Schwarzes Hamburg

Schwarzes Hamburg => Archiv => Politik & Gesellschaft -Archiv- => Thema gestartet von: atomheartmother am 10 Mai 2005, 07:01:22

Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: atomheartmother am 10 Mai 2005, 07:01:22
Ich bin Student bei University of Wisconsin-La Crosse (USA) und studiere Psychologie und Deutsch. Wegen meiner Interessen, beschloss ich über die Vergangenheitsbewältigung für die Semesteraufsatz meiner deutschen Kultur Kurs zu schreiben. Das Thema, das ich erkunden möchte, ist "Warum gibt es Vergangenheitsbewältigung in Deutschland aber keine in der USA order in anderen europäischen Länder?" Jede Länder hatten in der Vergangenheit Abscheulichkeiten gemacht. Zum Beispiel, in der USA hatten wir Sklaverei, die Vernichtung des Indianers, die sehr ähnlich der Holocaust war, und so weiter. Aber die Mehrheit Amerikaner ist diese Abscheulichkeiten ihnen egal.

Warum glauben Sie, dass es Vergangenheitsbewältigung in Deutschland gibt?  Denken Sie, dass älter Deutsche die Vergangenheitsbewältigung unterschiedlich als junger Deutsche erleben?  Wie erleben die heutige Jugend die Vergangenheitsbewältigung?  Wie erleben die Erwachsene und die ältliche Erwachsene die Vergangenheitsbewältigung?  Ich will wissen, wie die zeitgenössische Deustche erlebt die Vergangenheitsbewältigung.

Warum glauben Sie, dass es keine Vergangenheitsbewältigung in der USA oder in anderen europäischen Länder gibt? Was sind die kulturellen Unterschieden zwischen Deutschland und die USA, die erklären warum es keine Vergangenheitsbewältigung in der USA und andere Länder gibt?

Glauben Sie, dass Deutsche eine Kollektivschuld über den Holocaust fühlen?

Ich will wissen, was Sie wirklich meinen. Ich könnte in einem Buch oder im Internet die Information suchen, aber ich denke, dass es mehr wichtig ist was die alltäglichen Deutshe glaubt.

Ich will auch wissen wie alt Sie sind, um Richtungen nach Altersgruppe zu bemerken.

Es tut mir leid, wenn ich jemand unbequem gemacht habe.
 
Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Wenn ich Fehler gemacht habe oder wenn Sie Etwas nicht verstehen, sagen Sie mir bitte.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Foolx am 10 Mai 2005, 09:48:33
Ein nettes Thema...

Warum fühlen "wir Deutsche" uns schuldig?
Zum einem natürlich weil etwas schreckliches in unserer Geschichte vorgefallen ist.
Klar, ich war nicht dabei, warum also habe ich dennoch das Gefühl als "Nazi" abgestempelt zu werden sobald ich sage das "Wir Deutsche" etwas tun oder fühlen sollten? Es ist uns sozusagen in die Wiege gelegt das Nationalstolz = Nazi bedeutet.
Würde jemand den Türken verbieten Stolz ihre Fahne zu schwenken wenn sie einen Sieg im Fussball errungen haben?
Man siehe einmal die Türkische Zeitschrift..... Name vergessen, auch nicht wichtig.
Jedenfalls steht auf jeder einzelnen Ausgabe ein kleiner Türkischer Satz auf der 1. Seite. Dieser bedeutet Sinngemäß übersetzt: "Die Türkei den Türken!".
Die dürfen das, die hatten keinen Führer. Wenn jemand in der deutschen Politik nur 1x zu häufig Nationalstolz erkennen läßt, kann er zurücktreten.
Um zum Thema zurück zukommen:
Ich als Mensch von geradex 23 Jahren kann absolut nichts für all den Scheiß der damals bis 45 und zum teil noch danach gelaufen ist. Ich habe bis auf übliche Rangeleien nie probleme mit Ausländern gehabt oder einen Hass auf Juden. Warum sollte es mir eigentlich verboten sein "Stolz" auf mein Vaterland zu sein? Man könnte nun sagen "Weil es nichts gibt worauf man Stolz sein kann in D" und das würde sogar wahrscheinlich stimmen. Aber wir dürfen auch so nicht zu unserem Land halten da wir gleich Verbrecher sind. Überall sonst ist es normal.
Natürlich dürfen wir die USA auch nicht angreifen wegen dem Dreck den sie sich geleistet hat (und meiner Meinung nach hat sie wirklich viel viel schlimmeres getan UND TUT ES NOCH!).
Wenn jemand aus Deutschland zu "Den Amis" geht und sagt "Was ihr euch damals mit den Indianern..." wird gleich mahnend der Finger gehoben "Aber Hitler.."
Es kommt gar nicht erst zu einem "anklagen" für die Taten da unsere Vergangenheit uns offenbar international verbietet etwas anzuklagen.

Meiner Meinung nach sollte unser Land längst über unsere Vergangenheit erhaben sein, zwar drauß lernen, jedoch nicht künftiges dafür opfern...
Aber offenbar ist das das Vermächtnis von Hitler.: Er wollte ein 1000 jähriges Reich, und leider sind erst über 70 Jahre um.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Rose am 10 Mai 2005, 13:37:17
In Deutschland gibt es Vergangenheitsbewältigung, da Deutschland verloren hat.
Die USA waren eigentlich immer Siegermacht und da der Satz "Geschichte wird von Siegern geschrieben" sich leider doch immer wieder bewahrheitet.
Die USA haben Japaner während des Pazifikkrieges über in Lager gesperrt - "aber Hitler" - das Abwerfen der Atombombe war militärisch gesehen überflüssig, dass es andere Gründe gab ist unstrittig.

