Schwarzes Hamburg > Gedankenaustausch
Haben wir eine Seele?
messie:
--- Zitat ---Zum anderen ging er darauf ein, dass beispielsweise das Auge nicht das Licht, die Ohren nicht den Schall und die Beine nicht das Laufen erfunden hätten - all dieses sind letztlich Funktionen der Umwelt in der wir leben (Augen können sich nur dort entwickeln, wo es Licht gibt, Ohren sind eine Antwort darauf, dass es Schall gibt, die Existenz von Beinen ist eine Antwort darauf, dass es festen Erdboden und Schwerkraft gibt (...)
--- Ende Zitat ---
Menschen können viele Frequenzen, obwohl es sie gibt, nicht hören, im Vergleich zu vielen anderen Tieren. Warum nicht, wenn sie doch existieren ...?
Aus diesem Grund erweitere ich den Gedankengang mal durch einen eigenen: Der Mensch kann nur deswegen so denken wie er es tut, weil dieses Denken notwendig war und ist für sein Überleben. Ohne Denken und Erfindungen durch das Denken könnte der Mensch schlicht nicht überleben, weil er nicht anpassungsfähig genug ist. So kommt es dann, dass dem Menschen nicht etwa ein Fell wächst in kalten Gegenden, sondern er Kleidung dafür erfunden hat. Zwar hat die Natur auch beim Menschen teilweise reagiert, so sind Farbige deswegen dunkelhäutig, um so der intensiveren Sonnenstrahlung gewachsen zu sein (vereinfacht gesagt).
Ob es nun gut oder schlecht für diese Welt ist dass wir auch zu Gedanken und Erfindungen fähig waren/sind, die sowohl die Welt als auch uns selbst zu vernichten imstande sind, das sei mal dahingestellt. Man kann auch dahingehend argumentieren dass die Natur sich selbst regelt und dem Menschen deswegen auch die Fähigkeit dazu gegeben wurde damit er sich irgendwann selbst ausrottet, um so die Existenz dieses Planeten zu gewährleisten.
Mishima:
Ich weiß nicht, ob mir da schon jemand zuvorgekommen ist,
aber ich hab keine Ahnung was das genau sein soll, eine Seele.
Dieses Wort ist scheinbar Teil unserer Kultur und unseres allgemeinen Sprachgebrauchs,
aber ich habe festgestellt, dass selbst Diejenigen die am "Seelen-Glauben" festhalten,
oft gar nicht definieren können, was sie eigentlich mit "Seele" meinen.
Ich würde daher sagen, dass ich nicht an die Existenz von Seelen glaube,
obwohl ich das eigentlich nicht einmal selbst mit Inbrunst behaupten kann,
denn dafür müsste ich erstmal verstehen, was eine Seele genau ist.
Soviel ich weiß, stammt der Begriff aus der Religion und wurde dann nach der Aufklärung selbst von Leuten,
die sich von der Religion distanziert haben, unreflektiert übernommen bzw. weitergeführt.
Anscheinend ist die "Seele" für viele so selbstverständlich, dass sie über die eigentliche Bedeutung dieses Begriffs noch nie nachgedacht haben, geschweige denn, diesen hinterfragt haben.
So wie mir dieses "Ding" bisher erklärt wurde, ist es etwas immanentes, manche meinen auch transzendentes,
was unser Wesen ausmacht. Aber ich kapier´s trotzdem nicht.
Für mich hört sich das nicht nach einer Definition an, sondern nach esoterischem Gelaber.
Kann mir das jemand besser erklären?
Multivac:
--- Zitat von: RaoulDuke am 06 Dezember 2012, 11:44:41 ---Natürwissenschaften leiden zudem m.E. unter dem Problem, dass sie nur zur Beantwortung einer Teilgruppe aller Fragen relevante Antworten haben. Selbst wenn man akzeptiert, daß sich überraschend viele oder vielleicht sogar alle Sachverhalte beispielsweise durch mittels mathematischer Methoden erfassbarer Gesetzmäßigkeiten erklären lassen, so bleibt man bei der Beantwortung der Frage, WARUM dem denn so ist, mit diesem Methodenset vollkommen blank.
Sind Naturwissenschaften damit überhaupt mehr als ein Set von Werkzeugen? Wenn das nicht zutrifft, hat zumindest aus meinem subjektiven Empfinden heraus die Fraktion, die den Körper als eine Funktion des Geistes ansieht, gerade einen Punkt gemacht. Schließlich hat die andere Seite damit als Hauptargument nur so etwas wie einen besonders schönen, blankgeputzten Schraubendreher in der Hand. :)
--- Ende Zitat ---
Nun, sie schaffen mehr oder weniger nützliche Werkzeuge zum menschlichen Leben, wie z.B. Differentialrechnung für Landvermessung, Medizinische Forschung für Medikamente und Therapien, Kunstoffe für Touchscreens etc. Vergiß nicht die Raumfahrt. Elektronenmikroskope, Quantencomputer.
Erzähl mir mal, was Deine Schwafel'wissenschaften' denn bislang so brauchbares geschaffen haben ? Da ist selbst ein Litarat oder Maler nützlicher, was schafft die Philosophie, die Metaphysik ?
