Schwarzes Hamburg
Schwarzes Hamburg => Archiv => Kunst & Kultur -Archiv- => Thema gestartet von: colourize am 19 Juli 2005, 14:02:32
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Die Verquickung von faschistischer Ästhetik mit erotischen Phantasien war ja schon mehrmals randliches Thema bei der ein oder anderen Diskussion hier. Jenseits der rechtskonservativen bis rechtsradikalen politischen Aufladung der Neofolk-Szene, die offenkundig deutliche Überschneidungsbereiche mit der "Schwarzen Szene" aufweist, interessiert mich die Frage, in wie fern eine "Entpolitisierung und Enthistorisierung des Phänomens Nationalsozialismus" durch die sadomasochistische Ausschlachtung dieses Themas ein für Euch tolerierbarer Weg ist.
Als populärkultureller Idealtyp für die sadomasoschistische Verklärung nationalsozialistischer Stereotype kann das Naziploitation-Filmgenre gelten, das mich zugegebener Maßen fasziniert.
Wie denkt Ihr darüber? 8)
Auf ein in diesem Zusammenhang vielleicht ganz interessanten Artikel sei an dieser Stelle verwiesen: Sadiconazista – Stereotypisierung des Holocaust im Exploitationkino (http://www.ikonenmagazin.de/artikel/sadiconazista.htm).
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interessiert mich die Frage, in wie fern eine "Entpolitisierung und Enthistorisierung des Phänomens Nationalsozialismus" durch die sadomasochistische Ausschlachtung dieses Themas ein für Euch tolerierbarer Weg ist.
Wenn manche Leute sowas -bzw. überhaupt etwas- brauchen, um was auch immer zu erreichen, bitte :)
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Naziploitation-Filmgenre
Magst Du den Begriff bitte mal ein wenig erklären? Ich kann damit garnichts anfangen.
Gruß,
N
Edit: Tut nicht mehr not, ich hab den Artikel gelesen..
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Wenn manche Leute sowas -bzw. überhaupt etwas- brauchen, um was auch immer zu erreichen, bitte :)
- Dem kann ich mich - wer hätt's gedacht?! :wink: - nur anschließen. Festzuhalten bleibt freilich: Es läßt tief blicken ...
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Magst Du den Begriff bitte mal ein wenig erklären? Ich kann damit garnichts anfangen.
Torus, Du hast vielleicht "Ilsa - She-Wolf of the SS" gesehen. Das ist ein klassischer Nazi-Exploitation-Film.
Nicht umsonst habe ich aber den o.g. Artikel verlinkt, der einiges an Hintergrundinformationen zu diesem Genre gibt. Dennoch, für die Lesefaulen unter Euch ein paar Zitate daraus:
Einige Anmerkungen zum dem englischen Begriff exploitation, der wörtlich übersetzt „Ausbeutung“ bedeutet: Er umschreibt die Intention des Filmemachers, aus einem populären Thema mit reißerischem Potential ein Höchstmaß an spektakulären Effekten zu gewinnen. Als Themen bieten sich alle Sujets an, die Voraussetzungen für die explizite Darstellung von Gewalt- und Sexualakten garantieren: Prostitution, Halbwelt, Subkulturen, Gefängnisse, Gefangenenlager, Bürgerkriegssituationen, Sekten, Kannibalismus, Inquisition, Sklaverei; immer spielen von Dominanz und Unterwerfung geprägte Zwangssysteme eine Rolle. In den siebziger Jahren, die durch eine Lockerung der Zensurbestimmungen neue Voraussetzungen in der Filmwirtschaft geschaffen hatten, kam es regelmäßig zu ganzen Zyklen thematisch ähnlich gelagerter Exploitationfilme, die sich jeweils dem Erfolg eines aufwendiger produzierten Vorbildes anschlossen
(...)