Ich zumindest fühle keine Kollektivschuld, ich fühle aber sehr wohl eine Art Verantwortung des Gedenkens und daran Anteil zu haben, dass so etwas nicht nochmal passiert. Das mag aber auch daran liegen, dass meine Genertion das von Anfang an so eingeimpft bekommen hat. Ich bin 21 und habe eigentlich jede Dokumentation von unserem "nationalen Gedächnis" Guido Knopp gesehen.
Natürlich war es schrecklich, dass der Holocaust stattfinden konnte. Aber ich fühle mich nicht dafür verantwortlich, auch als Teil aller Deutschen nicht.
Man kann nun einmal nur im Rahmen seiner Zeit etwas ändern.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Der Uhu am 10 Mai 2005, 13:42:00
1. Der Holocaust war nicht der erste Genozid dieser Groessenordnung, aber der erste der so industriell geplant durchgefuehrt wurde. Das war nicht nur ein Schock fuer andere Voelker sondern auch fuer die Deutschen, die nun feststellen mussten, was fuer Kreaturen aus ihnen geworden waren. Etwa wie ein Taeter, der vor seinem gerade getoeteten Opfer steht und realisiert, was er getan hat.

2. Ein ganzes Volk ist fuer 12 Jahre Amok gelaufen. Das ist jedem Deutschen klar, und weil niemand will, dass das nochmal passiert, wird die Aufklaerung ueber diese Ereignisse in deutschen Schulen und Medien exessiv betrieben.

3. Die Amis und Briten wurden nie fuer ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. Die Deutschen schon, denn sie sind ja von den Alliierten erobert und die alte Fuehrung in Nuernberg vor Gericht gestellt worden. Die Deutschen waren fuer Jahrzehnte das Volk der Nazischweine und jeder, der Lust dazu hatte konnte auf sie spucken. Ein Taeter, der bei seinem Verbrechen nie erwischt und vor Gericht gestellt wurde, hat es auch leichter mit seiner Tat und sich selbst klar zu kommen, als der Taeter, der erwischt wurde und vor der ganzen Nation an den Pranger gestellt wird. Haette irgendjemand Grossbritannien erobert und dessen Kolonien befreit und die britischen Regierenden und die Koenigin vor Gericht gestellt, wuerde man heute auch mehr ueber die Ereignisse in den Kolonien sprechen.

4. In den USA (und anderswo auch) wird das Nazi-Image Deutschlands gerne gepflegt. Man muss nur mal bei einer Amerikanischen Nachrichten-Website oder in einem Forum wie diesem hier "Germany" als Suchbegriff eingeben und man bekommt zwei Arten von Meldungen: Nazi-News ueber WWII, Holocaust etc. oder Irak-News, indem sich die Amis darueber beschweren, warum sich ein Land mit einer solchen Vergangenheit heute anmasst ueber Menschenrechte zu reden und das die Nazischweine aus Germany doch mal bitte schoen die Klappe zu halten haben. Man mag es, uns an unsere Vergangenheit zu erinnern, damit man unsere Argumente wegfegen kann. Und darum sind wir immer wieder gezwungen uns damit auseinanderzusetzen. Ich bin seit Februar in Israel und in der ganzen Zeit ist mir keine Zeitung untergekommen ohne "Nazi-News", jeden Tag, ohne Ausnahme WWII. Ausserdem faengt jeder Ami an zu masturbieren, wenn er nur an die Heldentaten seiner Nation gegen die Nazis denkt. Die wahren Umstaende des amerikanischen Kriegseintritts und dessen Zeitpunkt und die ueber 50 anderen Alliierten spielen da keine Rolle. Amerika, als eine Nation, die ihr Nationalgefuehl aus ihren Kriegen bezieht, braucht Feinde, sonst koennen die Amis ihr Nationalgefuehl nicht ausleben.

5. In anderen Staaten, zum Beispiel in der Tuerkei, wuerde eine historische Aufarbeitung die Regierung schwaechen, denn die Bevoelkerung fuehlt sich in ihrem Nationalstolz beleidigt, wenn man sie darauf anspricht. Die Tuerken verfallen ja gerade in so eine Art Nationalismus-Hysterie wegen der Geschichte mit den Armeniern. Sie haben sogar ein Museum errichtet fuer die tuerkischen Opfer der armenischen Aggressoren. Man stelle sich vor, wir wuerden ein Museum fuer die Deutschen Opfer der Juden errichten! Hier werden die Geschichte und die Menschenrechte mit Fuessen getreten. Das ist mir persoenlich ganz recht, weil sie das hoffentlich fuer die EU disqualifiziert, denn ich habe keinen Bock auf die Tuerkei in der EU! (Meine persoenliche Sicht, nicht nett aber ist halt so)

6. Noch ein Beispiel: Viele Israelis wuerden ohne Bedenken heute nach Deutschland reisen, aber ich habe ein paar getroffen, die wuerden nie nach Polen reisen, weil die (Zitat) "noch viel schlimmer waren". Viele Polen haben die Nazis nach Kraeften unterstuetzt und waren genauso antisemitisch wie die Nazis. Aber erzaehl das mal den Polen. Die gefallen sich in ihrer Opferrolle und werden darum nicht darueber reden. Genau so, wie sich die Amis und Briten wohl fuehlen in ihrer Befreierrolle.

7. Die Bilder: Es gibt bessere Bilder vom Holocaust als von den amerikanischen Sklaven. Das bringt das Ereignis den Menschen naeher und fuehrt ihnen die ganze barbarische Schlachterei vor Augen. Das wirkt viel besser, als wenn man es nur liest in einem Buch. Beispiel 9/11: an dem Tag sind mehr Leute an AIDS gestorben als durch Gewalt, aber von denen gab es nicht so spektakulaere Bilder. Gaebe es sie, wuerde man heute vielleicht ueber die wirklich wichtigen Fragen diskutieren, anstatt den Amis dabei zuzuschauen, wie sie sich in ihrer Terrorismushysterie um die Flagge versammeln und zusammen auf Kaperfahrt gehen ohne darueber nachzudenken, ob sie vielleicht etwas zu dieser Situation beigetragen haben (also ihre Vergangenheit bewaeltigen).

Einen weiteren Thread, der sich ausfuehrlich damit befasst findest Du hier. (http://www.schwarzes-hamburg.com/viewtopic.php?t=1738)
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: colourize am 10 Mai 2005, 13:42:23
Zitat von: "Rose"
Die USA waren eigentlich immer Siegermacht und da der Satz "Geschichte wird von Siegern geschrieben" sich leider doch immer wieder bewahrheitet.

Joh, so wie etwa der Somalia-Einsatz. Oder der Vietnamkrieg. Und in Afghanistan und im Irak sind die USA auch die eindeutigen Sieger, seit man den Krieg dort für beendet erklärt hat.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Rose am 10 Mai 2005, 13:55:31
Zitat von: "colourize"
Zitat von: "Rose"
Die USA waren eigentlich immer Siegermacht und da der Satz "Geschichte wird von Siegern geschrieben" sich leider doch immer wieder bewahrheitet.

