Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Die Euro Krise  (Gelesen 4619 mal)

PlayingTheAngel

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Die Euro Krise
« am: 28 Juni 2011, 11:25:50 »

In den letzten Wochen wurde das Thema Euro Kreise und Euro Rettung immer wieder in den Medien behandelt.

Nun ist mir aber nicht klar, worin genau die vermeintliche Euro-Krise besteht, und warum die Gemeinschaftswährung in Gefahr sein soll. Sollte nicht gerade der Euro durch seine große Verbreitung in so vielen EU Mitgliedsländern sehr stabil sein auch wenn einzelne Länder in Schieflage geraten ?

Hat, und wenn ja was hat die Euro Krise mit dem Griechenland-Finanzdebakel zu tun ? Wenn ich es richtig verstanden habe sichern viele EU Mitgliedsstaaten Griechenland hauptsächlich deshalb hohe finanzielle Verbindlichkeiten zu, weil deren Banken an griechischen Banken beteiligt sind und bei einem Kollaps hohe Verluste hinnehmen müssten. Aber warum gefährdet eine drohende Griechenland Staatspleite den Euro ? Bedeutet eine Staatspleite nicht lediglich, dass der Staat seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann, also konkret, seinen aufgeblähten Beamtenapparat nicht mehr bezahlen kann, und dieser dann quasi in Kurzarbeit gehen müsste bis entsprechende Reformen greifen ? Öffentliche Aufträge würden eingefroren, eventuell könnte es zu einer Rezession kommen.

Besteht nicht, unabhängig vom Euro, eine Verpflichtung der EU Mitgliedsländer, Griechenland zu helfen, da Griechenland unabhängig von der Währung ein EU Mitgliedsland ist ? Was hat das mit dem Euro zu tun, so eine Staats, bzw. Bankenpleite könnte doch genau so gut in Griechischen Drachmen statt finden ?
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messie

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Re: Die Euro Krise
« Antwort #1 am: 28 Juni 2011, 11:52:28 »

Das Problem ist, dass neues Geld gedruckt werden muss, ohne dass es dafür eine entsprechende Gegenleistung gibt. Die Folge davon ist Inflation, in diesem Falle dann die Inflation des Euros.

Inwieweit das aber wirklich eine reale Gefahr ist, lässt sich schwer beurteilen. Politiker übertreiben sehr gerne in ihrer Wortwahl. Zudem weiß man nicht, inwieweit die Politik da verlängerter Arm der Bankenlobby ist und sie die Situation deswegen überdramatisieren, damit die Banken ihr Geld bekommen. Bei einer Umschuldung etwa müssten sie ja auf einen ganzen Batzen Geld verzichten. Das sieht keine Bank gerne.

Das Problem das ich eher sehe ist der Umstand, dass bereits jetzt eine Art Länderfinanzausgleich stattfindet, ohne dass man eine Gegenleistung der geförderten Länder erwarten kann, weil man überhaupt keinen Einfluss darauf hat: Pumpt also Deutschland einen Haufen Geld nach Griechenland um dem Land wieder auf die Beine zu helfen und damit den Euro stabil zu halten, kann es trotzdem passieren dass jenes Land sich dennoch nicht drum kümmert, auf eigenen Beinen zu stehen. Griechenland ist da ein schönes Beispiel, die Regierung hat sich überschuldet, das Volk kann da nur bedingt etwas dafür, also wehrt sich das Volk dagegen, der "Buhmann" zu sein. Völlig logisch. Also wird es extrem kompliziert, die Einnahmen/Ausgabenseite wieder in vernünftige Bahnen zu lenken.

Am meisten helfen würde Griechenland die Ankurbelung der Wirtschaft. Denn dann würde über Exporte bereits gedrucktes Geld nach Griechenland fließen, hier dann als Gegenleistung für eine Wertschöpfung, die erbracht wurde.
Das aber geschieht nicht mal so eben. Wo kein Geld für z.B. finanzielle Anreize da ist, da lassen sich Firmen bekanntlich nur ungern nieder.
Zudem hat Griechenland klimatische Nachteile: Bei über 40 Grad im Schatten im Sommer arbeitet es sich nun einmal nicht so gut wie bei den 25 hierzulande. ;)
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #2 am: 28 Juni 2011, 12:36:08 »

Das Griechenland-Finanzdebakel geht zu einem nicht gerade kleinen Teil auch auf die Kosten Deutschlands. Nicht zuletzt, weil die starke Ausrichtung auf Export hierzulande das Ungleichgewicht europaintern weiterhin fördert.