In dieser Zeit (etwa 1968 bis 1982) spezialisierten sich nicht nur einzelne Regisseure auf die Produktion von Exploitationfilmen, sondern auch ganze Produktionsfirmen, wie z.B. in Italien Fulvia und S.E.F.I. Cinematografica, in Frankreich Eurocine und in der Schweiz Erwin C. Dietrich, der seinerseits eine Reihe von Frauenlagerfilmen produzierte und inszenierte. Die Sadiconazista-Filme, die zu achtzig Prozent in Deutschland weder im Kino noch auf Video zu sehen waren, werden in der Undergroundfilm-Presse nicht ganz ungerechtfertigt stets im Zusammenhang mit den gleichzeitig populären Frauenlager- und Frauengefängnisfilmen besprochen. Derek Flint ließ sich in seinem „SS-Sluts“-Artikel im britischen Fanzine „Redeemer“ (Vol. 1 / No. 2, S.10) allerdings zu dem Schluß hinreißen, eine gesonderte Stellung der Nazi-Exploitation aufgrund der Verwendung tabubelasteter Versatzstücke und Themen sei angesichts der formalen Gleichung unergibig und schlägt eine Einordnung dieser Werke neben den Hexenjäger- und Lagerfilmen vor.(...)
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es sich beim exploitativen Sadiconazistafilm weder um eine politische Botschaft noch um tatsächliche Pornographie oder etwa Gewaltpornographie handelt, auch wenn einige der Beispiele wenig geschmackssicher mit dokumentarischen Quellen ‘spielen’. Diese Filme sind der Versuch, vorhergehende Filmszenarien wie Der Nachtportier auf ihre sadomasochistische Fabel zu reduzieren, um einem exzessiven patriarchalen Zerstörungs- und Todestrieb unterhaltsam zu huldigen. Historische Elemente und die tatsächliche sadomasochistische Dialektik zwischen aktivem und passivem Partner werden dabei mißbraucht und verfälscht.
(...)
Susan Sontag widmet sich der Untersuchung des medialen Bildes vom Nationalsozialismus und Faschismus in ihrem Aufsatz „Fascinating Fascism II“. Dort geht sie dann von einem Militaria-Bildband zum Thema „SS-Regalia“ aus, um über die erotische Ausstrahlung nationalsozialistischer Symbole und Versatzstücke (Uniformen, Waffen etc.) nachzudenken. Von einer kurzen Beschreibung kommt sie schließlich zur zentralen Frage: Was ist an den Veräußerlichungen eines bürokratisierten, hygienefanatischen, totalitären Systems erotisch?
Daß militärische Uniformen bisweilen zu einem sexuellen Fetisch erhoben werden, ist bekannt und des öfteren in Fachpublikationen aus dem Bereich der sexuellen Phänomenologie knapp behandelt worden. Eine eingehende Analyse dieses Phänomens blieb bisher allerdings aus. Einen diskussionswürdigen Ansatz liefert Valerie Steele in ihrem Buch „Fetish“ (1996):
„Military Uniforms are probably the most popular prototype for the fetishist uniform because they signify hierarchy (some command, others obey), as well as membership in what was traditionally an all-male group whose function involves the legitimate use of physical violence.“
(...)
Tatsächlich wird der Uniformträger im Unterhaltungskontext offenbar anders rezipiert als etwa im Dokumentarfilm. Der Medienwechsel vom Foto zum Spielfilm scheint diese Veränderung zu bedingen: Die filmisch projizierte Uniform wird ihrerseits zur Projektionsfläche sexueller Wünsche und Phantasien. Die sexuelle Konnotation der Uniform rührt von der offensichtlichen sexuellen Erregung her, die einige Leute mit Gewalt und dem damit einher gehenden Verhältnis von Dominanz und Unterwerfung verbinden. In diesem sexuellen Kontext wird es zumindest nachvollziehbar, warum immer wieder auf das Klischee der Uniformierung nach den Vorgaben der faschistischen Ästhetik zurückgegriffen wird, wenn es um die Dämonisierung von Charakteren geht. Susan Sontag vermutet, die SS-Uniform bietet sich vor allen anderen an, da die SS ihren Herrschaftsanspruch ins Dramatische überhöhte, indem sie sich gewissen ästhetischen Regeln unterwarf: „SS uniforms were stylish, well-cut, with a touch (but not too much) of eccentricity“.
