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Plagiatsjäger für alle?

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RaoulDuke:
Mal wieder geistern Plagiatsvorwürfe durch die Presse, dieses mal betreffend die Bildungsministerin Frau Schavan. Die Plagiatsvorwürfe haben uns ja mit Herrn Guttenberg schon einen schillernden prospektiven Kanzlerkandidaten gekostet , eine Europaparlaments-Abgeordnete und und Mitglied des Bundesvorstands der FDP ging verloren (Koch-Mehrin), aber auch Abgeordnete andere Parteien oder Personen aus der Wirtschaft sind Titel, Amt oder Karriere los.

Einige Folgerungen und Fragen ergeben sich m.E. daraus:

Der Prüfungsprozess für Dissertationen ist mittlerweile zweistufig. Nach Prüfung der Arbeit und Ablegen der Disputation darf man den Titel zunächst führen. Sobald man hinreichende Bekanntheit erlangt hat oder sich anderweitig genug Konkurrenten, Neider oder andere nicht wohlgesonnene Menschen zugelegt hat, beginnt der zweite Teil des Prüfungsprozesses, die Auseinandersetzung mit Plagiatsjägern. Erst wenn man das schadlos überstanden hat, kann man sich sicher wähnen. Ich persönlich finde, der Druck zu größerer Wissenschaftlichkeit besteht zu Recht, weil es nicht fair ist, daß man offensichtlich kaufen oder kurz zusammenclicken kann, was andere sich hart erarbeiten. Und wenn man es schon kauft, muss man jetzt wesentlich bessere Ghostwriter engagieren als zuvor. Aber die web-basierte Prüfung artet ja auch gern in einen künstlichen "Shitstorm" aus, in dem unabhängig von jedem wissenschaftlichen Anspruch Dreck auf die Betroffenen geworfen wird, in der Hoffnung, daß irgendwas kleben bleibt.

Aber wenn dieses Prinzip mittlerweile so akzeptiert ist, warum weitet man dann das Verfahren nicht weiter aus? Wenn man einen neuen Prüfungsmodus einsetzt, könnten ja auch Diplome, Master- und Bachelorarbeiten, Habilitationen und warum eigentlich nicht auch schriftliche Meisterprüfungen noch einmal öffentlich verifiziert werden. Wenn das wirklich höhere Standards setzt, können ja so auch andere Abschlüsse davon profitieren. Wenn die reputationsschädigende Hetze es bei den Doktoranden wert ist, muss sie es doch auch bei Professoren, Studenten und akademischen Fachrichtungen wie Ärzten sein? Konkret: Vielleicht möchte man, daß der Uni-Abschluss des Zahnarztes, zu dem man gehen möchte, noch einmal durch Plagiatsjäger kontrolliert wurde? Nicht, daß da jemand seinen Abschluss nur gekauft hat, und man das erst merkt, wenn die Wurzelbehandlung nicht wie erwartet läuft?

... und wenn man eigentlich dabei ist, kann man ja die Prüfungskomissionen der Unis letztlich völlig entmachen oder abschaffen. Titel und Abschlüsse, die man bis auf Widerruf verliehen bekommt - Wer braucht sowas eigentlich?

(ich finde übrigens, der Titelhype ist sowieso total übertrieben, aber das ist wohl ein anderes Thema)

messie:
Ich werde da grade nicht ganz schlau wieviel Sarkasmus in deinem Beitrag steckt ...  :o

Prinzipiell ist die Recherche, ob da plagiiert (oder geguttenbergt  ;D ) wurde gar nicht mal schlecht und im Wissenschaftsbetrieb m.E. auch durchaus notwendig heutzutage. Plagiate wie sie zu Guttenberg abgeliefert hat schaden der Reputation des Wissenschaftsbetriebs, sie sollte man aufdecken, und zwar vom korrigierenden Professor (bzw. seinen Gehilfen) selbst.
Wird teilweise, wie ich höre, auch gemacht. Ob durchgängig, das entzieht sich meiner Kenntnis.

Gegen ein nachträgliches genauer Hinsehen durch kompetente Leute habe ich auch nichts. Bei groben Plagiaten, bittesehr, so etwas ist in etwa das, als ob später herauskäme, dass Schüler in ihrer Abiturprüfung nachweisbar geschummelt oder abgeschrieben haben, da wird jenen das Abitur ebenso aberkannt nachträglich.