Das konnte man in vielen Kolumnen wie auch Artikeln in den großen Zeitungen lesen:

In der Griechenland-Krise hat Angela Merkel wieder mal Stimmungsmache mit Politik verwechselt. Sie hätte besser den Gefühlen einige Wahrheiten über die Finanzprobleme entgegengestellt.Von Stephan Hebel

Peter Bofinger: Ich habe den Eindruck, dass die Strategie des Durchwurstelns einfach weitergeht. Das ist eine Strategie, die für alle unbefriedigend ist. In Griechenland steigt die Unzufriedenheit, weil es keine konkreten Perspektiven für einen Erfolg der Sparpolitik gibt, in Deutschland steigt die Unzufriedenheit, weil die Menschen nicht verstehen, warum sie immer mehr für Griechenland haften müssen. Und zusätzlich steigt auch noch die Unsicherheit an den Finanzmärkten.

sueddeutsche.de: Ihr Groll auf die Politik scheint ja wirklich groß zu sein. Zusammen mit anderen führenden Ökonomen haben Sie am Wochenende massiv die Entscheidungsträger attackiert. Sie haben sogar vom "Versagen der Politik" gesprochen.

Bofinger: Das ist auch ein Versagen der Politik. Die Entscheidung vom Sonntagabend passt in die Linie, die seit Monaten verfolgt wird. Die Politik agiert immer nach dem Prinzip Hoffnung und hat nicht den Mut, eine große Lösung zu konzipieren.

Neben Bofinger spricht sich zudem auch Lucas Zeise für einen Schuldenschnitt aus:
Ein Schuldenschnitt für Griechenland hätte gräuliche Folgen, ist aber nicht zu vermeiden. Die Rettungsaktionen schieben den Krach nur auf. Es gibt aber eine Chance für die Zeit danach. von Lucas Zeise


Auch äußerst interessant folgende Analyse in der FTD
Kurios, aber wahr: Wohl keiner verdient durch die Krise so viel Geld wie die Bundesregierung. Es ist Zeit, mit diesem Gewinn von rund 10 Mrd. Euro endlich die Zweifler zu beruhigen. von Thomas Fricke

[...]
Nimmt man das alles zusammen, ergibt das locker 10 Mrd. Euro Griechenbonus für uns. Selbst wenn Schäuble davon nur die Hälfte rausrücken würde, bekäme jeder "Bild"-Leser mal eben 1700 Euro - direkt vom Griechen sozusagen.

Das die Berichterstattung bzgl. Griechenland äußerst grenzwertig bis hin zu miserabel ist, zeigt mMn u.a. auch die Verleihung des Herbert-Quandt-Medien-Preises an Blome und Ronzheimer (Beide bei Bild).


Btw. was das mit dem Arbeiten im Süden Europas angeht; da hatte Frau Bundeskanzlerin ja auch schon das eine oder andere vom Stapel gelassen:
„Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen – das ist wichtig [...] Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen. [...] Deutschland hilft nur dann, wenn sich die anderen anstrengen.“

Dazu gibt es eine kleine Analyse von Jens Berger; hier mal ein Auszug:
Laut OECD [1] beträgt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit deutscher Arbeitnehmer 1.390 Stunden. Ohne Urlaub entspricht dies rund 5,5 Arbeitsstunden pro Tag, bei 30 Tagen Jahresurlaub wären dies 6,26 Arbeitsstunden. Dieser Wert steht natürlich in Konflikt mit der „gefühlten Arbeitszeit“, lässt sich aber dadurch erklären, dass viele Deutsche nicht in Vollzeit, sondern in Teilzeit oder in Minijobs tätig sind, bei denen die Wochenarbeitszeit deutlich geringer ist. Es gibt kein südeuropäisches Land, in dem die Arbeitnehmer eine geringere Jahresarbeitszeit haben als die Deutschen. In Spanien beträgt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Arbeitnehmer 1.654 Stunden, in Portugal 1.710 Stunden, in Italien 1.773 Stunden und Griechenland ist mit 2.119 Stunden sogar unangefochtener Spitzenreiter in dieser Liste.
Weitere Vergleiche wie Urlaub und Rentenalter finden sich ebenfalls in dem Text.