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Ich denke es gibt Tabus, die auch Tabus bleiben sollten. Nicht nur aus Respekt vor den Toten und den Überlebenden. Ich finde es einfach scheiße, aus dem Nationalsozialismus ein Kuriositätenkabinett oder einen pornografischen Abenteuerspielplatz zu machen.
Zitierwürdig finde ich folgenden Abschnitt aus dem Text im Ikonenmagazin:
Abschließend ein polemischer Kommentar von Michel Foucault zum Sadiconazista-Phänomen aus dem Jahr 1976: „Das ist ein gewaltiger Irrtum über die Geschichte. Der Nazismus wurde im 20. Jahrhundert nicht von den Verrückten des Eros erfunden, sondern von den Kleinbürgern, den übelsten, biedersten und ekelhaftesten, die man sich vorstellen kann. Himmler war eine Art Landwirt, der eine Krankenschwester geheiratet hatte. Man muß begreifen, dass die Konzentrationslager der gemeinsamen Phantasie einer Krankenschwester und eines Hühnerzüchters entsprossen sind. [...] Man hat dort Millionen Menschen getötet, ich sage dies also nicht, um die Vorwürfe zu entkräften, die es diesem Unternehmen zu machen gilt, sondern gerade um es von allen erotischen Werten zu entzaubern, die man ihm zuschreiben wollte.“
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Ich denke es gibt Tabus, die auch Tabus bleiben sollten. Nicht nur aus Respekt vor den Toten und den Überlebenden. Ich finde es einfach scheiße, aus dem Nationalsozialismus ein Kuriositätenkabinett oder einen pornografischen Abenteuerspielplatz zu machen.
Tja, das ist das Komplizierte daran. Die Einen wollen die Tabu's, die Anderen finden's "doof". Wer muss nun warum wo welche Kompromisse eingehen und wer entscheidet wann das wo in welchem Maße gerechtfertigt ist? ;)
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Ich denke es gibt Tabus, die auch Tabus bleiben sollten.
kannst du ein Tabu nennen, das sich über einen wirklich langen Zeitraum als solches gehalten hat?
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kannst du ein Tabu nennen, das sich über einen wirklich langen Zeitraum als solches gehalten hat?
"Demokratie funktioniert."
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kannst du ein Tabu nennen, das sich über einen wirklich langen Zeitraum als solches gehalten hat?
Ich formuliere es mal positiv: Ich glaube, dass es gesellschaftliche Werte gibt, die es zu verteidigen lohnt - und zwar dauerhaft. Ich glaube weiterhin, dass es einen weitreichenden gesellschaftlichen Konsens in diesem Staat über die meisten dieser Werte gibt. In diesem Sinne halte ich mich für ausgesprochen wertkonservativ.
Die nationalsozialistische Ideologie steht zu diesen Werten definitiv im Widerspruch. Aus dieser Tatsache ziehe ich die Konsequenzen.
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Hm, interessantes Thema, ich habe mich auch schon gefragt, warum im Ausland in Fetisch- und Gothicdiscos Uniformen und vermehrt Nazi- bzw. SS-Uniformen zu sehen sind.
Nachdem ich diesen Thread las, habe ich mal bei meinen Mitbewohnerinnen rumgefragt, was sie von Uniformen halten. Es gab sechs mal die selbe Antwort: Uniformen sind ein #1-Anturner! Und die Damen haben garantiert nichts mit der Gothic-Szene zu tun.
Seinen wir mal ehrlich: Man kann ja über die Nazis sagen, was man will, aber eines wussten die Typen, nämlich wie man verdammt beeindruckend aussieht.
