Schwarzes Hamburg

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Autor Thema: Selbstmitleid  (Gelesen 8460 mal)

Kenaz

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Selbstmitleid
« Antwort #15 am: 29 September 2004, 13:28:16 »

Zitat
Mir fehlt es dann aber noch an einer Definition.
- Mein "Wörterbuch der philosophischen Begriffe" definiert Mitleid als "ein auf den Mitmenschen gerichtetes Gefühl, in dem die Teilnahme am Leiden anderer erlebt wird und die Bereitwilligkeit, ihm zu helfen mitschwingt". Davon ausgehend muß ich im Selbstmitleid quasi den "Mitmenschen in mir" bedauern, will heißen: Durch diesen Kunstgriff verdoppele ich meine ohnehin schon vorhandene Heulsusigkeit noch mal zusätzlich. - Nicht zuletzt daran mag es liegen, daß allein schon dem Wort "Selbstmitleid" eine so unangenehme, tendenziell egozentrische Konnotation eignet.

Denn in der Tat: Wen das Schicksal oder sonstwas bzw. -wer geschlagen hat, der leidet - als Subjekt. Wer nun seine empathischen Fähigkeiten noch nicht ganz in Grund und Boden getrampelt hat, der nimmt natürlicherweise am Leiden anderer Anteil und hat Mitleid - macht also gewissermaßen das Leiden eines (externen) Objektes zu seinem eigenen, indem er es in sein Subjektbewußtsein aufnimmt. - Und deshalb hat Selbstmitleid auch so was Unappetitliches: Der Selbstmitleidige leidet erstmal, verfügt aber über so wenig Selbstdistanz - ist mithin so in sein eigenes kleines Ego vernarrt -, daß er sein subjektives Leiden sozusagen objektiviert, um es noch mal "von außen" bejammern und beklagen zu können.

- Dahinter wird eine gewisse Disposition deutlich spürbar, den eigenen Bauchnabel tatsächlich für das Zentrum des Universums zu halten.
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phaylon

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Selbstmitleid
« Antwort #16 am: 29 September 2004, 14:39:18 »

Kenaz wrote:
| Wer nun seine empathischen Fähigkeiten noch nicht ganz in
| Grund und Boden getrampelt hat, der nimmt natürlicherweise am
| Leiden anderer Anteil und hat Mitleid

Wohow, nur mal langsam mit den jungen Pferden. Gibts für dich nur teilnehmen und nicht-teilnehmen? Was ist mit den Leuten, die selbst entscheiden, wann sie empathisch sind, und wann sie Mitleid haben?


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Kenaz

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Selbstmitleid
« Antwort #17 am: 29 September 2004, 15:09:31 »

@ phaylon

Möglich, daß ich mich etwas mißverständlich ausgedrückt habe: Intention der fraglichen Passage war es lediglich klarzustellen, daß die Fähigkeit zur Empathie die Voraussetzung für Mitleid ist. Nicht gesagt werden sollte damit, daß der Mensch mit empathischer Kompetenz zwangsläufig mit allem und jedem Mitleid hat, was ihm gerade so an Elend über den Weg läuft und insofern aus dem Heulen gar nicht mehr herauskommt. Jedoch:
Zitat
Was ist mit den Leuten, die selbst entscheiden, wann sie empathisch sind, und wann sie Mitleid haben?
- Die besagte Verknüpfung hat zur Folge, daß ich wohl empathisch sein kann, ohne Mitleid zu empfinden, nicht aber umgekehrt, denn: wo keine Empathie, da kein Mitleid.
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phaylon

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Selbstmitleid
« Antwort #18 am: 29 September 2004, 15:12:57 »

Dass Empathie eine Vorraussetzung für Mitleid ist, ist mir klar. Es ging mir darum, darauf hinzuweisen, dass es eben nicht nur Leute gibt, die Mitleid empfinden und Leute, die »ihre empathischen Fähigkeiten totgetrampelt haben«, sondern auch Leute, die zwar empathische Fähigkeiten haben, diese aber bewusst einsetzen und bewusst nicht-einsetzen. Mitleid liegt da ja oben auf. Ob ich jemanden verstehe, mit jemandem mitfühle, oder Mitleid empfinde, sind komplett unterschiedliche Dinge.


