Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Emotional tote Großstädter?  (Gelesen 10506 mal)

colourize

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Emotional tote Großstädter?
« am: 22 Juni 2005, 17:57:56 »

Auf die Gefahr hin, dass sich der Inhalt des folgenden Textes nicht Jedem hier direkt erschließt, möchte ich gerne diskutieren, in wie fern ihr glaubt dass sich das Leben in einer Großstadt wie Hamburg auf unsere Psyche bzw. unseren Umgang mit Anderen auswirkt.

Diese Frage jedenfalls stelle ich mir gerade - ausgelöst durch meine momentane Gefühlswelt sowie durch das "Stolpern" über einen recht klassischen Essay von Georg Simmel, aus dem ich den entscheidenden Teil hier zitieren will:

Zitat von: "Georg Simmel"
Der Mensch ist ein Unterschiedswesen, d. h. sein Bewußtsein wird durch den Unterschied des augenblicklichen Eindrucks gegen den vorhergehenden angeregt; beharrende Eindrücke, Geringfügigkeit ihrer Differenzen, gewohnte Regelmäßigkeit ihres Ablaufs und ihrer Gegensätze verbrauchen sozusagen weniger Bewußtsein, als die rasche Zusammendrängung wechselnder Bilder, der schroffe Abstand innerhalb dessen, was man mit einem Blick umfaßt, die Unerwartetheit sich aufdrängender Impressionen.

Indem die Großstadt gerade diese psychologischen Bedingungen schafft - mit jedem Gang über die Straße, mit dem Tempo und den Mannigfaltigkeiten des wirtschaftlichen, beruflichen, gesellschaftlichen Lebens - stiftet sie schon in den sinnlichen Fundamenten des Seelenlebens, in dem Bewußtseinsquantum, das sie uns wegen unserer Organisation als Unterschiedswesen abfordert, einen tiefen Gegensatz gegen die Kleinstadt und das Landleben, mit dem langsameren, gewohnteren, gleichmäßiger fließenden Rhythmus ihres sinnlich-geistigen Lebensbildes. (...)

So schafft der Typus des Großstädters, - der natürlich von tausend individuellen Modifikationen umspielt ist - sich ein Schutzorgan gegen die Entwurzelung, mit der die Strömungen und Diskrepanzen seines äußeren Milieus ihn bedrohen: statt mit dem Gemüte reagiert er auf diese im wesentlichen mit dem Verstande, dem die Steigerung des Bewußtseins, wie dieselbe Ursache sie erzeugte, die seelische Prärogative verschafft; damit ist die Reaktion auf jene Erscheinungen in das am wenigsten empfindliche, von den Tiefen der Persönlichkeit am weitesten abstehende psychische Organ verlegt.

Diese Verstandesmäßigkeit, so als ein Präservativ des subjektiven Lebens gegen die Vergewaltigungen der Großstadt erkannt, verzweigt sich in und mit vielfachen Einzelerscheinungen. (...)

aus: Georg Simmel (1903): Die Grosstädte und das Geistesleben


Simmel behauptet also, dass der moderne Mensch auf die Vielzahl der alltäglichen Eindrücke und Erfahrungen in der Großstadt mit seinem "Verstand als eine Art Panzer" reagiert: Der Verstand, also das Rationale, dient ihm als Reizschutz und Distanzorgan. Der Intellekt übernimmt die Kontrolle über die Wahrnehmung und drängt die Emotionen zurück - man geht rational und nicht emotional auf seine Umwelt ein.

Wie steht Ihr zu dieser These von der "blasierten Abgestumpftheit des typischen Großstädters"? Erkennt Ihr Euch darin wieder? Oder seid Ihr "zugezogene Landeier", und damit vielleicht eher emotional agierende Menschen...? Ist das großstädtische Leben an der "Rationalisierung der Gesellschaft" schuld?
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Thomas

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #1 am: 22 Juni 2005, 18:19:27 »

Also ich würde mich als fast-Landei mit gelegentlichem Aufenthalt in und Freunden aus der Großstadt bezeichnen.