(http://membres.lycos.fr/histoiredefrance/images/afficheWaffenSS1.jpg)
Ausserdem repräsentiert nichts auf eine solch furchteinflößende Weise Macht, wie diese Uniform. Wer auch immer mit einem deart Uniformierten zu tun hatte, wusste, er sagt jetzt besser nichts falsches sonst geht es um seinen Arsch. Das erschreckende an den Nazis war ja auch nicht nur ihre Macht, sondern auch ihre Grausamkeit, und vor allen Dingen die Willkür, mit der sie sie begingen. Diese Macht, alles tun zu dürfen ohne bestraft zu werden ohne sich rechtfertigen zu müssen und ohne eine Möglichkeit des Widerstands ist denke ich, was die SS und die Nazis so bedrohlich macht. Die Nazis hatten eine extrem absolute Form der Macht.
Letztendlich ist das die Perfekte Repräsentation dessen, was (manche) devote SMler suchen: Ausgeliefert zu sein. (Gespielte...) Angst, Willkür und Gewalt. Er drückt ihr den Stiefel ins Gesicht und sagt zu ihr: "Du bläst mir jetzt einen, oder du wanderst direkt in die Gaskammer". Wer solche Spielchen mag....:shock:
Dazu kommt natürlich der Tabubruch. Das ist besonders für den Top interessant. Er weiss, wie er auf andere wirkt, welche Gefühle er auslöst. Vielleicht ist es auch gerade die Abscheu, die er geniesst, wenn er die Blicke auf sich fühlt. Stärker als durch eine SS-Uniform kann man nicht provozieren. Niemand weiß, ist es nur ein Spiel oder wäre er gerne wirklich ein SS-Soldat? Ich habe Leute getroffen in Israel, die kein Deutsch hören konnten, ohne Angst zu bekommen. Wie muß ein solcher SS-Soldat wirken. Das ist dem Uniformträger natürlich bewußt....
Nun, hier stellt sich allerdings die Frage, ob das in Deutschland so einfach ist. Wenn die Leute in ihrem Schlafzimmer schmutzige Spielchen spielen geht das natürlich OK, solange es allen beteiligten Spaß macht. Jedoch würde jemand in der Öffentlichkeit mit einer SS-Uniform herumlaufen, würde er vermutlich nicht weit kommen und ziemlich schnell was auf die zwölf kriegen. Mit Recht. Trete ich öffentlich auf, verbreite ich eine Botschaft, und die Botschaft will ich nicht auf deutschen Straßen sehen.
In den Allierten Staaten kommt noch dazu, dass die Leute dort einen großen Teil ihres nationales Selbstwertgefühl aus dem Sieg über Hitler ziehen. Die deutschen Generäle sind dort oft Kultfiguren, allen voran Rommel, und dort wird das vielleicht eher noch als Witz aufgefasst. Jedenfalls darf Prinz Harry jetzt immer noch König von England werden.
Der Uhu
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Jedenfalls darf Prinz Harry jetzt immer noch König von England werden.
Ich dachte William ist der Thronfolger. :P
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Vielleicht hat Harry ja Glück und William erstickt an einer Fischgräte oder so ähnlich!
King Harry klingt auch viel geiler als King William!!! :P :D
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OT: Was sagen Deine Kibbutzniks eigentlich dazu, dass Du vom Amts-PC der Kolchose aus Bilder von der Waffen-SS verbreitest?
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Bin ja wieder daheim. :P Och und ich tue es ja nicht aus Propagandazwecken. Ich selbst bin ja weder Nazi noch Uniformfetischist. Aber sind doch ein paar stramme Kerlchen auf dem Bild. Da können einer uniformverliebten Sub doch schon mal die Knie weich werden... :wink: :twisted: (Meine Kibbutzniks gehören übrigens eher weniger dazu. Nebenbei: Israelische Uniformen sehen total scheiße aus! Da kann man sich jeden Uniformfetischismus abgewöhnen, denn die sieht man da auch an JEDER, absolut jeder, Ecke.)
