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Autor Thema: Lars von Trier: "Melancholia"  (Gelesen 2900 mal)

Kenaz

  • Gast
Lars von Trier: "Melancholia"
« am: 15 Oktober 2011, 09:52:36 »

Moinsen Gemeinde, anbei ein Filmtipp ganz am Rande:

Ich habe mir gestern "Melancholia" zu Gemüte geführt und war bzw. bin immer noch schwerstens begeistert. Der notorische Skandalregisseur, Dogma-Begründer und Hitlerversteher Lars von Trier lässt zu Wagnerklängen die Welt untergehen, und das mit Pauken und Trompeten sowie in aberwitzig schönen Bildern. Wobei: Pauken und Trompeten gibt's primär in den ersten 15-20 und den letzten 10 Minuten, dazwischen ist es ein bemerkenswert stiller/ruhiger  Film, der dessen ungeachtet - oder gerade deshalb  - in seinen Bann schlägt.

Der Plot auf kürzeste Kürze zusammengestaucht: Während sich aus Richtung des Sternbildes Skorpion ein Planet - titelgebend: Melancholia -  unaufhaltsam der Erde nähert und mit ihr zu kollidieren droht, findet in einer schlossartigen Anlage die mondäne Hochzeitsfeier der depressiven Blondine Justine statt. Anhand dieser Feier sowie ihres galoppierend desaströsen Verlaufs (der von Trier-Freund erinnert sich hier mit Fug & Recht an "Das Fest") illustriert von Trier quasi auf "Mikroebene" den langsamen Zerfall aller sinnstiftenden Konzepte, der auf "Makroebene" durch die drohende kosmische Katastrophe losgetreten wird. Die Frage, die gestellt wird, lautet: Was ist, was bleibt von Bedeutung angesichts des sicheren Todes, der sicheren Vernichtung? Welche Haltung ist angemessen? Was spricht dafür, das berühmte Apfelbäumchen doch noch zu pflanzen? Von Trier gibt keine Antworten, legt jedoch eine Tendenz vor, die man nur mit einiger Gewaltanwendung als optimistisch bezeichnen kann. Zitat Justine (großartig verkörpert von Kirsten Dunst): "Die Erde ist böse. Wir müssen nicht um sie trauern."

Mehr sei von der eigentlichen Handlung nicht verraten. - Kleine Randnotiz: Mir drängte sich während des Films immer wieder die Erinnerung an die berühmte Eingangspassage von Nietzsches Schrift "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" auf:
"In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der »Weltgeschichte«; aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mußten sterben. - So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt. Es gab Ewigkeiten, in denen er nicht war; wenn es wieder mit ihm vorbei ist, wird sich nichts begeben haben."
Wer "Melancholia" gesehen hat, wird verstehen, was ich meine.

Diejenigen, die von Triers letzten Film "Antichrist" mochten, kommen um den Nachfolger meiner Ansicht nach nicht herum, auch wenn dieser nicht ansatzweise auf solch drastische Bilder setzt, wie jener es tat - ich erinnere nur an die Igitt-Szenen mit Willem Dafoe und dem Mühlstein ... - Im Grunde ist "Melancholia", wie es ja schon der Titel nahe legt, ein überaus stiller, nachdenklicher, introvertierter Film, der dessen ungeachtet eine Wucht entwickelt, die ich in einer solchen Intensität im Kino lange nicht mehr erlebt habe (zuletzt vielleicht in Gaspar Noés "Enter The Void", aber das ist 'ne andere Geschichte) und diese Wucht in einem Knalleffekt entlädt, der den Zuschauer sprachlos und mit offener Kinnlade im Kinosessel zurücklässt. Uneingeschränkte Empfehlung!
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t_g

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Re: Lars von Trier: "Melancholia"
« Antwort #1 am: 15 Oktober 2011, 13:23:42 »

recht schönen Dank, dass du mir den wieder in Erinnerung gerufen hast. Ich hatte tatsächlich schon vor einigen Tagen eine Rezension im Radio gehört und wollte ihn mir auch im Hinterkopf behalten. Aber wie das halt so mit Sachen ist, wie ich morgens um 9 wollte..... ;)
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Mentallo

