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EU-Verfassung
Kenaz:
--- Zitat von: "Thomas" ---Und wenn man in der Weltliga der Staaten weiterhin ganz vorne mitspielen möchte (wovon ich ausgehe) wird man um eine deutlichere Bündelung Europas nach außen hin nicht herum kommen.
--- Ende Zitat ---
- Das wird jedoch nie gelingen, wenn man zum einen wahllos sämtliche, den "Zonenrand" Europas bildende Bettelstab-Staaten wie z. B. die bereits genannten Rumänien und Bulgarien, aber auch das ganze Kroppzeug der ehemaligen GUS-Staaten in den Club mit aufnimmt, da die Wirtschaftskraft der EU so gerade nicht gestärkt, sondern vielmehr fundamental geschwächt wird.
Zum anderen halte ich es für fatal, völlig von faktisch bestehenden kulturellen Rahmenbedingungen abzusehen. Eine Gemeinschaft kann eine gewisse Kohärenz nur in dem Maße entwickeln, in dem eine gewisse Ähnlichkeit in den kulturellen Eigenheiten, Überzeugungen etc. ihrer einzelnen Mitglieder besteht oder wenigstens mittelfristig herstellbar ist, da sich nur so eine gemeinsame Identität kultivieren läßt. Das halte ich im Falle von Türkei, Ukraine, Rumänien etc. pp. aber für vergebliche Liebesmüh'. Das Bestreben nach einem "einigen Europa" ist ja gerade im Falle der neuen Beitrittsländer mehr als offensichtlich in erster Linie durch pekuniäre Interessen bestimmt, will heißen: man will was haben vom großen europäischen Sozialamt; dafür muß man aber erst mal am Pförtner vorbei und hineinkommen.
Den USA ist dieser Mechanismus durchaus klar, was nicht zuletzt schon daran ersichtlich wird, daß die Bush-Administration in schöner Regelmäßigkeit den Beitritt immer neuer Staaten in die EU "anempfiehlt" und forciert - allen voran den der Türkei. Daß den USA an einer starken EU nicht viel gelegen sein kann, liegt wohl auf der Hand, und deshalb ist es nur in deren Sinne, wenn sich die EU immer weiter bis zur völligen Handlungs- und Regierungsunfähigkeit aufbläht und an der schieren Masse ihrer Sozialfälle erstickt.
Über eine extrem abgespeckte EU ließe sich durchaus reden; ich denke da an ein Bündnis zwischen Partnern mit einigermaßen gleicher Wirtschaftskraft und einem gewissen Grundkonsens in puncto kultureller und ethischer Grundwerte: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, die Schweiz, Italien, Spanien, die skandinavischen Länder, die Beneluxstaaten und damit gut. - Damit wäre, ein Quentchen guten Willens freilich vorausgesetzt, ein Staat zu machen. Das was hier und jetzt allerdings entsteht, ist ein lebensunfähiger Patchwork-Kretin, der hoffnungslos dazu verdammt ist, im Globalisierungsprozeß unterzugehen. Und da ändert auch die allerschönste Verfassung nichts dran.
--- Zitat von: "Thomas" ---Also stellt sich für mich nicht die Frage, ob wir eine EU-Verfassung brauchen, sondern wie diese Aussieht.
--- Ende Zitat ---
- Nach den vorangegangenen Betrachtungen stellt sich für mich also nicht die Frage, ob wir eine EU-Verfassung brauchen bzw. wie die im einzelnen aussehen sollte, sondern zuerst einmal die, wie eine sinnvolle, d. h. handlungs- und für alle Beteiligten tragfähige EU überhaupt aussehen sollte. Denn von der sind wir nach meinem Dafürhalten noch Lichtjahre entfernt.
Und auch wenn ich mich wiederhole: Zum derzeitigen status quo der EU kommt von mir ein klares "Nein!".
Thomas:
Ein weites Feld, und man wird sehen, was passiert.
Nur sollte man bedenken, das Portugal, Spanien, Irland etc. auch mal für das Kroppzeug der EU gehalten wurden, und heutzutage zumindest einige dieser Länder einen respektablen Beitrag zur EU leisten (Natürlich ist Deutschland weiterhin der besten Europayer).
Gegen die neuen Beitrittskandidaten habe ich trotz kultureller Unterschiede nichts, WENN man dann aber bitte aufs schärfste darauf achtet, das sämtliche EU-Rahmenbedingungen (Menschrechte, Wirtschaftskraft, etc.) voll und ganz erfüllt werden.