Aber danke, daß Du mich daran erinnerst, meinen Wohnort in meinem Profil zu aktualisieren.
Übrigens: Kann hier jemand französisch? Ich wüsste gerne, was auf dem Plakat steht.
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@phaylon: war ja klar, das dein Reizthema #1 da wieder auftaucht. ;)
@Transmission: Das man sich über bestimmte Wertvorstellungen einig ist, bedeutet aber noch lange nicht, das bestimmte Themen tabuisiert werden müssen, die mit diesen Vorstellungen nicht konform gehen, oder?
@Uhu: der Spruch auf dem Bild besagt:"mit den europäischen Kameraden unter dem Zeichen der SS wirst du siegen".
Wenn mich mein mieses Schul-Französisch nicht im Stich lässt. ;)
@Topic: Schwieriges Thema. An sich finde ich Tabubrüche in jeglicher Form toll. Auf der anderen Seite merken manche Menschen einfach nicht, wann aus einer Provokation durch übermäßigen Gebrauch eine Gewohnheit wird. Und eine schleichende Gewöhnung an die Verwendung von solchen Symbolen etc. ist sicherlich das letzte, was man möchte. Von daher würde ich sagen: in Maßen geniessen, nicht zu sehr und zu oft nach aussen tragen, dann ist das schon ok. :)
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Ich habe bisher keinen „Naziploitation-Film“ gesehen, daher kann ich mich nur auf die Informationen in dem Essay, sowie auf ein paar von mir gefundenen Informationen stützen.
Um meine Vermutungen zu untermauern, habe ich im Internet ein paar Informationen zu einem in dem Essay genannten Regisseur - Pier Paolo Pasolini - gesucht.
Hier vielleicht etwas interessantes vorab zu Pasolini:
Pier Paolo Pasolini ermordet
Einer der meistdiskutierten Filmregisseure Italiens wurde am 1. November 1975 unter ungeklärten Umständen ermordet. Pier Paolo Pasolini war wegen seiner kompromisslosen und ideologischen Position einer der provozierendsten Vertreter der italienischen Literatur- und Filmszene der Nachkriegszeit.
Bevor er 1961 als Filmregisseur in Erscheinung trat, war Pasolini als Drehbuchautor für Fellini und Bolognini tätig.Kurz nach der Premiere seines provozierenden Films «120 Tage von Sodom« wurde er von einem Unbekannten erstochen.
Quelle:
http://www.sfgb-b.ch/d/4/tgprojekt/70erJahre_26_8/html/6_geschichte/ge_1975_themen.html
Ein paar Informationen zu seinem Film „Die 120 Tage von Sodom“:
Die 120 Tage von Sodom ist ein Spielfilm des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1975. Der Film basiert auf dem Buch Die 120 Tage von Sodom von Marquis de Sade.
Der Film ist in der „Italienischen Sozialrepublik“, der sogenannten Republik von Salò, angesiedelt, einem faschistischen Marionettenstaat im von Nazideutschland besetzten Norditalien. Vertreter des untergehenden Regimes, die als moralisch und sexuell verkommen beschrieben werden, setzen Angehörige des Widerstands mit Waffengewalt in einem Anwesen gefangen. Die Behandlung der Gefangenen steigt in Extreme an, so bekommen sie Kot zu essen und werden wie Tiere an der Leine geführt. Am Ende werden sie von den Schergen der Faschisten brutal ermordet.
In der Erzählstruktur lehnte sich Pasolini an Dantes Inferno an: Der Film ist in drei Segmente geteilt, die Höllenkreise der Leidenschaft, der Scheiße und des Blutes, von denen aus Parallelen zur Vorhölle der Göttlichen Komödie gezogen werden können.