Joh, so wie etwa der Somalia-Einsatz. Oder der Vietnamkrieg. Und in Afghanistan und im Irak sind die USA auch die eindeutigen Sieger, seit man den Krieg dort für beendet erklärt hat.


Der Vietnamkrieg hat ein Trauma bei der Bevölkerung der USA ausgelöst, den geschichtlichen Hintergrund werde ich jetzt nicht näher erläutern, da ich weiß, dass du ihn kennst.
Afghanistan und der Irak werden bei der Bevölkerung der USA auch nicht als so verloren angesehen, wie er ist, das kommt erst langsam.
Der Somalia Einsatz ist ein Thema für sich, aber auch der wurde doch offensichtlich bei der Bevölkerung der USA als nicht so wichtig abgetan.
Vielleicht habe ich mich nciht differenziert genug ausgedrückt, allerdings halte ich dich für gerade noch intelligent genug um meine undeutliche Meinung herausfiltern zu können. Wenn du möchtest können wir auch anfangen eine Liste jedes durch die USA geführten Krieges anzufertigen und die Striche auf Verlierer und Gewinnerseite zu setzen.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: colourize am 10 Mai 2005, 14:01:49
Ach so, und on topic:

Die Frage der Rolle Deutschlands in der Konjunkturphase der völkischen Weltbilder in Europa stellt sich für Deutschland und die Deutschen viel mehr als für andere Nationen, da der nationalsozialistische Holocaust beispiellos in der Menschheitsgeschichte war.

Klar, in anderen Staaten wurden und werden auch Minderheiten verfolgt und abgemurkst, aber nirgends haben sich rassistisches Gedankengut, Menschenhass, preußische Obrigkeitshörigkeit sowie die fordistische Organisation der Massenvernichtung zu einer derart unheilige Allianz verdichtet wie im Deutschen Reich.
Seien wir doch mal ehrlich: Über 4.000.000 Menschen in nur einem einzigen Konzentrationslager nach den Prinzipien der industriellen Fertigung zu ermorden ist eine organisatorische Leistung des Preußentums, das einzig die Deutschen geschafft haben.
Da können unsere oliv-Grünen Regierungsmitglieder noch so lange im Bundestag mit ihrem peinlichen "Nie wieder Auschwitz"-Geheule deutsche Angriffskriege im Kosovo rechtfertigen: Egal wie viel Zeit wir den Serben gelassen hätten, die vier Millionen hätten die nie gepackt.

Daraus ergibt sich meines Erachtens nach keine Kollektivschuld, aber eine besondere Verantwortung Deutschlands für den globalen Frieden.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Foolx am 10 Mai 2005, 14:05:54
Zitat von: "Rose"

du möchtest können wir auch anfangen eine Liste jedes durch die USA geführten Krieges anzufertigen und die Striche auf Verlierer und Gewinnerseite zu setzen.


Ohja, da wäre ich ja für zu haben...


Ich find es immer zu klasse wenn Filme ala "Black-Hawk Down" rauskommen mit den die Amis alle Welt davon zu überzeugen versuchen wie böse doch alle anderen waren und das eigentlich ja sowieso die Amis die Opfer bzw die guten waren...

Ich mag Ami-Land nicht sonderlich... Aber was erwartet man von einem Land wo man sich das Präsidenten-Amt erklagen kann?
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: messie am 10 Mai 2005, 14:13:48
Sagen wir es mal so: Die USA haben sich immer als Sieger gefühlt, bis auf die berühmte Ausnahme Vietnam - aber auch da war der Krieg weit weg von den USA selbst.

Uhu hat eigentlich schon alles wunderbar zusammengefasst. Mir fallen nur noch drei Kleinigkeiten dazu ein:

1. Der verlorene Krieg ist noch nicht allzulange her. 60 Jahre sind nichts im Vergleich zu den Indianermetzeleien, Napoleons Plünderungen, der imperialistischen Ausbreitung Englands oder die Sklaverei in den USA. Viele von uns haben noch Omas und Opas die mittendrin waren - alleine das sorgt dafür, erinnert zu werden, dass damals "die Deutschen" schuldig an der Vernichtung von Millionen von Menschen waren.

2. Die Nachwirkungen dieser 12 Jahre sind noch lange zu spüren gewesen. Die Mauer ist immerhin auch ein Wahrzeichen dafür dass Deutschland den Krieg verloren hat und die Siegermächte sich anschliessend kalt bekriegt hatten - und das ist eben mal 16 Jahre her. Diese Wahrzeichen stossen uns ständig mit der Nase auf unsere eigene Geschichte.

3. Nicht unwichtig: Das Thema wird in der Schule behandelt! Und so gibt es automatisch Diskussionen über das "warum".
Ich weiß nicht, ob es den Tatsachen entspricht, aber: Ich hörte von verschiedenen Seiten, dass die Themen "Indianerverfolgung", "Sklaverei" oder "Vietnamkrieg" wenig bis gar nicht in der Schule behandelt werden. So ist dann natürlich logisch, dass kritische Fragen einer jungen Generation dort -leider- weitgehend ausbleiben.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Rose am 10 Mai 2005, 14:40:43
Zitat von: "messie"
Sagen wir es mal so: Die USA haben sich immer als Sieger gefühlt, bis auf die berühmte Ausnahme Vietnam - aber auch da war der Krieg weit weg von den USA selbst.


Wie immer, wenn einem keine gute Formulierung einfällt, messie fragen  :D
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Thomas am 10 Mai 2005, 14:58:26
Zitat

Daraus ergibt sich meines Erachtens nach keine Kollektivschuld, aber eine besondere Verantwortung Deutschlands für den globalen Frieden.

Und dieser Verantwortung kommt Deutschland im Vergleich mit allen anderen Ländern jawohl perfekt nach.Ich kenne jedenfalls kein Land mit einer derart pazifistisch eingestellten Regierung und Armee.
Das zeigt sich doch schon daran, das im Bundestagt monatelang diskutiert wird, bevor man sich möglicherweise dazu entscheidet, deutsche Soldaten in Auslandsmissionen einzusetzten, und auch das dann nur mit einem (vermutlich durch die Vergangenheit begründeten) schlechten Beigeschmack.

