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Erzählkunst in Videospielen - Bioshock Infinite

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Jack_N:
Guten Morgen!
Nachdem ich eine Nacht drüber geschlafen hab versuche ich mal meine Gedanken in Worte zu fassen. Gestern Nacht hab ich endlich Bioshock Infinite durchgespielt. Ja, auf "leicht" weil es mir mehr um die Story als ums Rumgeballere ging. Und ich wurde nicht enttäuscht, im Gegenteil.

Ich versuche den folgenden Text möglichst spoilerfrei zu halten. Dies ist allerdings bei gewissen Anspielungen nicht immer möglich. Jedem, der eine gut erzählte Geschichte mag und dann noch auf das Setting im frühen 20. Jahrhundert steht empfehle ich daher das Spiel zunächst selber durchzuspielen.



Bioshock Infinite ist ein FPS - First Person Shooter. Ein Ballerspiel also. Sogar in einigen Punkten ein ziemlich brutales. Nun steht natürlich direkt die Frage an: Wie kann ein solches Spiel eine Story tragen?
Es funktioniert, sogar sehr gut, durch die Hauptfiguren. Gewalt ist hier ein Mittel zum Zweck, aber sie bleibt nicht unreflektiert. Nicht wie in anderen Spielen wo es heisst "sammel den Schlüssel / die Codekarte und mach dann weiter" - und unterwegs mäht man tausende Aliens/Soldaten um. In Bioshock Infinite sind sich die Protagonisten ihrer Handlungen sehr wohl bewusst und in ihren Dialogen wird deutlich, dass sie nicht ohne Reue, Schuldgefühle und Ekel sind angesichts dessen was um sie herum geschieht. Alleine diese Dialoge bringen einem die Figuren näher, lassen zusammen mit der Mimik aus ihnen mehr als nur Papp-Scherenschnitte werden. Es entstehen Charaktere die man bewundert, bestaunt und teilweise fürchtet.

Einer der großen Stars des Spiels ist jedoch die Umgebung. Die fliegende Stadt Columbia ist als Setting ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt. Ken Levine, der Produzent, sagt selbst dass sie es erst mit einer primär charaktergetriebenen Story versucht haben und dies fehlschlug da die Komplexität den Spielfluss hemmte.
Wenn man sich die ersten Bioshock Infinite - Spielvideos anschaut ahnt man was er meint. Offenbar gab es zunächst eine viel stärkere Interaktion zwischen den Charakteren, dies bedeutete jedoch viele gescriptete Elemente, viele Unterbrechungen im "Flow" - was den Spieler im Endeffekt aus seiner Welt herausreisst und zum rein passiven Beobachter werden lässt. Es handelt sich aber bei einem Spiel nicht um einen Film. Sicherlich, das Ende ist vorgegeben (in diesem speziellen Fall jedenfalls), und nur in gewissen Bahnen beeinflussbar. Jedoch sollte der Spieler auf dem Weg dahin zumindest die Illusion der größtmöglichen Freiheit haben.
Und dies wurde erreicht indem man die Stadt stärker in den Vordergrund rückte, die Umgebung spielt zeitweilig eindeutig die Hauptrolle. Bevölkert mit Statisten, die aber hauptsächlich der Dekoration dienen, ist Columbia ein ort wie ein Vergnügungspark der zum Stöbern, Ausprobieren, Entdecken einlädt. Sogar das Tutorial bezüglich der eigenen Handlungsmöglichkeiten wurde hier exzellent mit eingebaut.
Durch diesen Kniff hat der Spieler weniger das Gefühl von einer Szene zur nächsten gereicht zu werden, sondern ist mehr mit dem Spielen selber beschäftigt. Viele Informationen findet er unterwegs über Audio-Logs (ein Trick der aus dem allerersten System Shock übernommen wurde), und die Jagd nach diesen weckt noch mehr den Entdeckertrieb - wodurch wiederum andere Informationsstücke oder Inhalte von den Entwicklern "zufällig" an den Wegesrand gelegt werden können.
Nur werden einem diese Dinge nicht aufgezwungen. Man kann sie ignorieren oder aktiv suchen. Das ist natürlich aus der Sicht eines Designers und Geschichtenerzählers frustrierend, denn es bedeutet dass man unter umständen viel Arbeit in kleine Details und Charaktere steckt, die von einem Großteil der Spieler nie wahrgenommen werden. So ist es nicht verwunderlich dass in einer Welt, in der die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne eines Teenagers die Zeit zwischen 2 Kameraschwenks in einem Musikvideoclip ist, nicht mehr viele Entwickler sich die Arbeit machen (oder bezahlt bekommen) derartige Inhalte in ihren Spielen unterzubringen.

