Moinsen Gemeinde, anbei ein Filmtipp ganz am Rande:
Ich habe mir gestern "Melancholia" zu Gemüte geführt und war bzw. bin immer noch schwerstens begeistert. Der notorische Skandalregisseur, Dogma-Begründer und Hitlerversteher Lars von Trier lässt zu Wagnerklängen die Welt untergehen, und das mit Pauken und Trompeten sowie in aberwitzig schönen Bildern. Wobei: Pauken und Trompeten gibt's primär in den ersten 15-20 und den letzten 10 Minuten, dazwischen ist es ein bemerkenswert stiller/ruhiger Film, der dessen ungeachtet - oder gerade deshalb - in seinen Bann schlägt.
Der Plot auf kürzeste Kürze zusammengestaucht: Während sich aus Richtung des Sternbildes Skorpion ein Planet - titelgebend: Melancholia - unaufhaltsam der Erde nähert und mit ihr zu kollidieren droht, findet in einer schlossartigen Anlage die mondäne Hochzeitsfeier der depressiven Blondine Justine statt. Anhand dieser Feier sowie ihres galoppierend desaströsen Verlaufs (der von Trier-Freund erinnert sich hier mit Fug & Recht an "Das Fest") illustriert von Trier quasi auf "Mikroebene" den langsamen Zerfall aller sinnstiftenden Konzepte, der auf "Makroebene" durch die drohende kosmische Katastrophe losgetreten wird. Die Frage, die gestellt wird, lautet: Was ist, was bleibt von Bedeutung angesichts des sicheren Todes, der sicheren Vernichtung? Welche Haltung ist angemessen? Was spricht dafür, das berühmte Apfelbäumchen doch noch zu pflanzen? Von Trier gibt keine Antworten, legt jedoch eine Tendenz vor, die man nur mit einiger Gewaltanwendung als optimistisch bezeichnen kann. Zitat Justine (großartig verkörpert von Kirsten Dunst): "Die Erde ist böse. Wir müssen nicht um sie trauern."
Mehr sei von der eigentlichen Handlung nicht verraten. - Kleine Randnotiz: Mir drängte sich während des Films immer wieder die Erinnerung an die berühmte Eingangspassage von Nietzsches Schrift "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" auf:
"In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der »Weltgeschichte«; aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mußten sterben. - So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt. Es gab Ewigkeiten, in denen er nicht war; wenn es wieder mit ihm vorbei ist, wird sich nichts begeben haben."
Wer "Melancholia" gesehen hat, wird verstehen, was ich meine.
Diejenigen, die von Triers letzten Film "Antichrist" mochten, kommen um den Nachfolger meiner Ansicht nach nicht herum, auch wenn dieser nicht ansatzweise auf solch drastische Bilder setzt, wie jener es tat - ich erinnere nur an die Igitt-Szenen mit Willem Dafoe und dem Mühlstein ... - Im Grunde ist "Melancholia", wie es ja schon der Titel nahe legt, ein überaus stiller, nachdenklicher, introvertierter Film, der dessen ungeachtet eine Wucht entwickelt, die ich in einer solchen Intensität im Kino lange nicht mehr erlebt habe (zuletzt vielleicht in Gaspar Noés "Enter The Void", aber das ist 'ne andere Geschichte) und diese Wucht in einem Knalleffekt entlädt, der den Zuschauer sprachlos und mit offener Kinnlade im Kinosessel zurücklässt. Uneingeschränkte Empfehlung!