RaoulDuke:
--- Zitat von: Multivac am 09 Januar 2013, 16:10:26 ---
--- Zitat von: RaoulDuke am 06 Dezember 2012, 11:44:41 ---Sind Naturwissenschaften damit überhaupt mehr als ein Set von Werkzeugen? Wenn das nicht zutrifft, hat zumindest aus meinem subjektiven Empfinden heraus die Fraktion, die den Körper als eine Funktion des Geistes ansieht, gerade einen Punkt gemacht. Schließlich hat die andere Seite damit als Hauptargument nur so etwas wie einen besonders schönen, blankgeputzten Schraubendreher in der Hand. :)
--- Ende Zitat ---
Nun, sie schaffen mehr oder weniger nützliche Werkzeuge zum menschlichen Leben, wie z.B. Differentialrechnung für Landvermessung, Medizinische Forschung für Medikamente und Therapien, Kunstoffe für Touchscreens etc. Vergiß nicht die Raumfahrt. Elektronenmikroskope, Quantencomputer.
Erzähl mir mal, was Deine Schwafel'wissenschaften' denn bislang so brauchbares geschaffen haben ? Da ist selbst ein Litarat oder Maler nützlicher, was schafft die Philosophie, die Metaphysik ?
--- Ende Zitat ---
Bei allem, was Du mit einem Set von Werkzeugen anfangen könntest, also wie von Dir genannt bei der Heilung von Krankheiten, der Konstruktion von irgendwelchem Computer-Krams, der Eroberung des Alls und ja eigentlich allem, was unsere moderne Welt ausmacht, liegen natürlich die Naturwissenschaften vorn.
Aber man kann nicht alles mit Werkzeugen lösen: Werkzeuge brauchen jemanden, der sie anwendet und ein Ziel verfolgt. Und mit eben diesem Umstand setzen sich einige der von Dir als Schwafel-Wissenschaften geschmähten Disziplinen auseinander. Die Frage, was wir eigentlich für ein Ziel haben mit all den Dingen, die wir jetzt bauen und konstruieren können, ist mindestens so wichtig wie der Umstand, dass wir es können, wenn nicht sogar wichtiger. Wir können tolle Autos bauen, zum Mond fliegen und sowohl Medikamente als auch Atombomben zusammenbasteln. Aber wenn wir uns nur darauf konzentrieren, bleiben u.a. folgende Fragen offen:
- Wollen und dürfen wir alles bauen und konstruieren, was wir können? Ist es wirklich OK, zu Forschungszwecken ultratödliche H5N1-Voren zu züchten? Dürfte jemand eine Weltuntergangsmaschine bauen? Was wäre beispielsweise, wenn es wirklich ein Risiko gäbe, dass superschnelle Teilchenbeschleuniger schwarze Löcher erzuegen und uns alle vernichten? Einfach trotzdem machen, wird schon gutgehen?
- Wie wollen wir in der von uns geschaffenen Welt zusammenleben? Wer darf in welcher Form teilhaben an den Errungenschaften? Wie verteilen wir die Ressourcen? Wie arbeiten wir und wieviel? Ist eine Demokratie wirklich das nonplusultra?
- Warum sind wir eigentlich hier? Gibt es vielleicht doch ein höheres Ziel für all den Stress, den wir uns hier machen, oder ist alles tatsächlich komplett sinnlos und dient maximal Unterhaltungszwecken? Wozu placken wir uns eigentlich alle so ab? Was wäre, wenn wir einfach damit aufhören würden?
- Dürfen wir eigentlich vor lauter Freude über all den auf naturwissenschaftlicher Basis zusammengeschraubten Krams hier so einen krassen Konsumexzess veranstalten? Ist es unmoralisch, seinen Kindern einen von Rohstoffen ausgelaugten, mit Müll überhäuften und teilweise strahlenden Planeten zu überlassen, auf dem der Meerespiegel erst einmal ein paar Jahrhunderte steigt, während die Nahrung knapp wird und die Bevölkerung wächst? Wenn ja, warum tun wir es dann?
Ohne solche Fragen ist es doch, als säßen wir in einem coolen Auto mit allen Schikanen, allerdings ohne Navi und wir wüssten nicht, wohin wir nun eigentlich fahren wollen...
Kenaz:
Dem kann ich mich eigentlich in allen Punkten nur anschließen. Die folgende Frage halte ich übrigens für die zentralste, denn im Grunde genommen leiten sich alle anderen ganz zwanglos daraus ab:
--- Zitat von: RaoulDuke am 17 Januar 2013, 09:57:33 ---Warum sind wir eigentlich hier? Gibt es vielleicht doch ein höheres Ziel für all den Stress, den wir uns hier machen, oder ist alles tatsächlich komplett sinnlos und dient maximal Unterhaltungszwecken? Wozu placken wir uns eigentlich alle so ab? Was wäre, wenn wir einfach damit aufhören würden?