Bioshock Infinite hingegen hat diese kleinen Puzzlesteine. Und wer sie alle zusammensucht, der wird mit vielen Antworten auf die Geheimnisse dieser Spielwelt belohnt.

Wir stellen also fest: Wir haben Charaktere, die trotz gegenüber ihren Entwürfen reduziertem Handlungsumfang sehr liebenswert und dank ihrer Dialoge lebhaft und glaubhaft wirken. Wir haben eine erstklassige Bühne, auf der diese Charaktere agieren und die dem Spieler zwar immer eine Richtung vorgibt, ihm aber auch genug Freiheiten lässt mal einfach nur die Umgebung zu bestaunen (ungleich Bioshock 1, wo zu häufig respawnende Splicer irgendwann nur noch nervten).
Was wir aber vor allem bekommen ist eine alles umfassende Storyline. Eine Geschichte mit unerwarteten Wendungen, Tiefgang, und vor allem: Eine geschichte die aufmerksame Spieler belohnt. Es kommen im Spiel viele Kleinigkeiten vor, kurze Handlungsmomente die uns anfänglich nebensächlich erscheinen, Audiologs die man nur mit halbem Ohr wahrnimmt.
Wenn man diese Dinge aber am Ende des Spiels sich wieder ins Gedächtnis ruft, dann klickts gewaltig im Denkkasten. Gewisse Andeutungen bekommen auf einmal einen Sinn.

Mir ging es so dass ich nach dem langen Ende erstmal den halben Abspann brauchte um wieder emotional halbwegs runterzukommen. Es war eine Achterbahnfahrt, man wusste ab einem gewissen Punkt genau wie sie enden würde und wünschte sich einfach nur dass es eine alternative Möglichkeit für einen gäbe, eine Möglichkeit das was kommt abzuwenden - aber gleichzeitig wusste man dass dieser Wunsch nur noch mehr Probleme aufwerfen würde als das, was stattdessen geschah.



Ich kann es nicht oft genug sagen: Wenn es irgendwie geht - spielt es selbst. Oder schaut jemandem zu der es spielt, dirigiert die Person ein wenig durch die Gegend wenn ihr erforschen oder euch einfach nur umsehen wollt, lasst euch auf dieses Spiel ein. Ich fürchte wir werden nicht mehr viele Spiele zu sehen bekommen die eine derartige Balance zwischen Inhalt und einer straffen Erzählweise finden (Metal Gear Solid 2 mag mehr Inhalt haben, aber wer lies sich im Spiel oder in dessen Menü tausende von Buchseiten durch und legt gerne zwischendrin für eine halbe Stunde dauernde Zwischensequenz den Controller aus der Hand? )

sYntiq:
Ich habe Infinite noch nicht gespielt (Liegt hier aber schon herum.) Erst einmal Skylanders beenden. :)  Ich bin aber schon sehr gespannt.

Da ich es noch nicht gespielt habe, habe ich auch deinen Text lieber nicht gelesen und werde daher erst irgendwann später inhaltlich etwas dazu schreiben.

Ookami:
Kirk Hamilton hat auf Kotaku eine interessante Betrachtung zu BS-I und dessen Gewaltlevel geschrieben. Lesenswert:
http://kotaku.com/bioshock-infinite-is-insanely-ridiculously-violent-it-470524003

Jack_N:
Da sprichst Du ein echtes Problem an. In diesem Fall wäre ich auch für eine geschnittene Fassung gewesen, so komisch das klingt.
Die Brutalität ist eben ein extremer Gegenpol zu der Welt in der man sich bewegt, und wenn im späteren Spielverlauf die "Bösewichter" dieselbe Brutalität wie der Spieler an den Tag legen ist man schon manchmal am Überlegen: Bin ich genau so ein Monster wie die? Zumal genau dieser Gedankengang ja auch durch die Dialoge der Hauptcharaktere unterstützt wird. Gleichzeitig merkt man ihnen an wie sie gewissermaßen... abstumpfen. Wird am Anfang noch das Handeln in Frage gestellt, so ist selbst Elizabeth am Ende bei einer "der Zweck heiligt die Mittel"-Einstellung angelangt.

Ookami:
Ich bin generell und immer gegen jede Art von Zensur (was eine geschnittene Fassung von Buch/Film/Spiel) immer ist.
Die Schreiber von BS-I haben den Gewaltexzess so reingeschrieben.
Ich wäre dafür, das Medienproduzenten endlich mal aufhören mit übertriebener Gewalt schockieren zu wollen.
Naja, ich versteh halt auch nicht, was manche Leute an Zombies und Gematsche finden.

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