Zitat
Da können unsere oliv-Grünen Regierungsmitglieder noch so lange im Bundestag mit ihrem peinlichen "Nie wieder Auschwitz"-Geheule deutsche Angriffskriege im Kosovo rechtfertigen: Egal wie viel Zeit wir den Serben gelassen hätten, die vier Millionen hätten die nie gepackt.

Und was folgt daraus ? Auf gar keinen Fall deutsche Soldaten im Ausland einzusetzen, egal wie viele Leute dort täglich draufgehen, weil sich wieder zwei Idiotengruppen gegenseitig die Köppe einschlagen ?

Das Problem ist eben, das die Entscheidung, KEINE Soldaten einzusetzen nicht zwangsläufig die Menschlichste bzw. die dem Frieden dienlichste ist.Das haben nur leider noch nicht alle Grünen kapiert.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Jinx am 10 Mai 2005, 16:18:48
Also, wenn man die üblichen Postings à la: "Die anderen waren auch böse und haben auch böse Dinge getan" beiseiteläßt, kann ich folgendes beisteuern:

- es gibt hier eine aktive Vergangenheitsbewältigung, die - wenn nicht privat - so doch in der Schule beginnt. Bedauerlicherweise ist diese teilweise kontraproduktiv, da selbst aufgeschlossene und am Thema interessierte Geister durch ewige Wiederholung oberflächlicher Inhalte abstumpfen.

Die Aufarbeitung der Vergangenheit wurde unmittelbar nach der Kapitulation 1945 durch die Alliierten eingeleitet, z.B. durch Entnazifizierungsverfahren. Dies sollte gewährleisten, dass die neu zu errichteten Strukturen schon wieder mit überzeugten Nationalsozialisten und/oder Kriegsverbrechern durchsetzt werden. Es liegt auf der Hand, dass dies nur teilweise geschah, da man nicht ein ganzes Volk austauschen konnte und überzeugte Antifaschisten nur begrenzt zur Verfügung standen. Dass dieses Verfahren in dieser Konsequenz durchgeführt werden konnte, liegt sicherlich daran, dass Deutschland als unterlegene Kriegspartei besetzt wurde und die Regierungsgewalt in den Händen der Alliierten lag.  

Die Bereitschaft der älteren Generation, die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 aufzuarbeiten, war gering, da die Leute aktiv beteiligt waren und sich permanenten Vorwürfen ausgesetzt sahen, weniger durch Alliierte, Regierung, Politik etc., als  vielmehr durch die eigenen Kinder, die den Ereignissen verständnislos gegenüberstanden. Vorwürfe durch unmittelbar Betroffene wurden meist nicht mal ausgesprochen, da die wenigen Rückkehrer aus der nationalsozialistischen Haft dazu tendiereten, eher in Ruhe leben zu wollen; man kann sagen, dass ihre Anwesenheit als stummer Vorwurf gewertet wurde.

In diesem Zusammenhang ist auch der bis heute andauernde, peinliche Rechtfertigungsdrang zu sehen, der auf Teile der jüngeren Generation überging (wir selbst haben nix gemacht, andere waren auch schlimm, die Alliierten und Israel drücken uns eine ewige SChuld auf). Der letzte Punkt ist besonders lächerlich, da er Verantwortung für das eigene Handeln jüngerer Generationen mit der Schuldfrage der involvierten Generation auf unangemessene Weise vermischt (ein Tipp für die Anhänger der ewigen Beschuldigungsidee: wendet Euch an Angehörige der jüdischen Religion, DIE können nämlich wirklich was von Beschuldigungen erzählen, denn der Vorwurf des Christusmordes hängt ihnen idiotischerweise bis heute an. Das heißt wir hätten noch ca. 1940 Jahre vor uns.. *g*). Negiert wird, dass dieser generationsübergreifende SChuldvorwurf von seriöser Seite nicht existiert, obwohl er fleißig beschworen wird.

Vergangenheitsbewältigung wird heute vom Staat selbst, von verschiedenen Institutionen, aber auch privat betrieben, da die Notwendigkeit erkannt wurde, ein Bewußtsein für das begangene Unrecht zu wecken. Es ist ein PRozeß, der sich verselbständigt hat und auf unterschiedliche Weise stattfindet, formell wie informell.

An eine Kollektivschuld glaube ich persönlich nicht, mir ist interessanterweise nicht mal in Israel jemand begegnet, der solches tut (nicht mal mein Vater, der als Soldat Kriegsgefangener in Mauthausen war, wurde von ehemaligen Insassen des Konzentrationslagers mit derartigen Vorwürfen konfrontiert, da diese zwischen einem 23-jährigen zwangsrekrutierten Soldaten und einem SS-Mann sehr wohl zu unterscheiden wußten). Ich glaube allerdings an eine kollektive Verantwortung, die ich gerne wahrnehme, da ich es vorziehe, an einem zivilisierten Leben unter zivilisierten Menschen in einer zivilisierten Umgebung teilzunehmen.

Persönliches: ich bin 38, aber so richtig typisch deutsch bin ich wegen meiner multikulturellen Familie (mütterlicherseits) und meines Studiums (Judaistik) vielleicht nicht.

Ich denke schon, dass es eine Vergangenheitsbewältigung in anderen Ländern gibt. So gibt es in der Türkei Menschen, die den Völkermord an den Armeniern als solchen ansehen, ebenso wie es in den USA eine Friedensbewegung gibt, die aus der Anti-Vietnam-Bewegung hervorging. Auch in Israel gibt es shalom achschaav (übers.: Frieden jetzt), eine Organisation, die sich für eine friedliche, konstruktive Lösung des Palästinenserkonflikts einsetzt. Vergangenheitsbewältigung ist dort jedoch eher eine informelle, individuelle Angelegenheit, die nicht immer die offizielle Zustimmung erhält.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: phaylon am 10 Mai 2005, 16:33:36
Zitat von: "Jinx"
Auch in Israel gibt es shalom achschaav

OT: Meine Fresse, das hab' ich verstanden! Ich hol' mir jetzt nen Keks, für's Ego.

