Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: texte von nancy_boy oder augen 2.1  (Gelesen 2061 mal)

nancy_boy

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texte von nancy_boy oder augen 2.1
« am: 19 September 2004, 01:37:45 »

Vom Fliegen

1.

Ich hätte mich einen ganzen Tag vor ihr Grab gesetzt, viel eher wohl die Nacht. Ich bin damals nicht zu ihrer Beerdigung gegangen das ganze Getue war mir zu blöd. In meinem Kopf bin ich rauchend in einem weißen Anzug unrasiert auf den Friedhof gelaufen, ganz langsam, und dann hab ich sie alle ausgelacht, mein Bild gefeilt, über ihre Köpfe stolziert. Ich war so sprachlos wie sie auch, nur bin ich zu Hause geblieben, habe es die Tage davor gewusst, die Tage danach. Manchmal ist es besser einfach gar nichts zu tun. Sie gehörte mir ja nicht, vielleicht ihren Eltern. Meinen Abschied hatte ich gehabt, wenn auch sehr plötzlich. Ich hatte mir das Geräusch, dass ein menschlicher Körper macht wenn er auf Stein schlägt, immer anders vorgestellt. Jetzt weiß ich das es sich anhört wie ein D - Böller. Es ist das einzige in meinem Leben was ich immer gleich und scharf in mein Gedächtnis rufen kann.
Dieser Friedhof stößt mich ab, ich hasse frische Gräber mit poppigen Grabsteinen. Es hat seinen Grund, dass die Menschen, welche Grabsteine entwerfen, Grabsteine entwerfen, und nichts, was mehr als ein paar Trauernde zu sehen bekommen. Ich habe ihr Grab nicht gefunden, ich habe nicht richtig gesucht. Ich denke, ich habe mir vorgestellt das ihr Grabstein der erste sein wird, sich gleich neben dem Eingang finden wird, dass ich davor stehen werde in Tränen ausbrechen, auf die Knie fallen oder so was, und nun habe ich keine Lust mehr zu suchen.
Einen Augenblick lang dachte ich darüber nach die Adresse ihrer Eltern aus dem Telefonbuch zu suchen, diese zu besuchen, und ein wenig zu reden obwohl es nichts zu reden gibt, mir das Grab zeigen zu lassen. Es würde nicht dem Anstand entsprechen, mir diesen Gefallen nicht zu erweisen. Seit damals haben ihre Eltern kein Wort mit mir gewechselt, ich allerdings auch nicht mit ihnen. Es hätte eine unangenehme Situation ergeben das Ganze, voller Unannehmlichkeiten. Sie wollte es so.
 Es ist komisch, dass dieser Gedanke all die Jahre in meinem Kopf existieren konnte ohne weiter bedacht zu werden, einfach so wie eine Mauer. Wenn wollen heißt, dass du tust was du tun musst weil du dir sicher bist das du nichts anderes tun kannst, wenn wollen heißt auf einer bestimmten Faktenbasis eine emotionale Entscheidung zu treffen, die für jeden andern anders hätte ausfallen können, aber eben nicht für dich, dann offenbart dieser Satz genau die gleiche Trostlosigkeit wie jeder andere, und das „wollen“ impliziert nicht länger eine Wahlmöglichkeit. Ich kann es nicht klar denken, fühle nur diesen ständigen Brei in meinem Kopf. Ich werde nicht weinen, ich habe es nie gekonnt, nur gewollt ein oder zweimal.
Es ist komisch, dass hin und wieder noch ein Gedanke kommt. In manchen Nächten in denen ich nicht sofort einschlafe, in Augenblicken in denen sich Gedankenketten spinnen, schleicht er hinein in meinen Kopf. Ich hätte sie gern noch einmal gevögelt nur um aufzustehen sie kalt anzugucken und sie noch einmal zu verlassen.
Ich glaube ich suchte mein Handy aus der Tasche und rief eine Freundin an um mich für heute Abend zu verabreden. Ich lebe.