Im Mai hat Heiner Flassbeck (Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf) eine kurze Zusammenfassung zum Thema Währungsunion und dem aktuellen Griechenlandproblem auf den NDS veröffentlichen lassen:
Eine Entgegnung auf Jens Bergers Beitrag „Die Kanzlerin der Stammtische“ von Heiner Flassbeck.
Nun ist es endlich raus, was schief läuft in Euroland. Frau Merkel sagt (lt. WELT online vom 18.5.): „Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen.“ Jetzt kann man endlich verstehen, warum für die schwere Krise in Euroland offenbar keine Lösung gefunden werden kann. Die europäische Tragödie ist laut der deutschen Bundeskanzlerin die Folge der Weigerung der Südeuropäer, auf Urlaub zu verzichten. Diese Äußerung zeigt aber besser als alles bisher Gesagte, was wirklich die europäische Tragödie ausmacht: Die Unfähigkeit unserer Spitzenpolitiker und ihre ökonomischen Berater auch nur im Ansatz zu begreifen, was eine Währungsunion bedeutet und wie sie funktioniert.

[...]
Weil das so ist, einigt man sich in einer Währungsunion nicht auf ein Wachstumsziel oder gar auf ein gemeinsam anzustrebendes Einkommen, sondern auf eine gemeinsam anzustrebende Inflationsrate. Die erreicht man, wenn alle monetären Ansprüche in einer Volkswirtschaft, vor allem aber die Löhne, um nicht mehr als das Inflationsziel über der eigenen Produktivitätszuwachsrate liegen. Wird das eingehalten, lebt niemand über aber auch niemand unter seinen Verhältnissen und jeder kann sich auf seine spezifischen Stärker konzentrieren.

Gegen diese einfache Regel hat in den vergangenen zehn Jahren aber Deutschland mehr als jedes andere Land verstoßen. Deutschland hat hemmungslos unter seinen Verhältnissen gelebt, während die Südeuropäer in der Tat etwas über ihren Verhältnissen gelebt haben. Das korrigiert man aber nicht dadurch, dass man den Südeuropäern alle paar Tage um die Ohren haut, sie müssten nun unter ihren Verhältnissen leben, sondern nur dadurch, dass man zugibt, selbst etwas falsch gemacht zu haben, und verspricht, dass man nun selbst für einige Jahre über den eigenen Verhältnissen leben muss, um den anderen eine Chance zur Erholung zu geben.

Fakt bleibt am Ende wohl in jedem Fall, dass es definitiv nicht helfen wird, wenn man Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien, Belgien, Frankreich durch rigide Sparkurse presst und fleißig zum Verkauf von Staatseigentum (Grundstücke,Firmen, "Inseln" *hinthint*) treibt.

Im Übrigen gibt es einige Stimmen, die der Ansicht sind, dass 2% Inflationsrate deutlich zu niedrig angesetzt sind seitens der EZB und eine etwas höhere Grenze so bei 3 oder 4% mehr Spielraum lassen würden.
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #3 am: 28 Juni 2011, 18:09:24 »

„Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll“
- Ludwig von Mises.

Die Eliten haben sich - ob nun bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt - weltweit für Letzteres entschieden, allerdings versuchen sie den Kollaps noch so lange wie irgend möglich hinauszuzögern, wahrscheinlich um sich noch bis zum bitteren Ende maximal bereichern zu können.

Die gigantische Fiatgeldblase in all ihren Formen ist nicht im Entferntesten durch Gegenwerte in der realen Welt gedeckt, dementsprechend dürfte von den Vermögen der Sparer und Anleger nicht allzu viel übrig bleiben.