OnT: Als Ösi muss ich mal anmerken, dass mir das "unterdrückte Schuldbewusstsein", wie ich es jetzt mal einfachhalber nenne, hierzulande schon um einiges deutlicher aufgefallen ist. Man könnte meinen es gibt in den Köpfen ein Tabu, welches verhindert, dass man sich direkt mit dem Nationalsozialismus neutral auseinandersetzt. Andererseits wirkt scheinbar auch ein Tabu, welches verhindert, dass man sich mit erstgenannter "Blockade" tiefer beschäftigt. Es ist quasi ein "eigentlich nicht, aber doch irgendwie".

Ein gutes Beispiel dafür, dass nichts Bewältigt wurde, und keine volle Selbstsicherheit besteht, hat man ja neuerdings in Berlin bei der NPD-Demo gesehen. Ich teile da die Meinung derjenigen die sagen, die Polizei habe sich undemokratisch und widerrechtlich verhalten. Für's Widerrechtliche bin ich aber eventuell einfach nicht fit genug mit den hiesigen Gesetzen.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: colourize am 10 Mai 2005, 16:34:19
Zitat von: "Thomas"
Zitat von: "colourize"
Da können unsere oliv-Grünen Regierungsmitglieder noch so lange im Bundestag mit ihrem peinlichen "Nie wieder Auschwitz"-Geheule deutsche Angriffskriege im Kosovo rechtfertigen: Egal wie viel Zeit wir den Serben gelassen hätten, die vier Millionen hätten die nie gepackt.

Und was folgt daraus ? Auf gar keinen Fall deutsche Soldaten im Ausland einzusetzen, egal wie viele Leute dort täglich draufgehen, weil sich wieder zwei Idiotengruppen gegenseitig die Köppe einschlagen ?

Das Problem ist eben, das die Entscheidung, KEINE Soldaten einzusetzen nicht zwangsläufig die Menschlichste bzw. die dem Frieden dienlichste ist.Das haben nur leider noch nicht alle Grünen kapiert.

Machen wir uns doch nichts vor: Überall auf der Welt gibts bewaffnete Auseinandersetzungen. Dort überall die Bundeswehr reinschicken ist wohl nicht drin. Man muss sich also aussuchen, welches fremde Land man zum Genuss der "Pax Germania" verhelfen möchte.

Meines Erachtens gibt es immer eine Schieflage zwischen der wirklichen Motivation einen Angriffskrieg zu führen einerseits, und der scheinheiligen Rechtfertigung für diesen Krieg andererseits. Da müssen dann eben schon mal nicht existente Massenvernichtungswaffen des "neuen Hitlers" aka Saddam Hussein dafür herhalten, der Bevölkerung der westlichen Staaten einen imperialistischen Feldzug zum Zwecke der Kontrolle über die Ölvorräte am Persisch-Arabischen Golf schmackhaft zu machen.

Zugegeben, auf dem Balkan und in Afghanistan gibts weniger zu holen. Deswegen darf diesen Angriffskrieg auch die Bundeswehr mitgestalten. Bei den Kolonialfeldzügen, bei denen es wirklich was zu holen gibt, lassen sich die USA natürlich nicht die Butter vom Brot nehmen.

Wie auch immer - Kriege werden niemals aus "humanitären Gründen" geführt. Auch wenn Claudia Roth und Kerstin Müller noch so große Krokodilstränen weinen und zur Rechtfertigung der Beteiligung der Bundeswehr an Angriffskriegen "Nie wieder Auschwitz!" in die Fernsehkameras schlurzen.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: phaylon am 10 Mai 2005, 16:37:05
Zitat von: "colourize"
Auch wenn Claudia Roth und Kerstin Müller noch so große Krokodilstränen weinen und zur Rechtfertigung der Beteiligung der Bundeswehr an Angriffskriegen "Nie wieder Auschwitz!" in die Fernsehkameras schlurzen.

Und immer wieder hagelt's Gründe warum es gut ist, keinen Fernseher zu haben :)
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Thomas am 10 Mai 2005, 16:50:50
Zitat
Zugegeben, auf dem Balkan und in Afghanistan gibts weniger zu holen. Deswegen darf diesen Angriffskrieg auch die Bundeswehr mitgestalten. Bei den Kolonialfeldzügen, bei denen es wirklich was zu holen gibt, lassen sich die USA natürlich nicht die Butter vom Brot nehmen.

Mitgestalten, aber nicht führen  :wink:
Das die USA ihre Kriege nicht nur der Menschlichkeit wegen führen, ist schon klar.Ich rede jetzt aber (in Bezug auf das Tread-Thema) von den DEUTSCHEN Einsätzen, und Deutschland kann man ja nun bei aller linkspropagandistischer Gesinnung wirklich keine Gier nach irgendeiner Eroberung vorwerfen.

Das Problem ist bei einigen Leuten ja auch immer folgendes : Wird Militär eingesetzt, jammern sie.Wird Militär nicht eingesetzt, und ergeben sich daraus Dramen, jammer sie auch.

Ich persönlich habe auch nicht so das Problem damit, wenn die Amis solche Typen wie Onkel Hussein oder die Taliban aus Amt&Würden bomben und wärend dieser Aktionen auch unbeteiligte sterben (wie viele unbeteiligte sterben in solchen Diktaturen OHNE solche Aktionen ?), sie sollten es nur bitte nicht unter so scheinheiligen Vorwänden tun : Ich sehe die "Zwangsabsetzung" von Saddam quasi als angenehmes Nebenprodukt der durchsetzung der Amiinteressen im nahen Osten.

Die Friedensbewegung sollte nur nicht immer so tun, als wenn in diesen Ländern Friede, Freude, Eierkuchen herrschte bis die bösen Amis kamen und alles kaputt machten.

Zitat
Machen wir uns doch nichts vor: Überall auf der Welt gibts bewaffnete Auseinandersetzungen. Dort überall die Bundeswehr reinschicken ist wohl nicht drin. Man muss sich also aussuchen, welches fremde Land man zum Genuss der "Pax Germania" verhelfen möchte.

