Schwarzes Hamburg > Gedankenaustausch
Welchen Rat würdet Ihr Euch selbst vor 10 Jahren geben?
Julya:
Vor zwanzig Jahren: Halte durch, es wird besser!
Vor zehn Jahren: Halte durch, es wird wirklich besser!
Ich habe sicher viele Fehler gemacht, hab mich verarschen und ausnutzen lassen, habe unüberlegte Dinge getan, aber letztlich ist alles gut, wie es war, denn das hat mich zu dem gemacht, wer ich heute bin. Und das finde ich eigentlich ganz in Ordnung. :)
Jack_N:
Julya, den letzten Satz könnte ich unterschreiben.
Ich habe hier eine Weile überlegt was ich reinschreibe, aber letztenendes hätte ich ohne all die Fehler die ich auch gemacht hab etliche Leute nicht kennengelernt, einige andere Gelegenheiten verpasst, und auch viele positive Dinge wären an mir vorübergezogen.
Insofern: ein kurzer Blick zurück, der Vergangenheit zunicken, und volle Kraft voraus!
CubistVowel:
Für mich klingt dieses "Die Vergangenheit/Meine Fehler/Was mir angetan wurde/... hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin" wie ein Gemeinplatz, eine Binsenweisheit. Also wahr, aber furchtbar abgedroschen.
Mich persönlich bringt es weiter, mich gründlich und intensiv mit der Vergangenheit zu beschäftigen, meine guten und schlechten Entscheidungen zu analysieren und diese Erkenntnisse auf Gültigkeit für zukünftige Entscheidungen und Geschehnisse abzuklopfen. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand (und evtl. Hilfe von außen) wird diese Einschätzung auch immer realistischer, "objektiver". Ich will keineswegs in Zukunft alte Fehler wiederholen oder in alte, schlechte Verhaltensweisen zurückfallen; auch bei subjektiver Betrachtung meiner selbst ist nämlich nicht "alles gut, wie es war" und was war, auch wenn es mich ja tatsächlich zu dem gemacht hat, was ich heute bin.
Das bedeutet: Nicht alles, was ich heute bin, was meinem Charakter ausmacht, finde ich auch gut; und was ich selbst an mir nicht mag, will ich abarbeiten und tunlichst auch ablegen. Sozusagen der Vergangenheit "entwachsen", meine Zukunft möglichst wenig von Vergangenem abhängig sein lassen. Mir reicht deswegen ein lapidares "der Vergangenheit zunicken" einfach nicht, ich will und kann mich nicht quasi darauf ausruhen, dass ich nunmal so bin, wie ich bin. (Auch so eine oft bemühte, gequälte Floskel; meiner Erfahrung nach gerne von Leuten benutzt, die mit sich nicht wirklich zufrieden sind. Womit ich hier aber keinem pauschal etwas unterstellen will. Ich rede nur von mir und meinen Erfahrungen, und mich selbst würde ein Satz wie "Ich bin halt so" eher in der Entwicklung lähmen. Ich mag mich zwar recht gern, so wie ich bin, sehe aber trotzdem positive Ausbaumöglichkeiten. ;))
Sorry, dass ich das mit der "Binsenweisheit" jetzt so aufgreife, aber mir selbst ist einfach zu viel passiert, was in inzwischen fast 9 Jahren (erfolgreicher) Psychoanalyse wirklich aufgearbeitet werden muss(te), als dass ich das einfach so stehen lassen könnte.
Ich jedenfalls wäre heilfroh, wenn ich zu bestimmten Zeitpunkten meiner Vergangenheit zurückkehren und mir zumindest einige Erfahrungen ersparen dürfte. Dann dauerte die Psychoanalyse vielleicht nur halb so lang...^^
RaoulDuke:
--- Zitat von: CubistVowel am 03 Februar 2014, 22:07:26 ---Für mich klingt dieses "Die Vergangenheit/Meine Fehler/Was mir angetan wurde/... hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin" wie ein Gemeinplatz, eine Binsenweisheit. Also wahr, aber furchtbar abgedroschen.
--- Ende Zitat ---
Ich war erst geneigt, Julya und Jack leise zuzunicken und zu sagen "Recht haben sie". Aber dann las ich Deinen Beitrag und er stimmte mich um.
Manchmal schaue ich in den Spiegel, und natürlich könnte man da flachsen und scherzen und allen erzählen, dass man geblendet ist von so viel Schönheit und Perfektion. Aber das ist natürlich Bullshit und eigentlich auch nicht mehr wirklich lustig.
Wenn ich jetzt in den Spiegel schaue, sehe ich einen Mann, der mehr Narben hat, als er haben müsste, und auch deswegen, weil er Dinge falsch gemacht und falsch eingeschätzt hat. Es ist ziemlich schwer, so etwas zu schreiben, weil man sich auf eine Gratwanderung zwischen Mitleidsheischen und Verklärung begibt - aber es ist einfach nicht zu leugnen, der Mann im Spiegel hat Züge, die ich nicht mag, und ich weiß, woher sie kommen.
Etwas schlimmer wird es, wenn der Blick nicht nur in den Spiegel fällt, sondern sozusagen in den Spiegel und die Vergangenheit zugleich. Dann sehe ich einen jungen Mann, der sich unverstanden, ausgegrenzt und verlacht fühlte und anstatt den Dialog zu suchen oder in sich zu gehen, der Welt streckenweise mit Wut und Hass und irgendwie auch Panik entgegentrat, und sich fühlte wie auf einem sturmumtobten sinkenden Schiff in der Mitte des Ozeans, über Jahre.
Ich bin sehr froh, an einigen zentralen Stellen die richtigen Entscheidungen getroffen habe, die dafür sorgten, dass ich gesund bin, ein einigermaßen geordnetes Leben führe und einen wunderbaren Sohn habe. Aber an einigen Stellen lag ich auch total falsch, auch wenn diese vielleicht zu schwer zu erklären sind in einem Thread in einem Forum. Aber die Erkenntnis, dass unsere Existenz nicht die Hölle ist, ist bei mir eigentlich noch gar nicht so alt. Ein paar Jahre vielleicht, und wenn ich mit meinem Selbst von früher sprechen könnte, dann würde ich ihm das sagen.
Der Mann aus dem Spiegel hätte viel früher einen ganz anderen Blick auf die Welt haben können.
Julya:
Mein Satz "letztlich ist alles gut, wie es war" ist wohl auch nicht so ganz richtig. Wohl eher "Die Summe aus guten und schlechten Dingen ergab etwas, mit dem ich heute zufrieden bin".
Klar habe ich auch Eigenschaften und Defizite, die ich selber nicht mag und die mich teilweise massiv in meinem Leben einschränken, aber wenn man immer nur damit hadert, wäre man permanent in einer Opferrolle.
Ich würde dennoch nicht noch einmal zurück wollen, auch nicht, um Entscheidungen zu ändern, denn dann hätte sich mein Charakter anders entwickelt. In zig Jahren mit Analyse und anderen Therapieformen, habe ich für mich einfach festgestellt, dass ich an einigen Dingen nichts ändern kann, an anderen nur mit viel Kampf und Kraft.
Ich bin leider ekelhaft optimistisch, obwohl ich ständig Grund für Pessimismus hätte. Unter anderem ist genau das der Grund, warum ich finde, dass der Weg, den ich gehen musste, um das Heute so zu haben, wie es jetzt ist, wohl nicht verkehrt war. Dennoch möchte ich ihn kein zweites Mal gehen müssen. Das würde ich nicht überstehen.
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