Schwarzes Hamburg > Politik & Gesellschaft -Archiv-

Lesen bildet... ;)

(1/7) > >>

Jinx:

--- Zitat ---selbst viele deutsche jugentliche können sich nicht mehr deutsch artikulieren.


Das liegt allerdings eher nicht am Ausländeranteil, sondern daran, daß Lesen nicht mehr gefragt ist unter Jugendlichen. Ein gehobenes Sprachniveau bekommt man aber nicht einfach durch Fernsehen. Das ist aber ein anderes Problem, kannst ja mal einen separaten Thread aufmachen (-:

--- Ende Zitat ---


Das Fass mache ich mal auf... ;) Es ist ein Thema, das mich nämlich sehr beschäftigt.

Wenn man in Foren unterwegs ist, trifft man ab und an auf Beiträge, bei denen es mühsam ist, zu erkennen, was der Verfasser einem mitteilen möchte (Leute ausländischer Herkunft sind hier ausdrücklich nicht gemeint). Die verbale Kommunikationsfähigkeit ist auch bei vielen nicht sonderlich ausgeprägt. Lehrer beschweren sich, dass SChüler (auch auf Realschulen und Gymnasien) kaum imstande sind, komplexe Sätze oder längere Texte zu verstehen, auch wenn sie sie lesen können (Stichwort: funktionaler Analphabetismus). Korrespondierend hierzu gibt es Studien, die versuchen, eine Zahl zu nennen (logischerweise ist die Dunkelziffer hoch). Eine Quelle: http://www.ndrinfo.de/container/ndr_style_file_default/0,2300,OID155320,00.pdf. Es gibt Alphabetisierungskampagnen, zu der z.B. auch der berühmte Spot im Fernsehen gehört (der mit der Autowerkstatt: "Kannst Du nicht lesen" - (Kollege:) "Nein, kann er nicht!"), Kurse an Volkshochschulen etc. Da das Erwerben selbst einer rudimentären Lesefähigkeit ist im Erwachsenenalter mühsam und langwierig. Und wer will schon zugeben, dass er oder sie nicht lesen kann?
Ich bin ja nun auch nicht mehr die Jüngste hier, aber ich erinnere mich an meine Kindheit (ich lese seit meinem späten dritten Lebensjahr leidenschaftlich gerne), in der ich unter Gleichaltrigen oft als eigentümlich galt, weil ich viel las und mit 10 über 100 Bücher besaß. Ich erschloß mir etwas später die englischsprache Literatur (im Original) und - viel später - die modernhebräische (dito). Ich lese einfach gerne. Schwerpunkte sind Krimis, ausgewählte Fantasy, aber auch ausgewählte Romane aller Art und Fachbücher (Computer, Webdesign, Digitale Fotografie sind hier besonders zu nennen). Könnte ich nicht lesen, hätte meine Einschränkung den Grad einer schweren Behinderung.

Seit Jahren geistert die Wehklage durch die Republik, dass Jugendliche Bücher mit dem A... nicht ansehen, lieber vor dem Computer sitzen oder Fernsehen (die beiden anderen "autistischen" Tätigketen, nebenbei bemerkt). Eltern versuchen dem entgegenzutreten, indem sie die Zeiten an diesen Medien limitieren. Oder es ist ihnen egal.

Dann trat jedoch Harry Potter in unser Leben. Nun wurden Buchhandlungen von Kindern und Jugendlichen (nebst etwas verschämten Erwachsenen) gestürmt, der Verlag kam mit dem Nachdruck gar nicht mehr hinterher und auch andere Bücher (z.B. Artemis Fowl - geniaaal, btw.) wurden zu Bestsellern des jüngeren Lesepublikums. Daher glaube ich, dass es nicht am Medium liegt, sondern an der Auswahl, die Kindern und Jugendlichen so präsentiert wird: banale Texte, langweilige Inhalte, die selbstzerfleischende Problemliteratur der Siebziger (ich meine, viele Jugendliche haben alkoholkranke und/oder arbeitslose Eltern, kennen Gewalt persönlich, werden vernachlässigt: müssen die das wirklich noch in der Schule lesen, was sie selbst tagtäglich zu Hause erleben?), die drögeren Klassiker in der Schule usw. Ich bin mir sicher: wäre meine Lesebegeisterung zu Hause nicht gefördert worden (btw: es wurde mir beigebracht, weil ich danach verlangte, kein Zwang. Der folgte in der Schule, als ich beim kollektiven Erlernen des Alphabets nebst den ersten mühsamen Gehversuchen fast zu Tode gelangweilt war), sie wäre durch die offizielle Pädagogik nicht geweckt worden. Ich las die Schulliteratur notorisch nicht, lies mir eine Zusammenfassung geben und wandte mich meinen eigenen Büchern bzw. denen meiner Eltern zu.