Jo, aber besser ein paar Leuten helfen, als aus pseudogerechtigkeit gar nichts Unternehmen.Wie lautet die Alternative ?
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Der Uhu am 10 Mai 2005, 16:52:27
Zitat von: "Jinx"
Also, wenn man die üblichen Postings à la: "Die anderen waren auch böse und haben auch böse Dinge getan" beiseiteläßt, kann ich folgendes beisteuern:


Jinx, die eigentliche Frage war doch:

Zitat
Warum glauben Sie, dass es keine Vergangenheitsbewältigung in der USA oder in anderen europäischen Länder gibt? Was sind die kulturellen Unterschieden zwischen Deutschland und die USA, die erklären warum es keine Vergangenheitsbewältigung in der USA und andere Länder gibt?


Hierfuer ist es also noetig, Vergleiche zu ziehen, zwischen uns und anderen Laendern, und das geht nicht ohne vorher zu schreiben, weshalb diese Laender eine Vergengenheit haben, die es zu bewaeltigen gilt.


Ich finde den Rechtfertigungsdrang der Deutschen auch nicht peinlich. Ich finde es eher peinlich, dass zwanzigjaehrige immer noch ueberall darauf angesprochen werden oder mit Hitlergruss begruesst werden (ist mir passiert). Und dann fuehle ich wirklich eine Schuld, die mir ungerechtfertigerweise aufgebuerdet wird und dann verteidige ich mich auch. Und wenn Du es laecherlich findest, dass der Christusmord den Juden angelastet wird, dann ist es doch genauso laecherlich, wenn mir ein 32-jaehriger Ami erklaert "Wir haben euch von den Nazis befreit"

Der Vorwurf, die Deutschen wuerden die Schuld von sich schieben, indem sie immer wieder andere beschuldigen auch schlimmes getan zu haben ist meiner Ansicht nach purer Unsinn. Jedesmal, wenn man sich zu den Verbrechen anderer Nationen aeussert, was ein ganz normaler Akt in einer Diskussion ist, steht garantiert jemand auf und sagt "Du willst doch nur vom Holocaust ablenken". Ich nehme mir heraus ueber alles zu reden, was mir beliebt. Und in diesem Thread bin explicit ich nach den Amerikanern gefragt worden, also antworte ich auch darauf.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Wolfmann am 10 Mai 2005, 17:55:37
Zitat von: "Thomas"

Die Friedensbewegung sollte nur nicht immer so tun, als wenn in diesen Ländern Friede, Freude, Eierkuchen herrschte bis die bösen Amis kamen und alles kaputt machten.


Wer sagt denn, dass unsere Ansichten, unsere Art zu Leben, unser Staatssystem, unsere Einstellung zu anderen, die einzig seeligmachende Lebensweise ist?

Und Leute, die Frieden predigen und dann Krieg praktizieren sind in meinen Augen nicht sehr glaubwürdig... :-O
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: atomheartmother am 10 Mai 2005, 17:58:55
Danke schoen fuer Euere Hilfe.  Ich habe viel gelernt.  Ich werde spaeter weiterlesen, wenn jemand mehr schreibt.  Wenn jemand mir Fragen hat, konnten Sie freilch fragen.

Danke schoen.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Jinx am 10 Mai 2005, 18:03:11
Hallo Uhu,

ich kann in der Aufzählung der Untaten wenig Antworten zum Thema "warum bewältigen die anderen ihre Vergangenheit nicht richtig" herauslesen.

Zitat
ch finde den Rechtfertigungsdrang der Deutschen auch nicht peinlich. Ich finde es eher peinlich, dass zwanzigjaehrige immer noch ueberall darauf angesprochen werden oder mit Hitlergruss begruesst werden (ist mir passiert). Und dann fuehle ich wirklich eine Schuld, die mir ungerechtfertigerweise aufgebuerdet wird und dann verteidige ich mich auch. Und wenn Du es laecherlich findest, dass der Christusmord den Juden angelastet wird, dann ist es doch genauso laecherlich, wenn mir ein 32-jaehriger Ami erklaert "Wir haben euch von den Nazis befreit"


Ich kann nur über meine Erfahrungen sprechen, und die sehen völlig anders aus. Mich hat nie jemand mit Hitlergruß begrüßt, nicht mal in England, wo das anscheinend eine kollektive Erfahrung der deutschen Austausschüler zu sein scheint, nicht in Holland und erst recht nicht in dem Kibbuz, in dem ich mal war. Mir hat auch noch nie jemand erklärt, mich befreit zu haben (nein, ich sage im Ausland nicht, dass ich aus NOrwegen oder so wäre; ja, ich war früher jedes Jahr mehrmals im Ausland). Insofern teile ich Deine Erfahrungen nicht, sprechen kann ich aber nur über meine eigenen.




Zitat
Der Vorwurf, die Deutschen wuerden die Schuld von sich schieben, indem sie immer wieder andere beschuldigen auch schlimmes getan zu haben ist meiner Ansicht nach purer Unsinn. Jedesmal, wenn man sich zu den Verbrechen anderer Nationen aeussert, was ein ganz normaler Akt in einer Diskussion ist, steht garantiert jemand auf und sagt "Du willst doch nur vom Holocaust ablenken". Ich nehme mir heraus ueber alles zu reden, was mir beliebt. Und in diesem Thread bin explicit ich nach den Amerikanern gefragt worden, also antworte ich auch darauf.


Ich denke auch, dass jeder sich das Recht hat, zu äußern. Es kommt halt nur auf den Kontext an. Und ich bin es Leid (ganz allgemein gesprochen jetzt), wenn das Thema nunmal Drittes  Reich ist, wenn dann stereotyp kommt "aber die AMis waren auch ganz schlimm in Vietnam.". Waren sie, keine Frage. Aber meist ist das nicht das Thema gewesen.  :mrgreen:
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: atomheartmother am 10 Mai 2005, 19:48:25
Tut mir leid.  Als ich fragte ob Deutschen Kollektivschuld fuehlen, meinte ich wirklich zu fragen ob Deutschen Scham ueber dem Taten des Drittes Reiches fuehlen.  Ich weiss nicht, ob Euere Antworten zur Frage unterschiedlich sein werden.  Ich meinte nicht zu besagen, dass jemand hier shuldig ist.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Thomas am 10 Mai 2005, 19:57:43
Zitat
Wer sagt denn, dass unsere Ansichten, unsere Art zu Leben, unser Staatssystem, unsere Einstellung zu anderen, die einzig seeligmachende Lebensweise ist?

