Hamburg, ein leuchtendes Beispiel für Altruismus
Als ich heute Mittag einen Kollegen fragte, ob er mich zum Essen begleiten wolle, lehnte er dankend ab und gab mir kund, dass er noch etwas anderes vorhabe und halt sehen müsse, was er denn so auf der Straße findet.
Zufälligerweise hatte ich schon vor längerer Zeit eine bemerkenswerte Beobachtung machen können, die in diesem Zusammenhang äußerst hilfreich war und nachdem ich ihm dies erzählte sicher auch dazu beitrug seine Befürchtungen, nichts zu Essen zu bekommen, zu zerstreuen.
Hamburg versorgt seine hungrigen Bürger mit kostenlosen Nährstoffen und das zu jeder Zeit und überall im gesamten Stadtgebiet! Eigens zu diesem Zweck hat die Stadt hie und da kleine, graue oder grüne Behälter aufgehängt, vorrangig an Knotenpunkten des Personenverkehrs, wie z. B. Kreuzungen, Bushaltestellen oder Parkbänken. Der hungrige Durchreisende muss lediglich in den Wunderkasten hineingreifen und kann sich im Anschluss daran an den mannigfaltigen Zerealien und anderen Nährstoffe laben, die er dort zutage fördert.
Wie die Stadt diesen Service finanziert ist mir erst nicht klar gewesen, aber nach einigen Tagen intensiver Beobachtung konnte ich hinter das Geheimnis dieser schier altruistischen Hochleistung kommen. Tatsächlich kostet dieser Snackbereiter der Stadt gar nichts! Wartet man nur lange genug, kann man feststellen, dass hin und wieder vereinzelte Individuen oder auch kleinere Gruppen erscheinen, die ganz beiläufig ominöse Objekte in eben diese kleinen Nahrungsspender einwerfen. Diese Personen hielt ich zunächst für Undercover-Angestellte der Stadt, doch diesen Gedanken verwarf ich kurz nachdem ich mich dazu entschieden hatte eine solche einfach mal anzusprechen und ihr für diesen wertvollen Dienst an der Allgemeinheit zu danken.
Die Person, ein Gentleman in seinen besten Jahren, ich würde schätzen so um die 40, mit einer gewagt ungestyleten, peppigen Stirnglatze-Langhaarfrisur, Kassengestellbrille mit modisch eigentümlich eingefärbten, gelblichen Gläsern, gekleidet in eine unauffällige Jacke die markant an einen Teppich anatolischer Herkunft gemahnte und einer leicht rissigen Jeans aus der zeitlosen C&A Blue System Collection teilte mir auf meine Anfrage folgendes mit - Zitat:"Was´n? Waswillste? Mach mich an un ich box Dich blutich, Du Pännä?" Ich glaube, er wollte mir mit dieser farbenfrohen Wortwahl mitteilen, dass er momentan beschäftigt ist und er mir sein Bedauern ausdrücken mir nicht behilflich sein zu können.
Mit Tränen der Rührung in den Augen zog ich mich daraufhin zurück. Nicht ohne vorher zu bemerken, dass einige dieser Snackboxen über kleine, separate, runde Öffnungen verfügen, in die gewillte Nutzer Asche einfüllen können. Der Sinn dieser Vorrichtung entging mir zunächst, doch nach weiteren Stunden des aufmerksamen Beobachtens erschloss sich mir der tiefere, symbolische Zusammenhang. Wir und alles um uns herum entsteht, gedeiht, wächst, altert, zerfällt und wird zu Asche und Staub. Diesem philosophischen Gedankenansatz ist hier auf eine bedeutungsvolle und vielsagende Weise eine physische Form gegeben worden, wie sie anrührender und tiefgründiger kaum vorstellbar ist. Sie soll uns, den Nutznießern, vergegenwärtigen, dass wir nur für eine begrenzte Weile auf dieser paradisischen Welt verweilen und uns von ihr ernähren, bis wir irgendwann unsere körperlichen Zelte niederreißen, zu anderen Gestaden aufbrechen und uns in die Obhut des Schoßes der heimeligen Muttererde begeben, aus der wir dereinst erwachsen sind.
Bei so viel Pathos entrang sich meiner Kehle ein heiseres Seufzen. So schlicht und schmucklos, nur vereinzelt mit einigen Aufklebern oder Schriftzügen markiert, diese Vorrichtungen auch aussehen mögen, ihren Lebenswerte verbessernden Daseinszweck erfüllen sie wie treue Diener und erhellen unser von Unbill, Gram und Pein geknechtetes Dasein, wie das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels.
Vielen Dank Hamburg.