Viele Großstädter lieben angeblich das Leben in der Stadt, weil hier das "Leben pulsiert".Ich persönlich sehe in Großstädten in erster Linie Lärm, Dreck, Beton, Armut und fehlende Ruhe.Irgendwie finde ich alles, was man am Leben "scheisse" finden könnte, in seinen deutlichsten Formen in einer Großstadt*schulterzuck*.
Ich könnte mir durchaus vorstellen, das das Hirn des "typischen" Großstädters Mechanismen erfindet, um vor der täglichen, vermutlich von der Evolution nicht vorgesehenen abstumpfung durch Reizüberflutung zu schützen.

Zumindest ist man in einer Großstadt am weitesten von den natürlichen Ursprüngen der Menschheit entfernt.

Hab' ich jetzt das Thema verfehlt ?  :wink:
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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #2 am: 22 Juni 2005, 18:29:21 »

sehr schönes thema. ich als "zugezogenes landei" gerate immer wieder mit "stadtkindern" aneinander, weil ich der überzeugung bin, daß das aufwachsen auf dem lande besser ist.
ich kann nicht sagen, daß hamburg in den 4 jahren, in denen ich hier lebe, die intensität meiner emotionen beeinflußt hat. und wenn dann wurden sie eher intensiviert denn reduziert. ich reagiere sehr sensibel auf alles, egal ob optischer, visueller oder auditiver reiz. wenn ich durch die stadt spaziere, nehme ich andere dinge wahr als viele andere menschen.
gut, ich bin hier nicht aufgewachsen, aber ich habe sehr emotionale wie auch sehr rationale menschen kennengelernt, die in großstädten aufgewachsen sind.
mein gefühl sagt mir (oder vielleicht hätte ich es einfach gern so), daß die fähigkeit (oder das große laster) zu emotionalität des menschen entsteht durch die begegnung, erfahrung, auseinandersetzung mit anderen (eltern, geschwistern, angehörigen, sonstigen bezugspersonen). je nachdem, ob mir emotionalität damals weitergeholfen hat, also positive erfahrungen ermöglichte, werde ich sie bewahren, aufbauen oder vermindern.
aber ich bin auch mit einem psychologen aufgewachsen und habe daher eine sehr maniplulierte sichtweise der zusammenhänge menschlichen verhaltens ;)
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Eisbär

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #3 am: 22 Juni 2005, 20:58:30 »

Öhm... nö!

Wenn Großstädter ihren Verstand mehr nutzen würden, wären die Absatzzahlen der BILD, von Horoskopen und anderen esoterischen Gewäschen nicht größer als auf dem Lande (relativ zur Bevölkerung gesehen), sondern kleiner.

Die Emotionen werden meinetwegen in der Großstadt eingestampft. Sind ja auch viel zu viele Menschen um einen herum, als das man da zu jedem eine soziale und emotionale Bindung aufbauen könne. Dummerweise bleibt der Verstand einfach klein (oder eben so groß, wie er vorher schon war...)
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Killerqueen

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #4 am: 22 Juni 2005, 21:47:31 »

Ich empfinde in einer Großstadt Aufgewachsene schon immer als emotional abgestumpft, nicht mitfühlend, uninteressiert an ihren Mitmenschen und weniger aufmerksam, gegenüber kleinen Dingen. Woran das dann genau liegt? Simmels Erklärung bietet zumindest schon mal einen ersten Ansatz.
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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #5 am: 22 Juni 2005, 22:19:53 »

Zitat von: "Killerqueen"
Ich empfinde in einer Großstadt Aufgewachsene schon immer als emotional abgestumpft, nicht mitfühlend, uninteressiert an ihren Mitmenschen und weniger aufmerksam, gegenüber kleinen Dingen. Woran das dann genau liegt? Simmels Erklärung bietet zumindest schon mal einen ersten Ansatz.


da kenn ich eigentlich nur gegenteilige großstädter und auf der anderen seite kenne ich so einige abgestumpfte, einfach strukturierte, abgestumpfte, engstirnige, assige golf 1 GTI prolls.
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AntiKuschelFanatikerin

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #6 am: 23 Juni 2005, 12:03:12 »

Hach wo fang ich denn mal an...