Griehenland war einfach am dreistesten und unverfrorensten und fällt dementsprechend zuerst.

Ich hoffe mal, dass Deutschland einigermassen glimpflich davonkommen wird, immerhin haben wir hier noch reale Industrien. Griechenland hat praktisch fast nichts ausser üppigen EU-Subventionen und billigen, mittlerweile komplett verkonsumierten Krediten. Griechenland ist wirtschaftlich ein besseres 3-Welt-Land, das sich den Luxus einer hochentwickelten Industrienation gegönnt hat, und zwar auf Kosten anderer.

Dass Deutschland von den Exporten profitiert hätte ist auch nicht richtig, schliesslich hat Griechenland die Importe mit deutschen Krediten bezahlt, die sie niemals zurückzahlen werden, die Waren wurden also letzlich für lau verschenkt. Exportweltmeister zu sein ist relativ sinnfrei, solange man für die Erlöse nicht entsprechende Gegenwerte erhält.
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #4 am: 28 Juni 2011, 18:34:24 »

Ich hab davon keine Ahnung, aber nen interessanten Beitrag gefunden.
http://medien.wdr.de/m/1285700460/quarks/wdr_fernsehen_quarks_und_co_20100928.mp4
(Quarks&Co Videopodcast, 28.09.2010)
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #5 am: 19 August 2011, 13:16:13 »

Die Euro-Krise kann man meiner Ansicht nach nicht nur für sich allein betrachten. Ich denke, sie ist ein Teilaspekt der weltweiten Finanzkrise, von der inzwischen auch bisher als erzkonservativ geltende Publizisten sagen, dass sie durch die Deregulation der Finanzmärkte und die Zügellosigkeit des "Freien Marktes" entstanden ist. Kurz gesagt, es gibt neuerdings konservative Stimmen, die behaupten, die Auswirkungen des in den letzten Jahrzehnten praktizierten Neoliberalismus selbst seien das beste Argument für den linken Standpunkt.

Dieser Artikel des britischen Konservativen und Thatcher-Biographen Charles Moore zog auch in den deutschen Medien weite Kreise; stellvertretend verlinke ich hier mal die Ausführung von Frank Schirrmacher (FAZ): "Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat"
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #6 am: 19 August 2011, 17:51:19 »

stellvertretend verlinke ich hier mal die Ausführung von Frank Schirrmacher (FAZ): "Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat"
Ja, ein sehr guter Artikel. Ich muss gestehen, ich war etwas überrascht, sowas aktuell in der FAZ zu finden. ^^
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #7 am: 06 September 2011, 00:32:02 »

stellvertretend verlinke ich hier mal die Ausführung von Frank Schirrmacher (FAZ): "Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat"
Ja, ein sehr guter Artikel. Ich muss gestehen, ich war etwas überrascht, sowas aktuell in der FAZ zu finden. ^^
Das ist wirklich ein guter Artikel! Werde ihn auf jeden Fall noch mal im wacheren Zustand als jetzt lesen, dann geht nicht so viel Verloren.