Der Film gilt bis heute als eines der umstrittensten Werke der Filmgeschichte. Wegen seiner offenen Darstellung von Vergewaltigung, Folter und Mord wurde der Film in vielen Ländern indiziert. In Deutschland kam erst 2003, 28 Jahre nach der Entstehung des Films, eine ungekürzte Fassung in die Kinos.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_120_Tage_von_Sodom_%28Film%29
Auch diesen Film habe ich nicht gesehen – aber dennoch bin ich gerade in der Stimmung, Niemandem meine Spekulations-Kekse vorenthalten.
Die 70er waren von vielen umbruchartigen Tendenzen geprägt. Meine Vermutung: die Filme provozieren nicht nur eine gewagte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Hegemonie des Nationalsozialismus, die die dunklen, unkontrollierbaren Wege der Verführungsmöglichkeiten auf unterschiedlichsten Ebenen aufzeigt und damit einen möglichen Erklärungsversuch für das Entstehen einer reibungslos funktionierenden Todesmaschinerie, in dem jedes Rädchen bis zur Perfektion zugespitzt aufeinander abgestimmt und eingespielt ist und sich mitdreht.
Darüber hinaus provozieren sie zudem auch eine Auseinandersetzung mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen und Fragestellungen, die auch auf das Aufkommen des Feminismus und der erstmals auch öffentlichen Organisierung der Schwulenbewegung anspielt.
Geschichte der Homosexuellenbewegung 1970-79 (http://www.gaystation.info/?/search?Q=homosexuellenbewegung)
Es werden die unterschiedlichsten Norm- und Wertvorstellungen radikal in Frage gestellt.
Und nein, damit will ich das diesbezügliche Filmgenre keinefalls glorifizieren, obgleich ich zugeben muss, dass mich diese Art von Gilmgenre unter einem speziellen Aspekt betrachtet sogar reizt.
Auf der anderen Seite haben wir die Darstellung in dem Essay, die auf die gelinde gesagt reichlich gewagte Verschiebung von grausamsten Realsadismus auf erotischen Sadismus und auf die Gefahr der medialen und sexualüberlagerten Ausschlachtung solch sensibler Geschichtskapitel und Themen hinweist.
Ich halte dieses Film-Grenre in der Tat für äußerst problematisch. Provoziert es einerseits die Auseinandersetzung mit der Macht der Verführung, die in diesem Falle wohl in einen stark sexuellen Kontext gehoben wurde, obgleich dies vielleicht gar nicht mal so sehr auf Sexualität zu beziehen ist, sondern auf die Verführung durch politische Macht, und die Gefahren, durch welche diese in unserem Unterbewusstein nagende Wünsche sprießen lässt.
Auf das Vorherrschen spezifischer Werte-und Normvorstellungen und deren blinde und auch gezwungener Bejahung, da sich der Normalsterblicher nicht der Süße der Verführung durch Macht entziehen kann (zum Beispiel das Frauenbild, sowie die Stellung der Frau aber auch des Mannes innerhalb der Gesellschaft, Obrigkeithörigkeit, Werte-Internalisierung durch Sozialisation usw.). So meine Theorie dazu. Sieht man das Aufkommen dieser Filme zudem noch vor den aktuellen Hintergründen des Zeitgeschehens, ergibt sich zudem ein weiterer Sinn (s.o.)durch die Kanalisierung der historischen Inhalte und Verschiebungen in einen sexuell dominierten Kontext.
Andererseits sei auch nicht zu verachten, dass dieses Film-Genre eine äußerst geschmacklose und rücksichtlose Verwurstung des Themas zum Besten gibt, das den Opfern und dem Wertesystem des europäischen Bürgers mehr als aufzustoßen scheint -so könnte man auch argumentieren – und, zweifellos, einen extrem problematischen Umgang mit solchen Themen publiziert. So liegt auch der Verdacht der Sensationsheischerei, die sich in diesem Ouevre bereits unter der Gürtellinie des schlechten Geschmackes bewegt, reichlich nahe.