Und da dürften einige Länder noch zu tun haben.Insbesondere die Türkei schafft es ja zur Zeit immer wieder sich selber noch weiter von der Mitgliedschaft zu entfernen.
Ivanhoe:
Einigen der bisherigen Aussagen kann ich zustimmen, allerdings bin ich dafuer, nicht die direkten Zahlungen der Laender gegeneinander aufzurechnen. Dabei geht dann naemlich unter, dass Deutschland zwar der groesste Netto-Zahler ist, dass wir aber - durch unsere Export-Orientiertheit - einer der groessten Profiteure von der EU sind. Und das kann man nicht so schnell beziffern.
Ich denke, dass die einzelnen Staaten mit einer EU besser dran sind. Die Frage ist aber, wieweit eine EU gehen soll.
In gewissen Bereichen - wie Justiz und Inneres - sollten die Staaten zwar gut zusammenarbeiten, aber sie sollten Ihre Souveraenitaet behalten. Ich moechte nicht vor ein Gericht in der Tuerkei, Rumaenien oder Bulgarien gezerrt werden koennen, weil ich hier in Hamburg etwas tue was in diesen Laendern vielleicht strafbar waere! (Auch, wenn der EU-Haftbefehl noch nicht durch ist, aber schon die Idee...)
Das Beispiel zeigt aber noch etwas anderes: Erst mal muss die EU effektiv arbeiten. An diesem Beispiel - und an dem der Software-Patente - kann man sehen, dass dieser riesige Wasserkopf EU schlicht grobe handwerkliche Fehler macht.
Und was die EU-Erweiterung angeht: Ich moechte nun wirklich nicht auch noch Rumaenien etc in der EU haben, demnaechst stellt die Mongolei vielleicht auch noch einen Antrag?
Mit der Kern-EU - wie sie hier schon aufgezaehlt wurde - konnte ich mich bisher immer identifizieren. Wenn jetzt aber Laender hinzukommen, mit denen wir (noch) nicht wirklich viel gemeinsam haben, wird es schwieriger, sich mit dem Konstrukt EU zu identifizieren. Und gerade das wird noetig, wenn wir eine Verfassung haben wollen, die von ihren Buergern akzeptiert wird.
Vor einer Verfassung der EU habe ich grundsaetzlich keine Angst, denn z.B. das BVerfG hat ja schon oefter Grenzen fuer die EU-Integration (und Aufgabe von Souveraenitaet) aufgezeigt, und wenn es eine Institution in der BRD gibt, auf die ich vertrauem, dann das Bundesverfassungsgericht ;-)
Ivanhoe:
--- Zitat von: "Kenaz" ---
kulturellen Rahmenbedingungen abzusehen. Eine Gemeinschaft kann eine gewisse Kohärenz nur in dem Maße entwickeln, in dem eine gewisse Ähnlichkeit in den kulturellen Eigenheiten, Überzeugungen etc. ihrer einzelnen Mitglieder besteht oder wenigstens mittelfristig herstellbar ist, da sich nur so eine gemeinsame Identität kultivieren läßt. Das halte ich im
--- Ende Zitat ---
Allerdings denke ich manchmal, Norddeutschland hat mehr mit Schottland oder Irland gemein als mit Bayern ;-)
(arrgh, ich wollte mir doch Seitenhiebe auf das Land, in dem seit Jahrzehnten die CSU herrscht, zeitweise sogar mit absoluter Mehrheit, verkneifen ;-) )
colourize:
Die hier zu lesende Vorstellung, dass die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit von nationalstaatlichen Regulativen auch nur in Ansätzen zu bewerkstelligen wären, ist an Naivität nicht zu überbieten. In einer Welt, deren Wirtschaftsysteme global vernetzt sind, zeugen nationalstaatliche Grenzen und die aus ihnen resultierenden politischen Systeme von einem hoffnungslosen Anachronismus, da die erlassenen Gesetze nur innerhalb eines kleinen Territoriums Gültigkeit besitzen und folglich für Global Player keinerlei Verbindlichkeit besitzen.
Da heutzutage das kapitalistische Akkumulationsregime nicht an administrative Grenzen gebunden ist, machen folglich nationale Gesetzgebungen überhaupt keinen Sinn mehr. Eine Europäische Verfassung ist also erst der Anfang einer notwendigen multilateralen Regulation.
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