Kennst du eine bessere ?
Ich meine, sicherlich kann man ein Land und sein Volk auf verschiedene Arten führen, aber Folter und unterdrückung von Andersdenkenden kann ich nun mal prinzipiell nichts gutes abgewinnen.

Zitat
Und Leute, die Frieden predigen und dann Krieg praktizieren sind in meinen Augen nicht sehr glaubwürdig... :-O

Manchmal führt der Weg zu Frieden und Freiheit (auch wenn das blöde klingt) nun mal nur über Krieg.
Die Naziherrschaft in Deutschland wurde auch nicht durch Sitzblockaden und Flyerverteilung beendet.
Man könnte auch sagen : Manchmal muß man die Leute auch zu ihrem "Glück" zwingen.Kurz nach dem 2.Welkrieg war die anzahl derer, die das Naziregime für "an sich gar nicht so schlecht" hielten auch noch relativ hoch.Erst mit der Zeit wurde den Leuten klar, das die Demokratie doch irgendwie das bessere System ist.

Wenn man jetzt dagegen hält, das z.B. in Afghanistan die Leute immer schon unter einem Stammesfürsten ohne Demokratie lebten und das zu ihrer Kultur gehört, sollte man bedenken, das die auch nie etwas anderes kennengelernt haben.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: messie am 10 Mai 2005, 21:18:59
@atomheartmother: Hier geht niemand davon aus, daß Du uns als "schuldig" bezeichnest, keine Angst. Diese Diskussionen hier zeigen aber sehr schön, dass auch wir 20-40jährigen noch lange nicht alles einfach begraben, was da vor 60 Jahren passiert ist, sondern sehr wohl noch oft darüber nachdenken.

Und nochmal konkret meine Ansicht zur "Scham":
Schämen kann ich mich für die Gräueltaten im 3. Reich nicht. Sie haben Menschen verübt die ich niemals kannte, und ich kann für diese Taten nichts dafür, weil ich danach geboren wurde.
Ich würde mich aber schämen, wenn ich die Geschichte, die in dem Land in dem ich lebe, nicht kennen würde oder nichts dazu zu sagen hätte. Eine Meinung sollte dazu schon jeder haben, schliesslich kann es überall, vor allem im Ausland, passieren dass ich mit dieser Geschichte meines Landes konfrontiert werde. Also setze ich mich damit auseinander und habe dann auch Antworten auf die Frage "Warum?" - auch um es notfalls "besser zu machen", falls ähnliche Tendenzen wie damals auftreten sollten, dem entgegenzutreten und dann früher dagegen mit anzugehen als es damals getan wurde.

Dasselbe -eine Meinung haben- wundert mich auch so bei den Amerikanern: Auf die Frage "Warum haben wir eigentlich den Irak angegriffen?" haben sich die Antworten "Weil sie uns angreifen könnten", "Weil sie Massenvernichtungswaffen haben" und "Weil danach dort Frieden herrscht" in Luft aufgelöst: Massenvernichtungswaffen wurden keine gefunden, also konnten sie die USA auch niemals angreifen, und der Krieg herrscht -siehe Bombenanschläge täglich- weiterhin an.
Welche Antwort geben denn die Amerikaner auf die Frage "Warum wurde gegen den Irak Krieg geführt" ? Weißt Du da etwas darüber, atomheartmother? (Ist wirklich Neugierde, keine Anschuldigung oder Ähnliches. Ich bin wirklich nur neugierig.)
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: atomheartmother am 10 Mai 2005, 23:53:51
Ich stuetze den Krieg in Irak nicht.  Ich glaube, dass die Mehrheit Amerikaner den Krieg in Irak nicht mehr stuetzen.  Warum es gibt Leute, die noch den Krieg noch stuetzen, weiss ich nict.  Die Menschen, die den Krieg noch stuetzen, wuerden Bush stuetzen trotzdem was er tun.  Wenn er morgen Syrien oder Iran oder wo immer angegriffen haette, wuerde sie ihn unterstuetzen.      

Nach 9/11 hatten jeder Amerikaner Angst.  Wegen des Angriffs realisierten Amerikaner, dass wir nicht unverletzlich sind.  Die Bush Verwaltung benutzt diese Angst.  Wenn man Angst hat, kann man ihn kontrolliert.  Jeden Tag erinnerte Bush uns, dass die Terroristen jederzeit uns wieder angriffen koennte.  Amerikaner lebten keine Tag ohne Angst.  Wenn Bush Amerikaner sagte, dass wir um unser Fenster Klebeband kleben sollen, entsprach viele Amerikaner.  

Bevor der Krieg in Irak, sagte er, dass Irak eine direkte Bedrohung war.  Er sagte dass, wenn wir Irak nicht angreifen, werden 9/11 wieder passieren.  Er hatte "ueberzeugenden Beweis", der Irak ein direkte Bedrohung war, und Amerikaner glaubte ihn, weil wir Angst hatten.  Als wir jetzt wissen, war die "ueberzeugenden Beweis" falsch.  Trotz der Luege, stuetzen viele Leute noch Bush und den Krieg.

Ich hatte nie Angst vor der Terroristen.  Ich weiss, dass sie meine Kleinstadt in Wisconsin nie angreifen werden.  Aber andere Leute, die in Kleinstaedte leben, haben noch Angst.  Warum?  Weiss ich nicht.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: phaylon am 11 Mai 2005, 00:30:10
Zitat von: "Thomas"
Kurz nach dem 2.Welkrieg war die anzahl derer, die das Naziregime für "an sich gar nicht so schlecht" hielten auch noch relativ hoch.Erst mit der Zeit wurde den Leuten klar, das die Demokratie doch irgendwie das bessere System ist.

Ähem. Ohne jetzt jemanden triggern zu wollen: Hatten sie eine so grosse Wahl?
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: messie am 11 Mai 2005, 01:24:36
Danke für die Antwort, atomheartmother ...

Deine Aussage deckt sich mit dem, was hier im Fernsehen auch erzählt wird: Dass Bush die Angst der Amerikaner vor Terroranschlägen ausnutzt, die nach 9/11 eingesetzt hat.

