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Folterandrohung legitim?

<< < (2/11) > >>

phaylon:

--- Zitat ---Frei nach dem Motto:
wer gegen das Grundgesetz verstößt braucht sich im Nachhinein nicht hinter ihm
zu verstecken.
--- Ende Zitat ---

Da gefällt mir die »unantastbar«-Variante aber doch eher besser...


p

osmin:
Wie colourize bin ich der Meinung, dass diese Frage nicht pauschal zu beantworten ist.

Allerdings sehe ich zwar einerseits den Staat in der unbedingten Verpflichtung, sich an die eigenen Prinzipien zu halten. Aber andererseits gilt es, selbst Grundprinzipien wie das des Rechts der körperlichen Unversehrtheit in einem wohldefinierten Wertesystem sinnvoll zu gewichten:
In diesem Fall hat sich der Entführer bewusst geweigert, ihm offensichtlich bekannte und möglicherweise lebensrettende Informationen für sich zu behalten. Die Rettung des Lebens des Kindes wiegt meiner Ansicht nach schwerer als die körperliche Unversehrtheit des Verantwortlichen (der sich außerdem durch einfache Freigabe der relevanten Informationen hätte schützen können), und daraus ergibt sich für mich: In DIESER SPEZIELLEN Situation IST die Androhung von Folter zwar nicht legitim, aber sie SOLLTE es sein.
Das Problem besteht allerdings wieder einmal in der Definition der Faktoren, die über die Legitimität besonderer Maßnahmen in Grenzfällen entscheiden. Und genau hier liegt wohl der Hase im Pfeffer, weil die Gefahr, der die Grundrechte bei nicht ausreichend durchdachter Konzeption enes solchen Wertesystems ausgesetzt wäre, verheerende Folgen mit sich bringen könnte.

@ Jinx: Den Vergleich mit der Todesstrafe in den USA finde ich nur bedingt passend: Dort geht es nämlich um bereits vollzogenen Mord - ob der für schuldig Befundene nun hingerichtet wird oder nicht, hat keinen Einfluss mehr auf den (bereits entstandenen) Schaden Dritter. In diesem Fall geht es dagegen um extreme Maßnahmen mit dem Ziel, noch größeren Schaden abwenden zu können.

Kenaz:
Ganz klar: In einer, nach demokratischen und aufgeklärten Prinzipien strukturierten Gesellschaft ist die Folterandrohung illegitim, da gibt es keine zwei Meinungen. Im übrigen ist die Formulierung "Folterandrohung" ein wenig irreführend, legt sie doch nahe, man müsse noch einmal unterscheiden zwischen der Androhung und der Ausführung von Folter. Man kann sich an dieser Stelle jedoch auch gleich über das Für und Wider von Folter an sich unterhalten, denn eine Androhung, die nicht die potentielle Ausführung des Angedrohten impliziert, ist keine Drohung sondern leeres Geschwätz. - Man kann die Frage also auf die folgende Formel verallgemeinern: Kann und darf Folter in Ausnahmefällen ein akzeptables Mittel der Gefahrenabwendung sein?

Die Frage ist unlängst ja bereits im Zusammenhang mit dem Folterskandal in Abu Ghureib recht intensiv diskutiert worden. Und um das hier zur Verwendung gekommene Beispiel noch etwas zuzuspitzen, verweise ich auf ein Szenario, das der amerikanische Strafrechtler Alan Dershowitz entwirft: Die Staatsmacht hat einen Terroristen in ihrer Hand, von dem man weiß, daß dieser über die genaue Position mehrerer Sprengsätze informiert ist, die in den nächsten Stunden in urbanen Ballungszentren hochgehen sollen, er weigert sich aber standhaft, diese Informationen preiszugeben. - Frage: Soll bzw. kann es verboten sein, mittels Folter an Informationen zu kommen, die womöglich Tausenden von Menschen das Leben retten können?