Daher meine ich, wenn man will, dass mehr gelesen wird, sollten Lehrer, Verlage und Autoren sich mal eines besseren Gespürs für Kinder- und Jugendliteratur befleißigen, dann wird das auch wieder interessanter.

Mein Lieblingsbuch zum Thema Analphabetismus ist übrigens ein Krimi: Ruth Rendell - Urteil in Stein. Da wird gemordet, nur weil jemand nicht lesen kann *g*.

phaylon:
So, ich halte den Beitrag mal eher kurz, und spare mir die langatmigen Details wie toll ich Lesen finde. Dass ich es für wichtig empfinde, steht ausser Frage. Aber man will ja die Leute mit (Zitat) "nicht ausgeprägter Kommunikationsfähigkeit" (hübscher Ausdruck übrigens ;) nicht benachteiligen.

Meine Sammlung an Büchern fasst derzeit ca 39 bis 44 Bücher, was aber daran liegt, dass ich eher Minimalist bin und Einmal-Lesen-Bücher sowie technische Bücher nicht aufhebe. Ich habe quasi den Kern, in den ich oft hineinschaue. Viele andere habe ich als PDF lagernd, falls ich doch mal was brauche.

Abgesehen davon neige ich dazu, mir Prosa-Bücher (Pratchett und Co.) zu leihen und nicht selbst zu besitzen (ausser "Ein gutes Omen", das muss ich mir einfach besorgen).

Um einen ungefähren Überblick zu geben, derzeit hängt meine Nase in folgendem: "Lehrbuch für Bibelhebräisch" (Thomas O. Lambdin), "Die Blumen des Bösen" (Charles Baudelaire, vollständige Ausgabe), "Die Kabbala - oder: die Religionsphilosophie der Hebräer" (A. Franck) und "Hüter der Schwelle" (Sammlung rund um Lovecrafts Cthulhu-Mythos)

Hier auch gleich eine Linkempfehlung, falls es jemand nicht kennt:
Project Gutenberg


p

Candide:
Gedruckte Worte haben - neben vielen anderen - einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: sie warten. Ulrich Wickert wiederholt sich in den Tagesthemen nicht, wenn ich frage "wie bitte?". In einem Buch aber kann ich hin- und herblättern wie ich lustig bin. Ganz abgesehen davon ist ein Buch auch ein "sinnliches" Erlebniss für mich, und es gibt kaum etwas, das mich so schnell in gute Stimmung versetzen kann, wie der Geruch einer echten Buchhandlung (also NICHT Thalia).

Ich halte es übrigens erstmal nicht für übermäßig wichtig, was Kinder lesen, Hauptsache, sie lesen. Ein Kind mit 16 zur Lektüre von Homo Faber zu nötigen ist Schwachfug und schreckt nur ab - sollen'se ruhig Trivialliteratur lesen, wenn es ihnen Spaß bringt, Interesse an Sprache entsteht sicher eher, wenn das Thema nicht mit Zwang und "Bewertung" assoziiert wird. Überhaupt ist die strikte Trennung zwischen U- und E-Literatur (& Musik & ...) eine (typisch deutsch-bürgerliche) Unsitte.

Daelach:
heilsa Jinx,

Das mit der Forenproblematik kenne ich durchaus - manche Leute hauen Beiträge ohne Punkt und Komma, ja ohne jeden Hauch von Grammatik ins Netz hinein, mitunter kann man einfach nur noch raten, worum es gehen soll. Das wirkt dann irgendwie, als wären die Sachen unter Drogeneinfluß geschrieben worden, als wäre da schon etwas "dahinter", ohne daß man es aber dem Geschriebenen entnehmen kann.

