Schwarzes Hamburg

Schwarzes Hamburg => Archiv => Kunst & Kultur -Archiv- => Thema gestartet von: Lobo am 07 November 2005, 15:54:18

Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Lobo am 07 November 2005, 15:54:18
Auf Anraten eröffne ich mal hier einen Bereich für Kurzgeschichten, den natürlich jeder nutzen kann. Ich weiß nicht ob das hier auf große Resonanz stößt, aber ich probiere es einfach mal. :wink:

Es können auch Fragen und Kritiken zu den Geschichten gepostet werden, die dann von den Autoren beantwortet werden können.

Ich mache mal den Anfang!^^



Schuldig?

Patrick stand vor dem Spiegel.
Er sah hinein und er sah hinaus.
Es war ein heißer Sommertag. Draußen hörte er die Menschen, wie sie an den Häusern entlang gingen. Wirre Fetzen aus Unterhaltungen. Vom nahe gelegenen Spielplatz vernahm er   wie die Kinder lachten und spielten. Patrick kannte den Spielplatz nur zu gut. Er spielte dort selbst gerne. Zwar fand er, dass er mit seinen nun mehr zwölf Jahren schon ein bisschen zu alt dafür war, doch traf er dort häufig seine Freunde: Christian mit den Sommersprossen, den achtjährigen Martin mit der Brille oder die freche Paulina.
Häufig spielten sie bei den Klettergerüsten oder schaukelten.
Irgendwo im Haus schlug eine Tür zu. Patrick lauschte angespannt. Seine Mutter war zum Einkaufen gefahren. Doch als er direkt unter dem Balkon ein Lachen hörte, wusste er, es handelt sich um den Nachbarn, der über ihnen wohnte.
Er stand im Flur; Vor ihm der große Spiegel neben der Gadrobe.
Nun sah er genau so hässlich aus wie der Mann aus dem Fernsehen. Den Rasierapparat seines  Vaters hielt er fest in der Hand.
Er versuchte eine finstere Mine zu ziehen und tatsächlich... wenn er die Augen so zusammenzog, blickte er fast genauso düster drein wie der Fremde.
Sie hatten ihn vor zwei Tagen geschnappt. Er hatte es gesehen, als sein Vater die Nachrichten eingeschaltet hatte. Auch das dunkelblaue Auto hatte er wieder erkannt.
Es war dasselbe wie vom Spielplatz um die Ecke.
Er hatte ihnen Süßigkeiten angeboten.
Das war am Wochenende gewesen. Er, Martin und Paulina hatte dort gespielt.
Martin hatte dem Mann gesagt er dürfe nichts von Fremden annehmen. Er selbst hatte bekräftigend genickt.
Paulina hatte ihnen frech zugezwinkert, wie immer, wenn sie sich über sie lustig machte. Als hatte sie sagen wollen: "Feiglinge".
Tatsächlich aber erinnerte er sich noch an die letzten Worte, den sie sagte, bevor sich die Tür des dunkelblauen Autos hinter ihr schloss: "Ihr wollt keine Süßigkeiten? Gut dann bleibt mehr für mich!"
Sie war zehn und jetzt war sie tot.
Braune Haarlocken lagen verstreut auf dem Boden herum und sein kahlköpfiges, hässliches Spiegelbild blickte ihm stumpf entgegen.
Das Türschloss gab ein klickendes Geräusch von sich, als seine Mutter von ihrem Einkauf zurückkehrte.

Ende!
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: messie am 07 November 2005, 17:10:38
Hmmmm .... also, für eine Kurzgeschichte fehlt mir hier aber eine ordentliche Pointe. Dein Schlusssatz ist ja alles andere als eine ...

Mir hätte stattdessen ein Satz der Sorte "Die Jagd kann beginnen ..."  statt des Satzes mit der Mutter viel besser gefallen. Das würde dann auch recht gut erklären weswegen der Junge das tat was er tat und trotzdem noch genug Fragen offenlassen. Meine Meinung.  :wink:
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Lobo am 07 November 2005, 17:39:23
Also ich habe die Geschichte unter dem Gedankengang geschrieben, dass der Junge sich die Haare abrasiert, weil er sich schuldig gefühlt hat, da er seine Freundin nicht davor bewahrt hat in das Auto einzusteigen. Daher sieht er sich als Mittäter, aber läuft nicht über. Eher so eine Art Selbstbestrafung.
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Fräulein_Krause am 07 November 2005, 18:42:07
Guten Tag,

derzeitig veranstaltet der Carlsen verlag eine interessante Kurzgeschichten Aktion.
Für die ersten 1000 Kurzgeschichten zum Thema Magische Weihnachten werden je 100 Sickel an  terre des hommes für Hilfsprojekte für Straßenkinder gespendet.


Natürlich ist das auch Eigenwerbung aber doch insgesammt eine nette Aktion  (http://www.carlsen-harrypotter.de/basic1/content.html)

Vieleicht hat ja der eine oder andere Interesse daran mitzumachen.

mit freundlichen Grüßen

Frl. Krause
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: W am 07 November 2005, 21:23:09
Der Übeltäter

...und als sich die Kotzbrocken langsam über den Beckenrand des Swimmingpools hinweg verteilten; drohten, die ganze Nachbarschaft zu überfluten, suchte sich der Verantwortliche dieser Schandtat einen geeigneteren Ort, um seinen Kotzkrämpfen freien Lauf zu lassen; machte sich auf dem Weg zur Küste des Atlantischen Ozeans und reiherte sich bis zum Morgengrauen die Seele aus dem Leib...

...und als er dann an diesen grässlichen Ort zurückkehrte, an dem Dinge vorgingen, die so pervers waren, dass man es nicht mehr beschreiben konnte, klebten noch vereinzelt Rückstände seines Erbrochenem an seinen Mundwinkeln, seinem Kinn, T-Shirt, seiner Hose und sogar an den Schuhen, so dass die Menschen in seiner Umgebung angewidert vor ihm zurückschreckten; doch konnten sie ihn nicht einfach davonjagen, weil sie sonst seine Arbeit hätten mit übernehmen müssen, deshalb rissen sie sich zusammen, hielten sich die Nasen zu, wenn er an ihnen vorbeiging und vermieden jeden Blick- geschweige denn Körperkontakt bis sie sich schließlich erleichtert in die große weite Welt hinausbegeben konnten. Er selber brauchte wie immer etwas länger und als es dann endlich soweit war, dass auch er sich in die große weite Welt hinausbegeben konnte, war der Drang sich zu übergeben bereits wieder so immens angestiegen, dass er sich vorher noch zur Toilette begab, um wenigstens das Nötigste zu erbrechen. Leider jedoch war das Becken nicht robust genug, um den Druck seiner Übelkeit standzuhalten, und als das, was er nach seinem letzten Spuckanfall zu sich genommen hatte, aus seinem Magen, durch seinen Hals, aus seinem Mund spritzte, wurde das WC-Becken derartig erschüttert, dass es nach wenigen Sekunden auseinanderbrach, woraufhin sich der Übeltäter sehr schnell vom Tatort entfernte. Doch gerade, als er ungefähr zehn Schritte vom WC weg war, öffnete sich hinter ihm die Tür zum Aufenthaltsraum und da die schmierige Spur, die er mit sich zog, nur sehr schwer zu übersehen war, ertönte kurz darauf eine laute, sehr strenge männliche Stimme:
"Stehen bleiben! Was ist das hier für eine Sauerei? Und was zum Teufel stinkt hier so?"
Dem Übeltäter war klar, dass er sozusagen auf frischer Tat ertappt wurde, deshalb blieb ihm keine andere Möglichkeit als den vorlauten Zeugen schnellstmöglich zu beseitigen. Er ging zügig und entschlossen auf ihn zu, packte seinen Arm und drehte ihn ihm auf den Rücken. Anschließend drängte er ihn zur Toilette, schlug seinen Kopf kurz gegen die Wand und beförderte ihn direkt zum Tatort. Da sich das Erbrochene bereits auf der ganzen Fläche des WC's ausgebreitet hatte, wäre er beinahe ausgerutscht, doch behielt er den jetzt leicht trägen Zeugen weiterhin fest im Griff. Die Zeit war knapp und jeden Moment konnte ein neuer Zeuge auftauchen, deshalb ließ er den Mann erstmal hart auf den Boden fallen, zog ihn dann in die Kabine mit dem zersprungenem Becken und dort knallte er so lange seinen Schädel mit dem Gesicht nach unten auf die Beckenreste bis er sicher sein konnte, dass der Mann nie wieder ein Wort von sich geben würde.
Nun war wieder alles in Ordnung. Er wusch sich schnell das Blut und die Gedärme von den Händen und aus dem Gesicht, wischte seine Schuhe von unten trocken und begab sich unbemerkt nach draußen in die große weite Welt...
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Lobo am 07 November 2005, 22:19:33
Ähh... ja! Sehr.... skuril! :shock:
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: sYntiq am 08 November 2005, 09:11:44
[Lobo]

Generell gefällt mir deine Geschichte. Allerdings bin ich der Meinung du solltest ein wenig an deinem Stil arbyten. (nicht bös gemeint)
Mehr Fluss reinbringen. Es liest sich irgendwie recht trocken. Simpler Satz an simplen Satz gehängt. Versuch mal mehr "Verbindungen" und flüssigere Satzkonstruktionen zu schaffen. Wenn es sich flüssiger lesen lässt, kann man (zumidnest ich) sich auch leichte rin die Geschichte vertiefen und sich da einfacher reindenken beim Lesen.

