele? Gibt es eine ganze Menge!
Bereits der "weiße Hai", ein absoluter Klassiker des Genres, hinterlässt bei genauem Betrachten einen üblen Nachgeschmack, da die Romanvorlage auf tatsächlich umgekommenen Menschen durch Haie basiert. Pietätlos? Vielleicht. Spannend? Ohne Frage!
Im Zusammenhang mit Genmanipulation oder fehlgeschlagenen Atomtests gibt es mehr Filme als ein normaler Beitrag hier Platz hätte. Man denke nur an die ganzen Godzilla-Filme, "Wrong Turn" thematisiert menschliche Missbildungen die zufälligerweise des Kannibalismus frönen, etc. pp.
Filme, die nach einem dritten Atomkrieg spielen, hatten Hochkonjunktur in Zeiten des kalten Krieges, als die Angst vor einem solchen sehr real war.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Weswegen ich mir schwer tue, hier ethische Grenzen selbst setzen zu können: Schließlich hat keiner der Filme den Anspruch, das Hintergrundthema über ein paar erklärende Sätze im Film auch nur irgendwie zu thematisieren. Da sind böse mutierte Menschen die töten wollen, arglose Jugendclicque hat sich verfahren, fertig ist die Metzelsuppe. Aufhänger wie "Genmanipulation" oder in dem Fall "Tschernobyl" sind lediglich Titelgeber.
Einen Film kann ich in dem Zusammenhang aber jedem hier wärmstens ans Herz legen: "Monsters".
Es sei gewarnt, der Titel suggeriert, dass es hier mal wieder um irgendwelche Metzelmonster geht.
Tatsächlich gibt es die im Film. Es geht aber eher um etwas anderes - darum, wie das (in dem Fall amerikanische) Militär Bedrohungen von außen wahrnimmt und auf sie reagiert: Zwei junge Menschen geraten in die "Todeszone", zu der das Militär ein Gebiet erklärt hat, weil jene Monster dort schließlich Menschen angreifen würden. Wer hier der eigentliche Aggressor ist, wird hier Stück für Stück enthüllt und die Frage offensiv gestellt, wie Menschen mit Dingen umgehen, die sie nicht verstehen.
Er hat ein sehr ruhiges Erzähltempo und führt dem Betrachter eindringlich vor Augen, wie Medienmanipulation geschieht und wie es einer Staatsmacht gelingt, ihr eigenes Versagen zu verschleiern.
Filmperlen dieser Sorte gibt es leider nur sehr selten.
Schade, da schließe ich mich danny an, dass jener Film hier keine davon ist, sondern nur eine (wenngleich möglicherweise sehr spannend gemachte) weitere Thrillerarie ist, die genauso schnell wieder vergessen wird, wie man sie sich angesehen hat.
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