Schwierig – sollte da noch eine Entscheidungsmöglichkeit bestehen, sollten diese Filme aus meiner Sicht nicht dergestalt veröffentlicht werden, als dass sie beispielsweise in einem leicht zugänglichen Massenmedium wie dem Fernsehen gesendet werden. Jeder sollte selbst entscheiden können, ob er sich dergestalt damit konfrontieren möchte, oder nicht. Dennoch: die Kunst ist frei.
Aber wo lassen sich da die Grenzen ziehen?
Wo endet die Kunst, und wo beginnt die Geschmacklosigkeit. Und darf Kunst geschmacklos sein? 8)
OT: Uhu, der Text auf dem Plakat bedeutet übersetzt soviel wie: „Mit deinen europäischen Kameraden wirst du unter dem Zeichen der SS siegen“
Edit: Hups, da ist mir Toxic bereits zuvor gekommen (Übersetzung)-gerade erst gesehen
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@phaylon: war ja klar, das dein Reizthema #1 da wieder auftaucht. ;)
Ich seh das ja eigentlich mehr als Hobby ;)
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@phaylon: war ja klar, das dein Reizthema #1 da wieder auftaucht. ;)
Ich seh das ja eigentlich mehr als Hobby ;)
... natürlich nicht ohne nebenbei eine Normalitäts-Vorstellung mitzuliefern, wie Sexualität zu sein hat.
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... natürlich nicht ohne nebenbei eine Normalitäts-Vorstellung mitzuliefern, wie Sexualität zu sein hat.
Na dann spuck's mal aus, wie hat denn Sexualität für mich zu sein?
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Popcorn und Cola! Schnell! :P
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... natürlich nicht ohne nebenbei eine Normalitäts-Vorstellung mitzuliefern, wie Sexualität zu sein hat.
Na dann spuck's mal aus, wie hat denn Sexualität für mich zu sein?
So genau weiss ich das nicht, aber Normalitätsvorstellungen können sich ja auch darin ausdrücken, wie etwas nicht sein sollte:
Wenn manche Leute sowas -bzw. überhaupt etwas- brauchen, um was auch immer zu erreichen, bitte :)
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Kenne die genannten Filme auch nicht, habe den Essay nicht bis ganz zum Schluss gelesen, aber es ist wohl sowieso schon klar, dass ich
1. mit gezeigten Eierstockoperationen, Folterszenen, Kannibalismus
sexuell nichts anfangen kann
2. Uniformen schlicht nicht ästhetisch und auch nicht erotisch (ansprechend...) finde
3. mit solch "gesteigerter" - überzogener?!- Form von "Dominanz und Unterwerfung" ebenfalls nichts anzufangen weiß bzw. es mich nicht neugierig macht und nicht "reizt"
Weiß nicht, ob ich Lilyanar richtig verstanden habe, aber kann mich dem (s.u.) doch anschließen, denke ich:
Auf der anderen Seite haben wir die Darstellung in dem Essay, die auf die gelinde gesagt reichlich gewagte Verschiebung von grausamsten Realsadismus auf erotischen Sadismus und auf die Gefahr der medialen und sexualüberlagerten Ausschlachtung solch sensibler Geschichtskapitel und Themen hinweist.
Ich halte dieses Film-Grenre in der Tat für äußerst problematisch. Provoziert es einerseits die Auseinandersetzung mit der Macht der Verführung, die in diesem Falle wohl in einen stark sexuellen Kontext gehoben wurde, obgleich dies vielleicht gar nicht mal so sehr auf Sexualität zu beziehen ist, sondern auf die Verführung durch politische Macht, und die Gefahren, durch welche diese in unserem Unterbewusstein nagende Wünsche sprießen lässt.