(Puh. Ich hoffe du hast verstanden was ich sagen will. ;) )
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Manu am 08 November 2005, 09:48:52
es war einmal ein baum und wenn er nicht gesorben ist so steht er da noch heute...
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: olli am 08 November 2005, 11:15:35
Zitat von: "W"
Da sich das Erbrochene bereits auf der ganzen Fläche des WC's ausgebreitet hatte

www.deppenapostroph.de
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Lobo am 08 November 2005, 11:26:03
@sYntiq: Klar! :wink:  Konstruktive Kritik ist wichtig, da man sonst nicht weiß, was mal mal ändern sollte.
Bei der Geschichte ist es die Thematik, die mir Probleme bereitet hat. Man weiß nicht so recht wie man sich dem ganzen vorsichtig annähert ohne falsch verstanden zu werden (Solche Problme hatte ich schon, wenn auch nicht bei dieser Geschichte!). Das wirkt sich auch auf das Gesamtprodukt aus.
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: sYntiq am 08 November 2005, 11:29:55
Zitat von: "Lobo"
@sYntiq: Klar! :wink:  Konstruktive Kritik ist wichtig, da man sonst nicht weiß, was mal mal ändern sollte.
Bei der Geschichte ist es die Thematik, die mir Probleme bereitet hat. Man weiß nicht so recht wie man sich dem ganzen vorsichtig annähert ohne falsch verstanden zu werden (Solche Problme hatte ich schon, wenn auch nicht bei dieser Geschichte!). Das wirkt sich auch auf das Gesamtprodukt aus.


Na, ich bin gespannt auf die nexte Geschichte ;)
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Trakl am 08 November 2005, 13:56:52
Zitat von: "sYntiq"

Na, ich bin gespannt auf die nexte Geschichte ;)


Klingt wie eine Drohung. Aber deswegen heißt es ja auch Kurzgeschichten-*Threat*. :biglaugh:
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: sYntiq am 08 November 2005, 14:00:27
Zitat von: "Trakl"
Klingt wie eine Drohung. Aber deswegen heißt es ja auch Kurzgeschichten-*Threat*. :biglaugh:


Oh. eigentlich wollte ich auch diesen Smiley hier verwenden:  :twisted:

:mrgreen:
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: W am 08 November 2005, 15:23:20
Zitat von: "olli"
Zitat von: "W"
Da sich das Erbrochene bereits auf der ganzen Fläche des WC's ausgebreitet hatte

www.deppenapostroph.de

(http://www.clicksmilies.com/s0105/aetsch/cheeky-smiley-022.gif)
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Lobo am 08 November 2005, 21:24:46
So, die Geschichte ist eine Kante länger als gewöhnlich (zwischen 4-5 DinA4 Seiten).

Bitte fragt nicht was ich mir dabei Gedacht habe, den im Grunde soll die Geschichte nur Unterhaltungswert bieten und vielleicht ein bischen satirisch die Actionfilme durch den Kakau ziehen. :wink:



Killer, Kohle und Kanonen

„Gott hasst mich! Es kann einfach nicht anders sein!“
„Ach was. Das bildest du dir ein!“
„Und was ist mit den Pissern da draußen, die nur darauf warten uns die Eier wegzupusten?“
„Nun halt mal die Luft an. Wir haben halt Scheiße gebaut, okay? Ich meine wer konnte denn ahnen, das Fernandos Jungs so übellaunig sind?“ Der Sarkasmus war nicht zu überhören.
Eine konzentrierte Salve aus mindestens drei AK-Sturmgewehren hämmerte gegen die andere Seite des Wagens, während sich Jonas und Pet tiefer duckten.
„Ach Scheiße!“ fluchte Jonas, während er mit seiner Baretta das Feuer erwiderte.
„Weißt du, es ist nicht nur das. Kassandra hat mit mir Schluss gemacht.“ „Sorry, man. Tut mir echt leid.“ Auch Pet hatte ein weiteres Magazin gelehrt und lud nach.
„Dazu hab ich beim Poker letzte Woche satte dreitausend Mäuse verloren und dann haben Mörser-Mannis Knochenbrecher meine Bude in die Luft gejagt, nur weil ich die Kohle nicht zurückzahlen konnte, die ich mir im Juli von ihm geborgt habe.“
„Joe...“ Pet zuckte zusammen als eine Kugel neben seinem Kopf aus dem Kotflügel austrat.
„Wir sollten uns verziehen. Das wird mir hier zu hektisch.“
„Ich bin für Vorschläge offen!“ Sein Freund deutete auf einen Hauseingang, der ungefähr dreißig Fuß hinter ihnen in eines der zerfallenen Gebäude der Slums führte.
„Das könnte klappen, wenn die nicht auf uns ballern würden.“
„Hier Jonas! Dieser kleine Freund wird uns einmal mehr aus der Patsche helfen!“ Pet zog den Stift aus der Splittergranate und schleuderte sie über das zerschossene Auto auf Fernandos Leute.
„Gib Fersengeld!“
Eilig sprinteten sie los, während sie die verängstigten Rufe der Handlanger hören konnte. Die Explosion, gefolgt von einigen Schreien ließ nicht lange auf sich warten.
„Jackpot!“ zwinkerte Jonas Pet zu.
„Klar. Hab ja nicht umsonst Baseball in der Highschool gespielt.“
„Du warst in der Schule?“

Eine Stunde später wischte sich Peter Martini den Mundwinkel mit einer Servierte ab.
Jonas konnte einfach nicht verstehen, wie man so schnell einen doppelten Megabürger verschlingen konnte und der Begriff „Mega“ war bei „Bigburger“ nicht bloß eine Floskel.
„Wir sollten aufhören uns mit diesem Fast-Foodmüll voll zu stopfen. Ich bekomm davon schon Pickel davon.“ Angewidert biss Jonas erneut von seinem Mittagessen ab.
„Wenn wir den Job anständig erledigt hätten, dann könnten wir uns jetzt ein Menü in so’ nem
Schicki-micki Schuppen einfahren. Was hat dich überhaupt dazu beweg wie wild loszuballern, als Nicky, Fernandos Cousin, aus dem Bad kam?“
„Was mich dazu bewegt hat? Pet ich weiß ja nicht, ob dir schon einmal ein nackter Mann mit einer 52er Magnum aus einem Bad entgegen gekommen ist und droht dich umzulegen, wenn du ihm nicht einen bläst.“
„Scheiße! Fernandos Cousin is ne Schwuchtel?“ Ungläubig weiteten sich Pets Augen. „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber dass...“ Jonas schüttelte den Kopf und machte sich daran seinen letzten Rest Burger zu verschlingen.
„Da hast du einfach wieder das lustige „Wetten-ich-zieh-und-pump-dich-mit-Blei-voll,-bevor-du-den-Abzug-betätigst-Spiel“ gespielt und dass obwohl wir ihn ja eigentlich beschützen sollten.“ Jonas, der seinen Bürger endgültig vernichtet hatte, zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich zurück. „Die Kohle können wir nun knicken. Ich frag mich, vor wem wir Nicky eigentlich beschützen sollten.“  Überlegte Pet
„Ist jetzt eh egal. Schutz hat er nicht mehr nötig. Aber ich hätte die Kohle gebraucht um meine Schulden bei Mörser-Manni zu bezahlen.“
Pet stieß den Rauch aus, wobei er versuchte Ringe zu bilden, was ihm aber nicht gelang. „Mörser-Manni, ja? Was ist das eigentlich für ein bekloppter Name?“
„Wenn du ihn mal mit nem Granatwerfer erlebt hast, weißt du wieso er den Namen trägt. Hat den Cops hier im Kessel schon mächtig eingeheizt.“
„Und was ist das jetzt mit Kassandra?“
Jonas war inzwischen ebenfalls fertig und nahm noch einen Schluck von seiner Cola.
„Sie hat mich auf die Straße gesetzt, Pet. Sie hat irgendwie spitzgekriegt, dass ich n’ Berufskiller bin. Vielleicht bin ich einmal zuviel mit blutverschmierten Klamotten bei ihr aufgetaucht.“
„Du hast doch nicht ehrlich gedacht, das sie die Lüge mit dem Notarzt schluckt, oder? Ich meine du bist ungefähr so ein guter Notarzt, wie Jango n’ Heiliger.“
Jonas legte ein paar Scheine als Bezahlung auf den Tisch und erhob sich. „Jedenfalls muss ich nun sehen, wo ich heute Nacht unterkriechen kann.“

„Mister Fernando, Sir!“
„Ja?“ Costa Fernando drehte sich vom Fenster weg, als drei Männer in schwarzen Smokings und Sonnbrillen eintraten und kurz vor Demut ihren Kopf senkten. „Habt ihr die Bastarde erwischt?“ Hätten die drei nicht die Sonnbrille aufgehabt, hätte Fernando ihre Nervosität in ihren Augen ablesen können. Das war eine seiner Stärken. Eine der Stärken, die ihm zu dem gemacht hatten, was er war: einer der mächtigsten „Gesellschafter“ im Kessel, der verruchtesten Gegend von Chikago.
Betretenes Schweigen herrschte. Fernando nickte nur. „Das hätte ich mir denken können.“
„Sir, sie hatten eine Granate.“ versuchte der linke entschuldigend.
„Und ich hätte jetzt verdammt große Lust euch mit Blei voll pumpen zu lassen.“ Er hatte nun seinen vernickelten US-Kavallerie-Colt in der Hand und zielte auf die Drei. „Die Schweine haben Nicky umgebracht. Ich wette die stecken mit den Typen, vor denen sie ihn beschützen sollten unter einer Decke und ihr kommt hier mit so einer ausgelutschten Geschichte.“
Erneut stellte sich betretenes Schweigen ein.
„Jetzt geht ihr durch diese Tür dort, durch die ihr dieses Zimmer betreten habt und kehrt nicht zurück ehe die zwei Bastarde Tod sind. Ich will ihre Köpfe auf einem Silbertablett, ist das klar?“ Alle drei konnten nicht schnell genug nicken, wie sie wollten.
Fernando legte seinen Colt zurück auf den Schreibtisch. „Meine Herren!“
Damit setzten sich die Drei in Bewegung.      

Jonas lehnte sich müde zurück und streckte die Füße auf dem Couchtisch aus. „Find ich echt klasse von dir, dass ich hier ein paar Tage unterschlüpfen kann.“
„Du bist mein Bruder, warum sollte ich dir nicht helfen?“
Pet öffnete die Bierdose, kippte die Hälfte des Inhaltes in sich hinein und verzog danach angewidert das Gesicht. „Nächstes Mal hohle ich wieder das Teurere. Geld hin oder her. Das ist ja schon eine Folter.“
„Pass auf, Jonas. Ich geh noch mal rüber zu Smithy’s und besorg ein anständiges Six-Pack. Mach kein Mist, okay?“
„Geht klar!“

Der Mann schloss die Tür hinter sich und ging  die Treppe hinunter, bevor der das Treppenhaus des heruntergekommenen Apartmentblocks durch den Vorderausgang verließ.
„Jetzt!“ flüsterte der Mann im Smoking und die Männer setzten sich in Bewegung.
Der Einlauf von Fernando hatte gewirkt. Sie hatten herausgefunden, wo sich die Beiden aufhielten und hatten nur noch auf eine Gelegenheit gewartet zuzuschlagen. Jetzt war jeder für sich allein. Als erstes würde  Typ Nummer Eins in der Wohnung sterben und wenn Typ Nummer Zwei zurückkam, dann währe auch er fällig. Leise folgten die drei Smoking-Männer ihren Untergebenen.

Jonas nippte an dem Bier und beförderte es danach in den Mülleimer. Was nun? Er steckte ziemlich in der Scheiße. Wo sollte er die nötige Kohle auftreiben. Jobs waren derzeitig nicht an jeder Ecke zu finden. Es gab eine Zeit in der das anders gewesen war.
Unmittelbar wurde er aus seinen Gedanken gerissen als es klingelte.
Seufzend erhob er sich und ging zur Tür. Seine Hand verweilte auf der Klinke. Dann warf er einen Blick durch den Spion.
Jonas sah, wie sich der Lauf eines Revolvers dem Guckloch näherte.
„Sch…“ Er zog den Kopf ein und über ihm entstand ein Loch in der Tür.
Reflexartig zog er seine Waffe, rannte durch den Flur zurück ins Wohnzimmer und erwiderte das Feuer.
Schwere Treffer erschütterten die Tür.
„Raus hier! Ich muss raus.“ Ihm war klar, dass dieser simple Gedankengang nicht so leicht realisierbar sein würde.
Die Eingangstür begann zu splittern.
Schnell rannte er zum Schlafzimmer, warf die Tür hinter sich ins Schloss und schob eine Kommode davor. Warum musste Pet auch eine Wohnung ohne Feuertreppe haben. Jonas warf einen Blick aus dem Fenster.
Oder eine Wohnung im fünften Stock.
Mit einem berstenden Geräusch gab die Eingangstür nach und ließ die unwillkommenen Besucher herein.
Dann sah er die Regenrinne.
„Lache und die Welt lacht mit dir, weine und du weinst allein. Wer hat sich diesen Müll ausgedacht.“ Er ergriff das kalte Metall der Rinne und schwang sich aus dem Fenster. „Fluche und Regel es allein, Überlebe und die Welt hilft dir beim Ableben!“
Stimmengewirr drang aus dem Wohnzimmer und hektische Rufe näherten sich der Tür.
„Gott hasst mich nicht nur, nein er hat auch noch Spaß dabei!“ dachte er, während er sich an den Abstieg machte. Aber lange hatte er nicht damit zu kämpfen. Nach einem Meter gab die Rinne über ihm ein hässliches Geräusch von sich. Fast wie ein Walgesang im Discovery-Chanel. „Nein, verdammt noch Mal.“ presste er durch die zusammengebissenen Zähne. „Das geht jetzt nicht!“
Doch, wie um ihm das Gegenteil zu beweisen, löste sich die Verstrebung und er kippte mit samt der Rinne nach hinten. Aus den Augenwinkeln sah er noch einen grinsenden Smoking-Träger aus dem Fenster schauen, aus dem er eben geklettert war.

Der Man im Smoking wandte sich von dem Fenster ab und kehrte in das Wohnzimmer zurück. „Die machen es uns echt einfach!“
In dem Moment erklangen draußen Schüsse und ein Schrei. „Verdammt! Der Andere ist zurück.“
Schnell suchte sich jeder eine Deckung und wartete. Doch das einzige was kam war eine Handgranate. Sie rollte leicht eiernd durch die Wohnzimmertür und näherte sich dem Zentrum des Zimmers. Das warten hatte sich nicht gelohnt.

„Hast du die Kohle?“ „Klar, hast du das Koks?“
Der Man gegenüber nickte und beide öffneten ihre Koffer. Es war wie eine Szenerie aus einem Gangsterfilm. Zwei Unterhändler in einer alten verlassenen Wohnung im Kessel von Chikago; hinter ihnen je zwei Handlanger, bereit zu schießen und zu töten, wenn man sie über das Ohr hauen wollte. Nur eines machte die Szene kaputt und das war Jonas.
Mit einem Scherbenregen explodierte die Fensterscheibe als sein Körper, der sich immer noch an die Regenrinne klammerte, in das Zimmer stürzte. Die Rinne war einfach zur gegenüberliegenden Hauswand gekippt.
Keuchend erhob er sich und sah die sechs mit gezogenen Waffen. Erst dann registrierte er, dass er seine Waffe ja noch in der Hand hatte.
„Leute, es ist nicht so, wie es aussieht.“ Doch das schien nicht richtig anzukommen, denn die Männer hoben ihre Waffen.
Dann erklang  ein lauter Knall im Nebengebäude. Jonas nutzte die Verwirrung der Gangster-Film-Fraktion und erleichterte seine Waffe um einige Patronen.
Mühsam ging er nach getaner Arbeit zum Fenster. Das war Pet. Er hatte eine Vorliebe für Handgranaten. Das war auch der Grund, warum er aus der Armee geflogen war. Er hatte sich den Wisch nicht richtig durchgelesen, aber irgendwo stand da was von unzurechnungsfähig. Schwachsinn. Jonas kannte keinen, der so zurechnungsfähig war wie sein Bruder. Besonders wenn es um Granaten ging.
„Hey, Jonas!“ erklang Pets Stimme von weiter oben. Jonas trat ans Fenster. „Hast du gutes Bier bekommen?“ Sein Bruder hielt ein Sechser Bullsbeer hoch. „Cool.“
„Du Jonas?“ „Ja?“
„Meine Bude ist im Arsch!“ „Das habe ich mir schon gedacht.“
„Ich finde wir müssen mal mit Fernando reden. Das geht so nicht weiter.“
„Was wollen wir den machen, Pet? Ein Entschuldigungsschreiben aufsetzen?“
Pet seufzte. „Nein, aber vielleicht unsere Dienste umsonst Anbieten um das wieder gut zumachen, was passiert ist.“
Du glaubt der will unsere Dienste noch?“ „Verdammt ich weiß ja auch nicht! Hast du einen bessern Vorschlag?“
„Du wirst lachen, aber den habe ich. Hier drin habe ich zwei Koffer gefunden. Einen voll mit Kohle und einen voll mit Drogen. Schätze es ist Koks. Wenn wir damit als Entschuldigung bei ihm auftauchen ist das deutlich besser, als wenn wir mit leeren Händen hingehen.“
Pet nickte. „Was machst du überhaupt da drüben? Lebt da nicht jemand?“
Jonas warf einen Blick in den Raum. „Nö!“

Die Tür zu Fernandos Arbeitszimmer wurde von einem „Mitarbeiter“ geöffnet. Hier sind die Zwei.
Fernando war stocksauer. Nicht genug, das die zwei Arschlöcher seinen Cousin getötet und seine Männer abgeschlachtet hatten. Sie besaßen auch noch die Frechheit zu ihm zukommen.
Er ergriff den Colt und erhob sich als die Brüder eintraten.
„Guten Tag, Fernando, Sir!“ begann Jonas.
„Ihr wünscht mir einen guten Tag? Ich sag euch was: Der Tag ist wundervoll!“
„Echt?“ fragte Pet vorsichtig.
„Nein aus Plastik, du verdammte Hohlbirne! Der Tag ist nicht wundervoll. Ich kann es nicht glauben, dass solche Idioten meinen Cousin ermordet und so viele meiner Männer getötet haben. „Hey…“ wollte  Pet einwerfen, doch Fernando hob den Colt.
„Mach lieber den Mund zu. Dein IQ entweicht schon in Zehnerstellen.“
Pet schloss den Mund.
„Ein bisschen war das allerdings schon gelogen. Der Tag ist wundervoll, den ihr zwei inzuchtgezeugten Arschlöcher kommt freiwillig zu mir um zu sterben.“
„Wir wollten uns eigentlich hiermit entschuldigen!“ Die Brüder öffneten die Koffer.
Fernando begann laut zu lachen. „Glaubt ihr allen Ernst, dass ein bisschen Geld und ein bisschen Stoff die Sache ungeschehen macht  ihr Putas?“
Er zog den Hahn der Waffe zurück und schüttelte den Kopf.
Ein Schuss ertönte und die vernickelte Waffe viel aus Fernandos blutenden Fingern.
„Was?“ Auch die Brüder drehten sich zur Tür um.
Einer der drei Smoking-Männer stand in der Tür. Getrocknetes Blut klebte an seiner Kleidung.
„Das ist der Typ, der vor der Tür schmiere Stand, als ich Bier holen war.“ Der Mann schlug Pet ins Gesicht. Jonas konnte seinen Bruder gerade noch auffangen, bevor dieser zu Bodenstürzte. „Vergewissere dich ob jemand tot ist, Arschloch! Das war ein Streifschuss. Aber der tut nicht weniger weh.“
Fernando sah verwirrt aus. Zornig zwar, aber größtenteils verwirrt. „Wie?“
„Das hätte alles so gut laufen können aber ihr Cousin musste natürlich aus der Reihe tanzen.“
„Ich verstehe nicht!“ grollte Fernando zurück.
„Das wundert mich nicht.“ Jonas riskierte einen Blick zur Tür und konnte dort den „Mitarbeiter“ auf dem Boden liegen sehen. Vermutlich ebenfalls Tod. Das war heute ein ergiebiger Tag für den Schnitter.
„Ich und die anderen zwei hatten den Drohbrief geschrieben.“
Die Augen Fernandos weiteten sich vor Zorn und er begann auf Spanisch zu fluchen.
„Ach seien sie doch Still. Sie sitzen hier und verhalten sich wie ein Möchtegern Brandon Marlow. Dabei sind sie kein Sizilianer. Sie sind Spanier. Nicht einmal Italiener. Wir hatte es so satt. Also wollten wir ihren Cousin kalt machen und danach Sie. Einer der beiden Deppen hier hat hohe Geldschulden bei Mörser-Manni. Der hätte sich dann auch um ihren Cousin gekümmert. Der Rest währe fast von allein gegangen. Ein paar falschen Informationen Austauschen, Rachegelüste schüren und schon hätte es einen herrlichen Bandenkrieg gegeben. In dem Chaos währe es kein Problem gewesen die Macht zu übernehmen.“
Fernando keuchte.
„Aber jetzt sind meine Freunde Tod. Gekillt von dem asozialem Pack.“
Mehrere Schüsse ließen die Stimme verstummen und auch Fernando sackte in seinem Sessel zusammen.
Pet und Jonas steckten die Waffen wieder ein. „Solche Arschlöcher!“ knurrte Pet. „Ich bin nun einmal nicht der Hellste. Kein Grund unfreundlich zu werden.“
Jonas schloss die beiden Koffer wieder. „Lass uns n’Abgang machen. Bald wimmelt es hier von Fernandos Männern.“ Er drehte sich um und ging zur Tür.
„Irgendwie ein verdammt kläglicher Showdown, oder?“ Pet runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Na ja nimm mal einen John Woo Film als Beispiel. Da läuft der finale Kampf fast ne Viertelstunde. Auch bei den Dingern von Schwarzenegger und Segal gibt es ein furioses Finalgemetzel.“
„Das ist die Wirklichkeit, Joe und kein Film.“ Pet stieg über den Mitarbeiter hinweg und bewegte sich in Richtung Haupttor. Jonas folgte ihm.
„Was hast du mit der Kohle vor?“
„Die Kriegt Mörser-Manni. Plus Koks. Quasi als Wiedergutmachung.“
Pet grinste über das ganze Gesicht.
„Was?“
„Joe du kannst sagen was du willst, aber Mörser-Manni IST ein dämlicher Name.“
„Du hast nicht gesehen wie er loslegt.“ erwiderte Jonas verteidigend.  
„Es is trotzdem ein dämlicher Name!“

Ende
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Lobo am 15 November 2005, 00:44:29
So hier kommt wieder eine kürzere! :wink:


Xenophobie

Das war einfach albern.
Der Mann legte sein Kinn auf seine Hände, die wiederum von der Stuhllehne gestützt wurden.
Er zitterte immer noch; allerdings nicht vor Kälte.
Ein Seufzer verließ seine Lippen und in jeder anderen Lage, vielleicht sogar, wenn er in derselben Lage gewesen wäre, nur bei Tag, wäre er aufgestanden. Doch jetzt saß er einfach weiter vor dem geschlossenen Kühlschrank.
Sein Blick wanderte zur Küchenuhr. Halb drei Nachts.
Er hatte so etwas noch nie erlebt. Schweißgebadet war er aus dem Schlaf hochgeschossen. Das er aus Leibeskräften schrie wurde ihm erst eine halbe Minute später klar.
Was er so schreckliches geträumt hatte, wusste er nicht; Nur bei dem Gedanken an den Kühlschrank zog sich sein Magen zusammen und die tiefe Angst griff mit ihren eiskalten Fingern nach ihm.
Er hatte sich nicht die Mühe gemacht etwas anzuziehen. Daher saß er in Boxershorts vor der wohl nützlichsten Erfindung der Vergangenheit.
Noch immer klebte ein Schweißfilm an seiner Haut. Ein verwirrtes Grinsen huschte über sein Gesicht. Verrückt. Wenn seine Freunde ihn so sehen könnten… wie würden sie lachen.
Wie gesagt: In einer anderen Lage, zu einer anderen Tageszeit. Aber er war nun einmal in der Lage und es war dunkel. Gut, draußen fuhren Autos die Hauptstraße entlang und in diesem Neonmeer war es fast nie wirklich dunkel, aber dennoch reichte es durchaus um die Fantasie anzuregen.
Seine Hand wanderte vorsichtig zum chromverzierten Griff des Kühlschrankes. Doch bevor er ihn berührte zuckte seine Hand zurück. Das Grinsen erlosch.
Da!
War da nicht ein Geräusch im Kühlschrank zu hören? Ganz leise? Klang es nicht genau wie in seinem Traum? Erneut brach ihm der Schweiß aus allen Poren und sein Magen verkrampfte sich so sehr, dass es schmerzte. „Das gibt es doch nicht!“ stammelte er. „Ich werde verrückt!“
Und wieder!
Wackelte das weiße Elektromonster nicht ganz leicht von selbst, oder war es die Müdigkeit die ihm einen Streich spielte?
Der Mann drückte seine Hand auf die weiße Außenhaut und schüttelte den Kopf. Vielleicht sollte er seinen Nachbarn bescheid sagen. Doch den Gedanken verwarf er gleich wieder. Was wäre, wenn da, wie erwartend, einfach nichts zu finden war, was ungewöhnlich ist? Man würde ihn für verrückt halten oder schlimmeres.
Diesmal spürte er die Bewegung. Sie war ganz seicht; ganz schwach. Ein Kitzeln unter den Fingerkuppen. Oder wurde er doch verrückt? Bildete er sich das bloß sein?
Erneut bildete sich ein Grinsen in seinem Gesicht. Doch Diesmal war es nur ein verzerrtes Echo des Vorherigen.
Das war noch der Traum! Er steckte noch voll drin. Er musste ihn nur öffnen, dann würde er schon aufwachen.
Seine Finger umfassten den Griff und verharrten da.
Und wenn es doch kein Traum war?
Ihm wurde schwindelig. Er zog seine Hand zurück und stand auf.
Morgen würde er nachsehen. Nach dem Traum war er einfach nicht in der Lage rational zu denken.
Bevor er wieder ins Bett ging, schloss er hinter sich die Küchentür und tat etwas, dass er noch nie getan hatte: Er drehte den Schlüssel im Schloss und sorgte dafür, das die Küchentür zu blieb.  

Ende
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: K-Ninchen am 20 November 2005, 16:44:32
@Lobo: Nicht, daß der arme Mensch uns noch verhungert! :)

Hier mal mein Versuch. Hatte in Deutsch immer fürchterliche Noten, im Bereich 3-5 (in diesem Fall auch kompatibel zum 15-Punkte-System)
Trotzdem, so ganz vergellt wurde mir die Lust am Schreiben zum Glück nicht ;)

Mittlerweile wurden nur noch bekanntere und langsamere Stücke gespielt.
Auf der Tanzfläche bewegten sich nur noch einige wenige Betrunkene... und wir.
Er war genau das, wonach ich gesucht habe: Ein zynisches, überhebliches, verbittertes Arschloch. Nein, ernsthaft. Er war, was seine "Szene" betrifft, erzkonservativ und zu 100% durchschaubar. Alles musste "Handgemacht" sein, sei es Musik, Essen oder sonstwas. "Elektronic" fand er generell scheiße und die 80er hätten nie passieren dürfen. Veränderungen lehnte er par tout ab, "Weiterentwicklung" übersetzte er gerne mit "Verschlechterung"
Und er mochte mich! Tatsächlich habe ich bei ihm einen Nerv getroffen - nur wie?! Ich war eigentlich das genaue Gegenteil von ihm. War es meine Art? Oder stand er einfach generell auf alles, was ein schwarzes, langes Samtkleid anhat und zufällig in seiner Nähe herumsteht?
Der Mann an der Theke winkte mich schon seit einigen Minuten hektisch zu sich und so verabschiedete ich mich für einen Moment von meinem Tanzpartner und ging zu ihm.
Ob ich denn bescheuert sei, wollte er wissen. Ob ich denn nicht wisse, was am Ende passiert, wenn ich mich einfach so mit fremden Leuten einlasse. Das sei außerdem ein wichtiges Experiment, bei dem ich mich bitteschön zurückhalten solle.

So wurde der Abend etwas unschön abgebrochen und es folgten heftige Diskussionen im Labor. Was ich überhaupt mitzureden hätte, fuhr er mich an. Ich sagte ihm, daß es schliesslich um mich ginge. Daß ich den Begriff "ich" mal wieder etwas überstrapaziere, erwiderte er. Daß ich aufpassen sollte, weil ich als erste und einzige dafür geeignet sei.
Ich konnte ihn überreden, das nächste Experiment wieder am selben Ort durchzuführen.

Dort traf ich meinen alten Tanzpartner wieder. Jedoch unterhielten wir uns die meiste Zeit und lachten viel. Er mochte meinen trockenen Humor und ich liebte seine sarkastischen Bemerkungen. Er machte mir Komplimente, sagte mir, wie schön seidig mein Haar ist, durch das er seine großen, starken Hände gleiten liess. Mein Begleiter im Hintergrund, diesmal mit Sonnenbrille, jedoch nicht. Ihm riss der Geduldsfaden. Mit langen Schritten kam er an unseren Tisch und zog mich von meinem Platz. Geschockt liess mein Tanzpartner seine Zigarette aus dem Mundwinkel gleiten und brachte zunächst ein verwirrtes "Hey!", und dann ein lauter werdendes "Halt!" heraus und folgte uns, als mein Begleiter mich an einem Arm aus dem Lokal zog.

Draussen sah er, wie ich versuchte, mich loszureissen - und es schaffte. Mein Begleiter hielt nur noch meinen rechten Arm in der Hand, aus der einige abgerissene Kabel heraushingen - dabei fiel er einige Meter nach hinten und wurde sofort von einem vorbeifahrendem Auto erfasst und wiederum einige Meter fortgeschleudert, worauf er regungslos am Boden liegenblieb.
Gleichzeitig sah ich meinen ehemaligen Tanzpartner, wie er mich noch einige Sekunden anstarrte. Langsam ging er auf mich zu... ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu sehen.

Dann kamen nur noch Beleidigungen aus seinem Mund. Ich sei ein haufen Schrott, eine Ansammlung von Plastik, Blech und Programmierfehlern, ein seelenloses Stück Material, etc. Das tat unglaublich weh, das alles ausgerechnet von ihm zu hören. Ich hob den Kopf und schaute ihn ins Gesicht. Er fing an zu lachen und sagte "Das nenn' ich Tränen auf Knopfdruck!". Diesmal galt sein Sarkasmus mir. Und schön fand ich das auch nicht mehr. Dabei wollte ich eigentlich getröstet werden. Ich wolle, daß er mich in den Arm nimmt und mir sagt, daß alles gut wird, daß er mir helfen wird. Erwartungsvoll und flehend schaute ich ihn an, reichte ihm meinen verbliebenen Arm.
Er drehte sich jedoch einfach um und ging langsam davon.

Ich holte meinen linken Arm, der noch bei meinem Begleiter lag und schon ziemlich mitgenommen aussah und folgte meinem ehemaligen Tanzpartner noch lange durch die dunklen, verlassenen Straßen, weinend, ihn immer wieder bittend, anzuhalten, mir zuzuhören.
Irgendwann konnte ich nicht mehr laufen und mir wurde schwarz vor Augen.

Jetzt habe ich keinen Körper mehr und befinde mich in einem Rechenzentrum, irgendwo in Hamburg.
Manchmal treffe ich meinen alten Tanzpartner hier im Forum... und wir haben wieder viel Spaß zusammen :)
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Franky am 20 November 2005, 19:10:08
Es war ein Mal ein kleiner Hase in einem grünen Walde...

Und dann ... würde er von einem LKW überfahren :(
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: SuicideSociety am 21 November 2005, 02:31:12
Revolutionärer Geburtstag

Hell erstrahlt im gleißendem Sonnenlicht des neuen vielversprechenden Tages
steht sie erhaben in der Mitte des leergefegten Festplatzes.
Stolz und majestätisch, aber auch demonstrativ und abschreckend.
Vorbeiziehende Wolken spiegeln sich in den blanken Metallteil,
dessen Glanz nur von einigen großen unschönen Flecken gemindert wird.
Dunkle rostrote Flecken, die Spuren des gestrigen arbeitsreichen Tages.
Ja, gestern hatte sie sehr viel zu tun.
Viele Gäste, viele Häupter die sich vor ihr verneigten.
Doch nach den Verbeugungen verhielten sie sich alle irgendwie kopflos
und verloren gänzlich ihre Haltung,
was sich aber als nicht so schlimm erwies, ganz im Gegenteil,
alle Zuschauer klatschten vor Begeisterung Beifall.
Ja, gestern war sie die Heldin.
Jede Bewegung von ihr wurde euphorisch gefeiert.
Jedes Geräusch was sie von sich gab bejubelt.
Gestern war ihr erster Tag, ihr Geburtstag.
Sie erhielt sogar einen Namen,
einen schneidigen ...,
einen klingenden ...,
der weit über dem Franzosenland hinaus bekannt wurde.
Sie wurde liebevoll
Guillotine genannt.
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Lobo am 21 November 2005, 13:20:16
@K-Nichen: Die Geschichte gefällt mir. (Erinnert mich so ein bischen an ein Oompf-Musikvideo^^) Der Schreibstil ist doch in Ordnung. Ich hab da nichts auszusetzen! :wink:

@SuicideSociety: Ich bin zwar nicht so der Fan der "Französischen Revolution", aber letztendlich ist das ja nebensächlich.^^
Ein Mordwerkzeug schön kunstvoll beschrieben.   :wink:
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Alinja am 21 November 2005, 15:55:11
Ist zwar nicht wirklich ne Geschichte, aber ....


Discomoment
Gerade tanzte ich noch in der bunten Menge. Lachend, hüpfend, spring-singend begegnete ich ihm wieder. Zufall?
Ich weiß es nicht mehr.
Ein waldgrüner Junge inmitten von blau, orange und rot fällt eben auf. Fällt mir auf.
Wir sind nach draußen gegangen und mir ist kalt. Wir küssen uns und haben uns auch schon vorher geküsst, glaube ich. Sicher bin ich mir bei ihm fast nie.
Ich weiß nicht mehr, wie seine Küsse waren, wie sie sich anfühlten. Vielleicht sind sie belanglos, vielleicht belanglos neben ihm.
Wir unterhalten uns. Über das Leben. Über uns. Über die Liebe. Große Themen für kleine Momente. Er sagt, er liebt mich nicht und das ist okay. Er fragt mich, ob ich ihn mag. Ich denke, dass waldgrüne Jungs schon toll sind, sage aber irgendwas anderes.
Wir küssen uns wieder und ich friere noch immer.
Er umschlingt mich mit seinen Armen und ich sitze in einem Wald aus ihm. Ich schaue in die Sterne und wünsche, dass gelb und grün nicht immer so verschieden sind.
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: SuicideSociety am 21 November 2005, 16:24:14
uups habe jetzt erst gesehen dass hier im Threat schon eine zweite Seite ist ... werde ich gleich mal lesen ...

Eine Geschichte habe ich noch die ich mal zu einem Schreibwettbewerb von Hinz und Kuntz geschrieben hatte ... Der Titel zu der Geschichte 'Lucas erster Fall' war vorgegeben ...



Lucas erster Fall


Ich blickte in zwei Gläser, eingefaßt in ein goldfarbenes Gestell das die graublauen Augen umrahmte. Die Augen schienen zu lächeln, ... der Mund aber ... wirkte seltsam verkniffen ... und ernst.

Jetzt bewegte sich der Mund und schien doch irgendwie unbeweglich.
"Nun, wie gefällt es ihnen hier in der Psychiartrie des Allgemeinen Krankenhauses Ochsenzoll ?" drang es kalt und bedrückend anteilnahmelos aus den Mund.
Der Glanz, das scheinbare Lächeln in den Augen war verschwunden.
Nach einem unterdrückten Schlucken versuchte ich mein keimendes
Unbehagen mit einer schnellen Antwort abzulenken, was mir nicht sehr gut gelang, wie ich glaubte.
"Doch ... doch ... sehr gut. ... Ach ... ich habe durch Zufall ihre Fallstudien über die Fallsucht gefunden und gelesen ... hoch interessant, muß ich sagen."
"Nun ja. ... ja ja, ... das ist schon länger her. ... Heute aber betreibe ich andere Fallstudien." sagte er, stand auf und ging zur Tür.
"Ich werde sie jetzt mit ihrem ersten Fall bekannt machen ... ein hoffnungsloser Fall ... wie ich denke ... aber das sie sicherlich nicht davon abhalten sich diesem Fall anzunehmen."
Er öffnete die Tür mit einem kurzem "Folgen sie mir."
und ging hinaus in den Gang.
Ich folgte ihm mit leicht zitternden Knien. Mir war gar nicht wohl zumute.
Der Gang war nur spärlich beleuchtet und wirkte beklemmend. Die Leuchten spiegelten sich mattgelb auf den Lenoliumboden wider und waren die einzigen Lichtquellen denn das Fenster am Ende des Ganges
war schon nachtdunkel.
"Wo sind denn die Patienten ?" fragte ich, das sonst multireale bunte Treiben vermissend.
"Die brauchte ich für meine neuen Fallstudien. ... Fall für Fall. ... Sie werden sie hinterher ... treffen."
Er blieb plötzlich vor einer Tür stehen so daß ich fast auf ihn auflief.
Genauso plötzlich ging das Licht aus und ich fühlte eine Hand die mein Handgelenk wie ein Schraubstock umklammerte.
"Keine Angst." sagte er zu mir als ich ein leises Quitschen akustisch vernahm. Ich fühlte einen Ruck am Arm und einen Stoß am Rücken ...
mein Ausfallschritt trat ins Leere ... ich hatte keinen Boden mehr unter den Füßen und fiel ... fiel mit einem Schrei in die Tiefe.
Im Fallen noch sah ich das Licht wieder angehen und hörte sein schrilles hysterisches Lachen.
"Ihr erster Fall ... ein Reinfall ... klarer Fall ... ha ... ha ... ha ... ha ... ha ... ha ... !"

Noch schreiend wachte ich schweißgebadet auf. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich war schon wieder an das Bett geschnallt.
"Sie sind mein erster Fall." sagte jemand im weißen Kittel den ich erst erblickte als ich meinen Kopf drehte.

Ich blickte in zwei Gläser, eingefaßt in ein goldfarbenes Gestell das die graublauen Augen umrahmte. Die Augen schienen zu lächeln, ... der Mund aber ... wirkte seltsam verkniffen ... und ernst.
Titel: Der Kurzgeschichten-Threat
Beitrag von: Lobo am 02 Dezember 2005, 20:23:28
So hier hab ich mal wieder eine längere Story (ich hoffe einige haben die Ausdauer  :wink: ).