Das Thema Finanzwirtschaft lässt mich einfach nicht los. Ist euch auch schon bewusst aufgefallen, dass in sämtlichen Medien das Thema Börse, Dax, Aktienmärkte, usw... permanent im Vordergrund steht ? "Der DAX startet heute mit einem leichten Minus...", "Europas Börsen auf Talfahrt" und so weiter und so fort. Mittlerweile haben sich die Finanzmarktnachrichten schon so fest in die Nachrichtenlandschaft eingenistet, dass fast der Eindruck entstehen könnte, es handle sich dabei tatsächlich um für "uns" wichtige Informationen. Aber für wen sind diese Nachrichten denn wirklich wichtig oder interessant ? Wer kann mit der Information, wie die Kurse einzelner "NASDAQ" notierter Unternehmen gerade stehen irgend etwas praktisches anfangen ? Fakt ist doch, daß nur ein sehr geringer Teil der normalen deutschen Bevölkerung tatsächlich direkt an Börsengeschäften beteiligt ist. Und diese Menschen könnten sich prima übers Internet mit den neuesten Kursentwicklungen versorgen. Trotzdem wird die breite Masse -wir- tagtäglich mit, für das normale Leben völlig irrelevanten und verwirrenden Informationen, bombardiert und belästigt.
Schlimmer noch, dadurch entsteht nach und nach der Eindruck, der Börsenhandel sei ein wichtiges wenn nicht lebensnotwendiges Instrument der Banken und könnte dem Normalmenschen sogar noch nutzen. Das ist aber falsch. Die Realwirtschaft würde auch ohne Financial News super funktionieren, wenn die Banken ihren eigentlich zugedachten Zweck erfüllen würden, nämlich dem Normalbürger Kapital zur Verfügung zu stellen.
Die Schreinerei um die Ecke, der Metzger, der PHP-Entwickler, das Möbelhaus, der Landschaftsgärtner, könnten die nicht alle ganz großartig ohne den Derivathandel und Verbriefungen (also den Weiterverkauf von Risiken) auskommen ? So aber macht meiner Ansicht nach täglich ein System für sich Werbung, dass nur einen Zweck verfolgt - möglichst viel Geld aus dem Finanzkreislauf abzusaugen und bei Einzelnen, Wenigen zu konzentrieren. Und der Normalbürger sieht die Fernsehbilder, legt vielleicht seine Stirn in Falten und denkt sich "die wissen schon was sie tun, das sind ja die Experten", da wird ordentlich Geld erzeugt an der Börse... Auch das ist falsch, Geld erzeugt niemals neues Geld, auch nicht wenn Zinsen ausgeschüttet werden. Jeder ausgeschüttete Cent wird immer an anderer Stelle von Menschen hart erarbeitet.

Wären Nachrichten über konkrete Erfolge und Misserfolge wichtiger Unternehmen, dem Gesundheitszustand der Bevölkerung oder z.B. interessanter Entwicklungen aus den neuen Bundesländern nicht viel besser in den Nachrichten an Stelle der Finanznews aufgehoben ? Oder z.B. eine kurze Vorstellung neu verabschiedeter Gesetze die den Alltag betreffen, aufbereitet in einer Form in der es auch der Normalbürger versteht ? Greifbare Dinge, die mit dem "echten" Leben zu tun haben und den Bürger betreffen.

Jetzt bin ich etwas abgeschweift, hier noch eine kleine Aussage aus einem Buch zum Thema "Finanzkrise" zum nachdenken: Die Finanzkrise ist keineswegs das als was sie uns verkauft wird, eine Krise, also etwas Unvorhersehbares, überraschendes ähnlich einer Naturkatastrophe. Sie ist das Resultat von gezieltem, bewusstem Handeln, von Machtmissbrauch und Inkompetenz. In diesem Zusammenhang von einer "Krise" zu reden ist geradezu schizophren.
« Letzte Änderung: 06 September 2011, 00:47:31 von PlayingTheAngel »
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #8 am: 06 September 2011, 00:54:08 »

Hmm - im Wesentlichen gebe ich dir Recht, PTA - bis auf eine Ausnahme, die Börsennachrichten der ARD kurz vor der Tagesschau, die sind nämlich wirklich klasse! Da werden in 5 Minuten teilweise Zusammenhänge erklärt, das geht garnicht  ;D

Insgesamt aber geht's mir genauso. Denn jene die irgendwas angelegt haben juckt das rein gar nicht, ob der DAX heute oder morgen mal den einen oder anderen Prozentpunkt nach oben oder unten ging. Sehe ich auch als reine Eigenwerbung der Börse, dass sie ja sooo wichtig ist und so, und es echt voll dramatisch ist, wenn der DAX mal 2 Prozent einknickt, weil irgendeine Firma mal wieder eine "Gewinnwarnung" ausgesprochen hat.

Hmm, könnte die Welt auch ohne Börse auskommen? Ist eine gute Frage. Es ist ja doch künstliches Kapital das da geschaffen wird, da ja im Wesentlichen nicht das abgebildet was erwirtschaftet wurde sondern geraten wird, dass/ob eine Firma in der Zukunft noch mehr erwirtschaften wird.