2.

Nun ja so muss der Engel fallen, und diesmal steht er sicherlich nicht wieder auf. Alles hat ein Ende. Eines wundervollen Tages brach die dunkelhäutige Schwärze krächzend zusammen, mit einem letzten Flügelzucken auf den Lippen, eh der ehemals regelmäßige, einst maschinelle Herzschlag verblasste, sie einen letzten zuckenden Atemstoß ausblies, und ein zynisches Glück gebar, dass wie auf Federn schwebend in sein Verderben rannte, dies auch wunderbar wusste, sich aber nicht daran störte, und insofern sehr süchtig gewesen zu sein schien.

3.

Eines wunderschönen morgens, die Sonne beschien hell und gelb den babyblauen Himmel, wachte er in seinem außerordentlich unaufgeräumten Zimmer auf, und hatte unglaubliche Kopfschmerzen. Sein Mund war bis zum bersten trocken, und seine Nase verstopft. Insofern schleppte er sich, so rasch es ging, erst in die Küche um 2 Tüten Instant - Apfelsaft zu trinken, und dann ins Bad, wo er hektisch, dann verzweifelt Kopfschmerztabletten und Nasentropfen suchte, bis er unvorbereitet, rasch und krampfhaft anfing zu kotzen.
Ich glaube er war so jemand der vor gar nicht allzu langer Zeit eine kleine, aber feine Grenze überschritten hatte, aber ganz ohne es bemerkt zu haben. Vielleicht fühlte er sich auch noch zu wohl in dem was er gedacht hatte zu sein, um zu bemerken, dass da etwas war, was sich langsam und hinterhältig in sein Leben fraß. Einige Stunden später erwachte er erneut, und in manchen Situationen erweißt es sich zumindest für das eigene Selbstbild als problematisch, wenn man feststellt das man noch immer am Leben ist.
 Gelegentlich erweist sich ein menschliches Leben länger als erwartet, wenn der ganze Schrott, den man nicht verurteilt, noch da ist, genau wie das dumpfe Gefühl, dass sich jeden morgen wieder in den eigenen Kopf frisst. Wer auf dem Drahtseil tanzt wird fallen. Die Frage ist nur wann. Im allgemeinen zeigt sich die Realität wesentlich realistischer als jegliche Theorie.
Alles fühlt sich genau an wie gestern, aber eben nicht alles, und wenn doch alles, dann hat es sich trotzdem ein ganz kleines bisschen verändert, ist dreckiger geworden wenn man so will. Du aber merkst es nicht. Die Veränderungen beginnen, beißen sich ganz langsam und in kleinen Schritte voran. Und dann wenn es sich irgendwie, wie von selbst, in eigene neue Bahnen gelenkt hat, die sich nur ein paar Zentimeter von den Alten unterscheiden, scheint es wie ein Flug der endet, aus der eigenen Arroganz heraus, aus dem eigenen Lebensgefühl heraus, das gestimmt hat zumindest für dich.
 Und nun plötzlich hat er wieder gemerkt, dass alles nur ganz klar und präzise und menschlich ist, das auch dieser kleine letzte Fluchtversuch so sinnlos wie all die anderen war, die er unternommen hat. Dann nämlich wenn er in ein Zimmer kriecht, welches unaufgeräumt daniederliegt, dann nämlich wenn er allein in einem Bett liegt dessen Laken starr vom Blut stehen, wird er früher oder später zusammenbrechen.

4.

Schließlich hauchte eine tote Seele über eine düstere vom fahlen Mondenschein erhellte Ebene, auf der grade und hochgewachsen ein paar einzelne Gräser den unbescholtenen Wanderer in seine bloßen Füße stachen, ehe er zusammenbrach, und sich so und kriechend rette, in einen nahegelegenen und sehr grünen Wald, ehe das riesige steinerne Rad sich weiterdrehte, und hiermit unveränderlich und unwiederbringlich Alles zur Gänze zu verändern schien.
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