--- Ende Zitat ---
Es ist überaus bedauerlich, dass unsere "hochentwickelte" Gesellschaft im Laufe der letzten, gut 150 Jahre in ihrem Begeisterungstaumel darüber, was technisch alles machbar ist, den tieferen Sinn des Ganzen zunehmend aus den Augen verloren hat bzw. die Frage danach gerne als Querulantentum abqualifiziert. Besonders augenfällig finde ich diesen Umstand angesichts des medizinischen Fortschritts: Zwar ist alles begeistert, dass die Grenzen des individuellen Lebens immer weiter ausdehnbar sind, doch was man damit sinnvollerweise eigentlich anstellen soll, darüber herrscht immer bestürzendere Unklarheit. Konsequenz: die psychotherapeutischen Praxen platzen aus allen Nähten, da all die entwurzelten, orientierungslosen und verstörten Menschen mit ihrem Leben, das jetzt obendrein auch noch 20 Jahre länger wärt als ehedem, immer weniger zurecht kommen.
Insofern ist auch die radikale Ausblendung von Krankheit und Tod, die in den modernen Industriegesellschaften so en vogue ist, nur folgerichtig: wer die Frage nach dem Sinn verdrängt, für den ist der Tod - um mit Sartre zu sprechen - tatsächlich ein Skandal. Und zwar ein überaus beklemmender, denn er wirft den einzelnen unausweichlich auf diese, vermeintlich nebensächliche Frage zurück. Es gibt ein hübsches, kleines "Gebet" von Thomas Hardy, das den heute so unpopulären Gegenentwurf sehr pointiert zum Ausdruck bringt: "Teach me to live, that I may dread / The grave as little as my bed. / Teach me to die ..." - Genau diese "Lehre" aber kann die Naturwissenschaft nicht leisten, da sie auf die qualitative und nicht auf die quantitative Ebene abhebt.
Materie und materielle Prozesse als Teile dieser quantitativen Betrachtungsebene sind jedoch nicht selbsterklärend. Und es ist ein Trugschluss des allenthalben zelebrierten Naturwissenschaftsfetischismus, davon auszugehen, das existenzielle Problem, vor das der Mensch mit seinem Lebensvollzug gestellt ist, sei gelöst, wenn es auf seine biochemische Zusammenhänge zurückgeführt und auf dieser Ebene "erklärt" würde. In den Naturwissenschaften macht sich heute eine Haltung breit, die sonst eher für religiöses Denken typisch ist, nämlich ein nachgerade chauvinistischer Exklusivanspruch auf Deutungshoheit in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Was nicht quantifizierbar ist, ist "Gelaber" und damit ohne Belang. Ich halte dieses Phänomen für einen Ausdruck von Angst - ein bisschen wie das berühmte Pfeifen des Kindes im dunklen Wald. Freilich: Man konnte sich die existenziellen, spirituellen, axiologischen Fragen, mit denen sich die "Laberwissenschaften" auseinandersetzen, selten so effektiv vom Leibe halten wie heute, denn das Getöse der Naturwissenschaften ist zweifelsohne grandios. Damit sind diese Fragen jedoch keineswegs vom Tisch, denn aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.
Im übrigen finde ich den Umstand hochinteressant, dass diese Entwicklung den Menschen in immer umfangreicherem Maße ökonomisch verwertbar macht. Dem entwurzelten, orientierungslosen Individuum, das auf die von Raoul formulierten Fragen nicht nur keine Antwort hat, sondern schon der bloßen Fragestellung furchtsam aus dem Wege geht, sind wesentlich unkomplizierter alle möglichen "Bedürfnisse" - und seien sie noch so irrational - zu implementieren. Das ist ja das Tolle am "Fortschritt": Da seine Geschwindigkeit naturgemäß immer weiter zunimmt, kommt der einzelne immer weniger dazu, sich überhaupt noch Fragen hinsichtlich des tieferen Sinns der ganzen Veranstaltung zu stellen, da er viel zu sehr damit beschäftigt ist, Schritt zu halten (was ihm ohnehin nicht mehr gelingt). Und da er den Kontakt zu diesem tieferen Sinn immer mehr verliert, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als auf die windigen Surrogate zurückzugreifen, die ihm die Industrie - stets um sein Wohl besorgt ;D - stattdessen anbietet. Die fragliche Entwicklung ist also durchaus im Sinne der kapitalistischen Doktrin von der Gewinnmaximierung - sollte das wirklich purer Zufall sein?
Insofern finde ich auch das Bild, das Raoul für sein Fazit findet, ungemein treffend:
--- Zitat von: RaoulDuke am 17 Januar 2013, 09:57:33 ---Ohne solche Fragen ist es doch, als säßen wir in einem coolen Auto mit allen Schikanen, allerdings ohne Navi und wir wüssten nicht, wohin wir nun eigentlich fahren wollen...
--- Ende Zitat ---
Eben: ein VW-Käfer mit 45 PS, in dessen Handschuhfach sich eine Karte befindet, kann dem Reisenden in der Fremde deutlich hilfreichere Dienste erweisen als ein Ferrari mit 500 PS, der mit 'ner Dolby-Surround-Anlage ausgestattet ist ... ;)
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