Bin ja vor 2 Jahren erfolgreich von dem LANDEISYNDROM geheilt worden!
Das Dorf in dem ich aufgewachsen bin hatte 500 Einwohner.
Und dieser ganze "romantische"Quatsch, dass sich die Menschen auf dem Land mehr umeinander kümmern, keine Isolation stattfindet, weil ja "jeder jeden kennt" ist ->
BULLSHIT !!!
Auf dem Land ist die Isolation vielleicht sogar noch schlimmer, gerade weil jeder jeden kennt, keiner kann so sein, wie er wirklich ist!
"Was würden sonst die anderen sagen?"
In der Großstadt kann man sich entfalten ohne sich zu isolieren!!!

Zitat

einfach strukturierte, abgestumpfte, engstirnige, assige golf 1 GTI prolls


Hehe! Ja, so was findet man auf dem Lande in Massen!!!

Es lebe die Großstadt!!!  :king:

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #7 am: 23 Juni 2005, 13:38:01 »

Zitat von: "AntiKuschelFanatikerin"

Es lebe die Großstadt!!!  :king:


nun ja, das würd ich so nun auch wieder nicht sagen wollen. ich finde an sich hat das leben, der alltag auf dem lande schon was für sich. jedenfalls wenn ich mein eigenes dorf aufmachen dürfte und bestimmen könnte, wer ein grundstück bekommt ;)
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BetterOf2Evils

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #8 am: 23 Juni 2005, 13:40:20 »

Zitat von: ".~..RuNa..~."

jedenfalls wenn ich mein eigenes dorf aufmachen dürfte und bestimmen könnte, wer ein grundstück bekommt ;)

 :\o/: geile Idee! Kommune RuNa.
Ich krieg Das Erste Haus am Platz, gelle?


Zum Thema: muss ich mir erst noch mehr Gedanken machen. Bei der Hitze is das im Moment eher schwierig. *wirr*schwirr*kreisel*
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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #9 am: 23 Juni 2005, 13:46:49 »

Zitat von: "BetterOf2Evils"
Zitat von: ".~..RuNa..~."

jedenfalls wenn ich mein eigenes dorf aufmachen dürfte und bestimmen könnte, wer ein grundstück bekommt ;)

 :\o/: geile Idee! Kommune RuNa.
Ich krieg Das Erste Haus am Platz, gelle?



klar, better! ich würd sogar das dorfbestimmerinnen- amt gern mit dir zusammen ausüben. wär eine gelungene mischung aus meiner emotionalität und deiner ratio  :mrgreen:
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BetterOf2Evils

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #10 am: 23 Juni 2005, 13:47:58 »

:\o/:
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BetterOf2Evils

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #11 am: 23 Juni 2005, 13:58:12 »

Zitat von: "sYntiq"
Zitat von: ".~..RuNa..~."
klar, better! ich würd sogar das dorfbestimmerinnen- amt gern mit dir zusammen ausüben. wär eine gelungene mischung aus meiner emotionalität und deiner ratio  :mrgreen:

Das Dorf der Verdammten... :P


Von wo aus ALLES beginnen wird!  *verschwörerisch guck*
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Thomas

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #12 am: 23 Juni 2005, 14:06:41 »

Zitat
Es lebe die Großstadt!!!

Buh ! Großstadt sucks ! /o\
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BetterOf2Evils

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #13 am: 23 Juni 2005, 14:12:19 »

Thomas übernimmt in unserer kleinen Dorfgemeinde das Amt des "Türstehers". Er sagt zu den Leuten am Ortseingang: "Eyyy, Du kommst hier ned rein!" Und labert die dann solange zu, bis sie verdursten oder freiwillig den Rückweg antreten.  :P



(sorry colourize, die Hitze. Die Hitze. Du verstehst?)
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Thomas

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Emotional tote Großstädter?
« Antwort #14 am: 23 Juni 2005, 14:19:30 »

Zitat
Thomas übernimmt in unserer kleinen Dorfgemeinde das Amt des "Türstehers". Er sagt zu den Leuten am Ortseingang: "Eyyy, Du kommst hier ned rein!" Und labert die dann solange zu, bis sie verdursten oder freiwillig den Rückweg antreten.

Darf ich wirklich ? Ein Traum würde wahr !  8)
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