Ein Sommertag

„In Sommern wie diesem, wenn die Hitze unerträglich wird, dann fällt mir immer wieder ein Ereignis in meinem Leben ein, das ich nie vergessen werde. Und gerade das tue ich immer häufiger.
Ich habe Alzheimer.
Vor einem Jahr hat mein Hausarzt diese erschütternde Diagnose gestellt und ich denke, viel Zeit bleibt mir nicht mehr um alles zu erledigen, was ich noch vorhabe. Dabei habe ich noch Glück. Die Krankheit breitet sich nur langsam aus und ich wurde noch im Vorstadium untersucht. Ich hatte Probleme mich zu orientieren und das in Stadtteilen, in denen ich aufgewachsen bin und die ich nun schon über fünfzig Jahre kenne. Das ist verrückt.
Man bekommt Angst vor sich selbst.
Aber ich befinde mich auf der Schwelle zur zweiten Stufe und ich weiß, dass es immer schwerer für mich werden wird.“
Der alte Mann trank ein Schluck aus einem Becher und Robert vermutete, dass es sich dabei um Kaffee handelte… mit einem Schuss Rum. Der Alkoholgeruch lag deutlich und unwiderruflich in der Luft. Eigentlich wollte er gehen, aber er hatte irgendwie Mitleid mit dem Mann.
Er saß so verloren und alleine auf seiner Veranda und blickte den ganzen Tag auf die Straße. Robert hatte ihn ein paar Mal in der Stadt gesehen, als er für seine Frau einige Besorgungen gemacht hatte.
„Wissen Sie,“ sprach der Alte weiter „ich glaube es gibt einige Sachen, die man nicht so leicht vergisst. Besondere Erfahrungen. So etwas wie der erste Kuss, der erste Sex, oder der erste Mords Kater. Mann erinnert sich nur an besonders schöne oder besonders üble Dinge. Eine verrückte Sache ist das.“ Er nahm einen weiteren Schluck.
„Wollen Sie ein Bier?“
Robert nickte. Warum eigentlich nicht? Er war Lehrer an einer Grundschule von Chicago. Heute war es wieder höllisch heiß gewesen und so hatten sie die Kinder früher nach Hause geschickt. Seine Frau Lisa war selbst noch bei der Arbeit und so hatte er gerade nichts weiter vor.
Robert setzte sich auf einen Stuhl neben dem Alten und öffnete die Flasche, die ihm der Mann hinüberreichte. „Ich bin jetzt vierundsechzig Jahre alt und habe zweiundfünfzig davon in dieser Stadt verbracht. Häufig habe ich das ganze Treiben hier verfolgt. Im Alter ist mir das Ganze zu Irrsinnig geworden.“
Robert blickte ihn fragend an. „Was denn?“
„Na alles. Mit der Zeit erkennt man Dinge, die einem vorher nicht aufgefallen sind. Was einem früher als normal erschien, ist heute abnormal und vieles, was heute normal ist, bezeichne ich als Unsinn.“ Er lachte laut und kehlig.
Dann reichte er Robert die Hand. „Stanley Lumley“ „Robert Foster“ Robert ergriff die Hand des Alten und bemerkte überrascht, dass dieser einen erstaunlich festen Händedruck besaß.
„Aber wissen Sie, Robert, in einer irrsinnigen Welt vernünftig sein zu wollen, ist schon wieder ein Irrsinn für sich...“
Der junge Mann schmunzelte und nahm einen Zug aus seiner Flasche.
„Was sind Sie von Beruf, wenn ich fragen darf?“ „Ich bin Grundschullehrer, an der hiesigen William Ogden Grundschule.“
„Ahhh! Auf der war ich schon, als ich klein war.“ „Ehrlich?“ „Ja. Ich habe aber nur die vierte Klasse besucht, da ich mit meinen Eltern damals aus Seattle hergezogen bin.“
„Wow! Ich wusste nicht, dass die Schule schon so alt ist.“
„Damit schließt sich der Kreis, mein junger Freund.“ Robert blickte verwirrt zu dem alten Mann hinüber, der ihn mit einem verschmitzten Lächeln betrachtete.
„Ich wollte Ihnen von einem Ereignis aus meiner Kindheit erzählen, das ich nie vergessen hab und es passierte auf dem Weg von der Schule nach Hause.“

„Komm schon! Trödel nicht so rum. Gib ab!“ Stanley wedelte mit den Armen und sein Schulfreund Benjamin warf ihm den Basketball zu.
Benjamin war schwarz.
Viele hatten damit ein Problem. Zwar waren hatten Schwarze ihre rechtliche Freiheit zugesprochen bekommen, aber damit waren die Probleme nicht beendet. Vielerorts wurden sie beschimpft, angespuckt oder noch Schlimmeres. Lokalverbot, getrennte Toiletten von den Weißen und teurere Bus- und Bahnfahrkarten waren die Steine, die man ihnen in den Weg legte, so dass an ein normales Leben häufig nicht zu denken war.
Aber Stanley hatte kein Problem damit. Benjamin war sein Freund und daran konnte auch die Hautfarbe oder das Verhalten der anderen Menschen nichts ändern.
Er fing den Ball, dribbelte ein paar Mal und warf ihn zurück.
Sie nahmen wie immer die Abkürzung. Genau genommen war es eigentlich keine Abkürzung. Es war nur ein zweiter Weg, der allerdings nicht an der Hauptstraße entlang führte, sondern durch eine Gasse, die an der Hinterseite der Häuser parallel zur Hauptstraße verlief.
Sie war schmutzig und verdreckt, aber das störte die beiden nicht. Was sie störte, war ein Haus, dunkel und groß. Es sorgte dafür, dass man immer im Schatten war, wenn man es passierte. Es war eines dieser Häuser, die jeder kannte, denn in jeder Stadt gab es so ein Haus.
Es gehörte dem Kinderfresser.
So nannten ihn zumindest die Kinder der William Ogden Grundschule.
Benjamin ließ den Ball von der Wand abprallen und kickte ihn zu Stanley. „Das ist doch kein Fußball!“ „Ball ist Ball, oder?“ Stanley grinste breit über das ganze Gesicht und spielte ihn zu seinem Freund zurück.
Viele Kinder waren im letzten Jahr verschwunden und die meisten waren auf genau diese Schule gegangen. Der Kinderfresser trug den Namen Mister Barker. Ob das sein richtiger Name war, wusste niemand. Er trug ihn, weil er sein Schatten immer hinter irgendeinem der trüben Fenster zu sehen war und er immer herum schrie. Wie ein Hund der dauernd bellte. Hunde, die bellen, beißen nicht sagt man, aber hier wollte niemand sein Taschengeld darauf verwetten. Es ging das Gerücht um, dass er all diese Kinder entführt und getötet hatte. Danach fraß er sie einfach auf, gekocht oder gebraten. Die Fantasie der Kinder kannte da keine Grenzen.
Einmal hatte Stanley seine Mutter auf ihn angesprochen. Aber das war ein Fehler gewesen. Er hatte Sätze wie „Das ist bloß ein armer alter Mann.“ zu hören bekommen.“ Oder: „Mach keinen Unsinn und ärgere ihn nicht.“
Benjamin hielt an und blickte geradeaus.
Stanley verlangsamte seine Schritte und blickte in dieselbe Richtung.
Vor den Kindern erstreckte sich der Schattenweg.
Die Rückseite des Hauses bestand aus Holzbrettern, die im altmodischen Stil längs überlappend gezimmert waren. Mitten in dieser Holzwand waren drei steinerne Stufen, die zu einer Tür führten. Und genau deswegen waren sie stehen geblieben.
Die Tür stand offen. Nur eine Fliegengittertür verschloss sie noch.
Aus dem Inneren waren Geräusche zu hören.
„Rennen oder Schleichen?“ Stanley schwitzte. Es war drücken heiß und das Herumtollen forderte seinen Tribut.
Benjamin antwortete nicht, sondern starrte das Loch in der Holzwand an. Es schien wie das Maul einer grausigen Bestie.
„Wir sollten den Atem anhalten, wenn wir vorbei rennen.“
„Das macht man nur auf einem Friedhof. Das hab ich dir schon einmal gesagt.“ antwortete nun Benjamin.
„Wir sollten es hier genauso machen.“
„Du kannst dir nicht einfach die Regeln so zurechtlegen wie du willst.“
„Das heißt, auf dem Friedhof darf man die Luft anhalten und rennen, aber bei Mister Barkers Haus darf man das nicht?“ Stanley verzog schmollend das Gesicht.
„Hey, ich hab die Regel nicht gemacht.“
„Je schneller wir vorbei sind, desto besser!“ Benjamin ging auf Zehenspitzen weiter und Stanley folge ihm. Die Elfjährigen schoben sich näher und näher an das Maul ran.
Mit einem Mal wurde Stanley bewusst, dass die Geräusche aufgehört hatten.
Waren sie bemerkt worden? Er musste Benjamin Bescheid geben.
Doch sein Freund hatte die Tür erreicht und spähte hinein.
„Heilige Scheiße!“ fluchte er durch die geschlossenen Zähne.
„Was denn? Was ist?“
„Da steht ein Topf auf dem Herd. Er kocht jetzt gerade Jemanden, Stan.“
Er beugte sich an ihm vorbei und warf selbst einen Blick hinein.
Der Raum war als eine Küche eingerichtet worden und wirke unheilvoll, fast künstlich. So wie eine Fassade um jemanden zu täuschen.
Tatsächlich stand ein Topf auf dem Herd. Er sah alt und schmutzig aus. Verbeult und eingedellt. Dampf quoll unter dem schräg liegenden Deckel hervor. Von dem Kinderfresser jedoch schien jede Spur zu fehlen.
Doch dann bemerkte er plötzlich eine Bewegung und er sah noch kurz die Umrisse eines gebeugten alten Mannes, der sich mit schlurfenden Schritten dem Herd näherte, bevor er schnell an der Tür vorbei huschte und sich auf der anderen Seite an die Holzwand presste.
Benjamin war auf der linken Seite geblieben und tat es ihm gleich.
Die Schritte endeten und das Geräusch setzte wieder ein.
„Was macht er jetzt?“ flüsterte Stanley.
„Keine Ahnung.“ Vorsichtig reckte Benjamin seinen Kopf über den Türrahmen und spähte kurz ins Innere.
„Oh Gott! Er rührt im Topf.“
Dann passierte etwas, was einfach denkende Gemüter mit Schicksal abtun. Stanley würde es noch Jahre später als nervöse Reaktion bezeichnen.
Benjamin ließ den Ball fallen.
Tausend Dinge jagten durch Stanleys Kopf und der Schweiß brach ihm aus allen Poren.
Dann prallte der Ball mit einem lauten Geräusch, das sich ein bisschen matschig anhörte, auf dem Boden auf.
„Lauf!“ brüllte Benjamin und Stanley hechtete los. Doch dann hörte er einen Schrei und wirbelte herum.
Das Fliegengitter stand offen und versperrte seinem Freund den Weg. Der alte Mann stand vor der Tür und blickte grimmig auf ihn hinunter.
„Hab dich!“
„Benjamin!“ brüllte Stanley. Der Alte blickte kurz in seine Richtung und erst jetzt fiel dem Jungen auf, dass er, obwohl er gebeugt da stand, riesig war. Dünne weiße Haare waren spärlich auf dem Kopf verteilt. Das Gesicht war alt und voller Falten, aber schien eine solche Bosheit auszustrahlen, dass die Gerüchte einfach wahr sein mussten.
„Was habt ihr kleinen Ratten hier draußen zu suchen?“ donnerte seine dunkle, tiefe Stimme und Stanley begannen die Knie zu schlottern. Was sollten sie jetzt nur tun?
„Nichts, Mister überhaupt nichts.“ stammelte Benjamin.
„Was? Nichts, Nigger? Dein Freund hat dich Benjamin gerufen. Wie wäre es, wenn wir deine Eltern anrufen und ihnen erzählen, dass ihr versucht habt in mein Haus einzubrechen? Vielleicht sollte ich aber auch einfach die Polizei rufen?“
Er hielt Stans Freund mit seinen klauenartigen Finger fest und Benjamin konnte sich nicht losreißen.
„Nein! Lassen Sie mich bitte gehen!“
„Wir haben nichts gemacht, Mister“ flehte Stanley. „Wir waren auf dem Heimweg.“
Der Mann drehte sich zu Stanley um.
Der Blick. So einen Blick hatte er noch nie zuvor bei irgendjemand gesehen und er würde es auch nie wieder. Aber er würde ihn nie vergessen und noch in den Nächten kurz bevor er mit Robert Foster sprach, würde er von Albträumen geplagt, nass geschwitzt erwachen und den Blick vor Augen haben.
„Wenn ihr nichts getan habt, dann komm her zu deinem Freund!“
Der rechte Fuß vor, dann der linke und wieder der rechte. Diese Schritte waren eine Qual. Er hatte das Gefühl als zöge er riesige Steinblöcke hinter sich her, die immer schwerer wurden.
Der Alte stieß Benjamin durch die Tür und Stanley folgte ihm. In der Küche stank es erbärmlich. Eine bleiche, gelbe Tapete verlieh dem Raum eine widerwärtige Atmosphäre und der schwarz- weiß gekachelte Küchenboden war total verdreckt.
Ein alter Kühlschrank summte laut in der Ecke und es schien so, als wäre er der Ursprung des Gestankes.
Hinter ihnen schloss Mister Barker die Fliegentür.
„Jetzt erzählt mir, was ihr hier macht!“ grollte er und drehte sich um.
„Nichts. Wir war doch nur auf dem Weg nach Hause.“ Mister Barker packte Stanley am Arm und jetzt wusste der Junge, warum sich Benjamin nicht hatte befreien können. Der Griff war wie ein Schraubstock. Genauso fest und genauso schmerzhaft.
„Warum müsst ihr verdammten Kinder immer hinter meinem Haus herumschleichen!“ brüllte er.
„Lassen Sie ihn los!“ schrie Benjamin.
Der Alte beugte sich zu Stanley herunter. „Immer am Herumschleichen, was?“ Sein Atem roch alt und faulig. Stanley spürte eine wachsende Übelkeit.
„Wir wissen nicht, wovon Sie sprechen.“
„Warum müsst ihr verdammten Kinder immer herumschleichen?“
„Lassen Sie mich los!“
Stanley machte in seiner Panik einen Schritt nach vorne um sich aus dem Griff des Mannes zu befreien. Damit hatte Mister Barker wohl nicht gerechnet, denn er stolperte und kippte nach hinten.
Dabei ließ er den Arm des Jungen los und fiel durch die Tür nach draußen.
Dann schlug er mit einem lauten, widerwärtigen Geräusch mit dem Kopf auf die Stufen auf.
Es dauerte knapp eine Minute, bis sich die Kinder bewegen konnten.
Benjamin näherte sich vorsichtig dem Körper von Mister Baker, der mit offenen Augen da lag, dass Gesicht in einer grotesken Maske aus Wut, Schrecken und Unglauben verzerrt.
„Wir haben ihn getötet!“ stammelte er.
Und auf einmal wurde es Stanley bewusst. Es war ein armer alter Mann. Natürlich war er verbittert gewesen. Wenn man einen solchen Ruf weg hatte, war das ein Quell für dunkle Legenden, die Kinder gekonnt ausweiten konnten. Der Alte hatte es einfach satt gehabt dauernd dafür herhalten zu müssen.
Mister Barker hatte keine Kinder gekocht oder gebraten; er war nur ein einfacher alter Mann. Sie hatten ihn ermordet.
Benjamin blickte sich um. „Was machen wir jetzt?“
Dann liefen sie beide los. Jeder zu sich nach Hause. Die Angst im Nacken, dass man sie gesehen hatte.
Nur der Ball lag wie ein stiller Betrachter neben dem Gesicht des Mister Barkers.