Was mich aber mächtig nervt ist der Umstand, dass sich da Leute als "Plagiatsjäger" aufspielen, die von wissenschaftlichen Arbeiten keine Ahnung haben, vom Wissenschaftsbetrieb ebenso wenig, aber schreiben "ieeeh, da wurde nur der halbe und nicht der ganze Satz gekennzeichnet, Plagiaaat!"
Exakt dies scheint es mir nämlich bei Schavan zu sein: Vieles, was da auf schavanplag bekrittelt wird sind zwar kleine formale Fehler, aber mehr eben auch nicht. Da wurde unsauber zitiert, mehr aber eben auch nicht. Sorgt im Wissenschaftsbetrieb für schlechte Noten, aber nicht dazu dass da jemand gleich durchfällt. Für die Jäger aber gibt es entweder "perfekt" oder "durchgefallen", und das nervt gehörig. Zumal gerade bei ihr die Arbeit über 30 Jahre her ist, damals waren Computer noch nicht so verbreitet wie heute und die Recherche um einiges mühevoller. Ich kann verstehen, dass sie sich diesbezüglich vehement wehrt.

Ob etwa das VroniPlag-Wiki wirklich sinnvoll ist? Schwer zu sagen. Es hängt davon ab wie kompetent jene sind, die die Vorwürfe kanalisieren und noch einmal prüfen. Das beinhaltet auch die Berücksichtigung des Zeitpunkts der geschriebenen Arbeiten: Jene im digitalen Zeitalter erstellten sind kritischer zu betrachten, da sich seitens des Schreibenden selbst leicht überprüfen lässt, ob er bei diversen Textstellen die Kennzeichnung noch hinzufügen muss.

Spannend wird's, wenn im Zuge der Überprüfungen bei so ziemlich jedem herauskommt, dass da plagiiert (und nicht nur ein wenig geschlampt) wurde. Geht das dann als Gewohnheitsrecht durch?  ;D

RaoulDuke:

--- Zitat von: messie am 15 Oktober 2012, 14:09:52 ---Ich werde da grade nicht ganz schlau wieviel Sarkasmus in deinem Beitrag steckt ...  :o

--- Ende Zitat ---

Zu Recht, es ist auch mir irgendwie nicht so ganz klar, ob es sich um eine Weiterentwicklung des Wissenschaftsbetriebes handelt, oder um eine gefährliche Entmachtung wichtiger Institutionen (denn die Unis haben hier ja gar nicht mehr so furchtbar viel zu sagen)


--- Zitat von: messie am 15 Oktober 2012, 14:09:52 ---Prinzipiell ist die Recherche, ob da plagiiert (oder geguttenbergt  ;D ) wurde gar nicht mal schlecht und im Wissenschaftsbetrieb m.E. auch durchaus notwendig heutzutage. Plagiate wie sie zu Guttenberg abgeliefert hat schaden der Reputation des Wissenschaftsbetriebs, sie sollte man aufdecken, und zwar vom korrigierenden Professor (bzw. seinen Gehilfen) selbst.
Wird teilweise, wie ich höre, auch gemacht. Ob durchgängig, das entzieht sich meiner Kenntnis.

--- Ende Zitat ---

So wie es ausschaut gibt es da auf jeden Fall noch Handlungsbedarf, es ist jedenfalls ziemlich entlarvend für die Prüfungsausschüsse, wenn sie von im Grunde fachfremden Leuten so an die Wand gespielt werden.


--- Zitat von: messie am 15 Oktober 2012, 14:09:52 ---Gegen ein nachträgliches genauer Hinsehen durch kompetente Leute habe ich auch nichts. Bei groben Plagiaten, bittesehr, so etwas ist in etwa das, als ob später herauskäme, dass Schüler in ihrer Abiturprüfung nachweisbar geschummelt oder abgeschrieben haben, da wird jenen das Abitur ebenso aberkannt nachträglich.

--- Ende Zitat ---

Das stimmt wohl, aber irgendwann schaut auch einfach niemand mehr nach. Man kann einige Zeit nach dem Abitur selbst bei unsauberer Arbeitsweise davon ausgehen, es sicher bestanden zu haben.


--- Zitat von: messie am 15 Oktober 2012, 14:09:52 ---Was mich aber mächtig nervt ist der Umstand, dass sich da Leute als "Plagiatsjäger" aufspielen, die von wissenschaftlichen Arbeiten keine Ahnung haben, vom Wissenschaftsbetrieb ebenso wenig, aber schreiben "ieeeh, da wurde nur der halbe und nicht der ganze Satz gekennzeichnet, Plagiaaat!"
Exakt dies scheint es mir nämlich bei Schavan zu sein: Vieles, was da auf schavanplag bekrittelt wird sind zwar kleine formale Fehler, aber mehr eben auch nicht. Da wurde unsauber zitiert, mehr aber eben auch nicht. Sorgt im Wissenschaftsbetrieb für schlechte Noten, aber nicht dazu dass da jemand gleich durchfällt. Für die Jäger aber gibt es entweder "perfekt" oder "durchgefallen", und das nervt gehörig. Zumal gerade bei ihr die Arbeit über 30 Jahre her ist, damals waren Computer noch nicht so verbreitet wie heute und die Recherche um einiges mühevoller. Ich kann verstehen, dass sie sich diesbezüglich vehement wehrt.

--- Ende Zitat ---

Das ist schon hart: Was wissenschaftlich ist, definiert nicht mehr die Wissenschaft, sondern eine Art Komittee, das auch noch einen Anreiz hat, möglichst strenge Kriterien anzulegen, um selbst als erfolgreich dazustehen. Es gibt auch keine Verjährung - nach über 30 Jahren sind nach meiner Kenntnis (juristischer Laie) schon einige Dinge verjährt. Dazu sagt § 78StGb (ich hab's aus Wikipedia kopiert):

Die Verjährungsfrist ist in § 78 StGB geregelt und beträgt nach Abs. 3:

1.dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
2.zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,
3.zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,
4.fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,
5.drei Jahre bei den übrigen Taten.
Mord (§ 211 StGB) verjährt nie (§ 78 Abs. 2 StGB).

Wird man jedoch nach über 30 Jahren bei unsauberer wissenschaftlicher Arbeitsweise erwischt, verliert man seinen Job, seinen Titel und wird gesellschaftlich als Betrüger geächtet. Die Folgen dürften zwar weniger schwerweiegend sein als eine Haft von ca. 15 Jahren, aber ich halte sie für erheblich. Unsaubere wissenschaftliche Arbeitsweise hat damit nur etwas geringere Folgen als einen Mord zu begehen. Wollen wir das?


--- Zitat von: messie am 15 Oktober 2012, 14:09:52 ---Spannend wird's, wenn im Zuge der Überprüfungen bei so ziemlich jedem herauskommt, dass da plagiiert (und nicht nur ein wenig geschlampt) wurde. Geht das dann als Gewohnheitsrecht durch?  ;D

--- Ende Zitat ---

:) Interessante Idee.

Und was ist überhaupt, wenn zwei Leute Werke ohne Quellenangabe mit identischen Textpassagen abgegeben haben? Vielleicht hat der eine sie originär verfasst, der andere sie kopiert, vielleicht haben beide sie kopiert? Gerade wenn zwischen der Veröffentlichung wenig zeit liegt, hat vielleicht der eine bei einem Vortrag des anderen das Diktirgerät laufen lassen? Sollten dann beide zur gesellschaftlichen Exekution antreten?

Hm. Ein ungutes Gefühl bleibt. Zumal ich mir über die Motive der Plagiatsjäger nicht so ganz im Klaren bin.

Schattenwurf:
Eine Meisterprüfung schreibt man aber nicht daheim. ^^
Also ich meine zumindest nicht ... weiß nicht wie andere HWK's das halten ...
Eine Prüfung zu hause am PC schreiben wäre aber etwas unsinnig, oder nicht?

Im Prinzip sollte aber alles was überprüfbar ist in diesem Bezug gerne veröffentlicht werden.

Ich finde eh das Bildungsgrade allgemein viel zu inflationär "verschenkt" werden.
Das senkt deren Wert gewaltig ...
Ich hab letztens erst eine Werbung von LIDL gesehen ... "Abitur was nun?" xD

colourize:
Oh, schon wieder. Langsam wirds langweilig, finde ich.

Ironie der Schavan-Geschichte ist nun aber, dass ausgerechnet *die* Ministerin, die seinerzeit Verteidigungsminister Guttenberg über die Klinge springen ließ, nun selbst im Shitstorm steht. Wer mag nun wohl der adelige Schleimbolzen sein, der sich da gerade schadenfroh ins Fäustchen lacht? Ein Schelm der Böses dabei denkt.  :-X

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