Klar: Bauch und "gesunder Menschenverstand" zögern keine Sekunde, diese Frage emphatisch zu verneinen - hier scheint der Zweck im wahrsten Sinne des Wortes die Mittel zu heiligen. Doch klar ist auch: Mit einer Tolerierung von Folter - und das gilt auch für "Ausnahmen" - versündigt sich die demokratische, aufgeklärte Gesellschaft an ihrem fundamentalsten Grundwert: dem der Menschenwürde. - Das kniffligste Problem bei der ganzen Angelegenheit ist ja nicht zuletzt dieses: Wenn man erst einmal die magische Grenze überschritten und sich für Folter in Ausnahmefällen ausgesprochen hat, stellt sich ganz flugs die Frage: WAS SIND Ausnahmefälle? Ab wann kann ein Fall einen solchen Ausnahmestatus beanspruchen, daß dieser es rechtfertigt, daß eine Gesellschaft ihren eigenen Grundwerten und -prinzipien zuwiderhandelt? Darf eine Gesellschaft um der Verteidigung ihrer Grundwerte willen, deren Herzstück die Würde des Menschen darstellt, diese Würde gerade mißachten? - Und vor allem: Wer legt fest, ab wann eine Ausnahme vorliegt, die den Einsatz dieser Mittel rechtfertigt?

Einer der Hauptgründe, warum man sich gegen Folter selbst als Mittel in Ausnahmefällen sträubt, ist eben genau der Umstand, daß man Wucherungen befürchtet, die - hat man die Büchse der Pandora erst mal geöffnet - nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen sind.

Der bislang gängige, ethische Mainstream der westlichen Kultur läßt keine Frage offen, daß Folter durch nichts zu legitimeren ist; es stellt sich aber die Frage, ob eine Gesellschaft unter allen Umständen ethisch agieren kann, ohne nicht fundamental ihre eigene Existenz aufs Spiel zu setzen; m. a. W.: inwieweit ist einem Friedrich Nietzsche zuzustimmen, der in "Jenseits von Gut und Böse" feststellt: "Es giebt einen Punkt von krankhafter Vermürbung und Verzärtlichung in der Geschichte der Gesellschaft, wo sie selbst für ihren Schädiger, den Verbrecher Partei nimmt, und zwar ernsthaft und ehrlich. Strafen: das scheint ihr irgendworin unbillig [...]" - Nach Nietzsche ist dieser Zustand bereits deutlichstes Symptom eines fortgeschrittenen Dekadenzprozesses, an dessen Ende der Untergang dieser Gesellschaft selbst steht, weil sie ihren Schädigern nicht mehr gewachsen ist.

Stellt man sich jedoch diesem Gedanken, so muß man sich hinwiederum auch den oben formulierten, reichlich unappetitlichen Fragen stellen. - Es handelt sich so ziemlich um eins der kniffeligsten Probleme, der sich - auch und gerade im Zeichen der Bedrohung durch fundamentalistischen Terror unterschiedlichster Couleur - die moderne Gesellschaft heute zu stellen hat.

... ... ...

Da ich gerade aber auch keine Patentantwort parat habe und demnächst los muß, breche ich hier erst mal ab und lasse das bis hier Gesagte einfach mal als nach allen Seiten hin offenen Diskussionsbeitrag stehen ...

osmin:
Äh... hatte ich das nicht gesagt? Nur... kürzer?

Kenaz:

--- Zitat von: "osmin" ---Äh... hatte ich das nicht gesagt? Nur... kürzer?
--- Ende Zitat ---

Nö, nicht wirklich, auch wenn es in 'ne ähnliche Richtung geht ... :wink: - Das hier z. B: hätte ich so nicht gesagt:  
--- Zitat von: "osmin" ---In DIESER SPEZIELLEN Situation IST die Androhung von Folter zwar nicht legitim, aber sie SOLLTE es sein.
--- Ende Zitat ---
- Das ist ja gerade der Punkt, den es zu klären gilt: Sollte Folter in gewissen Fällen ein probates MIttel sein oder nicht?

... Am End liegt's freilich schlicht und einfach daran, daß ich den ganzen Kram zu schreiben angefangen habe, bevor ich Dein Posting zur Kenntnis nehmen konnte ... - Und soll ich dann etwa den ganzen mühsam fabrizierten Sermon in die Tonne treten, nur weil da schon was steht, was in dieselbe oder 'ne ähnliche Kerbe haut? - NIX DA! :wink:

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