Das ist ein bisschen wie "die Kuh da ist jetzt doppelt so viel wert, weil sie im nächsten Monat doppelt so viel Milch geben wird!" - Ob sie das tatsächlich tun wird weiß kein Mensch - aber man behauptet es eben einfach mal. Man tut insofern so, als hätte sie diese Milch schon längst gegeben.
Wenn sie das nun nicht tut, dann ist plötzlich Geld "futsch". Warum eigentlich? Es war ja nie da. Eigentlich. ;)

Ich bin auch der Meinung dass eine Welt ohne Börse auskommen könnte. Zumindest theoretisch.
Praktisch leider nicht mehr, weil viel zu viel dieses künstlichen Geldes durch die Börse generiert wurde: Würden AGs plötzlich nicht mehr existieren, wären viele davon in nullkommanix pleite, weil sie nicht das erwirtschaften können, was sie angeblich wert sind und plötzlich auf einem Berg Schulden sitzen, den sie nie im Leben abbauen können.
Also bleibt allen nix anderes übrig, als gute Miene zu bösen Spiel zu machen und so zu tun als wäre die Börse echt was voll Tolles. ;)
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #9 am: 06 September 2011, 10:18:48 »

Die Aktien-Börse selbst ist ja auch gar nicht das Problem. Für Aktiengesellschaften ist es halt die einfachste Möglichkeit, wenn es darum geht, Anteile an den Mann/die Frau zu bringen und Kapital hereinzuholen.

Erst durch die Spekulation, ob Firma XYZ nun 10% oder 20% oder gar 30% Gewinnsteigerung im kommenden Quartal schaffen kann, hat das System mMn pervertiert. Spekulationen bei Rohstoffen sind auch grenzwertig. Ich war mal in ner Vorlesung, da meinte der Prof, dass in dem Bereich der Rohstoffe Spekulationen auch förderlich sein können. Denn man könne so ggf. frühzeitig Engpässe ausfindig machen oder Überkapazitäten. Problematisch wird es immer dann, wenn die Spekulation und das Wetten extrem ausarten.

Das Zauberwort heißt im Grunde "Regulierung". Ein Wort, was seit Jahren verteufelt wird. Einer der Gründe, warum wir heute die großen Probleme haben. Denn eins ist sicher, die Deregulierung und der ach so tolle freie Markt haben die Probleme nicht kleiner sondern größer werden lassen. Da hilft es auch nicht, wenn jetzt der heilige Gral, die "dt. Sparkeule der schwäb. Hausfrau" ausgepackt wird. Das Dümmste, was man machen kann, ist, eine schwächelnde oder gar niederliegende Wirtschaft noch weiter abzuwürgen. Nicht umsonst wirbt auch die neue IWF-Chefin aktuell für Konjunkturprogramme durch die Staaten (ja, auch Deutschland) selbst.
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #10 am: 06 September 2011, 10:24:24 »

PTA, sehr schön formuliert. Wenn ich bedenke, wie sehr das Volumen der Finanztransaktionen inzwischen das der Realwirtschaft und der Realinvestitionen übersteigt, komme ich auch zu dem Schluss, dass der größte Teil des Börsenhandels zum reinen Selbstzweck verkommen ist.

"Fasst man die Transaktionen auf allen Arten von Finanzmärkten und in allen Regionen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Im Jahr 2007 war das Volumen der Finanztransaktionen 73,4 mal höher als das nominelle Welt-BIP." (Quelle) Vielleicht findet jemand aktuellere Zahlen - ich habe in letzter Zeit einige sehr schöne Grafiken zum Thema gesehen, die ich aber im Moment nicht mehr finden kann.

Ich finde es auch erschreckend, dass zunehmend mit Lebensmitteln spekuliert wird. Das Spekulieren/Handeln mit Rohstoffen an der Börse ist nichts Neues und hat in gewissem Rahmen seinen Sinn - aber seit einiger Zeit werden auch "reale" Rohstoffe tatsächlich in großen Lagerhäusern gehortet, um den Preis künstlich noch höher zu treiben. Ich halte das für eine echte Perversion, gerade in Bezug auf Nahrungsmittel.