Auf das Vorherrschen spezifischer Werte-und Normvorstellungen und deren blinde und auch gezwungener Bejahung, da sich der Normalsterblicher nicht der Süße der Verführung durch Macht entziehen kann (zum Beispiel das Frauenbild, sowie die Stellung der Frau aber auch des Mannes innerhalb der Gesellschaft, Obrigkeithörigkeit, Werte-Internalisierung durch Sozialisation usw.). So meine Theorie dazu. Sieht man das Aufkommen dieser Filme zudem noch vor den aktuellen Hintergründen des Zeitgeschehens, ergibt sich zudem ein weiterer Sinn (s.o.)durch die Kanalisierung der historischen Inhalte und Verschiebungen in einen sexuell dominierten Kontext.
Andererseits sei auch nicht zu verachten, dass dieses Film-Genre eine äußerst geschmacklose und rücksichtlose Verwurstung des Themas zum Besten gibt, das den Opfern und dem Wertesystem des europäischen Bürgers mehr als aufzustoßen scheint -so könnte man auch argumentieren – und, zweifellos, einen extrem problematischen Umgang mit solchen Themen publiziert. So liegt auch der Verdacht der Sensationsheischerei, die sich in diesem Ouevre bereits unter der Gürtellinie des schlechten Geschmackes bewegt, reichlich nahe.
Schwierig – sollte da noch eine Entscheidungsmöglichkeit bestehen, sollten diese Filme aus meiner Sicht nicht dergestalt veröffentlicht werden, als dass sie beispielsweise in einem leicht zugänglichen Massenmedium wie dem Fernsehen gesendet werden. Jeder sollte selbst entscheiden können, ob er sich dergestalt damit konfrontieren möchte, oder nicht. Dennoch: die Kunst ist frei.
Aber wo lassen sich da die Grenzen ziehen?
Wo endet die Kunst, und wo beginnt die Geschmacklosigkeit.
(Lilyanar)
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So genau weiss ich das nicht, aber Normalitätsvorstellungen können sich ja auch darin ausdrücken, wie etwas nicht sein sollte:
Wenn manche Leute sowas -bzw. überhaupt etwas- brauchen, um was auch immer zu erreichen, bitte :)
Da ging's allerdings nicht um die Sexualität, sondern um
in wie fern eine "Entpolitisierung und Enthistorisierung des Phänomens Nationalsozialismus" durch die sadomasochistische Ausschlachtung dieses Themas ein für Euch tolerierbarer Weg ist.
Ich hab's dir hilfsweise auch fettgedruckt :o) Wenn du eine Betonung auf "sowas" heraushörst, sei darüber informiert, dass dies Geschriebenes ist. Wenn ich etwas betont haben wollte, hätte ich es getan ;)
Und wenn du darin eine Bewertung sexueller Praktiken siehst, nimm den Zettel vorm Gesicht weg, und nimm dir mal den Typen vor, der ihn da hingehängt hat *scnr*
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Ok.. ich hab tatsächlich einen anderen semantischen Bezug in Deinen Satz hineingelesen.
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Guten Abend,
ich frage mich ob der Mensch der sich derartige Filme anschaut nicht recht genau zwischen dem Wirklichem Gräul der NS-Diktatur und dem filmischen/ausgedachtem Gräul das in derartigen Filmen gezeigt wird (von denen ich auch keinen kenne).
Die Theorie von Lilyaner bezüglich der umbruchs Tendenzen finde ich sehr interessant.
De Sade schrieb die 120 Tage von während seiner Gefangenschaft in der Bastille (er war einer der Gefangenen der bei dem Sturm auf diese Befreit wurden) also auch in den Zeiten des politischen/gesellschaftlichen Umbruchs.
Auch legt er doch in dem Buch sehr viel wert auf genaue Berechnungen.
Es wird am Ende genauestens dargelegt wieviele Menschen gestorben sind und wieviele Menschen zu welchen Tätigkeiten benutzt wurden.
Diese Art von grausamer Bürokratie taucht meiner Ansicht nach wieder in der Diktatur der Nazis auf.
mit freundlichen Grüßen
Frl. Krause