Hier in Deutschland wundert man sich häufig, woher diese Angst kommt. Mich nicht: In den USA musste man bisher niemals Angst haben, im eigenen Land angegriffen zu werden - eben bis 9/11. Dass der Schock groß ist, kann ich verstehen. Es ist nach Pearl Harbor das erste Mal überhaupt, dass auf dem Gelände der USA überhaupt jemand mal einen Angriff ausgeübt hat -und das ist auch schon über 60 Jahre her ...

Trotzdem verstehe ich nicht wirklich -genau wie Du, atomheartmother- weswegen immer noch 50% aller Amerikaner lieber Bushs Lügen glauben (und Angst haben) als zu bemerken, dass der Irak-Krieg auf einer Lüge aufgebaut wurde...

Nun denn. Viele Deutsche arbeiten ihre Geschichte heute noch auf.
Dasselbe wünsche ich den Amerikanern, wenn Bush abgewählt ist  :wink:
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Thomas am 11 Mai 2005, 09:08:15
Zitat
Thomas hat folgendes geschrieben:
Kurz nach dem 2.Welkrieg war die anzahl derer, die das Naziregime für "an sich gar nicht so schlecht" hielten auch noch relativ hoch.Erst mit der Zeit wurde den Leuten klar, das die Demokratie doch irgendwie das bessere System ist.

Ähem. Ohne jetzt jemanden triggern zu wollen: Hatten sie eine so grosse Wahl?

Naja, im Sowjetischen Sektor hat man sich anders entschieden.
Der Westen hatte keine Wahl, aber das war vermutlich auch ganz gut so, oder meinst du, das ein anderes politisches System für Deutschland und sein Volk besser gewesen wäre ? Ich glaube nicht.
Titel: Vergangenheitsbewältigung: Fragen von einer Amerikaner
Beitrag von: Rick Deckard am 11 Mai 2005, 11:02:22
Im Grunde genommen kann man zu dem, was hier bereits geschrieben wurde, nicht mehr viel hinzufügen. Trotzdem möchte auch ich noch ein paar Worte zu der Frage um das Schamgefühl von atomheartmother schreiben.

Ich schäme mich meiner Nationalität nicht, denn diese steht für ein gänzlich anderes Land. Eines mit einer der besten und erfolgreichsten Demokratien in der Welt. Ein Land, dessen Bevölkerung Pazifismus in den Grundfesten und im Grundgesetz verankert hat. Ich schäme mich schon eher für meine Nationalität, wenn ich wieder mal was von randalierenden Fußballrowdies höre, die zufällig auch Deutsche sind, oder typisch deutsche Spießbürger im Ausland. Um die mache ich einen Bogen.

Von und in vielen Länder, und so gut wie jedem westlichen, gingen in der Vergangenheit schlimme Dinge aus, die ihre Auswirkungen auf die eigenen und / oder andere Menschen hatten. Dass in der Türkei bis 1919 Massenmorde und Zwangsumsiedelungen von Armeniern, Griechen und Assyriern verübt wurden, oder in den belgischen Kolonien im Kongo durch König Leopold II 5 - 15 Millionen Kongonesen bis 1909 ausgebeutet und massakriert wurden, oder in Kroatien bis 1943 bis zu 1 Million Menschen ermordet wurden, oder dass in der Soviet Union bis zu 20 Millionen Menschen sterben mussten, weil sie anders dachten, als vom System vorgeschrieben, das weiß, bzw. interessiert doch kaum jemand.

Deutschland war nur immer eine der Nationen, die mit großem Hurra blind in den Krieg stürzte, sich übernahm und bezwungen wurde. Und hätten die Japaner Pearl Harbor nicht angegriffen, wären die Amerikaner womöglich erst viel später, wenn nicht sogar überhaupt nicht in den zweiten Weltkrieg eingetreten. Was das für Auswirkungen auf den Kriegs- und Geschichtsverlauf in Europa und der restlichen Welt gehabt hätte, wage ich gar nicht zu visualisieren.

Fakt ist, dass jeder Mensch, vorausgesetzt er befindet sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, in der Lage dazu ist Greueltaten zu begehen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Das hat die Geschichte schon oft gezeigt und dabei war es vollkommen egal, an welchem Breiten- und Höhengrad auf dem Globus das stattfand und zu welcher Zeit. Solange ein Volk seiner Regierung blind folgt, kann Korruption, Gier nach Macht und nach Kontrolle gedeihen und maßlos ausufern. So war es in den USA zur Zeit der Indianerkriege, in Frankreich zu Zeiten Napoleons, in Kambotscha unter Pol Pots Regime (was ein Kapitel an Grausamkeit für sich ist), in Australien, wo die Briten die Ureinwohner vertrieben, in Südafrika, wo weiße die schwarze Bevölkerung unterdrückten, usw. usf.

Ich bin nicht stolz darauf ein Deutscher zu sein, ich bin ein Deutscher und gut. Genauso gut könnte ich stolz darauf sein ein Mensch zu sein, oder Europäer oder Wal-Mart-Kunde. Letzendlich kann man nur auf seine eigenen Taten stolz sein, bzw. auf eigene Leistungen. Alles andere heißt, sich mit fremden Federn zu schmücken. Ich habe weder berühmte Gedichte und Kompostitionen geschrieben, noch bahnbrechende Erfindungen gemacht, oder sonstige Dinge, die der Menschheit zugute gekommen sind. Man kann stolz darauf sein, aus demselben Land zu stammen, wie ein berühmter Philosoph oder Wissenschaftler oder Menschenrechtler, mehr aber auch nicht. Genauso wenig kann ich mich dafür schämen aus einem Land zu stammen, in dem ein Regime aus Verbrechern mit der Unterstütung von Kriminellen, Mördern und Feiglingen gewütet hat. Wohl aber bin ich mir dieser Tatsachen bewusst, leugne sie nicht, diskutiere darüber und erkenne und sage es auch, wenn mir ähnliches präsentiert wird. Ob nun  im eigenen Land oder anderswo. Ein Volk kann nicht bis zum letzten Individuum nur schlecht und nur gut sein. Aber die Welt erinnert sich natürlich immer an die verheerendsten Auswüchse. Über die Tsunami von letztem Jahr redet man ja auch noch, das letzte Erdbeben in der Türkei dagegen ist schon wieder in Vergessenheit geraten.
Die Zahl der Opfer ist immer auch eine Marke für die Wertigkeit einer Katastrophe im kollektiven Gedächtnis der Menschen.