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Re: Lars von Trier: "Melancholia"
« Antwort #2 am: 19 Oktober 2011, 11:34:06 »

geh ich mir heute ansehen. bin auch schon ganz aufgeregt. ;D
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Kenaz

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Re: Lars von Trier: "Melancholia"
« Antwort #3 am: 19 Oktober 2011, 13:16:44 »

Achte mal drauf: Ich zumindest hab' in einem Kino beim Abspann glaub' ich noch niemals eine solch vollkommene Mucksmäuschenstille erlebt wie nach diesem Film.  ;)
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Ansichtssache

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Re: Lars von Trier: "Melancholia"
« Antwort #4 am: 19 Oktober 2011, 13:25:47 »

\o/

Klingt toll, muss ich mir unbedingt ansehen.
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Mentallo

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Re: Lars von Trier: "Melancholia"
« Antwort #5 am: 20 Oktober 2011, 08:37:57 »

Achte mal drauf: Ich zumindest hab' in einem Kino beim Abspann glaub' ich noch niemals eine solch vollkommene Mucksmäuschenstille erlebt wie nach diesem Film.  ;)

ja, fand ich allerdings recht plakativ vom publikum. ;)
der normalomensch scheint nicht geübt zu sein in weltuntergangsromantik. alles spiesser.

will an dieser stelle nicht spoilern, daher:
positiv:
-tolle bilder, insbesondere die einleitende slideshow ist der wahnsinn!
-schöne familientragik, fast genauso beschissen läuft es im leben.
negativ:
-deutlich zu lang! eine halbe/dreiviertelstunde weniger laufzeit hätte der atmosphäre nicht geschadet.
-obernervige wackelkamera. mir wurde nach einer weile ernsthaft übel davon. schade.
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Kenaz

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Re: Lars von Trier: "Melancholia"
« Antwort #6 am: 20 Oktober 2011, 15:02:21 »

-obernervige wackelkamera. mir wurde nach einer weile ernsthaft übel davon. schade.

- Hihihihi, naja, unter diesen Umständen würde ich von Trier'sche Filme allerdings ganz generell meiden, denn der Mann ist mit seinem ganzen "Dogma"-Dogma ja nun wirklich der Urvater aller Wackelkamerafilme - noch lange, bevor die Technik mit "Blair Witch Project", "Cloverfield" & Konsorten salonfähig wurde ...  ;D

Wobei: "Antichrist" kam, wenn ich mich recht entsinne, ohne größere Wackelei aus - andererseits: da zeichnete er auch nicht höchstselbst für die Kameraführung verantwortlich ...
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Sapor Vitae

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Re: Lars von Trier: "Melancholia"
« Antwort #7 am: 21 Oktober 2011, 00:21:35 »

-deutlich zu lang! eine halbe/dreiviertelstunde weniger laufzeit hätte der atmosphäre nicht geschadet.
Wobei ich beim Rausgehen erstaunt war, wie lang der Film letztlich tatsächlich gewesen ist. So lang ist er mir nämlich gar nicht vorgekommen.

Für mich ein Film, der es wirklich wert war, im Kino gesehen zu werden.
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Es ist nicht notwendig, verrückt zu sein,
aber es hilft.

thedi

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Re: Lars von Trier: "Melancholia"
« Antwort #8 am: 21 Oktober 2011, 17:08:37 »

Ich hatte Melancholia Anfang des Monats im Lüneburger Scala Kino in der Sneak Preview gesehen. Grandioser Film, tolle Bilder! Solltze man sich unbedingt im Kino anschauen. Fand ihn auch keineswegs zu lang oder langatmig, waren doch eh nur 2 Stunden, da ist man aus dem asiatischen Raum mit über 4 Stunden ja anderes gewöhnt. ;)