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Kenaz

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Selbstmitleid
« Antwort #19 am: 29 September 2004, 15:19:26 »

In dieser Hinsicht, mein Gutester, herrscht vollumfänglicher Konsens zwischen uns beiden!  :wink:
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phaylon

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Selbstmitleid
« Antwort #20 am: 29 September 2004, 15:48:10 »

Ich weiss. Langweilig, ne? ;)


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Kenaz

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Selbstmitleid
« Antwort #21 am: 29 September 2004, 15:50:04 »

Naja, so extrem häuft sich das bei uns ja noch nicht ... dieses eine Mal kann ich damit leben ...  :wink:
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messie

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Selbstmitleid
« Antwort #22 am: 30 Mai 2005, 16:49:38 »

Über das Thema habe ich just gestern mit einer Freundin philosophiert ...

Da kamen ziemlich spannende Gedanken bei raus. Etwa so:
Mitleid empfindet man doch hauptsächlich deshalb, weil man einer anderen Person ganz gerne helfen möchte weil es ihr aus irgend einem Grund nicht gut geht, aber nicht wirklich helfen kann. Also ist Mitleid die einzige Hilfe in Form von Phrasen wie "ich fühle mit Dir" oder "ich kann gut nachvollziehen was Du grade durchmachst" oder auch "mensch, Du tust mir so leid - das hast Du wirklich nicht verdient!"
Wenn man helfen kann dann bedarf es ja des Mitleids garnicht, denn dann blicken ja beide nach vorn und haben gar keine Zeit mehr sich mit dem derzeitigen Leid zu beschäftigen...

Tja, das Selbstmitleid stellt das Ganze dann ad absurdum:
Da könnte ich ja an meinem eigenen Leid etwas ändern (wer denn sonst? Die Lottofee? Die Englein? *lach*), aber zuerst bemitleide ich mich selbst und tue damit so als könnte ich nix ändern.

Selbstmitleid ist so betrachtet nix anderes als ... Stillstand. Lethargie. Kraftlosigkeit. Willenlosigkeit. Ein Sich Fügen in den leidenden Zustand.
Und damit eindeutig nicht das Gelbe vom Ei.

Ganz im Gegensatz zur Sehnsucht, sage ich nun einfach mal:
Sehnsucht ist im Gegensatz zum Selbstmitleid etwas ausgesprochen Positives. Weil sie das Streben nach etwas oder jemanden beinhaltet und gleichzeitig förmlich verlangt, aktiv zu werden. Eben den Versuch (obs gelingt steht auf einem anderen Blatt) zu starten, das Ersehnte auch zu erreichen. Sehnsucht vergisst ebensowenig das Leid - schliesslich ist ja der derzeitige Zustand garantiert nicht begrüssenswert, sonst bräuchte man sich ja nach nix zu sehnen. Aber es ist eben aktiv.

Ergo: Statt selbst bemitleiden lieber Sehnsüchte entwickeln und darauf aufbauend dann Wege suchen, auf denen man das Ersehnte erreichen könnte.

Tja, that`s my 5 Cent ...
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phaylon

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Selbstmitleid
« Antwort #23 am: 30 Mai 2005, 17:05:53 »

Zitat von: "messie"

Selbstmitleid ist so betrachtet nix anderes als ... Stillstand. Lethargie. Kraftlosigkeit. Willenlosigkeit. Ein Sich Fügen in den leidenden Zustand.
Und damit eindeutig nicht das Gelbe vom Ei.

Na das ist doch mal eine Aussage! :D Ich würd's noch ergänzen um "Mangel an Eigenverantwortung".
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BetterOf2Evils

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Selbstmitleid
« Antwort #24 am: 30 Mai 2005, 17:52:22 »

messie, ich finde den Begriff Sehnsucht in diesem Zusammenhang irgendwie falsch gewählt. Selbstmitleid trotz Sehnsucht kann ja auch bestehen bzw. Selbstmitleid, weil die Sehnsüchte unerfüllt bleiben.
Dann nennen wir es doch lieber Zielbildung, mhm?