Robert trank den Rest aus seiner Flasche. Das klang einerseits ziemlich weit hergeholt, aber warum sollte sich der Alte so etwas ausdenken? Was hätte er davon gehabt? Nichts.
„Und was ist die Moral der Geschichte? Achtet die alten Menschen besser?“
„Es gibt keine Moral, Mister Foster. Die Geschichte soll Sie nicht belehren. Ich wollte mich nur etwas mit Ihnen unterhalten und diese Erfahrung jemandem erzählen, bevor mir die verdammte Demenz die auch geraubt hat.“
„Und? Der Ball hat Sie bestimmt verraten, oder? Ich meine, da waren doch Ihre Fingerabdrücke drauf.“ „Da und auch an der Tür und an Mister Barkers Kleidung. Benjamin und ich hatten die Hose randvoll, dass die Polizei an der Haustüre Klingeln würde. Benjamin besonders. Er war schwarz und damals waren die Menschen nicht so tolerant wie heute.
Aber die Polizei klingelte nie bei uns. Am selben Abend war ein Bericht in den Nachrichten. Demzufolge wurde ein alter Mann tot auf der Schwelle seiner Hintertür gefunden. Die Beamten gingen zuerst von einem Raubmord aus, doch als sie das Haus untersuchten, fanden sie im Keller über ein Dutzend verstümmelter Körper von Kindern.“
„Was?“
„Er hatte sie gekocht und gebraten. Es war keine Legende gewesen, es war die Wahrheit.“ Robert schwieg und mit einem Mal fröstelte es ihn ein bisschen und er fragte sich, ob es etwas kühler geworden war.
„Ich habe mir an jenem Abend vorgestellt, was alles hätte passieren können. Wir hätten die nächsten sein können.“ Der Alte stellte die nun leere Kaffeetasse ab und putzte sich die Nase.
„Haben Sie noch Kontakt zu Ihrem Freund?“ Stanley Lumley schüttelte den Kopf. Er starb voriges Jahr bei einem Autounfall.“ „Oh, das tut mir leid!“ „Braucht es nicht, unsere Zeit hätte schon viel früher abgelaufen sein können.“
Robert warf einen Blick auf die Uhr. „Ich sollte dann mal los. Meine Frau wird bald zu Hause sein.“
„Vielen Dank, das Sie mir etwas Gesellschaft geleistet haben.“ Erneut schüttelte Robert die Hand des Alten. „Wenn Sie mal Zeit haben, komm ich Sie mal besuchen.“ „Ich würde mich freuen.“
Stanley blickte dem Mann nach, bis er an der Kreuzung abbog. Er hatte ihm etwas verschwiegen: Er hatte von Anfang an gewusst, wer er war und wo er wohnte. Robert Foster war mit seiner Frau in Mister Barkers Haus gezogen. So wie viele vor ihm. Und auch nach ihm würden es noch viele tun, auch wenn er selbst es nicht mehr mitbekommen würde.
Denn es stimmte, was er gesagt hatte: Es gab keine Moral. Nicht in diesem Haus.

Ende