Aber noch mal zur Euro-Krise: Die Frechheit der Banken ist auch kaum noch zu überbieten. Noch ist der "Euro-Rettungsfonds" EFSF nicht mal unter Dach und Fach, da fordert die Europäische Bankenaufsicht schon, der Fonds solle den "notleidenden" Banken/Finanzkonzernen das Geld lieber direkt geben - unter Umgehung der jeweiligen Behörden der verschuldeten Staaten.

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Re: Die Euro Krise
« Antwort #11 am: 21 Oktober 2011, 08:57:03 »

Anlässlich der Occupy-Demos ein Kommentar aus der FTD, dem ich mich nur anschließen kann:

http://www.ftd.de/politik/konjunktur/:gegen-die-macht-des-geldes-occupy-protest-ist-keim-einer-neuen-massenbewegung/60116972.html
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Re: Die Euro Krise
« Antwort #12 am: 19 Januar 2012, 09:17:16 »

Mittlerweile haben sich die Finanzmarktnachrichten schon so fest in die Nachrichtenlandschaft eingenistet, dass fast der Eindruck entstehen könnte, es handle sich dabei tatsächlich um für "uns" wichtige Informationen. Aber für wen sind diese Nachrichten denn wirklich wichtig oder interessant ? Wer kann mit der Information, wie die Kurse einzelner "NASDAQ" notierter Unternehmen gerade stehen irgend etwas praktisches anfangen ? Fakt ist doch, daß nur ein sehr geringer Teil der normalen deutschen Bevölkerung tatsächlich direkt an Börsengeschäften beteiligt ist. Und diese Menschen könnten sich prima übers Internet mit den neuesten Kursentwicklungen versorgen. Trotzdem wird die breite Masse -wir- tagtäglich mit, für das normale Leben völlig irrelevanten und verwirrenden Informationen, bombardiert und belästigt.
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Ich habe (wieder mal über die NDS^^) zu diesem Thema ein interessantes Interview mit Claude Bébéar, dem langjährigen "Patron" des Axa-Konzerns, gefunden. Er kritisiert die Überbewertung der Börsennotierungen und der Ratingagenturen und zeigt Alternativen zum jetzigen Börsengeschehen auf, unter Anderem die Förderung langfristiger Bindung der Aktionäre, mehr Loyalität und Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern und gesetzlich vorgeschriebene Transparenz.

Die Märkte haben eben nicht immer recht

Zitat: "Diese Quartalsberichterstattungen, die heute die Märkte regieren, sagen nichts darüber aus, wie es einer Firma geht. Sie sind komplett unsinnig. Firmen sollten sich der Quartalsberichterstattung verweigern, doch die grosse Mehrheit lässt sich davon terrorisieren. [...]

Marktbewertungen in der Buchhaltung sind eine Katastrophe. Sie sind völlig ungeeignet, weil sie nichts mit der wirtschaftlichen Realität zu tun haben. [...] Radio und Fernsehen reden nur von den täglichen Schwankungen an der Börse, anstatt davon, was eine Firma tut, was sie ist. [...] Firmen sollten beginnen, sich Finanzmärkten, Analysten, Rating-Agenturen zu verweigern. Das braucht Mut. Ich stelle fest: Davon ist nicht mehr viel übrig. Es ist eine Schwäche der Unternehmer. Sie könnten viel unabhängiger handeln. Viele Manager tun Dinge, um den Kapitalmärkten kurzfristig zu gefallen, die langfristig schlecht sind für die Firma. [...]

Ich sage Ihnen ehrlich: Ich empfehle allen jungen Unternehmern, die mich um Rat fragen, solange als möglich nicht an die Börse zu gehen. Ich sage ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr euch antut. Bleibt privat, solange es geht. In Frankreich gibt es viele riesige Familienunternehmen, die nie an die Börse gingen. Familienfirmen sind oft erfolgreicher als [börsennotierte] Unternehmen. Weil sie langfristig denken können. Es gibt keine Börse, die sie terrorisiert."





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