Warum nicht gleich Ziel- und Leistungsvereinbarung? Was als Modell beruflich nicht klappt, klappt vielleicht auf privater Ebene? *harhar*


Aber vielleicht halte ich mich nur an Begrifflichkeiten auf.
Weiß, was Du meinst.  :wink:
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olli

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Selbstmitleid
« Antwort #25 am: 30 Mai 2005, 18:10:24 »

selbstmitleid ist doch ganz einfach: ich leide, betrachte mich und mein leid von einer anderen ebene, und habe darum mitleid mit mir selbst.

blumige beispiele:

leid: ich habe einen offenen bruch, das tut weh. aua (empfunden).
mitleid: er hat einen offenen bruch, das tut ihm sicher weh. der arme (gedacht).
selbstmitleid: (ich habe einen offenen bruch, das tut weh. aua (empfunden).) ich armer. (gedacht)
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BetterOf2Evils

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Selbstmitleid
« Antwort #26 am: 30 Mai 2005, 18:17:44 »

:biglaugh:
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messie

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Selbstmitleid
« Antwort #27 am: 30 Mai 2005, 22:25:10 »

Och, der Begriff Sehnsucht wurde schon mit Bedacht gewählt...

Der Ausgangszustand ist der Schmerz: Es tut mir etwas um mich selbst leid weil mir etwas fehlt.

Also kann ich mich nach dem was mir fehlt sehnen oder
ich kann mich selbst bemitleiden dass es mir fehlt ...

Passt auch gut zu ollis offenem Bruch:
Entweder ich sehne mich nach dem Zustand vor dem Bruch zurück (und strenge mich dann bei der Reha erst richtig an) oder
ich heule wie ein Schloßhund weil dieser doofe Bruch so dolle weh tut (und mach dann lieber garnix weil ich ja mit Heulen beschäftigt bin).

Natürlich kann beides vorhanden sein - aber es geht halt nur um den direkten Vergleich. Und da ist für mich Selbstmitleid passive Starre und Sehnsucht die Saat zu aktivem Handeln. Zumindest war das das Ergebnis des gestrigen nächtlichen Telefongesprächs  :wink:
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kasimir

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Selbstmitleid
« Antwort #28 am: 31 Mai 2005, 17:09:01 »

Zitat von: "phaylon"
Zitat von: "messie"

Selbstmitleid ist so betrachtet nix anderes als ... Stillstand. Lethargie. Kraftlosigkeit. Willenlosigkeit. Ein Sich Fügen in den leidenden Zustand.
Und damit eindeutig nicht das Gelbe vom Ei.

Na das ist doch mal eine Aussage! :D Ich würd's noch ergänzen um "Mangel an Eigenverantwortung".


Das sagt sich so verdammt einfach wenns einem selber gerade nicht total schlecht geht!!

Ich neige aber dazu ALLEN SEITEN und UNBEWUSSTEN TRIEBEN im Menschen eine positive, nützliche, produktive Fähigkeit zu unterstellen.
So hat das Selbstmitleid den Vorteil, dass man sich seines Leidens, also seiner Gefühle, seiner Seele, seiner selbst bewusster wird und für die üblichen äusserlichen Ablenkungen (Freunde, TV, Computer) keine Zeit hat. Das Selbstmitleid kann so etwas aufbauend meditatives haben.

Und selbst wenn es nicht aufbaut oder sonstige, entferntere Zwecke erfüllt, TUT ES DOCH VERDAMMT GUT sich mal leid zu tun, also wozu der ganze Heckmeck. Und wer es nötig zu haben scheint, Mitleid und Selbstmitleid SO ANZUPRANGERN, offenbart meiner Meinung nach ganz andere Probleme (oder sollte ich "Unreifheit" sagen? :lol: ) in bezug auf seine menschliche Bandbreite und Existenz ;)
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Selbstmitleid
« Antwort #29 am: 31 Mai 2005, 20:31:11 »

Ich schliesse mich da kasimir an.
Aus Selbstmitleid kann durchaus auch eine neue Energie/ein neuer Wille entstehen. Energie, etwas an der Situation zu ändern..
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Es ist nicht notwendig, verrückt zu sein,
aber es hilft.