Umgedreht ist das noch schlimmer, wenn ich etwas schreibe, aber es als etwas interpretiert wird, was ich gar nicht gesagt habe. Angenommen ich sage, daß ich dafür plädiere, das Christentum von dieser Welt auszurotten, dann kann ich fast mit Sicherheit damit rechnen, daß irgendwer mir vorwirft, ich wolle alle Christen umbringen - obwohl ich das überhaupt nicht geschrieben habe.

Daher überlege ich inzwischen bereits, an was für ein Publikum ich mich wende; unter meinen Artikeln auf meiner HP ist mindestens einer, der sich an Jugendliche richtet, und da verwende ich ganz bewußt einen verminderten Wortschatz und eine einfachere Grammatik. Einen Satz wie den letzten kann ich da einfach nicht bringen, den müßte ich in wenigstens zwei Sätze aufteilen.


Ich selber lese gerne und viel, nicht nur auf deutsch, sondern auch englisch, französisch und künftig norwegisch. Schon im Kindergarten fand ich es total frustrierend, in den tollen Sachbüchern bloß die Bilder angucken zu können, und für die Texte den Kindergärtner bitten zu müssen, sie mir vorzulesen. Mit 6 habe ich daher endlich mein erstes "was-ist-was"-Buch selber durchlesen können, über Dinosaurier, als ich noch nichtmal das komplette Alphabet konnte.

Allerdings haben meine Eltern diese Interessen auch immer gefördert. Die Schulfibeln fand ich gähnend langweilig, die hab ich durchgeflogen und mich dann mit dem beschäftigt, was ich wirklich interessant fand. Für die Schule habe ich selten mehr getan als nötig, außer es interessierte mich.

Das hatte zur Folge, daß ich in vielen Fällen mehr wußte als der Rest, was die Schule natürlich noch langweiliger machte. Das Ergebnis war, daß ich mich mit 14 entschloß, französisch als 3. Fremdsprache zu belegen, im wesentlichen aus Langeweile.

Leider hatte ich das Pech, spät-68er als Deutschlehrer zu haben, so daß ich dann auch noch mit Schrott wie Graß, Kempowski und WENN schon Goethe, dann die Jammertiraden des Werther gelangweilt wurde. Faust, Nietzsche, alles privat - auch Hesse, bei dem ich zwar den weinerlichen Inhalt selten schätze, aber seinen Stil finde ich sehr schön.


Daß man jungen Leuten nicht mit für sie uninteressanten Büchern kommen kann, ist klar, die lesen sie eh nicht. Ja zu erheblichem Teil lesen sie gerade deswegen nicht, weil die Schule total darin versagt, die Dinge spannend darzustellen.

Was kommt stattdessen? Jahresweises Auswendiglernen der Ereignisse. Geschichte wird chronologisch statt in Zusammenhangsfäden unterrichtet. *gääähhhn*. Wenn ich jemandem etwas vom 3. Reich erzähle, springe ich oft chronologisch hin und her, aber ich bleibe in Sinnzusammenhängen.

Ein weiteres Problem ist allerdings, daß heute oft schon dieses Interesse fehlt, denn Fernsehen ist ein passiver Prozeß, Lesen ein aktiver. Es ist also Arbeit. Lesen ist nicht Konsumieren. Selbst wenn ein Thema wen interessiert, ist er doch heute meistens schon beim Anblick eines auch nur 200-seitigen Buches entmutigt. "Waaas, soooo viel lesen.. *ächz*".

Ich gebe Dir aber recht, daß man in Elternhäusern, wo der Fernseher die Rolle eines Hausaltars einnimmt im Wohnzimmer, nicht wirklich erwarten kann, daß die jungen Leute anders als die Eltern handeln. Viele Eltern wären evtl. sogar verunsichert, wenn die Kinder dann Fragen stellten, die die Eltern nicht beantworten könnten.

hilsen.. Daelach

Candide:

--- Zitat ---Leider hatte ich das Pech, spät-68er als Deutschlehrer zu haben, so daß ich dann auch noch mit Schrott wie Graß [...]
--- Ende Zitat ---


Ich will hier ja keinen Streit vom Zaun brechen, aber wenn jemand meinen geliebten Günni als Schrott bezeichnet, muss ich doch mal lautstark protestieren...  :roll:

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln