Schwarzes Hamburg > Politik & Gesellschaft -Archiv-
Was gesagt werden muss
Multivac:
Hier ein Auszug aus dem heiß diskutierten Gedicht:
Was gesagt werden muss
Von Günter Grass
"Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.
Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte und
zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.
Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?
Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig.
..."
ganzes Gedicht hier: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,825744,00.html
Was meint Ihr dazu ?
messie:
Hihi, ich wollt's nicht machen ... ;D
Erstmal: Warum zitierst nur die erste Hälfte des Gedichts direkt? Scheint dir der Rest nicht diskussionswürdig zu sein? Die für mich entscheidenden Passagen stehen nämlich eher im zweiten Teil. ;)
Es stellt sich mir dar, dass Grass zutiefst darüber erschrocken ist, dass Deutschland (zu seinen Jugendzeiten schließlich DER Kriegsaggressor schlechthin) der Atommacht Israel U-Boote liefert, die dieses mit Atomwaffen bestücken kann angesichts der Tatsache, dass Israel einen militärischen Angriff gegenüber dem Iran nicht mehr ausschließt.
Nicht obwohl, sondern gerade weil er mittendrin war, in der SS "gedient" hat, weiß er um die Schrecken des Krieges.
Dass er sich damit auch sicher nicht ungerne wieder ins Gespräch gebracht hat, entwertet nur unvollständig seine Zeilen. Sie sind jedenfalls hervorragend geeignet, um anderen klar zu machen, dass Israel da gerade selbst etwas vorbereitet, das im Friedenssinne keinesfalls gutgehießen werden kann. Denn griffe Israel den Iran tatsächlich an, dann ginge das die gesamte Welt an. Auch und gerade deswegen weil Israel eine Atommacht ist und keineswegs sicher ist, ob sie ihre Atomwaffen im Ernstfall nicht doch einsetzen.
Für mich jedenfalls ist es eine Veröffentlichung aus einer Angst vor einem (Atom-)krieg, weniger eins zur Selbstdarstellung oder gar aus einem Antisemitismus heraus.
sYntiq:
Ich find diese ganze Diskussion in den Medien ziemlich lächerlich.
"Günter Grass behauptet dass jeder der in Deutschland etwas gegen Israel sagt, sofort als Antisemit bezeichnet wird. Das stimmt doch gar nicht. Aber Günter Grass IST Antisemit! Schliesslich hat er etwas gegen Israel gesagt!"
Ich habe das Gefühl dass eigentlich niemand wirklich drüber nachdenkt was er da gesagt hat und warum er das gesagt hat. Statt sich mit der Materie zu beschäftigen, wird einfach die Antisemitismuskeule geschwungen und gut ist. Ist ja auch viel einfacher, muss man sich nciht mit evtl. unbequemen Dingen beschäftigen!
Multivac:
--- Zitat von: messie am 05 April 2012, 14:24:21 ---Warum zitierst nur die erste Hälfte des Gedichts direkt? Scheint dir der Rest nicht diskussionswürdig zu sein? Die für mich entscheidenden Passagen stehen nämlich eher im zweiten Teil. ;)
--- Ende Zitat ---
weil ich dachte, ich verletze dann urheberrechte und werde hier aufgefordert, es wieder zu löschen. daher auch der link drunter mit dem ganzen gedicht.
--- Zitat von: messie am 05 April 2012, 14:24:21 ---Für mich jedenfalls ist es eine Veröffentlichung aus einer Angst vor einem (Atom-)krieg, weniger eins zur Selbstdarstellung oder gar aus einem Antisemitismus heraus.
--- Ende Zitat ---
denke ich auch, aber die reaktionen sind im allgemeinen so:
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte: „Ich bin über die Tonlage und die Ausrichtung dieses Gedichtes entsetzt.“
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles: „Ich schätze Günter Grass sehr, aber das Gedicht empfinde ich vor dem Hintergrund der politischen Lage im Nahen Osten als irritierend und unangemessen.“
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) warnte: „Ein deutscher Nobelpreisträger wie Günter Grass sollte aufpassen, dass er hier nicht zündelt und die falschen Signale aussendet.“
Publizist Michel Friedman (CDU): „Es wäre besser gewesen, Grass hätte weiter geschwiegen. Grass spielt mit antisemitischen Klischees.“
FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher urteilt: „Es ist ein Machwerk des Ressentiments, es ist, wie Nietzsche über das Ressentiment sagte, ein Dokument der ‚imaginären Rache‘ einer sich moralisch lebenslang gekränkt fühlenden Generation.“
FDP-Generalsekretär Patrick Döring (38) warnt: „Aus Grass' Gedicht spricht nicht die Weisheit des Alters, sondern man hört uralte Vorurteile. Hinter Grass' Gedanken können sich künftig noch ganz andere Gestalten verstecken."
Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nannte das Gedicht ein „Hasspamphlet“.
Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee (AJC): „Wieso fühlt er sich berufen, Israel zu denunzieren, statt sich zu den autoritären Regimen im Nahen Osten, die bislang einen regionalen Frieden unmöglich gemacht haben, zu äußern“
(aus BILD)
messie:
Ja, die Reaktionen sind genau das, was Grass anprangert. In seinem vorletzten Absatz dieses "Pamphlets" (*gröööhl*) ist auch zu lesen:
--- Zitat von: Günther Grass ---(...) zudem ist zu hoffen, es mögen sich viele vom Schweigen befreien, den Verursacher der erkennbaren Gefahr zum Verzicht auf Gewalt auffordern und gleichfalls darauf bestehen, daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potentials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.
--- Ende Zitat ---
Weder hat er hier genannt dass Israel der Verursacher der Gewalt ist, noch hat er den Iran dabei vergessen. Just dieser Absatz legt doch eindeutig fest, worum es hier geht, um den Frieden! Seine Zeilen sind nichts anderes als eine Aufforderung an Deutschland und die Welt, das Wettrüsten dort unten aufzuhalten und die damit einhergehende Eskalation.
Denn auch wenn viele den iranischen Präsidenten für einen Typen halten der nur Säbel rasselt hinter denen nichts dahinter ist, so ist ein Ankauf von atombestückbaren U-Booten von Israel aus Sicht des Irans als eindeutige kriegerische Kampfansage zu verstehen. Man kann dies nicht anders verstehen, selbst wenn es tatsächlich Leute gibt die behaupten, dass diese ja "nur" aus Verteidigungszwecken besorgt werden würden.
Ich finde es fast noch ein bisschen schade, dass Grass nicht weiter ging. Denn man kann hier wunderbar auch ans Wettrüsten aus den 80ern erinnern, an Kuba 1962 und Weiteres, wie dicht man einem Weltkrieg kommt, wenn man Waffen in kritischen Gebieten zusammenzieht.
Wenn weltweit Pazifisten geehrt werden, die auf Missstände und logische Brüche die gen Krieg zeigen hinweisen, dann werden Heldenreden (auch von Angela Merkel) über sie geführt.
Wenn das in Deutschland aber mal einer macht, einen pazifistischen Text verfasst, einer der es auch noch wissen muss weil er mittendrin im Krieg gewesen ist als junger Mann, dann wird sofort Schmutz geworfen, weil er ja Kritik am heiiiligen Israel verübt hat.
Wie ich diese Doppelmoral zum Kotzen finde. >:(
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